Interview
"Ich würde es wieder genau so machen"
Ein Gespräch mit Freya von Moltke
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Johannes Barthen interviewt Freya von Moltke.
Der Gedenktag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wird in Deutschland alljährlich am 27. Januar begangen. Auf der diesjährigen zentralen Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages sprachen Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek. Auf dem Programm standen zudem eine dreitägige Jugendbegegnung, u. a. mit Zeitzeugengesprächen, einer Ausstellungseröffnung in der Gedenkstätte Sachsenhausen, der Möglichkeit, Projekte und Initiativen vorzustellen und einem Gesprächsforum.
Freya von Moltke (90), deren Ehemann Helmuth James Graf von Moltke im "Kreisauer Kreis" Widerstand gegen die Nationalsozialisten leistete und am 23. Januar 1945 hingerichtet wurde, nahm an dem Gesprächsforum über "Erinnerung und Zukunft – Deutsche und Polen als Nachbarn und Partner in Europa" teil. Das Gespräch mit ihr führte Johannes Barthen.
Den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gibt es erst seit sechs Jahren. Ist das nicht ein bisschen spät?
Es ist schwierig zu gedenken. Aber es ist gut, dass das so gemacht wird wie heute. Dass jemand zum Tage spricht und Musik gemacht wird. Dass das Leben einen Moment anhält und daran gedacht wird. Das finde ich gut. Ob das nun ein bisschen später oder früher kommt, ist nicht so wichtig.
Verbinden Sie persönlich etwas mit dem 27. Januar?
Nein, mit diesem Tag verbinde ich überhaupt nichts. Wir wussten, dass es Auschwitz gab. Das sitzt bei uns mit drin. Einen Gedenktag brauche ich persönlich dafür nicht – aber die Leute, die das nicht miterlebt haben, und die anderen Opfer. Ich bin ja durch meinen Mann in einer besonderen Lage. Er hat sein Leben dafür eingesetzt. Mehr kann man nicht machen.
War Ihnen immer bewusst, dass Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen?
Um Gottes Willen, ja. Ich wusste ganz genau, was zu erwarten war. Lesen Sie mal die Briefe meines Mannes.* Da steht das alles drin. Diese Briefe habe ich nur, weil er im Krieg weg war. Wir hielten unser Leben in Briefen zusammen. Diesen Schatz habe ich der Öffentlichkeit geschenkt. Das ist eine wichtige Quelle, auch für Leute, die sagen, es hat gar keinen Widerstand gegeben. Den hat es durchaus gegeben. Und da gehören wir dazu.
Wenn Sie heute zurückblicken, würden Sie wieder so handeln?
Ich habe heute daran gedacht. Ich habe ja keine Karriere gemacht, dazu hatte ich keine Gelegenheit. Ich wäre sehr gerne Juristin geworden. Das haben meine Lebensumstände nicht ergeben. Trotzdem: Die wichtigen Sachen in meinem Leben würde ich alle wieder genau so machen.
Warum sind Sie 1947 nach Südafrika gezogen?
Das habe ich wegen meiner Kinder gemacht. Was die brauchten, war Essen, Sonne und Meer. Das bot alles Südafrika. Hier war es ja katastrophal. Da war mir diese Möglichkeit, dass ich sie da rausnehmen konnte, das Wichtigste. Ich wollte aber immer wieder zurück. Ich bin nie ausgewandert, auch nicht nach Amerika. Ich bin immer noch Europäerin.
Mit seinen Gedanken zu Europa war der Kreisauer Kreis seiner Zeit weit voraus.
Das war ja typisch für diese Gruppe. Mein Mann hat sogar schon gesagt: Vielleicht wird es einmal eine gleiche Währung geben. Ist doch lustig, nicht? Und jetzt ist sie da.
Sie haben einmal gesagt, dass Widerstand geübt werden muss, in der Diktatur genauso wie in der Demokratie. Wo soll die Jugend heute Widerstand üben?
Widerstand muss sie nicht unbedingt üben. Wenn es nichts gibt, wogegen sie widerstehen muss, dann braucht es ja keinen Widerstand. Aber die Jugend soll wissen, dass die Rechte, die sie jetzt hat, verteidigt werden müssen. Wir haben erlebt, dass sie verloren gehen können.
*Helmuth James Graf von Moltke: Briefe an Freya, C. H. Beck, München, 1991.
Freya von Moltke: Erinnerungen an Kreisau, C. H. Beck, München, 1997.