Buch Tipp
Arena und Geschichtsort zugleich
Wer stellt sich heute noch an lange Schlangen an? Dieses Phänomen, das kann man wieder in Berlin besichtigen, am Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen Bundestages. Hatte schon die Verhüllung des Reichstagsgebäude die Berliner - und unzählige Gäste - mit der Monumentalität des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert versöhnt, so zeigen nun die langen Besucherschlangen, dass sich der deutsche Souverän mit der baulichen Gestaltung des Parlaments zu identifizieren beginnt. Gerade die lange umstrittene und ursprünglich von Architekt Sir Norman Foster nicht gewollte moderne Kuppel ist neben dem Brandenburger Tor zum herausgehobenen Wahrzeichen Berlins geworden. Politische Herrschaft, das wird hier deutlich, braucht auch in einer freiheitlichen Demokratie eine sichtbare, den Augenblick überdauernde politische Symbolik, die zur Identifikation einlädt.
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Mit solchen Bauwerken tun sich die Deutschen traditionell schwer. Das zeigt die Geschichte des Reichtagsgebäudes, die Michael S. Cullen, einer der besten Kenner dieses eindrucksvollen Hauses, vorgelegt hat. Einerseits steht der Wallot-Bau für die Anerkennung parlamentarischer Repräsentation und politischer Teilhabe, die mühsam den Kräften der Monarchie abgerungen werden musste, und für die erste freiheitliche Demokratie auf deutschem Boden. Aber er symbolisiert auch die Kämpfe mit den großen antiparlamentarischen Strömungen von den Kommunisten bis zu den Nationalsozialisten, die den Reichstag als "Quasselbude" verächtlich machten. Nach der Teilung Deutschlands schließlich war der Reichstag bauliches Symbol für die Einheit der Nation. Heute, nach dem Umbau, ist der alte Bau würdiges Zuhause einer selbstbewussten parlamentarischen Demokratie: eine moderne Arena des Meinungskampfes und Geschichtsort zugleich.
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Dass sich damit allerdings auch ein Paradigmenwechsel gegenüber dem alten Bundestagsgebäude vollzogen hat, wird an dem von Heinrich Wefing herausgegebenen Sammelband deutlich. Während das Reichstagsgebäude mit den historischen Kämpfen des Parlamentarismus in Deutschland verbunden ist, war der Behnischbau durch seine gläserne, gelassene Leichtigkeit Ausdruck der Bonner "res publica". Auch wenn diesem Bau nur eine kurze parlamentarische Nutzung vergönnt war, hat seine Offenheit prägend auch für die Neugestaltung des Reichtagsgebäudes gewirkt. Neben weiteren Aufsätzen, u.a. zum Umbau, zur Kunst in den Bundestagsgebäuden oder zur Staatsarchitektur der DDR wird auch der Blick auf die umgebenden Bundesbauten gerichtet.
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In einem erweiterten Sinn tut dies auch Max Welch Guerra, der nach der neuen Selbstdarstellung des Staates in Architektur und Städtebau im Rahmen der gesamten Hauptstadtplanung fragt. Er untersucht vor allem die Herausbildung der politischen Vorgaben für die Raumplanung der neuen baulichen Staatssymbolik in Berlin und kommt dabei zum Schluss, dass die Hauptstadtplanung ein wichtiges Instrument der Vereini-gungspolitik ist. Konsequenterweise werden von ihm Verlagerungen von Bundesinstitutionen nach Dessau, Leipzig oder Erfurt miteinbezogen.
Architektur sei demokratisch, so bemerkte Altbundespräsident Theodor Heuss, wenn die Bürger sie als ihre empfänden. In Berlin wird sich zeigen, ob das nicht nur für das Reichstagsgebäude gilt, sondern auch für die gesamte politische Stadtplanung. Die gründlich recherchierten und mit Bildern opulent ausgestatteten Bücher können dabei gute Wegbegleiter sein.
Bernward Baule
Michael S. Cullen, Der Reichstag. Parlament, Denkmal, Symbol. 2. vollst. überarb. und erw. Aufl. Berlin 1999, bebra-Verlag, 69,90 DM
Heinrich Wefing (Hg), "Dem Deutschen Volke". Der Bundestag im Berliner Reichstagsgebäude. Bonn 1999, Bouvier-Verlag, 49,90 DM
Max Welch Guerra, Hauptstadt Einig Vaterland. Planung und Politik zwischen Bonn und Berlin. Berlin 1999, Verlag Bauwesen, DM 58,-