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Eine Richtlinie, die Zukunft macht: Dass ihr Leben einmal von einem Stapel Papier namens „Richtlinie 2005/36/EG” bestimmt werden würde, das hätte sich Marie nicht träumen lassen. Gerade aber scheint es so, als würde die kryptische Kombination 2005/36/ EG in Maries Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.
Marie ist 26 Jahre alt und kommt aus Utrecht in den Niederlanden. Vor zwei Jahren hat sie sich in Fabian verliebt. Fabian ist zwei Jahre älter, kommt aus Deutschland und hat nach seinem Bühnenbildstudium einen Job am Passauer Theater gefunden. In einem Jahr ist auch Marie fertig mit der Uni. Dann hat sie 14 Semester Medizin gebüffelt, geforscht und praktiziert — und Deutsch gelernt. „Denn dann möchte ich endlich als ärztin arbeiten — am liebsten in Passau, bei Fabian.”
An dieser Stelle wird die Richtlinie 2005/36/EG in Maries Leben wichtig. Denn sie regelt künftig die Anerkennung von Berufsabschlüssen und -qualifikationen innerhalb Europas. Dank dieser Richtlinie soll also Maries Abschluss in „Geneeskunde” auch von einer deutschen Klinik wie ein Abschluss in Humanmedizin akzeptiert werden. Diese Vorschrift ersetzt 15 andere Richtlinien, die in den vergangenen 30 Jahren die Anerkennung von Berufen geregelt haben. Bisher werden zwar die Bachelor- und Masterabschlüsse aus anderen europäischen Ländern anerkannt, jedoch hat Deutschland etwa bei der Berufszulassung im Bereich Humanmedizin momentan noch weitere Bedingungen. Marie weiß, wie wichtig ihr deshalb diese Richtlinie werden kann: „Es klingt komisch, aber das Dokument 2005/36/EG ist der richtige Schlüssel zu Fabians und meiner gemeinsamen Zukunft.”
Doch damit dieser Schlüssel irgendwann Türen öffnen kann, ist ein langer Weg mit Entscheidungen, Beschlüssen, Abstimmungen nötig. Die Richtlinie 2005/36/EG hat es fast hinter sich, das Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union (EU). An der Rechtssetzung auf EU-Ebene sind vor allem drei Institutionen beteiligt: die Europäische Kommission, das Europäische Parlament (EP) und der Rat der Europäischen Union (Rat). Allerdings ist die EU im Gegensatz zu einem Staat nicht für alles zuständig, sondern darf nur darüber entscheiden, wofür ihr die Mitgliedsstaaten auch die Erlaubnis erteilt haben.
Am Anfang steht immer eine Idee. In Maries Fall die Idee, dass die Menschen in Europa auch in allen anderen Mitgliedsstaaten in ihrem Beruf arbeiten können. Diesen Einfall hatte die Europäische Kommission schon im Jahr 2000. Sie hat oft die Rolle des Impulsgebers und macht Vorschläge für neue europäische Gesetze. Sie wird deshalb auch „Motor der Gemeinschaft” genannt. Die Ideen für ein neues Gesetz schreibt die EU-Kommission meist in einem sogenannten Grünbuch auf. Auf dieser Grundlage werden erste Meinungen zu dem Vorschlag gesammelt.
Als Ergebnis dieser Stellungnahmen — meist von gesellschaftlichen Gruppen, Verbänden, Interessenvertretungen — gibt die Kommission ein sogenanntes Weißbuch heraus, in dem sie konkret erklärt, wie sie sich das neue Gesetz vorstellt. Dieses Weißbuch wird dann sowohl dem EP als auch dem Rat der Europäischen Union vorgelegt, damit sie darüber beraten können. Stimmen das Parlament und der Rat der Idee zu, schreibt die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie oder eine Verordnung. So heißen Gesetze auf der europäischen Ebene. Verordnungen sind in den Mitgliedsstaaten unmittelbar verbindlich, das heißt, dieses Recht gilt, ohne dass die nationalen Parlamente noch extra etwas tun müssen. Bei Richtlinien, wie in Maries Fall, ist das anders. Hier müssen die Mitgliedsstaaten da für sorgen, dass das Ziel der Richtlinie im eigenen Land innerhalb einer Frist umgesetzt wird, etwa durch ein neues Gesetz oder durch Gesetzesänderungen.