Titelthema
Ausziehen, umziehen, einziehen
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Stapel von Umzugskartons.
Am 23. Januar nahm der Deutsche Bundestag das neue Jakob-Kaiser-Haus in Besitz. 1.800 Menschen werden hier arbeiten. Die meisten von ihnen waren schon vorher dort.
Es gibt einen ganz besonderen Moment in der Kette der Ereignisse. Da steht man in den neuen Räumen zwischen hoch gestapelten Kartons, leeren Regalen und Schränken, blickt auf den unbenutzten Schreibtisch, schätzt mit den Augen die Abstände zwischen den Wänden ab, umrundet das zu sortierende Umzugsgut, geht zum Fenster, dreht den Rücken zum vermeintlichen Chaos und schaut, was von nun an immer ins Blickfeld rückt, wenn man von der Arbeit hochschaut. Man hat es ja schon gesehen, aber nun ist man da und zugleich richtig fort von dem, was bislang Arbeitsraum war. Jetzt ist Ankunft.
Bis zu diesem Augenblick war Umzug. Nun entscheidet sich, ob man es mögen wird oder nicht. Die starken Männer der Transportfirma sind verschwunden. Irgendwo, in einer der Kisten und wahrscheinlich ganz unten, liegt der rote Ordner, den man eigentlich ins Handgepäck nehmen wollte. Das Sideboard sieht kleiner aus als in der Erinnerung. Und dass der Teppichboden in solch einem warmen Orangerot strahlt, hatte man auch vergessen. Sind es wirklich so viele Kartons gewesen, die man in den vergangenen Tagen vollgepackt hat? Wird der Platz reichen? Ist das da unten der Kollege, mit dem man noch vorgestern Tür an Tür saß? Fängt man beim Auspacken mit der Hängeregistratur an oder lieber mit den Bildern, damit ein gutes Gefühl entsteht? Von nun an also ist man im Jakob-Kaiser-Haus, ganz in der Nähe des Reichstagsgebäudes, mitten in der Mitte von Berlin.
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Umzugswagen in der Dorotheenstraße.
Der Umzug von 314 Abgeordneten, darunter die fünf Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten des Bundestages, von 717 Abgeordnetenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, 730 Fraktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und 74 Frauen und Männern aus der Bundestagsverwaltung hat am 22. Oktober des vergangenen Jahres begonnen.
Dieser Satz ist nur die halbe Wahrheit. Angefangen hat ja alles schon viel früher. Schließlich gehört Planung zu jedem Umzug, und geplant werden musste in diesem Fall lange. Wenn 1.800 Menschen aus 15 Häusern, die im Bundestag Quell-Liegen- schaften heißen, in ein neues Haus ziehen, bedarf das der langfristigen Vorbereitung. Die lag und liegt in den Händen der Leute, die bei der StUB arbeiten. StUB? – ganz einfach: Steuerung Umzug Berlin. Gemeinsam mit den für die mitziehende Technik zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom "IT-Umzug" – IT steht für Informationstechnologie – bildet man die Projektgruppen "ITU und StUB". So zumindest haben es alle gehört, die irgendwann einmal die Telefonnummer 31000 gewählt haben: "Herzlich willkommen bei der gemeinsamen Umzugshotline der Projektgruppen ITU und StUB. Wenn Sie Probleme mit Ihrer PC-Ausstattung, dem Faxgerät oder Telefon aufgeben möchten, drücken Sie bitte die Taste 1. Haben Sie Probleme mit allen sonstigen, vom Umzug betroffenen Gegenständen, drücken Sie bitte die Taste 2 ..."
Bestes Hilfsmittel für alle Umziehenden ist das Umzugshandbuch. Man kann es im Intranet abrufen und erfährt, in welcher Reihenfolge was wie gemacht werden muss, wo die Ansprechpartner sind, was man nicht vergessen darf. Eine Bedienungsanleitung der besseren Art.
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Behälter für die Computertechnik.
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Computerzubehör.
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Möbelaufbau im MdB-Büro.
Wie kann man sich das vorstellen, wenn ungefähr 2.000 Räume bezogen werden? Die Gleichzeitigkeit der Dinge, die getan werden müssen, erfordert ein System. Das System lässt sich mit Zahlen allein nicht erklären. Obwohl die Zahlen an sich der Vorstellungskraft zuarbeiten: Rund 500 Lkw-Ladungen, die 14.800 Kubikmeter Mobiliar, Bücher und Akten in gut 25.000 Umzugskartons enthalten, 2.800 Meter Hängeregistraturen, das sind noch mal 4.300 Kartons. 10.200 Kartons werden für Büromaterial und sonstiges Umzugsgut benötigt. Die Fantasie nötigt Bilder auf, die von Hektik, Stress, schwer tragenden Männern, suchenden Bundestagsmitarbeitern, Möbellagern, Kistenbergen, Aktenchaos handeln. Die Fantasie kann einem noch jeden Streich spielen.
In einer sitzungsfreien Woche morgens um sechs beginnt der Abgleich mit der Realität. Die mitleidende Seele gibt aber erst einmal ein Gefühl vor: Morgens um sechs, im Winter, in der Dorotheenstraße, vor dem Eingang zu den Häusern 5 und 6 kann die Welt noch nicht in Ordnung sein. Es ist einfach zu dunkel und zu kalt.
Ein großer Lkw der Umzugsfirma postiert sich direkt vor dem Eingang. Davor ein etwas kleineres Exemplar des Computer-Unternehmens. Die große Eingangshalle, die beide Gebäude des Jakob-Kaiser-Hauses verbindet, ist fast leer. An einer Seite zum Innenhof liegen Reste der vergangenen Umzugstage: blaue Müllbeutel, Styropor, Verpackungen aller Art. Zwei Leitern lehnen an der frei schwebenden Treppe, ein paar Reinigungskräfte putzen Halle, Treppen und Geländer. Rechts neben der Pförtnerloge sitzt Harun Bozkunt vor einem großen improvisierten Brett mit vielen kleinen Haken, an denen die Schlüssel zu allen Bauschlössern hängen, die es im Haus noch gibt. Bald wird er nicht mehr da sitzen. Dann, wenn das letzte Bauschloss gegen ein normales Türschloss getauscht worden ist. Aus Haruns kleinem Radio tönt türkische Musik.
Die beiden Lkw werden ausgeladen. Der kleinere enthält Computer, Faxgeräte, Telefone, Netztechnik. Alles rollt in großen vergitterten Wagen in die Halle und wird dort erst einmal abgestellt. Jedes Gerät ist nummeriert: Die Nummer 2518 bedeutet zweite Etage, Haus 5, Zimmer 18. In dem großen Lkw sind neue Möbel, die meisten von ihnen in ihre Einzelteile zerlegt. Sie werden auf Paletten gepackt, durch die Halle gerollt, geradeaus und dann rechts in einen Gang, der in diesen Tagen ein Möbellager ist. Ein Brett, vier Stück Styropor, ein langes Brett, Styropor, die Stapel wachsen – nicht in den Himmel, aber doch zur Decke. Im Normalfall, in einem Privathaushalt, beginnt an dieser Stelle die hektische Suche nach den kleinen Regalträgern, Schrauben, Verstrebungen und Rollen, die zum Zusammenbau unabdingbar sind. Im schlimmsten Fall fährt man dann noch mal zum Baumarkt, weil sie unwiderruflich verschwunden sind. Hier hat alles seine Ordnung, der späteren Montage steht nichts im Weg.
Möbelträger und Computertransporteure sind heutzutage mit Handy unterwegs, aber sie tragen immer noch diese Latzhosen in grün, rot oder blau und die coolen Jacken mit dem großen Firmenlogo und karierte Hemden und derbe Schuhe. Und sie haben immer noch Muskeln. Sie bewegen sich gelassen, zielgerichtet, und wenn sie reden, sind die Sätze kurz und die Scherze manchmal frivol. So muss es sein.
Montierte man alle Möbel auf einmal, stünde der Gang bald voll, und nichts ginge mehr. Montiert wird nach Bedarf. Die meisten Büros sind bereits mit Möbeln ausgestattet. "Alles ist richtig angekommen", ruft eine zufriedene Mitarbeiterin über die vierte Etage des Hauses 5. "Nur eine Pflanze war verschwunden, aber hier, ich habe sie wiedergefunden. Das nenne ich Glück."
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Beseitigung von Umzugsschäden.
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Gestapelte Tischplatten.
Wer noch Möbel bekommt, ruft im "Leitstand" der Montageabteilung oder über die Hotline an. Dann wird zusammengebaut, was geordert wurde. Seit zwei Monaten. Hier unten sind auch die so genannten "Lost-.&-Found-Räume" untergebracht. Bei solch einem Unterfangen kann schon mal was kurzzeitig verloren gehen oder am falschen Ort landen. Aber auch dafür ist ja die Hotline da.
Die Technik steht an diesem wie an jedem anderen Morgen nicht lange in der Halle. Sie wird, entsprechend der Nummerierung, in die Räume verteilt, die bereits eingerichtet sind. Stephan Wilk leitet die Projektgruppe ITU, die er humorvoll "Ich Tu Umziehen" nennt. Er hat den kompletten Ablauf im Kopf, schließlich muss er sich um einen der sensibelsten Bereiche kümmern. 10.000 Umzugsdatensätze hat er in der Umzugsdatenbank gespeichert, das sind rund 400.000 Einzeldaten. Jeder Datensatz gehört zu einer Person mit den dazugehörigen Geräten. Manchmal ist es nur ein Telefon, meist aber mehr. Bis März werden Stephan Wilk und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rund 3.000 Computer samt zugehöriger Anschlüsse, rund 5.000 Telefone ab- und angeschlossen haben.
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Einräumen im MdB-Büro.
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Verpackte Kleinteile.
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Mit Pappe geschützter Fahrstuhl.
"Im Umzugsbetrieb haben wir fünf Tage Lufthoheit. Die StUB verfügt über drei Tage für das Einpacken, den Transport und den Aufbau und das Einräumen der Möbel. Ich muss einen Tag vor den Möbelpackern die Technik abräumen. Am dritten Tag prüfen wir vor Ort, ob die Telefone stehen und die Umschaltung erfolgen kann. Am fünften Tag, wenn alles eingeräumt ist, bauen wir die Technik wieder auf. In der Zwischenzeit steht den Abgeordneten ihr Laptop zur Verfügung, und sie sind kontinuierlich über die alte Telefonnummer erreichbar."
Stephan Wilk ist die Ruhe in Person. Sein Leitstand befindet sich parterre in Haus 1, ein weiteres Büro in der Bunsenstraße. Wenn dort jemand anruft und fragt, wie denn das nun mit den Antennenanschlüssen liefe, sagt Stephan Wilk: "Sie bekommen das Rundum-sorglos-Paket von uns", und signalisiert, dass Ruhe noch immer die Mutter der Porzellankiste ist.
Das Tempo, in dem die Fachleute in den Büros die Technik installieren und wieder zum Laufen bringen, nötigt der einfachen Nutzerin mindestens Beifall ab. Schließlich weiß auch sie, dass dies hier nur die halbe Miete ist. Server müssen aufgestellt, Daten wieder aufgespielt, Systeme zum Laufen gebracht werden. In drei Tagen beginnt die nächste Sitzungswoche.
Zum Umzugsservice gehört auch, dass die Mitarbeiter von Grohmann die Kisten und Kartons wieder auspacken, falten und abtransportieren. Das Auspacken aber übernehmen meist, der Einfachheit und Logik halber, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst. Sie stellen oder legen dann die gefalteten Kartons auf die Flure, wo sie abgeholt, in der Eingangshalle zu hohen Stapeln sortiert und später am Tag wieder in die Lkw geladen werden. Die Türme aus leeren Kartons signalisieren den Fortschritt, den die Dinge tun.
Auspacken ist schön und quälend zugleich. Man hat ja seine Ordnung im Kopf, aber nur selten sind die Kisten auch noch in der Reihenfolge dieser Kopfordnung greifbar. Ein bisschen Unordnung gehört also auf jeden Fall dazu. Und ja, es kommt auch mal vor, dass ein Karton fehlt oder ein Regal noch nicht steht. Was aber nicht mehr gilt, ist der von Bismarck geprägte Satz: "Ein Umzug ist halbes Sterben."
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Büro während des Einräumens.
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Einsammeln der Kartons.
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Flur mit Umzugskartons.
Wer seine neuen Büros in Besitz nimmt, findet draußen an der Tür einen Zettel, der das Inventar genau auflistet und eine kleine Skizze, auf der zu sehen ist, wo was steht: Container 2, 43x80 cm ist da beispielsweise zu lesen. Daneben kann man, wenn nötig, Mängel aufschreiben. Noch gibt es eine Menge Provisorien. Hinweisschilder und Nachrichten für die Umzugsleute sind von den Mitarbeiterinnen der Abgeordneten auf A4-Zettel geschrieben und mit Tesafilm an die Türen geklebt worden. "Wir packen selber aus!" Im Büro eines SPD-Abgeordneten gönnt man sich eine kurze Pause, um zu diskutieren, ob sich ein Platz für die in einem der oberen Kartons gefundenen Geschenke aus Bulgarien findet. Die gewebten Decken und das Madonnenbild sind auf keinem Plan verzeichnet. "Mir fehlt ein Sideboard", sagt eine Mitarbeiterin, "nun bricht mein ganzes System zusammen." Viele Türen stehen offen. Auch da, wo die Büros schon fertig eingerichtet sind, als sei man noch unsicher in den neuen Räumen oder vielleicht auch ein wenig mehr zusammengerückt.
Die Geschäftigkeit auf den Fluren und in den Räumen wird im Jakob-Kaiser-Haus noch einige Zeit den Takt vorgeben. Auf vielen Etagen allerdings ist schon wieder die Gelassenheit des Arbeitsalltags eingezogen. Noch haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stabstelle Umzug und der Projektgruppe IT-Umzug eine Menge zu organisieren und zu tun. Aber man ist schon lange übern Berg. Und eins kann jetzt schon gesagt werden: Klein war dieser Berg nicht.
Kathrin Gerlof
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"Ein gelungenes Haus"
Am 23. Januar übergaben die Geschäftsführung der Bundesbaugesellschaft und die Architekten das Jakob-Kaiser-Haus seinen künftigen Nutzern. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse nahm den symbolischen Schlüssel, dessen Bart den Grundriss des Gebäudekomplexes darstellt, in einem Festakt entgegen. In seiner Rede hob er die einmaligen Arbeitsbedingungen im neuen Parlamentsgebäude hervor. Das Jakob-Kaiser-Haus sei ein gelungenes Haus. "Dieses Haus ist nicht nur groß, ich finde, es ist auch schön." Beeindruckt zeigte sich der Bundestagspräsident insbesondere von den hellen Treppenhäusern.
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Schlüsselübergabe.
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Unter den Gästen: die Tochter und die Enkelin von Jakob Kaiser.
Der Parlamentsneubau soll die Erinnerung an Jakob Kaiser (1888-1961) fördern, den Zentrumspolitiker der Weimarer Republik und späteren Mitbegründer der CDU. Unter den geladenen Gästen befanden sich Elisabeth Katzer, die Tochter Jakob Kaisers und Ehefrau des früheren Arbeitsministers Hans Katzer (CDU), und Kaisers Enkelin Marie-Therese Kreutz-Katzer.