interview
"Europäisches Recht überlagert das nationale Recht"
Gespräch mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses Rupert Scholz
Blickpunkt Bundestag: Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit des Ausschusses mit der neuen Justizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin?
Rupert Scholz: Frau Dr. Däubler-Gmelin ist eine kompetente Rechtspolitikerin. Sie kennt den Ausschuss sehr gut, weil sie lange Jahre selber Mitglied und auch Ausschussvorsitzende gewesen ist. Deshalb weiß sie um die Bedeutung und Qualität dieses Gremiums. Und das ist wohl auch ein Grund dafür, dass die Zusammenarbeit mit der amtierenden Justizministerin einwandfrei und tadellos ist. Sie ist eine gute Partnerin und engagierte Streiterin.
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Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU). |
Auch Rechtspolitik wird zunehmend in der EU vereinheitlicht. Welche Rolle spielt das für die Arbeit des Ausschusses?
Das europäische Recht überlagert und durchsetzt das nationale Recht immer stärker. Praktisch gibt es keine uneingeschränkt nationale Rechtspolitik mehr. Deshalb müssen wir sehr sorgfältig das Zusammenspiel von europäischem und deutschem Recht gestalten. Der Rechtsausschuss hat dafür extra einen Unterausschuss für Europarecht eingesetzt. Dort werden alle europarechtlichen Vorlagen zuerst beraten. Teilweise muss sich dann der Ausschuss selber mit der Problematik gar nicht mehr befassen – etwa bei einstimmigen Voten. Grundlegende Fragen des Europarechts werden natürlich im Vollausschuss diskutiert und entschieden.
Können Sie Beispiele nennen, wo es mögliche Kollisionen deutscher Vorschriften mit dem Europarecht gibt?
Das reicht bis in die Sozial- und Gesundheitspolitik. So könnte es – je nach Ausgestaltung der Vorschrift – durchaus sein, dass die von der Bundesregierung geplante soziale Grundsicherung im Alter nach europäischem Recht "exportfähig" sein muss. Dann müsste sie zum Beispiel auch einem Portugiesen gewährt werden, der früher einige Jahre in Deutschland gearbeitet und deshalb jetzt Rentenansprüche hat. Das dürfte aber sicherlich nicht beabsichtigt sein. Im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform stellt sich die Frage, ob einige Bestimmungen mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar sind. Ich glaube zum Beispiel, dass es das Sachleistungsprinzip im Zusammenhang mit der Budgetierung schwer haben dürfte, vor dem Europäischen Gerichtshof zu bestehen. Ähnliches könnte für die Positivliste für Arzneien gelten, die ja möglicherweise marktbeherrschende Tendenzen in Bezug auf einzelne Hersteller verstärkt und anderen praktisch den Marktzugang verwehrt.
Ein anderes, besonders brisantes Thema ist das Internet mit seinem unkontrollierten Angebot ...
Wir müssen Lösungen finden, damit das Internet kein weitgehend rechtsfreier Raum bleibt. Es kann nicht angehen, dass dort auf Dauer die Bestimmungen des Jugendschutzes unterlaufen und auch strafrechtliche Tatbestände – etwa die Verherrlichung und Darstellung von Gewalt – ungeahndet bleiben. Das zu ändern, ist allerdings ungewöhnlich schwierig. Das beginnt schon bei der Frage, wo die Täter eigentlich sitzen und wie man sie fassen kann. Das Weltrechtsprinzip eignet sich kaum dafür, weil es die weltweite Verfolgung von Straftaten wie Tötung und Mord begrenzt. Überzeugende Antworten auf die juristischen Herausforderungen des Internets kann es deshalb nur durch internationale Kooperation geben. Die muss vor allem innerhalb der EU und mit den USA vorangetrieben werden. Hier muss sich die Politik stärker als bisher engagieren. Dafür ist in erster Linie die Bundesregierung zuständig, weil es um Fragen der auswärtigen Politik geht.