Menschen im Bundestag
Ein Mann für praktische Lebenshilfe
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Das Tagungsbüro des Deutschen Bundestages unter Leitung von Paul Thelen sorgt mit dafür, dass die Neulinge im Parlament den besten ersten Eindruck bekommen. Die Stunden nach der Wahl sind entscheidend, und alles ist von langer Hand vorbereitet.
Auf der Krawatte, die Paul Thelen trägt, tummeln sich eine Menge Teddybären. Die Frage ist, ob das etwas über den Mann aussagt. So eine Versammlung kleiner bunter Teddybären ist eine fröhliche Angelegenheit. Und Paul Thelen ein Mann mit Humor. Das ist allerdings erst nach einem längeren Gespräch klar. Am Anfang weiß man gar nichts, außer vielleicht, dass die Teddybären ein gutes Zeichen sind.
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Paul Thelen, 50 Jahre alt, Rheinländer aus Bad Godesberg, sitzt in einer der älteren Liegenschaften des Deutschen Bundestages, Wilhelmstraße 65, gerade gegenüber dem Jakob-Kaiser-Haus, drei Minuten Weg bis zum Reichstagsgebäude. Das Büro ist zweckmäßig eingerichtet, verrät nicht viel über den Nutzer. Fast in der Mitte des Raumes stehen ein paar Stühle um einen kleinen Tisch. Hier kann man reden, ohne dass einer hinter und der andere vor dem Schreibtisch sitzt. Ein guter Anfang.
Die Arbeit, die Paul Thelen im und für den Deutschen Bundestag macht, ist eingebunden in das Referat ZT 4. Ein großes Referat, zu dem unter anderem die Sachbereiche Plenarassistenzdienst, Botendienst, Fernschreibstelle, Fahrdienst, Telefonvermittlung, Poststelle und Tagungsbüro gehören. Paul Thelen ist Leiter des Tagungsbüros. Der Logik dieses Namens folgend ist da zuerst einmal die Vergabe von Sitzungssälen zu nennen. Sitzungsräume werden im Bundestag immer und in großer Anzahl gebraucht: Ausschüsse, allein 120 Arbeitsgruppen, die Fraktionen und viele andere Arbeitsgremien müssen sich treffen und beraten und arbeiten und Beschlüsse fassen. Alles in allem stehen dafür in den Liegenschaften und im Reichstagsgebäude rund 70 Räume und Säle zur Verfügung.
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Dem Tagungsbüro obliegt zudem die Betreuung der Schriftführer bei Abstimmungen und Auszählungen während der Bundestagssitzungen. Da gibt es die Abstimmungen durch Handzeichen oder Aufstehen, es gibt den berühmten Hammelsprung, namentliche Abstimmungen und geheime Wahlen. Bei letzteren beispielsweise werden die Abgeordneten namentlich aufgerufen, erhalten ihren Stimmzettel und einen Umschlag, gehen in eine Wahlkabine und kreuzen dann das Feld für ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten an, stecken den Stimmzettel in den Umschlag und werfen diesen dann in die Wahlurne. Organisatorisch ist das kein kleiner Aufwand und im Sinne des Erfinders ist auch, dass alles seine Richtigkeit hat – nachprüfbar auch dann noch, wenn alles vorbei ist.
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Paul Thelen ist seit 1993 Leiter des Tagungsbüros, dem neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angehören. Ganz früher war er mal Briefträger und Schalterbeamter bei der Post, was zur Folge hatte, dass er im Bundestag auch in der Poststelle anfing. Als ihn sein Vorgesetzter 1993 fragte, ob er nicht die Leitung des Tagungsbüros übernehmen möchte, klang das nach einer guten Sache. "Damals hatten wir Bleistifte, Radiergummis und Kladden zur Verfügung, um die Vergabe der Sitzungsräume und -säle zu organisieren. Einschreiben, ausradieren, verbessern, aktualisieren – alles ging noch recht archaisch vor sich", erzählt Paul Thelen. "Wir besaßen einen einzigen Computer, und ich bin zusammen mit meinem Kollegen auf die Suche nach einem Programm gegangen, mit dessen Hilfe sich diese organisatorischen Sachen einfach erledigen lassen. Das Sinnvollste schien uns, in Hotels nachzufragen – schließlich vermieten die auch Räume und müssen ständig aktualisieren. Das Problem war nur, Hotels vermieten immer mindestens für eine Nacht. Wir allerdings brauchten ein Programm, mit dem sich die stundenweise Vermietung darstellen lässt." An dieser Stelle sagt Paul Thelen: "Nein, sagen Sie nicht, was Sie jetzt denken mögen. Wir haben nur in seriösen Hotels nachgefragt."
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Irgendwann gab es das Programm, und alles wurde ein wenig einfacher. Was trotzdem gefragt blieb, war Flexibilität, denn die Dinge ändern sich manchmal zehnmal an einem Tag. "Da muss man", sagt Paul Thelen, "im Zweifelsfall auch den kleinen Dienstweg kennen, um schnell reagieren zu können." Was ihn für diese Arbeit prädestiniere, sei die Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren, improvisieren zu können und ein kommunikativer Mensch zu sein.
Der größte Druck entsteht und die spannendste Zeit ist, wenn die neue Legislaturperiode beginnt. Denn dann ist das Tagungsbüro zugleich auch ein Willkommensbüro des Bundestages, mit der Schwerpunktaufgabe "Praktische Lebenshilfe in den ersten 48 Stunden".
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Die Wahlnacht selbst ist schon aufregend an sich. Irgendwann steht fest, wer nun in den Bundestag einziehen wird. Bereits am Montag nach dieser langen Nacht gehen im Auftrag des Bundestagspräsidenten die Glückwünsche an die neuen Abgeordneten heraus. Die meisten Fraktionen laden für den Dienstag nach der Wahl ihre Mitglieder zur ersten Zusammenkunft ein.
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Im Tagungsbüro läuft die Arbeit parallel dazu auf Hochtouren. "Wir haben eine Datei von Wahlbewerbern, rund 3.500 Namen und Adressen stehen da drin. Am Montagmorgen haben wir dann daraus die Liste der neu gewählten und wieder gewählten Abgeordneten erstellt. Wir wissen auch schon, wer die zehn jüngsten und die zehn ältesten Abgeordneten sind. Dann fertigen wir für alle das ‚Begrüßungspaket' an: vorläufige Hausausweise und die Bahnausweise gehören dazu und eine Menge Informationspapiere, zum Beispiel die Verhaltensregeln für Abgeordnete. Die Reisestelle kümmert sich um die Anträge für die Erstattung der ersten Fahrtkosten, schließlich müssen die Abgeordneten ja erst einmal nach Berlin kommen. Das alles kommt in Mappen, die wir dann bei der ersten Fraktionssitzung an die Abgeordneten verteilen. Wir stehen vor den Fraktionsräumen und sind sozusagen das Begrüßungskommando."
Wenn Paul Thelen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor den Fraktionsräumen stehen, liegen harte Stunden hinter ihnen. Das gesamte Organisationsmaterial aus den verschiedenen Bereichen des Bundestages ist sortiert, auf den drei Passschreibmaschinen sind die vorläufigen oder endgültigen Ausweise hergestellt, die Namenslisten stimmen, jede und jeder kann in der richtigen Form willkommen geheißen werden.
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Dann sinkt der Adrenalinspiegel und die Pulsfrequenz verringert sich auf normale Werte. Dann hat Paul Thelen den Kopf wieder etwas frei und kann vielleicht sogar über einen Plan für das kommende Wochenende nachdenken. Sollte das Wetter gut sein, fährt er möglicherweise zu "Loretta" am Wannsee. Mit seinem Motorrad, einer Dukati 900. Und vielleicht trifft er dort auch Kollegen aus dem Bundestag, schließlich ist er Mitglied in der Bundestagssportgemeinschaft Motorradfahrer, der ungefähr 200 Frauen und Männer angehören. Kann also sein, dass Paul Thelen am Wochenende nach der Wahl die Krawatte mit den fröhlichen Teddybären gegen Lederkluft tauscht und eine Fahrt ins Blaue macht, ohne festen Plan. Sozusagen als Ausgleich dafür, dass in seiner Arbeit alles ablaufen muss wie ein gut organisiertes Feuerwerk mit 600 auserwählten Gästen. Gemeinsam ist beidem – der Arbeit und dem Motorradfahren – höchstens, dass es schon auf Tempo ankommt. Und darauf, dass man auf jeden Fall ans Ziel gelangen muss.
Text: Kathrin Gerlof/Fotos: studio kohlmeier