Suchbild
Cullens Reichstag
|
Der amerikanische Historiker Michael S. Cullen, einer der besten Kenner der Geschichte des Reichstagsgebäudes, schreibt uns zu unserem letzten Suchbild:
Links und rechts vom Hauptportal an der Westseite des Reichstagsgebäudes stehen zwei große Reliefs des Bildhauers Otto Lessing (1846-1912), einem der meistbeschäftigten Bildhauer des Kaiserreichs. Lange Zeit nannte man sie "Flussreliefs", weil in ihnen Rhein und Weichsel zu Ehren kommen. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung um 1894 hießen sie jedoch "Stammbaumreliefs". Die abgebildete Dame ist nicht näher bezeichnet, aber manche Ikonographen behaupten, sie solle die Weichsel und die linke männliche Figur den Rhein verkörpern.
Die Dame befindet sich ganz unten am rechten Relief, das zwei Wahlsprüche trägt – oben in gotischen Buchstaben das Motto des Hubertusordens, des höchsten Ordens des bayerischen Königshauses, der Wittelsbacher: "In Treue fest". Etwas weiter unten steht die Devise des württembergischen Wappens und Kronenordens, dem höchsten, 1817 gestifteten Zivil- und Militärverdienstorden: "Furchtlos und Treu". Am linken Relief stehen die Wahlsprüche Preußens "Suum cuique" (Jedem das Seine) und des sächsischen Ordens der Rautenkrone, mit dem höhere Staatsdiener ausgezeichnet wurden: "Providentiae memor" (Der Vorsehung eingedenk). Die Wappen der vier Königreiche sind umgeben von den Wappen der übrigen Staaten des Deutschen Reiches.
Der Gesamtentwurf für die Westseite stammt von dem Schweizer Architekten im Büro von Paul Wallot, Carl Zehnder (1859-1938). Die Bildhauerarbeiten übernahm Otto Lessing. Lange Zeit ernteten die Reliefs Spott. Man behauptete, das ganze Haus sei mit Wappen überladen. Heute sind wir froh, dass man überhaupt etwas von der Geschichte Deutschlands am Reichstagsgebäude erkennen kann.
|
Das Foto auf Seite 90 der Ausgabe 1/2002 zeigt ein Detail des Flussreliefs am Westportal. Eine Reise nach Berlin hat Herr Hans-Ulrich Praus aus Bernkastel-Kues gewonnen.