streitgespräch
"Gar nicht so weit auseinander"
Ist Deutschland ein Einwanderungsland? Wie kaum ein anderes Thema hat die Frage danach, wie viele Ausländer wir bei uns aufnehmen können und wollen, in den letzten Wochen die Gemüter bewegt. Zusätzlich emotionalisiert wurde die Debatte durch den Streit um die Leitkultur. Wie soll Zuwanderung künftig geregelt sein? Welche Integrationsanstrengungen sind von wem zu erbringen? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, und dem innenpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir.
Blickpunkt Bundestag: Fast jeder zehnte Bürger in Deutschland ist ein Ausländer. Ist damit die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, nicht schon beantwortet?
Özdemir: Die Zahl allein ist eigentlich kein Argument. Denn viele Ausländer könnten ja auch nur temporär hier sein. Aber richtig ist doch, dass wir mittlerweile ein Zuwanderungsland geworden sind, auch wenn das nicht beabsichtigt war. Wenn wir heute von einer dritten und vierten Generation sprechen, wenn inzwischen bei den Erstgeborenen etwa 30 Prozent nicht-deutscher Herkunft sind, dann ist eine Debatte darüber, ob wir ein Zuwanderungsland sind, müßig. Viel spannender ist die Frage: Was folgt daraus?
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Gesprächspartner Cem Özdemir (rechts)... |
Warum, Herr Ramsauer, tut sich Ihre Partei schwer, massenhafte Zuwanderung als Realität zu akzeptieren?
Ramsauer: Zehn Prozent Zuwanderung belegen: Deutschland ist eben kein klassisches Einwanderungsland. Unsere Bedenken gegen eine ungesteuerte Zuwanderung fußen darauf, dass in einem Land wie Deutschland mit seinen begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen die Integrationskraft der Bevölkerung nicht überstrapaziert werden sollte. Die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft muss ein wichtiges Datum für eine realistische und pragmatische Zuwanderungspolitik sein.
Özdemir: Bei allen Unterschieden: Ich finde es sehr bemerkenswert, dass wir heute an einem Punkt sind, an dem sowohl in der Union wie bei den Grünen, eigentlich in allen Parteien, eine spannende Diskussion über Einwanderung und deren Folgen geführt wird. Das empfinde ich als entscheidenden Fortschritt. Wer hätte sich das vor einigen Jahren vorstellen können!
Wenn die Zahl der Deutschen in den nächsten 30 Jahren dramatisch schrumpft, liegt Zuwanderung da nicht im ureigensten nationalen Selbstinteresse?
Ramsauer: Wer das demographische Problem durch Zuwanderung lösen will, gibt sich selbst als Nation und Volk auf. Demographische Probleme müssen in erster Linie dadurch gelöst werden, dass man nach geeigneten Maßnahmen zur Beeinflussung des generativen Verhaltens sucht. Da hat die Familienpolitik die höchste Priorität. An zweiter Stelle kommt dann die Frage, welche Arbeitskräfte wir für die Wirtschaft brauchen und wie das zu regeln ist. Deshalb sagen wir ja auch ein grundsätzliches Ja zur kontrollierten Zuwanderung.
Özdemir: Ich komme zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch aus anderer Motivlage. Das demographische Argument kann ein, aber nicht das entscheidende Kriterium der Zuwanderung sein. Viel wichtiger ist für mich neben dem ökonomischen der kulturelle Aspekt: Eine geregelte Zuwanderung ist eine kulturelle Bereicherung.
Warum scheint die Regelung der Zuwanderung so schwer zu sein? Liegt es an der festzulegenden Zahl oder an der Verquickung mit dem Asylrecht?
Özdemir: Wir haben viel Zeit mit ideologischen Gefechten verloren, die wir besser genutzt hätten für die Lösung praktischer Probleme. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo Bewegung in allen Parteien da ist. Die sollten wir nutzen für eine kluge Zuwanderungspolitik. Deshalb meine ich auch, wir sollten die Zuwanderungspolitik nicht mit der Asylpolitik vermengen.
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...und Peter Ramsauer. |
Einverstanden, Herr Ramsauer?
Ramsauer: Wir sehen die praktischen Probleme: Wenn es beim individuellen Grundrecht auf Asyl bleibt, werden weiterhin 95 Prozent der Antragsteller abgelehnt und dennoch hier bleiben wollen. Die gelten dann auch als Zuwanderungsbewerber. Daraus ergibt sich zwingend die Verknüpfung von Zuwanderung und Asyl. Wenn der Asylmissbrauch nicht angetastet werden darf, wird eine Lösung schwierig.
Wie sollte denn Zuwanderung gesteuert werden? Mit festen Quoten?
Ramsauer: Gegen Quoten habe ich größte Bedenken. Wenn man Quoten für einzelne Bereiche festlegt, kommt man sehr rasch zu erheblichen praktischen Problemen bei der Handhabung. Darauf habe ich gerade bei der Asylproblematik hingewiesen.
Özdemir: Auch wir sind gegen eine starre Quotenregelung für die gesamte Einwanderung. Das macht keinen Sinn. Man muss flexibel reagieren können und pragmatische Lösungen für unterschiedliche Branchen anbieten. Und dabei darauf achten, dass Zuwanderung nicht als Ersatz für Ausbildung hier herhalten muss.
Parteiübergreifend werden von Zuwanderern Integrationsleistungen wie das Erlernen der deutschen Sprache erwartet. Wie weit sollte das gehen? Und: Hilft dabei der Begriff von der "Leitkultur in Deutschland"?
Ramsauer: Wenn das wirklich parteiübergreifend gefordert wird, wäre das schon mal ein Fortschritt. Ich finde es gut, dass die Union eine wichtige Diskussion angestoßen hat, auch wenn da inzwischen viel überflüssige Rabulistik im Spiel ist. Viel zu lange wurde die Frage nach den Werten, denen sich auch Zuwanderer öffnen müssen, tabuisiert. Ob wir nun dabei von deutscher Leitkultur, Leitkultur in Deutschland oder nur deutscher Kultur sprechen, ist zweitrangig, denn das liegt alles nahe beieinander. Gemeint ist eine Kultur, die geprägt ist von Humanismus, christlich-abendländischen Werten und von den Prinzipien des Grundgesetzes.
Sehen Sie das auch so?
Özdemir: Ich habe weniger Probleme mit dem "Leit" als mit der "Kultur". Denn jede Gesellschaft hat Werte und Normen, an denen man sich zu orientieren hat. Mit Kultur habe ich Probleme, weil Kultur nicht Singular, sondern Plural ist. Es ist doch gerade die Vielfalt der Kulturen, die dieses Land ausmacht. Die türkische Folklore-Gruppe gehört genauso dazu wie die bayerischen Schuhplattler-Tänzer. Ein Wort noch zum Deutsch Lernen: Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Wer nicht genug Deutsch kann, der hat auf vielen Ebenen Schwierigkeiten, sich hier einzuleben. Deshalb ist die Einrichtung von Deutschkursen für Zuwanderer gut angelegtes Geld.
Integration ist keine Einbahnstraße. Was muss von den Deutschen erwartet werden?
Ramsauer: Toleranz. Und die muss von den Zuwanderern mit der Akzeptanz unserer kulturellen Vielfalt erwidert werden.
Özdemir: Was ich erwarte ist, dass man begreift, dass der Deutsche im Jahr 2000 auch mal eine dunkle Hautfarbe haben kann, dass er muslemischen oder anderen Glaubens sein kann, dass er Giovanni, Gerel oder Cem heißen kann. Ich bin sicher, die deutsche Gesellschaft schafft das.
Ist der Eindruck richtig, dass es hinter dem Pulverdampf und dem Streit um Begriffe durchaus Übereinstimmungen in der Frage der Zuwanderung zwischen Ihnen gibt?
Ramsauer: Da antworte ich mit einem Wort: Ja.
Özdemir: Wenn man die ideologischen Kampfbegriffe weglässt, sind wir gar nicht so weit auseinander.