tagesläufe
Berlin – Leipzig –
Berlin
Sechzehn Stunden sind ein Tag
Michaele Hustedt, Abgeordnete der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist an einem solchen Tag
Diskutierende, Zuhörende, Moderatorin, Planerin,
Berichterstatterin und noch einiges mehr.
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Michaele Hustedt im Untersuchungsausschuss. |
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09.13 Uhr: Untersuchungsausschuss. |
Sie kommt um neun, noch ein wenig müde vom gestrigen langen
Arbeitstag, der kurz vor Mitternacht geendet hatte. Sie trägt
zwei Taschen, über jeder Schulter eine. Viel Papier ist an so
einem Tag mitzunehmen, und außerdem wird es abends noch eine
Reise nach Leipzig geben. Vielleicht muss sie auch in Leipzig
übernachten, wenn dieser Abendtermin sehr lange dauert.
Sicherheitshalber bringt sie also an diesem Morgen alles mit, was
nötig ist.
Michaele Hustedt, Abgeordnete der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit und im Ausschuss für Wirtschaft und
Technologie, dazu energiepolitische Sprecherin der Fraktion, hat
einen Tag vor sich, dessen Beginn definiert und dessen Ende nicht
absehbar ist. Ein ganz normaler Mittwoch in einer ganz normalen
Sitzungswoche also, der mit einem kleinen, aber ganz
alltäglichen Dilemma beginnt: Beide Ausschüsse, in denen
die Grünen-Abgeordnete den Hauptsitz für ihre Fraktion
inne hat, tagen an diesem Tag gleichzeitig. Der Weg zwischen den
Tagungsräumen ist zwar kurz, aber einfach ist es trotzdem
nicht. "Wenn man sich teilen könnte", seufzt Michaele Hustedt
und nimmt ihren Platz im Umweltausschuss ein.
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Michaele Hustedt im Büro der
Mitarbeiter. |
Um 9.20 Uhr kommt ihr Mitarbeiter und bringt Unterlagen für
die morgendliche Ausschussarbeit. Eine grüne Mappe für
den Umweltausschuss, eine rote Mappe für die Wirtschaft. Der
Sitzungssaal, bis unter die Decke in dunklem Blau gehalten,
füllt sich. Rings um die Abgeordneten gruppieren sich
Mitarbeiter und Experten, um zuzuhören. Irgendjemand war bei
der Einrichtung des Raumes auf die Idee gekommen, die dunkelblauen
Regale mit ebenfalls dunkelblauen Buchbänden zu füllen
– die Buchrücken allerdings in Gold beschriftet.
In zehn Minuten beginnt die Arbeit. Michaele Hustedt ist
vorbereitet, hat die Papiere beisammen und redet noch kurz mit
ihrem Fraktionskollegen. Sie trägt ein dunkles Samtjacket,
einen weißen Pullover, einen Chiffonschal in
zartfröhlichen Farben, eine Kette mit terrakottafarbenen
großen Perlen, eine dunkle Hose, bequeme Schuhe.
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12.30 Uhr: Büro der Mitarbeiter. |
Das Diskussions- und Abstimmungsprogramm des Ausschusses ist
lang. Da geht es um einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Atomgesetzes, um die Änderung der
Batterieverordnung, um die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung
in Bauleitplanungen, um Regelungen zum Tanken von eingefärbtem
Agrardiesel, um einen Entschließungsantrag zur
EU-Grundrechtecharta, um die Sanierung einstiger
Betriebsflächen des Uranbergbaus.
Manche Tagesordnungspunkte sind auf dem Blatt von Michaele
Hustedt grün gemarkert. Da ist sie Berichterstatterin.
Es geht schnell und zügig voran. Zwischendurch muss die
Abgeordnete hin und wieder den Raum verlassen, um schnell am
Telefon etwas zu klären. Sitzt sie wieder im Ausschuss,
schreibt sie mit, hört zu, redet kurz und präzise zu
einigen Punkten, stimmt mit ab.
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12.57 Uhr: Besprechung im Büro der
Abgeordneten. |
Um 12 Uhr wartet eine Mitarbeiterin aus ihrem Büro vor dem
Sitzungssaal. Kurze Besprechung, dann geht es rüber ins
Büro, in die Luisenstraße. Laufen, auch wenn es nur ein
Stück und nicht allzu viel Bewegung ist. Michaele Hustedt hat
in Berlin keine Zeit für viel Bewegung oder Sport. Ein
Defizit, an dem sie wenig ändern kann.
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Michaele Hustedt in einer Besprechung in ihrem
Büro. |
Um 12.30 Uhr ist sie im Büro und diktiert ihrer
Mitarbeiterin zuerst einen Brief. Das geht schnell. Ihr eigenes
kleines Bürozimmer wirkt fröhlich, funktional und
persönlich. Zwei kupferne Vögel stehen auf ihrem
Schreibtisch, Ibisse oder Reiher – das weiß sie nicht so
genau. Ein Foto im Rahmen daneben, an den Wänden Bilder.
"Jetzt machen wir Termine und sprechen die zu erledigenden Arbeiten
durch", erklärt die Abgeordnete noch kurz, bevor die
Planungsrunde mit zwei Mitarbeitern und einer Mitarbeiterin
beginnt. Und dann geht es Schlag auf Schlag – vier gut
vorbereitete und aufeinander eingespielte Leute reden miteinander
und für Außenstehende klingt das, was sie da reden, wie
eine Art Geheimsprache oder gar Code: Wann ist der Kohletermin? Wir
brauchen dafür einen Haushälter. Sag was zum Stand
ATG-Novelle. Wie sieht es mit der Gasliberalisierung aus? Am 20.
Dezember will das BMWi das im Kabinett haben. Setz mal bei der
Energie-AG als dritten Punkt die Gasliberalisierung drauf. Wir
müssen den Unterschied zur Stromnovelle darstellen. Biogas?
Die haben gegenwärtig keine Lobby. Gestern ist der
Entschließungsantrag durch. Wir müssen zu einem
Verordnungstext kommen. Lass uns eine Abfallrunde machen... Alles
gibt nur für diejenigen einen wirklichen Sinn, die miteinander
reden.
Zwischendurch strukturiert Michaele Hustedt das Besprochene,
fasst es noch einmal in vier oder fünf Punkten zusammen, macht
eine Zeitschiene für die nächsten Arbeitsschritte, reibt
sich ab und zu die Augen, sieht manchmal für einen kurzen
Augenblick ganz müde aus. Sie isst schnell ein paar Kekse und
trinkt einen Kaffee, für ein richtiges Essen wird auch an
diesem Tag wieder die Zeit fehlen. Im Büro nebenan klingelt
häufig das Telefon, laufen Faxe rein und raus, werden Mails
verschickt, Termine gemacht, Briefe geschrieben.
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Michaele Hustedt bei einer Anhörung in der
Parlamentarischen Gesellschaft. |
Kurz nach halb zwei muss Michaele Hustedt fort. Um 14 Uhr
beginnt im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft eine
von ihr organisierte kleine Anhörung zum Thema "Das
KWK-Zertifikat – Handelsmodell in der Praxis". Das klingt wie
die Fortsetzung des Gesprächs im Büro. Denn, bitte
– was ist ein KWK-Zertifikat? Für die Ungeübten
lässt sich aus der Veranstaltung entnehmen, dass es hier um
die Eckpunkte einer Quotenregelung zum Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplung geht. Und dass es sich bei den
Zertifikaten um ein umweltpolitisches Instrument handelt, für
das sich Michaele Hustedt einsetzt, weil sie es wichtig und gut
findet. Und während sie noch den Raum Bonn im Haus der
Parlamentarischen Gesellschaft für die Veranstaltung mit
vorbereitet, einen Tisch für die Referenten organisiert, die
ersten Gäste und Referenten begrüßt, ist es Zeit,
ihren Mitarbeiter zu fragen, wofür "ATG" steht, nachdem man
KWK gerade erklärt bekam. Atomgesetznovelle also. Ein
Puzzleteil des vorangegangenen Bürogesprächs hat seinen
Platz gefunden.
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14.10 Uhr: Anhörung in der Parlamentarischen
Gesellschaft. |
Für die KWK stehen zwei Stunden auf dem Plan – bis
16.00 Uhr also.
Um 16.00 Uhr beginnt in der Luisenstraße ein
fraktionsinternes Treffen zum Thema Hermes-Bürgschaften. Die
Vergabekriterien für diese Bürgschaften sollen
verändert und transparenter gemacht werden. Es gelte, vor
allem den Umweltschutzgedanken zu verstärken und den
Mittelstand zu fördern, erklärt die Abgeordnete.
Michaele Hustedt schafft es nicht pünktlich. Die Debatte
zur Kraft-Wärme-Kopplung, die sie leitet, dauert länger
als geplant. Um 16.32 Uhr kommt die Abgeordnete zum
fraktionsinternen Treffen. Etwas außer Atem. Ihr bleibt nur
noch eine Stunde für diese Veranstaltung, denn sie muss nach
Leipzig. Dort will sie spätestens um 20 Uhr sein. Gemeinsam
mit ihrer Fraktionskollegin Kerstin Müller fährt sie kurz
nach 18 Uhr aus der Stadt – der Zug war nicht mehr zu
schaffen, also musste das Fraktionsauto genommen werden. Beide
kommen rechtzeitig zum ÖTV-Gewerkschaftstag und mitten hinein
in die Diskussionen nach dem Rücktritt des
ÖTV-Vorsitzenden Mai.
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Michaele Hustedt im fraktionsinternen Treffen zu
Hermes-Bürgschaften. |
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15.58 Uhr: Fraktionsinternes Treffen zu
Hermes-Bürgschaften. |
Der Parteienabend findet trotzdem statt. Die Gewerkschafterinnen
und Gewerkschafter haben Diskussionsbedarf, und die beiden
Grünen-Abgeordneten stehen dafür den ganzen Abend zur
Verfügung. Es geht zum Beispiel um Rentenreform, die
Liberalisierung der Energie-, Abfall- und Wassermärkte.
Um 22.30 Uhr machen sich Michaele Hustedt und Kerstin
Müller auf den Heimweg nach Berlin. Eine Übernachtung in
Leipzig würde den Beginn des nächsten Arbeitstages
verzögern. Und der nächste Arbeitstag ist ein
Sitzungstag. Um 00.30 Uhr ist die Abgeordnete Hustedt wieder in der
Hauptstadt und wenig später zu Hause.
Was hat sie an diesem langen Tag ob der Gleichzeitigkeit der
Ereignisse nicht tun können? Der Unterausschuss
Telekommunikation und Post, dem sie angehört, hatte beraten,
es gab eine Aktuelle Stunde im Bundestag und eine 30-minütige
Befragung der Bundesregierung, verschiedene Arbeitskreise der
Fraktion standen auf ihrem Tagesplan: Frauenspezifische
Gesundheitsversorgung, Behindertenrecht, Schwangerschaftsabbruch
mit Medikamenten, Energiekosten und Vereine und die Änderung
der Einkommensteuer wären die Themen gewesen. Zu allem
hätte sie etwas zu sagen gehabt und gesagt, wäre ihr die
Möglichkeit gegeben, gleichzeitig an drei Orten zu sein. Sie
war immer nur an einem. Aber das richtig.
Kathrin Gerlof