Hintergrund
Die Fragestunde des Bundestages
Um Antwort wird gebeten
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Eine ganz normale Fragestunde des Bundestages in einer ganz normalen Sitzungswoche: Die Vertreter der Bundesregierung auf der Regierungsbank, zwanzig, dreißig Abgeordnete im Saal, die Pressetribüne weitgehend leer. Der Ton, in dem Fragen aufgerufen, Antworten gegeben und Zusatzfragen gestellt werden, ist geschäftsmäßig und unaufgeregt. Es ist früher Nachmittag.
Es gibt Fragestunden, die von vornherein Sprengstoff bergen, mit einigen Fragestunden ist Parlamentsgeschichte geschrieben worden. In der Regel aber sind die meisten Fragen von der Art jener, die zum Beispiel der Abgeordnete Werner Lensing (CDU/CSU) für die Fragestunde am 13. März 2002 eingereicht hat:
"Welche Kosten hat das Anmieten und welche Kosten hat das Betreiben der beiden räumlich getrennten Messestände 129 sowie 202/203 verursacht, die bei der Fachmesse für Bildungs- und Informationstechnologie ,Learntec' (5. bis 8. Februar 2002 in Karlsruhe) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung angemietet wurden?"
Und: "Welche Kosten wären für das Anmieten und welche Kosten wären für das Betreiben eines gemeinsamen Messestandes entstanden?"
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Die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) beantwortet Fragen aus dem Bereich des Finanzministeriums.
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Günther Friedrich Nolting (FDP) fragt nach der Besoldung von Soldaten.
Es ist augenfällig, dass diese Fragen die Bürger nicht vom Stuhl reißen und dass die erteilten Antworten die Republik nicht erschüttern werden. Es ist auch kein schlichtes Informationsbedürfnis, das den Abgeordneten Lensing veranlasst hat, der Bundesregierung diese Fragen zu stellen – der Abgeordnete Lensing hat sich, wie er sagt, über "die fehlende Koordination in einem so wichtigen Ministerium" geärgert und darüber, dass mit dem doppelt vorhandenen Messestand, wie er meint, Steuerzahlergeld vergeudet worden ist. Diese Vergeudung will er anprangern. Dass die Bundesministerin für Bildung und Forschung darüber ins Straucheln kommen oder dass die Koordination in ihrem Haus sofort deutlich verbessert werden würde – das hat auch Lensing nicht erwartet. Den Abgeordneten hat es, wie er freimütig zugesteht, gereizt, die Regierung ein bisschen zu "pieksen".
Vor allem aber ist Lensing ein gewählter Vertreter des Volkes, und als solcher hat er nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Regierung zu kontrollieren – zu kontrollieren beispielsweise durch öffentlich gestellte Fragen, welche die Bundesregierung öffentlich mündlich beantworten muss. Außerdem: Lensing gehört dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Bundestages an und fühlt sich in dieser Funktion direkt zuständig für die "Learntec".
Mag so manche mittägliche Fragestunde vor noch so
spärlich besetztem Haus in noch so ruhiger Atmosphäre und
bei geringem Interesse auf Seiten der Medien abgehalten werden
– sie gehört neben der "Großen Anfrage", an die
sich in der Regel eine Beratung anschließt, den Einzelfragen
zur schriftlichen Beantwortung und der "Kleinen Anfrage", die von
der Bundesregierung ebenfalls schriftlich zu beantworten ist, zum
Interpellationsrecht (Fragerecht) der Parlamentarier und ist
damit ein nicht zu unterschätzender Bestandteil unserer
Demokratie.
Das Fragerecht als wichtiges Instrument parlamentarischer Kontrolle gab es schon im 18. Jahrhundert in Frankreich und England, es wurde erstmals während der französischen Revolution in der Verfassung von 1791 verankert. In einem deutschen Parlament taucht das Fragerecht in Form der "Großen Anfrage" zum ersten Mal in der Geschäftsordnung der preußischen Nationalversammlung aus dem Jahr 1848 auf.
Am 23. Januar 1951 wurde in der 187. Sitzung der ersten Legislaturperiode die erste Fragestunde des Deutschen Bundestages aufgerufen. Nach der geltenden Geschäftsordnung und ihrer Anlage 4 werden in jeder Sitzungswoche Fragestunden mit einer Gesamtdauer von höchstens 180 Minuten abgehalten. Jedes Mitglied des Bundestages ist berechtigt, für die Fragestunde einer Sitzungswoche bis zu zwei Fragen zur mündlichen Beantwortung an die Bundesregierung zu richten. Antwort erteilen die zuständigen Minister beziehungsweise Ministerinnen, die sich aber auch durch Parlamentarische Staatssekretäre vertreten lassen können.
Die Fragen sind zulässig aus den Bereichen, für die die Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist. Sie müssen kurz gefasst sein und eine kurze Beantwortung ermöglichen, sie dürfen keine unsachlichen Feststellungen oder Wertungen enthalten. Jede Frage darf in zwei Unterfragen unterteilt sein. Bei der Beantwortung der Fragen im Plenum darf der Fragesteller zwei Zusatzfragen stellen, jeweils eine weitere Zusatzfrage kann von den anderen Mitgliedern des Parlaments gestellt werden. Der Fragesteller muss anwesend sein oder bis zum Aufruf seiner Frage um schriftliche Beantwortung seiner Frage bitten, sonst verfällt sie. Fragen von offensichtlich dringendem öffentlichem Interesse ("dringliche Fragen") werden zu Beginn der Fragestunde aufgerufen.
Derart detaillierte Regelungen erfordern präzise Ausführungen und ziehen deshalb einen erheblichen organisatorischen Aufwand nach sich. Diesen Aufwand hat in erster Linie das Parlamentssekretariat zu bewältigen. Für die mittwochs stattfindenden Fragestunden müssen die Fragen bis zum Freitag der Vorwoche, spätestens zehn Uhr, eingegangen sein, dringliche Fragen können bis zum Dienstag vor der Fragestunde, zwölf Uhr, übermittelt werden. Und so herrscht an den Vormittagen des Freitags und des Dienstags Hochbetrieb im Parlamentssekretariat. Die zuständigen Mitarbeiter prüfen im Auftrag des Bundestagspräsidenten, ob die eingereichten Fragen der Geschäftsordnung entsprechen und daher zugelassen werden können. Mängel der Fragen (zum Beispiel fehlender Verantwortungsbereich der Bundesregierung, Eingriffe in Persönlichkeitsrechte Dritter oder unsachliche Wertungen) werden in Gesprächen mit den Fragestellern behoben. Nur wenn keine Einigkeit erzielt wird, werden die Fragen dem Bundestagspräsidenten zur Entscheidung vorgelegt. Im Falle der Zulassung werden die Fragen an das Bundeskanzleramt weitergeleitet, das sie auf die zuständigen Ressorts verteilt. Die haben dann bis zum Mittwochvormittag Zeit, eine Antwort zu erarbeiten.
Natürlich könne er sich auch direkt an ein Ministerium wenden, wenn er eine Auskunft haben oder Kritik anbringen wolle, erklärt der Abgeordnete Lensing. Aber die Institution "Fragestunde" zwinge die Regierung zu einer Antwort binnen vier Tagen – zudem zu einer öffentlich erteilten Antwort. Sie biete die Gelegenheit zu Nachfragen, und hin und wieder könne man als Abgeordneter mit Fragestellung und Antwort im heimischen Wahlkreis punkten.
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Staatsminister Ludger Volmer (Bündnis 90/Die Grünen) beantwortet Fragen aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes.
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Fragesteller Wolfgang Gehrcke (PDS).
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Fragesteller Eduard Lintner (CDU/CSU).
Übrigens: Über die Notwendigkeit zweier Messestände konnten sich Lensing und Wolf-Michael Catenhusen, der antwortende Parlamentarische Staatssekretär des Bildungsministeriums, nicht einig werden. Catenhusen vermochte im Zusammenlegen der Messestände keine Einsparmöglichkeiten zu sehen, Lensing verzichtete auf eine der ihm zustehenden insgesamt vier Zusatzfragen, "um die Regierung nicht in zusätzliche unnötige Schwierigkeiten zu bringen". Das Mini-Duell des Oppositionsabgeordneten gegen die Regierung endete mit einem friedlichen Unentschieden.
Diejenigen, die in manchen Fragen und Antworten Rituale sehen – Rituale, die von beiden Seiten akzeptiert und oft mit einem gewissen Augenzwinkern zelebriert werden – haben nicht Unrecht. Aber es sind es wichtige und demokratiestärkende Rituale.
Aber es gibt auch die anderen Fragestunden, die spannenden, weil sie unberechenbar sind und Sprengkraft entwickeln. Wer erinnert sich nicht an die Fragestunde vom 17. Januar 2001 und die sich anschließende Aktuelle Stunde, in der Bundesaussenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) nach seiner Vergangenheit als "Straßenkämpfer" befragt wurde? So spannend und emotional aufgeladen Fragestunde und Aktuelle Stunde an diesem Januartag auch abliefen – nach Ende der Redeschlacht musste registriert werden, dass Neuigkeiten nicht zu Tage gefördert worden waren und dass der Minister genauso fest in seinem Sattel saß wie zuvor. Dennoch: Auch hier war durch die unmittelbare Konfrontation zwischen Opposition und einem wichtigen Regierungsmitglied, durch die Erzwingung sofortiger mündlicher Antworten auf bohrende Fragen, ein Stück unmittelbarer Demokratie praktiziert worden.
Solche aufregenden Fragestunden sind nicht die Regel – die Regel sind die Fragen nach detaillierten Einzelheiten. Sie werden in den Ministerien gefürchtet, weil die Antworten darauf oft sehr viel Arbeit unter sehr hohem Zeitdruck erfordern. Zahlreiche Fragen richten sich an das Finanzministerium, in vielen Fällen tritt Barbara Hendricks (SPD), die Parlamentarische Staatssekretärin, zur Beantwortung ans Rednerpult. Sie ist weit davon entfernt, an der Fragestunde etwas Lästiges oder gar Überflüssiges zu sehen. Die Fragestunde mit ihrem Fragerecht für jeden einzelnen Abgeordneten habe sich als ein "lebendiges Instrument der parlamentarischen Demokratie" bewährt – schließlich diene sie der Kontrolle der Regierung. Und nicht nur das: "Die meisten von ihnen sind auch sehr lebendig und oft humorvoll."
Über das geringe Medieninteresse will Barbara Hendricks nicht klagen – das könne sie nicht beurteilen. Verdienstvollerweise habe der Sender "Phoenix" aber schon einiges getan, um den Bürgerinnen und Bürgern die Fragestunde nahe zu bringen.
Ist es nicht lästig für die Vertreterinnen und Vertreter der Regierung, sich so befragen zu lassen? Immer nur in der Defensive zu sein? Die couragierte Parlamentarische Staatssekretärin sieht das ganz anders: "Ich fühle mich bei Fragestunden gewöhnlich überhaupt nicht ‚in der Defensive' – schon deshalb nicht, weil die Regierung die Antworten gibt und damit immer das letzte Wort hat!"
Text: Ada Brandes
Fotos: studio kohlmeier