BERICHT DER ENQUETE-KOMMISSION
Kein Konsens über den moralischen Status des Embryos "in vitro"
(re) Die Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" erwartet nicht, dass die unterschiedlichen Auffassungen zum moralischen Status des menschlichen Embryos in vitro (außerhalb des menschlichen Körpers) in absehbarer Zeit beseitigt werden. Dies geht aus dem Teilbericht "Stammzellforschung" zum zweiten Zwischenbericht der Kommission ( 14/7546) hervor.
Wenn man davon ausgehe, dass dem Embryo in vitro von der abgeschlossenen Befruchtung an der Schutz der menschlichen Würde zukommt, dessen moralischer Status also nicht abgestuft ist, dann könne eine Entnahme von Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen, die mit der Zerstörung des Embryos verbunden ist, ethisch nicht gerechtfertigt werden, auch wenn sie zu hochrangigen Zwecken erfolge.
Abwägung möglich
Wenn man aber der Ansicht sei, dass bestimmte Einschränkungen des Lebensschutzgebotes keinen Verstoß gegen den jedem Embryo geschuldeten Schutz der Würde darstellten, erscheine eine Abwägung im Fall der "überzähligen" Embryonen möglich, heißt es in dem Bericht. Diese zweite Position gehe von einer abgestuften Schutzwürdigkeit des Lebensrechtes des menschlichen Embryos aus. Die mögliche Rechtfertigung für eine Entnahme von Stammzellen aus solchen "überzähligen" Embryonen sei aber auch angesichts des hohen Rangs, der dem Lebensschutz zukomme, nur dann vertretbar, wenn die Eignung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der mit dieser Entnahme erforderlichen Tötung des Embryos strikt nachgewiesen werde.
Im Blick auf die Eignung müsse die Frage möglicher Risiken und der Grad, mit dem die Ziele erreichbar seien, beachtet werden. Die Notwendigkeit sei durch den Vergleich vor allem mit der Forschung an "adulten" Stammzellen (AS-Zellen) zu prüfen, die sich selbst erneuern können. Dabei komme es darauf an, ob die Entnahme von Stammzellen aus "überzähligen" Embryonen tatsächlich ohne vergleichbare Alternativen und bereits jetzt erforderlich ist. Im Blick auf die Verhältnismäßigkeit müsse untersucht werden, wie eine solche Entnahme ein moralisches Tabu bricht, wenn mit ihrer Zulassung gerechtfertigt wird, menschliches Leben zu einem fremden Zweck zu nutzen.
Das Gewicht dieser aus ethischer Perspektive sich stellenden Fragen macht für die Enquete-Kommission deutlich, dass die Entscheidung mit Blick auf eine rechtliche Regelung nur nach Klärung der naturwissenschaftlich-medizinischen Voraussetzungen und nur nach intensiver öffentlicher Debatte getroffen werden könnte.
Die Gewinnung und Verwendung von AS-Zellen sei unter bestimmten Voraussetzungen unproblematisch und ausreichend geregelt, heißt es. Präzisiert werden müssten die Einwilligungsregelungen für den Spender und den Empfänger sowie die Regelung der Zuteilung und der Ausschluss von Handel parallel zum Transplantationsgesetz. Aus ethischer Sicht sollte die Forschung mit AS-Zellen in Deutschland weiterhin vorrangig gefördert werden, so die Kommission.
Experten geteilter Meinung
Auf geteiltes Echo ist die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) bei den Experten einer Anhörung des Rechts- und des Gesundheitsausschusses am 23. Januar gestoßen. Dies geht aus Stellungnahmen von Sachverständigen zu einem Gesetzentwurf ( 14/7415, siehe Blickpunkt Bundestag 10/2001, Seite 31) und einem Antrag ( 14/4098, siehe Blickpunkt Bundestag 9/2000, Seite 32) der FDP hervor.
Nach Überzeugung der Sachverständigen Ute Lindauer ist das PID-Verfahren abzulehnen, da es allein der Auswahl genetisch "tauglicher" Embryonen zur Implantation und der Verwerfung und damit Tötung "untauglicher" Embryonen diene. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Ernst Benda, erklärt, PID könne aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht akzeptiert werden. Sie bedeute, dass von den im Wege der In-vitro-Fertilisation (Befruchtung im Labor) gewonnenen Embryonen nur diejenigen implantiert würden, die nach dem Ergebnis der Untersuchung "gesund" erschienen.
"Ethisch vertretbar"
Das Lebensrecht des Ungeborenen sieht Dr. Viktoria Stein-Hobohm, Mitglied der Ethik-Kommission Rheinland-Pfalz, als Grenze für die Erfüllung von Elternwünschen. Wenn man die PID auf Hochrisikopaare begrenze, die auf jeden Fall eine Schwangerschaft herbeiführen wollen und diese unter bestimmten Umständen abbrechen würden, sei PID ethisch vertretbar.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe unterstützt dagegen die Bemühungen, die PID in Deutschland unter strengen Auflagen zuzulassen. Der Deutsche Ärztinnenbund wiederum erklärt, die PID sei keine substanzielle Verbesserung gegenüber derzeit verfügbaren Vorgehensweisen.
Die Selbsthilfegruppe PID von Sabine und Günther Graumann zeigt sich dagegen davon überzeugt, dass der FDP-Antrag auf eine rechtliche Absicherung der PID unterstützt werden müsse. Es sei nicht akzeptabel, wenn ein Staat Paare mit Kinderwunsch auf die "freie Wildbahn des Auslandes" schicke, damit sie sich dort ein eigenes Kind "zusammenbasteln" ließen.