Dialog
STREITGESPRÄCH ÜBER RABATTAKTIONEN
Fairness statt Freistil
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Nach einigen spektakulären Rabattaktionen Anfang des Jahres und zu Beginn des Winterschlussverkaufs ist die Debatte über die Wettbewerbsregeln im Handel neu aufgeflammt. Warum und wie stark darf der Staat den Wettbewerb eingrenzen? Muss der Verbraucher vor niedrigen Preisen geschützt werden? Was die Öffentlichkeit stark diskutiert, ist auch für Blickpunkt Bundestag Thema des Monats. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer Brüderle und die verbraucher- politische Sprecherin der SPD-Fraktion Jella Teuchner kreuzen im Streitgespräch die Klingen.
Blickpunkt Bundestag: Der Kunde ist König, heißt es allgemein. Warum, Frau Teuchner, muss er dann durch das aus dem Jahre 1909 stammende "Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb" (UWG) geschützt werden?
Jella Teuchner: Sicherlich muss dieses Gesetz überarbeitet werden, dazu haben wir auch schon im Justizministerium eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Dabei soll der Kunde im Geschäft König bleiben. Deshalb darf es aber gerade nicht, wie bei der Aktion von C & A, zu einem knallharten Verdrängungswettbewerb kommen. Denn dann hat der Kunde ja keine Auswahl mehr. Der Handel muss sich einer gewissen Ordnung unterwerfen, wobei die Betriebe über das Rabattgesetz durchaus erhebliche Möglichkeiten behalten, etwa bei Jubiläen, Eröffnungen oder Schließungen Rabatte zu gewähren. Darauf können sich die Verbraucher einstellen.
Rainer Brüderle: Immer diese Regelungen ...
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Im Gespräch : Rainer Brüderle ...
Teuchner: Ja, aber gäbe es dauernd Sonderangebote, müssten vorher die Preise angehoben werden, denn von irgendetwas müssen die Händler ja auch leben, oder viele Betriebe gingen kaputt. Beides kann nicht im Interesse der Verbraucher liegen.
Blickpunkt: Ist der Verbraucher so unmündig, dass er nicht selbst entscheiden kann, ob Rabatte und niedrige Preise in seinem Interesse sind?
Brüderle: Natürlich nicht. Er ist viel klüger, als es der Gesetzgeber und die Funktionäre wahr haben wollen. Das UWG ist historisch auch keine Regelung zum Schutz der Verbraucher, sondern zum Schutz von mittleren Unternehmen. Inzwischen passt das Gesetz einfach nicht mehr in die überholten Strukturen des Handels. Die Statik ist nicht mehr stimmig, die Zeiten haben sich verändert.
Teuchner: Der Verbraucher ist nicht unmündig, er weiß, was er tut und ist dafür verantwortlich. Aber das kann nicht dazu führen, dass ein kompletter Verdrängungswettbewerb am Markt stattfindet, denn dann kann der Verbraucher seinen Bedarf zumindest in seinem Umfeld und im ländlichen Bereich nicht mehr decken. Deshalb brauchen wir diese Regelungen nach wie vor, wenn auch den neuen Bedingungen des Marktes angepasst.
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... und Jella Teuchner.
Blickpunkt: Ladenschlusszeiten, Rabattgesetz und die Zugabeverordnung wurden liberalisiert oder ganz gestrichen. Warum kann das nicht auch mit dem bevormundenden UWG-Gesetz passieren?
Brüderle: Erst nach Wegfall der Zugaben- und Rabattregelung haben wir gemerkt, dass das, was wir freigeben wollten, durch andere Wege gleichsam durch die Hintertür behindert wird. Es versteht doch kein Mensch, dass ein unbefristeter Sonderverkauf, der nach vier Tagen endet, erlaubt ist, einen von vorneherein auf vier Tage befristeten Sonderverkauf aber jedes Gericht untersagt. Das ist nicht stimmig. Man muss das Gesetz vielleicht nicht ganz streichen, aber doch ganz entscheidend verändern. Wichtig bleibt, dass der Verbraucher selbst differenzieren kann zwischen großen Ketten, wo er preiswert einkaufen kann, und dem Einzelhandel, wo er zu Recht zumeist Service, Beratung und Qualität erwartet.
Teuchner: Das UWG in Gänze zu streichen, geht schon deshalb nicht, weil dort ja auch andere Dinge – etwa kartellrechtliche – geregelt sind. Über bestimmte Paragrafen kann man reden, obwohl ich ihre Streichung nicht wünsche, weil es die anreizenden Sonderverkäufe auch weiterhin geben sollte.
Blickpunkt: Wettbewerb ist die Seele der Marktwirtschaft. Warum ihm dann Grenzen setzen – und sei es nur durch die Regulierung von Sonderaktionen und Schlussverkäufen?
Brüderle: Also: Grenzen setzen muss man schon. Ohne Spielregeln geht es nun mal nicht. Statt Freistil muss eine gewisse Fairness herrschen. Aber eben auch genügend Raum für Wettbewerb.
Teuchner: Das sehe ich genauso.
Blickpunkt: Sind freier Wettbewerb und Konsumanreize nicht im Interesse aller – des Staates, der mehr Steuern einnimmt, des Handels, der mehr umsetzt, und des Kunden, der billiger einkaufen kann?
Brüderle: Konsumanreize, die zu einem Leistungswettbewerb führen, sind immer gut. Das ist ja die Idee der sozialen Marktwirtschaft, dass wir die so genannte Konsumentensouveränität haben. Das heißt, der Kunde, der Verbraucher, der Bürger entscheidet durch seinen Griff in das Regal, was produziert wird. Wenn viele Hosen nachgefragt werden, werden eben viele Hosen produziert. Und wenn sie in dem einen Laden zu teuer sind, geht man eben woanders hin. Der Kunde wird sich merken, wo er zu teuer einkauft. Jeder kluge Kaufmann ist gut beraten, anständig mit dem Kunden umzugehen, sonst hat er nur einen Einmal-Kunden, und davon kann niemand leben.
Teuchner: Das stimmt. Trotzdem wird der Kunde durchaus beeinflusst. Denn wo die Waren im Regal platziert werden, entscheidet der Händler nach Untersuchungen des Käuferverhaltens. Die günstige Ware ist meistens im Bückbereich und damit schlechter zu finden. Deshalb sage ich: Klar sind mehr Umsatz und Steuereinnahmen zu begrüßen. Nur hat der Staat auch eine gewisse Verpflichtung, den Bürger nicht dahin zu treiben, mehr Geld auszugeben, als er eigentlich hat.
Blickpunkt: Sehen Sie die Gefahr, dass der Handel erst die Preise erhöht, um sie anschließend publikumswirksam zu senken?
Brüderle: Dass so etwas passiert, ist sicherlich möglich. Aber auch hier gilt: Die Verbraucher sind heute sehr gut informiert und preisbewusst, so dass sich solche Praktiken nicht auszahlen. Wenn die Kunden merken, da gibt es einen, der knallt erst drauf, um dann wieder herunterzugehen, werden sie nicht wiederkommen. Die Verbraucher vergleichen, sie sehen im Fernsehen die Angebote, sie können sich im Internet oder im Katalog die Preise heraussuchen – also, sie sind schlauer als mancher auf der anderen Seite denkt. Insofern setze ich mehr auf den souveränen Verbraucher als auf eine enge Gesetzgebung. Mein Leitbild ist der mündige Bürger, das ist bei der Wahl so, und so sollte es auch bei der Wahl seines Einkaufs sein.
Teuchner: Leider hat die Euro-Einführung gezeigt, dass der Handel – jedenfalls teilweise – den Versuchungen versteckter Preiserhöhungen nicht widerstehen kann. Auch deshalb kann man nicht einfach alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen.
Blickpunkt: Warum ist Deutschland so restriktiv? Andere Länder sind viel weiter und auch EU-Kommissar Byrne plädiert für mehr Freiheit bei Wettbewerb und Rabattgebung.
Teuchner: Ich glaube, die Menschen in den anderen Ländern haben einfach ein anderes mentales Verhalten. Das färbt sogar ab: Wenn ich im Urlaub in Italien bin, handle ich auch gerne in den Geschäften. Wir hier sind eben mehr einer preußischen Struktur verhaftet und wollen alles klar und genau geregelt haben.
Brüderle: Mag sein, dass dies bei einigen so ist. Aber wir sollten uns wirklich mehr an unseren Nachbarn orientieren. Wie haben wir uns schwer getan beim Ladenschluss: 30 Jahre Debatte darüber, ob man abends zwei Stunden länger einkaufen kann! Das gesamte Ausland hat gelacht. Und nun tun wir uns wieder schwer mit Offenheit und Pluralität beim Wettbewerb und bei Rabatten. Und das in Zeiten von E-Commerce und Internet-Economy.
Blickpunkt: Ihre Prognose: Wann werden Preisvereinbarungen ausschließlich Sache des Handels und der Verbraucher sein?
Brüderle: Ich glaube, dass dies spätestens durch die europäische Regelung in die richtige Richtung gehen wird. Es wäre aber klug, wenn wir vorher im Dialog mit den Betroffenen schon bei uns die Weichen richtig stellen. Und das heißt: Das UWG muss zügig entscheidend geändert werden.
Teuchner: Das UWG wird nicht sterben, aber eine neue Form bekommen. Und das ist gut so.