Menschen im Bundestag
Dienst nach Vorschrift genügt nicht
Helgard Lorenz ist die Frau fürs Gedruckte. Aber sie träumt davon, dass weniger gedruckt wird. Die neue Technik ist für sie nur Mittel zum Zweck.
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Helgard Lorenz hat eine Vision. Die trägt die schnörkellose Bezeichnung: "papierloses Büro". Das klingt erst einmal nicht sonderlich schön, fast wie baumloser Wald oder wortloses Buch. Büro und Papier haben doch seit eh und je zusammengehört. Wo soll das hinführen, wenn man das eine ohne das andere machen will? Aber Helgard Lorenz ist hartnäckig. Eine ganze Menge des bedruckten, verteilten, gelesenen und irgendwann womöglich nicht mehr benötigten Papiers ließe sich sparen, wenn Informationen anders an die Frau und den Mann gebracht würden.
Das ist ja kein neuer Gedanke. Schon gar nicht für den Bundestag, der seit 1984 eine Kommission des Ältestenrates hat, die sich mit Fragen des Einsatzes und der Kosten von Informationstechnologien befasst. Schneller und unkomplizierter Informationsfluss, Erleichterung des täglichen Bürobetriebes, elektronische Post, Vernetzung, Datenbanken – das alles wird da immer mitgedacht. Nur ist das in einem solch großen Betrieb nicht ganz so einfach wie es klingt. Da greift eins ins andere, und bei jeder Veränderung muss mitbedacht werden, wie groß die Kreise sein werden, die sie zieht.
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Genau daran arbeitet Helgard Lorenz. In ihrem Bereich, der Drucksachenstelle, der Teil des Verwaltungsreferates "Zentrale Beschaffung" ist. Beschaffung macht jedoch nur einen Teil ihrer Tätigkeit aus. Sie produziert. Drucksachen – und zwar all jene, die zum Zuständigkeitsbereich der Hausdruckerei gehören. Der "Leitstand" von Helgard Lorenz und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befindet sich im Gebäude Wilhelmstraße 65, in beruhigender Nähe zu den Räumen, wo Drucksachen und Post verteilt werden.
Man muss kein Insider sein, um sich vorstellen zu können, wie viele Papiere produziert werden müssen, um die Parlamentsarbeit zu ermöglichen. Alles, was die Abgeordneten diskutieren, ist vorher überlegt, aufgeschrieben, gedruckt und gelesen worden. Die beschlossenen Sachen müssen sowieso nachlesbar sein. An jedem Tag gilt es, hunderte Informationen – angefangen von Terminen bis hin zu kompletten Gesetzesvorlagen – an die richtigen Adressaten zu verteilen. Das erfordert funktionierende Produktionslinien.
Eine davon, die nicht zum Aufgabenbereich von Helgard Lorenz gehört, ist die Verfielfältigung all jener Plenardrucksachen, die vom Parlamentssekretariat bei Vertragsdruckereien in Auftrag gegeben werden. Drei Schwerpunkte machen hingegen den Aufgabenbereich der Drucksachenstelle aus, in der Helgard Lorenz arbeitet: der Schnelldruck, die Druckvorlagenherstellung und der Kopierbereich.
Da ist zum einen der Schnelldruck von Plenar- und Ausschusspapieren. Häufig angewendetes und von ihr favorisiertes Verfahren: der Schnelldruck mit Hochleistungsdruckern, einfach weil viele Dinge im wahrsten Sinne des Wortes schnell vorliegen müssen. Besonders in Sitzungswochen. Gedruckt wird nicht etwa bei Frau Lorenz im Büro, sondern an verschiedenen Stellen. Im Reichstagsgebäude für das Plenum, künftig, aber nur in geringem Umfang, auch in den neuen Bürohäusern der Abgeordneten.
Auch Ausschüsse brauchen oft und meist schnell ihre Drucksachen auf den Tisch. Dafür wird zum Beispiel im Paul-Löbe-Haus gerade die entsprechende Netzanbindung geschaffen. Von der Aufnahme der Druckdaten bis zur Verteilung im nationalen und internationalen Bereich muss alles klappen. Wird der Kreislauf irgendwo unterbrochen, nützt die beste Technik nichts.
Helgard Lorenz hat sich gemeinsam mit anderen über neue Konzepte Gedanken gemacht, die das Verfahren wirksamer machen. "Schnelldruck setzt voraus, dass die Druckvorlagen von den Bedarfsträgern druckreif an uns übergeben werden. Nur im Digitalprint sprechen wir nicht mehr von Papiervorlagen, sondern von Dokumenten im Sinne elektronischer Dateien. Meine Vorstellung ist, dass künftig jeder von seinem Arbeitsplatz aus die Druckvorlagen elektronisch weiterleitet und dass sich der Druck, um Wege zu sparen, nach Liegenschaften richtet. Wenn ich die Druckvorlage elektronisch bekomme, und nicht mehr eine Kopie des Originals, brauche ich aber zum Beispiel große Bildschirme, um alles überprüfen zu können. Ich brauche vernetzte Systeme. Ich muss Konzepte entwickeln. Aber das macht mir Spaß, zu konzipieren, Arbeitsabläufe zu vernetzen, über Logistik nachzudenken. Ich kann zum Beispiel in diesem Bereich sicher viel über Fremdfirmen machen. Aber alles eben auch nicht, da sich parlamentarische Prozesse nicht immer an ‚normale' Produktionszeiten halten. Wenn Gremien nachts oder am Samstag tagen, nicht genau definiert werden kann, wann und wie schnell die nächste Drucksache gebraucht wird, brauche ich interne Lösungen, um sicher reagieren zu können."
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Helgard Lorenz weiß, wovon sie spricht. Sie hat das Handwerk von der Pike auf gelernt, noch im Bleisatz gearbeitet, in Leipzig ein Ingenieurstudium absolviert und zu DDR-Zeiten in einem Ministerium die elektronische Druckbeauftragung eingeführt. Bevor sie 1999 in den Bundestag kam, war sie sieben Jahre in einem privaten Rechenzentrum in Berlin. Man sieht ihre Hartnäckigkeit, mit der sie Ziele verfolgt, vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber sie ist hartnäckig. Sie hat die Besonderheiten und Eigenwilligkeiten, die eine Verwaltung immer mit sich bringt, gelernt und auch, dass man für Neuerungen immer gute und verständliche Überzeugungsarbeit leisten muss.
Sie redet mit den Leuten, erläutert ihre Konzepte, sucht sich Partner, gewinnt Mitstreiter. Kann sein, dass sie manchmal etwas ungeduldig ist. Wenn sie redet, eilt sie hin und wieder ganz schnell voraus, ist schon ein paar Jahre weiter in ihren Vorstellungen und geht dann, mit einem Blick auf die Gesprächspartnerin, noch mal vier Schritte zurück. So ist es jetzt, so soll es mal sein, macht sie klar.
Zu ihrem Aufgabenbereich gehört ferner die Druckvorlagenherstellung. Vom Plakat, über Schriftstücke, Visitenkarten, Briefumschläge fällt da alles an, was in irgendeiner Form als Papierstück oder Material gebraucht wird. Komplettausstattung für eine Nato-Konferenz zum Beispiel, aber auch viele Dinge für den so genannten kleinen Bedarf – Kofferanhänger für eine Delegation. "Das ist Manufaktur", sagt sie, "und manchmal nicht einfach, die richtigen elektronischen Druckdaten zu erzeugen, schon wegen der Terminzwänge."
Und da kommt wieder das papierlose Büro ins Spiel. Hausmitteilungen zum Beispiel eignen sich hervorragend als Testobjekte. Die muss man nicht zwingend gedruckt vor sich haben. Es genügt, sie im Intranet lesen zu können. Aber auch da muss vieles dazu bedacht werden. Datensicherheit zum Beispiel, Zugriffsmöglichkeiten, Archivierung. Erst seit kurzem gibt es elektronisch, aber auch konventionell gedruckt, den "Wegweiser für Abgeordnete". Klar ist: Die elektronische Variante, im Intranet abrufbar, hat bestechende Vorteile. Ein Mausklick, und schon ist man mit anderen Seiten im Intranet – dem internen Netz – verbunden, kann weitere Informationen abrufen.
Schließlich kommt noch der Kopierbereich dazu. Die gesamte Verwaltung, einschließlich der Ausschusssekretariate und die Fraktionen sind mit Kopier- und Drucktechnik ausgerüstet. Diese Geräte müssen beschafft, gepflegt und gewartet werden, es muss überall Leute geben, die sie bedienen können. Beim Tischkopierer ist das noch einfach. Alle Geräte sind gemietet, so vermeidet man, in einigen Jahren technische Dinosaurier zu haben, kann die alte gegen die neue Gerätegeneration tauschen. Das verlangt aber auch, immer auf dem Laufenden zu sein, die technischen Neuerungen zu kennen, Angebote zu studieren. Insgesamt werden fast 600 Geräte betrieben in sieben verschiedenen Leistungsklassen, inzwischen mehrheitlich der Digitalgeneration zuzuordnen. Manche von ihnen stehen noch in den Büros in Bonn oder gar in Brüssel, die meisten in Berlin.
Gute Ergebnisse, um all diese Abläufe, Arbeiten und Verfahren zu verbessern, stellen sich nicht von heute auf morgen ein. Helgard Lorenz weiß das. Wenn dann nach vielen Anstrengungen etwas in trockenen Tüchern ist, macht sie das stolz. Bei den Fraktionsdruckereien zum Beispiel gibt es nun das richtige Konzept, die richtige Software. Die PC-Arbeitsplätze bestimmter Fraktionsmitarbeiter werden mit ausgewählter Printsoftware ausgestattet und die Mitarbeiter geschult.
Wenn Frau Lorenz da so engagierte Mitstreiter wie Herrn Lammel hat, der die SPD-Druckerei mit zum Laufen bringt, geht die Arbeit so voran, wie sie es sich wünscht. Oder wenn, wie im Paul-Löbe-Haus, die Schnelldruckstellen als zwei moderne Digitalzentren konzipiert, aufgebaut und organisatorisch eingebunden werden können. Diese Schnelldruckstellen genügen bei hohen Leistungskriterien auch den höchsten Ansprüchen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie ökologischen und wirtschaftlichen Anforderungen.
Mit jedem kleinen Fortschritt ist Helgard Lorenz ihrer Vision vom effektiven Büro etwas näher. Sie weiß ja, dass es nie ganz papierlos sein wird. Aber es lässt sich noch eine Menge machen. Helgard Lorenz kann nicht stehen bleiben. Sie muss immer dazulernen und ständig weiterdenken. Zum Glück liegt ihr das. Zum Glück macht es ihr Spaß.
Kathrin Gerlof