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Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Weites Feld auf engem Raum
Die Ausschussmitglieder auf dem Dach
des Reichstagsgebäudes (360-Grad-Foto). Oben von links nach
rechts: Heinz Riesenhuber, Michaele Hustedt, Rainer Wend, Ulla
Lötzer, Rolf Kutzmutz, Elmar Müller (Kirchheim), Max
Straubinger, Engelbert Wistuba, Paul K. Friedhoff, Ulrich Klinkert,
Karl-Heinz Scherhag, Gunnar Uldall, Dagmar Wöhrl, Uwe Jens,
Christian Müller (Zittau, stv. Vors.).
Unten von links nach rechts: Ditmar Staffelt, Birgit Roth (Speyer), Matthias Wissmann (Vors.), Thomas Sauer, Volker Jung (Düsseldorf), Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Margit Wetzel, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Margareta Wolf (Frankfurt), Werner Schulz (Leipzig), Wolfgang Weiermann, Axel Berg, Christian Lange, Hubertus Heil, Werner Labsch.
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Vor der Tür stehen zwei Kisten: eine silbern, eine rot, größer als Umzugskartons, vollgepackt mit Unterlagen, die die Abgeordneten für ihre Sitzung benötigen. Über 26 Gesetzentwürfe, Berichte, Anträge und Entschließungen stehen an diesem Mittwoch im Mai auf der Tagesordnung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie.
Auch diesmal gingen für die Mitglieder des Ausschusses noch bis kurz vor Sitzungsbeginn Papiere ein, die in der Druckerei des Bundestages vervielfältigt werden mussten. Einige Vorlagen kamen sogar erst am Sitzungsmorgen und wurden noch schnell kopiert. Das passiert öfter, aber immer werden alle Unterlagen rechtzeitig fertig.
Druckfrisch landen sie dann auf den Tischen im Reichstagsgebäude, Saal 1 S 014. Dort, in der ersten Etage des Südostflügels, werden sich die Wirtschafts- und Technologie-Experten einen Vormittag lang die Köpfe heiß diskutieren: über verschiedene Gesetzentwürfe zur Steuerreform, über den Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums zur Bundesförderung für organisationseigene Beratungsstellen der Handwerkskammern, über einen Bericht der EU-Kommission "Gedanken zur Bildung von morgen" und über zwölf weitere Themen. Die restlichen elf werden verschoben.
Wenn der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie tagt, geht es entweder um Strukturpolitik oder um Industriepolitik, um Energiepolitik, EU-Wirtschaftspolitik, internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, Technologie- und Innovationspolitik, Telekommunikation und Post, die Entwicklung einzelner Wirtschaftsbereiche, wirtschaftspolitische Regelungen – oder auch um alles zusammen.
Ein in jeder Hinsicht weites Feld mit zahlreichen Berührungspunkten zu den anderen 22 Ausschüssen. Etwa bei der Steuerreform, die neben den Privathaushalten auch die Unternehmen, vor allem den Mittelstand und die Existenzgründer, entlasten soll. Denn der Mittelstand beschäftigt knapp 70 Prozent der deutschen Arbeitnehmer, Tendenz steigend. Das interessiert nicht nur den Finanz- und Arbeits-, sondern auch den Wirtschaftsausschuss. Umso mehr, als es darum geht, wichtige Entscheidungen zu fällen, die der deutschen Wirtschaft langfristig wieder einen Aufwärtstrend bescheren sollen.
"Die Gefahr, sich in einzelne Themen zu verbeißen, ist bei dieser Fülle von Sachgebieten natürlich groß, wenn man die Tagesordnung nicht energisch strafft", weiß Ausschussmitglied Axel Berg, SPD-Abgeordneter und Obmann seiner Partei in der Energie-Enquete-Kommission. Der 41-Jährige Ausschuss-Neuling gehört mit den Parteifreunden Birgit Roth und Christian Lange zu den "Youngs-ters" und ist erst seit 1998 dabei. Bei der Diskussion um die Senkung der Körperschaft-steuern geht es hoch her, bevor die 40 Ausschussmitglieder – darunter nur acht Frauen – schließlich mehrheitlich dafür stimmen. "85 Prozent der Unternehmen sind mittelständische Personengesellschaften und zahlen keine Körperschaftsteuer. Die haben nichts von einer Senkung, sondern brauchen Entlas-tung bei der Einkommensteuer. Hier müssen die Sätze deutlich runter. Was die Regierung vorhat, reicht nicht", erregt sich Gunnar Uldall, Obmann der CDU/CSU, im Ausschuss.
Argumente und Gegenargumente schwirren im Raum hin und her, die Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen lachen, am PDS-Tisch wird getuschelt. Ausschussvorsitzender Matthias Wissmann (CDU), der die in Hufeisenform sitzende Runde gut im Blick hat, muss beschwichtigen. Manchmal, gibt er lächelnd zu, komme er sich dann ein bisschen wie ein Lehrer vor, der eine ungebärdige Schulklasse zur Ordnung ruft. "Aber in den meisten Fällen ist der Gesprächston sachlich-moderat, das Arbeitsklima hervorragend", betont er. Das ist gut so, denn in den Zeiten der Globalisierung und des harten internationalen Wettbewerbs, vor allem in den noch jungen Branchen Informations- und Biotechnologie, kommt dem Wirtschaftsausschuss und seinen Experten große Bedeutung zu.
Einer von denen, die stets an einem ruhigen Diskussionsstil festhalten, ist Rainer Brüderle, Abgeordneter der F.D.P. und seit der 14. Legislaturperiode Ausschussmitglied. Auch als es beim Thema Internationale Arbeits- und Sozialstandards zum Schlagabtausch mit Ausschuss-Kollegin Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD) kommt, die ihm vorwirft, er nehme das Thema Kinderarbeit und Lohnsklaverei nicht ernst genug, bleibt er gelassen: "Ich verurteile Kinderarbeit auf das Strengste. Trotzdem halte ich nichts davon, Entwick-lungsländern das deutsche Sozialsystem eins zu eins aufzuzwingen. Es bekommt der Wirtschaft in den Niedriglohnländern nicht gut, wenn die Lohnnebenkosten in die Höhe getrieben werden. Es bekommt ja nicht einmal der deutschen Wirtschaft gut." Man müsse über jedes Thema ruhig und sachlich diskutieren, auch wenn die Emotionen manchmal hoch kochen, sagt Brüderle später. Was er bei der Arbeit im Ausschuss jedoch vermisst: "Ich wünsche mir mehr Ministerpräsenz bei unseren Sitzungen. Sie sollen nicht immer nur ihre Staatssekretäre als Vertretung schicken."
SPD-Mann Axel Berg würde im Ausschuss gerne mal wieder ein ganz bestimmtes energiepolitisches Thema auf der Tagesordnung sehen: die Einrichtung einer Regulierungsbehörde für den liberalisierten Energiemarkt. Sie soll den früheren Strom-Monopolisten auf die Finger schauen und notfalls auch hauen, wenn die sich im unlauteren Wettbewerb versuchen und von den neuen Strom-anbietern zu hohe Durchleitungsgebühren verlangen. "Ich bin sonst gegen unnötige Bürokratie, aber in diesem Fall macht eine neue Behörde ausnahmsweise mal Sinn", sagt Berg. Kollege Bernd Protzner (CDU/CSU), ebenfalls Energie-Experte, ist anderer Meinung: "Das Bundeskartellamt wird's von Fall zu Fall schon richten."
Über eines scheinen sich jedoch fast alle Ausschussmitglieder einig zu sein: Der Platz im kleinen Sitzungssaal mit den unendlich hohen Decken reicht nicht aus. "Wird Zeit, dass wir ins Paul-Löbe-Haus umziehen", seufzt ein SPD-Abgeordneter. Mareike Knoke
Infos
Weitere Einzelheiten zu den Aufgaben der Ausschüsse im Allgemeinen sowie zum Ausschuss für Wirtschaft und Technologie im Besonderen finden Sie auf folgenden Internet-Seiten:
http://www.bundestag.de/gremien/gremien/1432.html
http://www.bundestag.de/gremien/gremien/a9_a.html
http://www.bundestag.de/gremien/gremien/a9/index.html
Die E-Mail-Anschrift des Wirtschaftsausschusses ist: vorzimmer@WF5A1.bundestag.de