Hintergrund
Die Republik kreiselt
Es ist strittig, wer wen dringender benötigt: der Politiker die Journalisten oder die Journalisten den Politiker? Auf jeden Fall können sie voneinander nicht lassen. Und obwohl sie sich in der Woche mannigfach begegnen – im Reichstagsgebäude, in den Ausschüssen, in Fraktionsgremien oder auf offiziellen Pressekonferenzen – am Abend (manchmal auch mittags) muss es eben noch einmal sein. Dann im so genannten Hintergrundkreis, wo angeblich die eigentlich heißen Informationen fließen.
Streng vertraulich natürlich. Weshalb man gewöhnlich "unter drei"* tagt, was bedeutet, dass das Gesagte weder den Kreis noch den Hinterkopf verlassen darf, auch nicht unter Bezug auf eine anonymisierte Quelle ("wie es aus hohen Fraktionskreisen heißt ...").
|
|||||||||
"Weiß-blauer Stammtisch" der CSU-Landesgruppe.
Wenn aber nichts nach außen dringen soll, warum kreißt dann der Kreis, wo Politik und Journalismus doch gleichermaßen von der Zeit Gejagte sind? Um "klüger zu werden", sagen meist die Journalisten und verbrämen damit, dass sie ihre gewonnenen Informationen spätestens im nächsten Leitartikel als eigene Gedanken ausgeben oder mit ihrem Herrschaftswissen beim Chefredakteur Punkte sammeln wollen. Und die Politiker verweisen blauäugig auf ihre Informationsverantwortung. In der stillen Hoffnung, die streng vertrauliche Information möge doch noch irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit finden.
So paaren sich die Interessen beider Seiten. Und da sich in Berlin alle gern in der Bedeutung vermeintlicher Geheimnisträger sonnen, haben die Kreise nach wie vor Hochkonjunktur. Und, wie es sich für den leicht konspirativen Zweck gebührt, camouflierende Namen wie "Das Ohr", "Gelbe Karte", "Brückenkreis", "Tacheles", "Koko", "Provinz", "Kartell" oder "Rotes Tuch". Fast hat man den Eindruck: Die Republik kreiselt.
Doch die Zeiten, in denen in den Kreisen wirklich Politik gemacht wurde, sind vorbei. Nicht, weil es mit der Diskretion im lauten Berlin hapert und auch mit den geeigneten Hinterstuben, sondern weil die Politik selbst sich entpolarisiert hat, mithin auch keiner parteipolitisch ausgerichteter journalistischer Herolde bedarf.
Galten in den wilden 70er Jahren "Gelbe Karte" oder "Ruderclub" noch als publizistische Bannerträger von sozial-liberaler Koalition und Opposition, ähneln sich heute die meisten Kreise stark, ob sie sich nun überwiegend aus jungen Korrespondenten wichtiger Regionalzeitungen, feministisch geprägten Hauptstadtkorrespondentinnen oder außenpolitisch orientierten Journalisten rekrutieren. Das Hauptmotiv für eine Mitgliedschaft ist nicht ideologisch, sondern zweckorientiert: Informationen sammeln, Hintergründe ausleuchten und die Akteure in das größere Ganze, das sich Politik nennt, einordnen.
Ob sich dieser Anspruch erfüllt, hängt viel von der Tagesform des Politikers und seiner Bereitschaft ab, sich wirklich zu öffnen. Oft ähneln Hintergrundgespräche inzwischen Beinahe-Pressekonferenzen, zumal wenn Agenturjournalisten mit von der Partie sind, deren Aufgabe es nun einmal ist, schnelle Informationen auf den Draht zu geben. Bisweilen ist enttäuscht vom gegenseitigem "Facelifting" die Rede: gut vor allem für das eigene Ego der Polit- und Presseprofis.
Und noch etwas hat sich geändert: Verstärkt laden nicht nur Journalisten Politiker in ihre Kreise, sondern auch Politiker Journalisten zu sich ein. Der Unterschied ist bedeutsam: Schließlich bestimmt der Gastgeber die Regeln. Und weil es in Berlin ein Mehrfaches an Journalisten als in Bonn gibt, ist aus Klasse bisweilen Masse geworden.
Wenn etwa beim "Weiß-blauen Stammtisch" von CSU-Landesgruppenchef Michael Glos mehr als 50 Journalisten sitzen, kann kaum noch von einer "vertraulichen Runde" die Rede sein. Auch beim Kanzler, wenn er denn mal ins Allerheiligste ruft, knüppelt es sich mächtig.
Manchmal sind ohnehin die spontanen, zufälligen Begegnungen zwischen Politikern und Journalisten die ergiebigsten. Ältere Fahrensleute begeistern sich noch heute darüber, wie früher am Rhein gleichsam "über den Gartenzaun" Klatsch, aber auch handfeste Politik, gereicht wurde. Aber unter den Linden schauen einfach zu viele zu.
Sönke Petersen
|
|||||||||
* Nach den Regeln der Bundespressekonferenz sind Mitteilungen "unter eins" zu beliebiger Verwendung frei, "unter zwei" zur Verwertung ohne Quelle und "unter drei" vertraulich.