98. Sitzung
Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und einen erfolgreichen Tag.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bundesbericht Forschung 2006
- Drucksache 16/3910 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue Wege in der Technologieförderung ergreifen - Deutschland als Technologiestandort stärken
- Drucksache 16/4863 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael
Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss,
Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Die technologische
Leistungsfähigkeit mit dem
6-Milliarden-Euro-Programm und der High-Tech-Strategie
stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Forschungsprämie zur besseren Kooperation von Wissenschaft und Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zügig umsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen brauchen Freiheit - Für mehr Arbeit und Wohlstand
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innovationen durch Investitionen - Sonderprogramm für die Wissenschaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirtschaft (Forschungsprämie)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006 und Stellungnahme der Bundesregierung
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zum 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung - Neue Impulse für Innovation und Wachstum
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Die Hightech-Strategie für Deutschland
- Drucksachen 16/1546, 16/2628, 16/1532, 16/2083,
16/2621, 16/1245, 16/1400, 16/2577, 16/3546 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ilse Aigner
René Röspel
Cornelia Pieper
Dr. Petra Sitte
Priska Hinz (Herborn)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Guten Morgen, sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist Teil des europäischen Forschungsraumes. Erfolgsstrategien müssen hier wie dort Hand in Hand gehen, damit das Ziel der Lissabonstrategie erreicht wird. Hierbei zeichnet sich klar ab: Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in einer erfolgreichen Forschungs- und Technologiepolitik. Genau daran richten wir unsere Forschungspolitik aus.
Das heißt konkret: Mehr Kooperationen und strategische Allianzen zwischen Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind Voraussetzung, um Forschung und Entwicklung zu Innovationen zu führen. Innovationen wiederum sind der Schlüssel zu mehr Wachstum und Beschäftigung.
Was haben wir erreicht? Wohin wollen wir? Ich bin davon überzeugt: Die Hightechstrategie, an der zahlreiche Häuser der Bundesregierung beteiligt sind, ist der Instrumentenkasten für die natürliche Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Die Hightechstrategie ist verbunden mit deutlich höheren Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie mit neuen Anreizsystemen und Instrumenten; ich erinnere an dieser Stelle an die Forschungsprämie, die wir in den nächsten Jahren zunächst auf kleine und mittelständische Unternehmen fokussieren. Wir haben damit einen Einstieg gemacht. Die Erfahrungen mit diesem Anreizsystem werden uns dann zur Diskussion über die Fragen führen: Wie entwickeln wir weiter? Welche anderen Anreizsysteme gibt es? In diesem Zusammenhang werden wir uns auch mit den Instrumenten zu beschäftigen haben, die in anderen Ländern der Europäischen Union erfolgreich praktiziert werden.
Lassen Sie mich etwas zum Wettbewerb ?Austauschprozesse zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ des Stifterverbandes und meines Hauses sagen: Gestern Abend hat die Verleihung des Preises stattgefunden. Fünf Standorte, interessanterweise übrigens auch zwei Fachhochschulen, wurden für ihre besonders gelungenen Prozesse des Austausches zwischen Hochschule und Unternehmen ausgezeichnet.
Schließlich bereiten wir derzeit gemeinsam mit dem Stifterverband einen Wettbewerb zur Förderung von Spitzenclustern vor. Das heißt - das halte ich für eine gute Entwicklung -: In Deutschland wird nicht allein die Exzellenzinitiative das Instrument sein, mit dem die Exzellenz in der Forschung und in den Formen der strategischen Allianzen gefördert wird, sondern wir schaffen weitere Instrumente. Wir entwickeln einen ausdifferenzierten Instrumentenkasten. Das wird Früchte tragen.
Zum Berichtswesen: Der Bundesbericht Forschung 2006 ist auch Teil dieser Debatte. Er war der letzte seiner Art. Ich sage Ihnen zu: Das Volumen des nächsten Berichtes kann deutlich weniger umfangreich sein als die Volumina der letzten Berichte, der Bericht sollte dafür aber stärker auf das Thema Innovation fokussiert sein. Es geht nicht um die Sammlung irgendwelcher Fakten, sondern um die Sammlung der Fakten, die wir brauchen, um hier darüber zu diskutieren, was die richtigen Wege zu mehr Innovation sind.
Die entscheidende Botschaft ist: Wir haben seitens des Bundes 2006 11,8 Millionen Euro für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung ausgegeben. Das ist eine deutliche Steigerung.
- Milliarden! Vielen Dank, Herr Kollege Tauss. Es waren 11,8 Milliarden Euro.
Das ist die Basis. Jedem ist auch klar: Bei den Haushaltsverhandlungen 2008 wird die positive Nachricht von Dynamik in der Wirtschaft auch zu einer positiven Nachricht für Investitionen in FuE führen müssen; denn 3 Prozent von 100 ist weniger als 3 Prozent von 200.
Das heißt, wir müssen weiter zulegen. Ich erwarte entsprechendes Verhalten auch von den Ländern und von den Unternehmen in Deutschland.
Wir wollen nicht zunehmen - das wird uns jetzt verboten -, sondern wir wollen zulegen. Ich rede jetzt auch nicht über Ernährungsforschung - das habe ich Herrn Westerwelle eben versprochen -, weil dazu schon alles gesagt ist.
Mit der Hightechstrategie haben wir die Weichen gemeinsam richtig gestellt. Ich nenne als Beispiel für strategische Allianz die Initiative zur Forschung an organischen Leuchtdioden, bei der wir 100 Millionen Euro, die Wirtschaft 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Weitere solche Vereinbarungen sind in Vorbereitung.
Wir bereiten derzeit gemeinsam mit Wirtschaftsministerium, Umweltministerium, Verbraucherschutzministerium und dem Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung eine Strategie zum Thema Energieeffizienz vor. Wir werden die Entwicklung moderner Energietechnologien mit rund 2 Milliarden Euro bis zum Jahre 2009 fördern.
Auf dem Klimaforschungsgipfel in Hamburg haben wir Vorbereitungen getroffen, um im Herbst die Hightechstrategie für den Klimaschutz vorzulegen.
Wir werden übrigens allein mit dem Klimaschutzprogramm, das vorgelegt worden ist und über das Kollege Gabriel gesprochen hat, 255 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Es müssen also immer zusammenspielen: Erhöhung der Finanzinvestitionen, Erneuerung unserer Konzepte, Förderung all der Instrumente, die strategische Allianzen, die die Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft befördern. Dann gilt - davon bin ich überzeugt - ab 2010 der Satz: Steuerpolitik ist Innovationspolitik. Unternehmen, die mehr in Forschung investieren, müssen das bei ihrer Steuerlast spüren. Ich bin davon überzeugt: Das wird die Fortsetzungsgeschichte nach der Einführung der Forschungsprämie sein müssen.
Zwei weitere Punkte möchte ich nennen; dann ist meine Redezeit abgelaufen; Herr Präsident, ich weiß es.
Forschungsinfrastruktur: Wir sind dabei, mit internationalen Partnern XFEL vorzubereiten. Im Juni soll es den Startschuss in Hamburg geben. Auch das ist wichtig.
Schließlich: Wer Forschung und Entwicklung befördern will, muss dafür sorgen, dass Qualifizierung gelingt. Deshalb bereitet die Bundesregierung - mit gemeinsamen Anstrengungen des Bundes, der Länder, der Stiftungen und anderer Experten - bis Herbst eine Qualifizierungsinitiative vor, um auch im Bereich der Qualifizierung die Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig sind, damit wir auch den wichtigen, von mir zuletzt genannten Punkt erreichen: dass jeder Innovationswettbewerb nicht nur mit Finanzen und Konzepten, sondern auch mit dem Erfolg im weltweiten Talentwettbewerb verbunden ist.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion.
Cornelia Pieper (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin, eine auf Zukunft ausgerichtete Forschungspolitik schafft die Grundlage für Innovationen und damit für neue Arbeitsplätze und nachhaltiges Wachstum.
Deswegen ist für uns die Forschungs- und Bildungspolitik das Kernthema deutscher und europäischer Politik, und deswegen legen wir, Frau Ministerin, großen Wert darauf, dass diese Bundesregierung auf die Forschungsförderung ein weitaus größeres Augenmerk richtet, als es bisher der Fall ist.
Ihre Hightechstrategie, Frau Ministerin, ist eine Ansammlung von Forschungsprogrammen bis zum Jahr 2009, aber sie lässt eben keine strategische Ausrichtung erkennen, wie Deutschland als europäischer und internationaler Forschungsstandort etabliert werden könnte.
Bei einer solchen Strategie müssen wir - dass das bei Ihrer Strategie fehlt, bemängeln wir - auf Spitzenforschung und auf Wachstumsbranchen in der Wirtschaft setzen. Dafür stehen für uns Liberale im Kern die folgenden drei Bereiche: Biotechnologie, Gesundheitsforschung und Energie- und Klimaforschung.
Ich will Ihnen ein ganz konkretes Beispiel nennen: Die pharmazeutische Industrie, Herr Tauss, ist ein Wachstumsmotor. Mit einem Forschungsanteil von 78 Prozent trägt sie überdurchschnittlich zum 3-Prozent-Ziel der Wirtschaft bei. Die Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht. Sie ist die tragende Säule der Forschungsfinanzierung in unserem Land. Ihre Ausgaben hierfür stiegen in den letzten zehn Jahren von 27 Milliarden auf heute rund 40 Milliarden Euro. Das kommt natürlich auch bei den hohen Exportraten für Technologiegüter zum Ausdruck. Deutschland ist dabei Exportweltmeister.
Die Ausgaben für Forschung von Bund und Ländern dagegen stagnieren. Waren es 1997 noch 15,6 Milliarden Euro, so sind es heute 16,8 Milliarden Euro. Man merkt keinen großen Unterschied. Die Lissabonstrategie, die Sie, Frau Ministerin, immer betonen, verlangt von uns, für Forschung 3 Prozent vom BIP auszugeben. Mit den Weichenstellungen, die bis jetzt im Haushalt vorgenommen worden sind, werden wir dieses Ziel aber nicht erreichen. Der Anteil der Forschungsausgaben liegt jetzt bei 2,46 Prozent, bei rückläufiger Tendenz. Deswegen meinen wir, wir müssen klotzen und nicht kleckern. Die Bundesregierung muss mehr in Bildung und Forschung investieren. Das vermissen wir. Insbesondere gilt das für die Länder, die das Ziel, einen Anteil von 3 Prozent des BIP bei den Forschungsausgaben zu erreichen, in ihren Haushalten zum Teil gar nicht berücksichtigen.
Ich glaube, es reicht nicht aus, halbherzige Positionen bezüglich der Forschung zu beziehen. Ich nenne das Stichwort Forschungsprämie - Sie sind darauf eingegangen, Frau Ministerin -: Wir haben begrüßt, dass die Bundesregierung dieses Konzept, das die FDP seit der letzten Legislaturperiode verfolgt, realisiert hat. Leider fördert die Prämie so, wie sie jetzt umgesetzt wurde, nicht die eigentlichen Forschungsarbeiten zur Gewinnung neuen Wissens, sondern setzt den Schwerpunkt auf den Technologietransfer bereits vorhandener FuE-Ergebnisse, zum Beispiel auf Workshops mit der Wirtschaft zur Feststellung des Forschungsbedarfs. Auch Messungen zur Validierung von Forschungsergebnissen finden, einmal abgesehen vom sehr bürokratischen Antragsverfahren, nicht statt.
Die Einschränkung bei der Verwendung der Mittel hat in der Praxis die Folge - Herr Tauss, hören Sie gut zu, dann können Sie etwas lernen -, dass die Prämie nicht zur Finanzierung von Forschungstätigkeiten wie dem Kauf von Geräten oder der Einstellung von Forschungspersonal verwendet werden darf. Das heißt, unterm Strich werden dadurch eben nicht die Defizite in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft abgebaut und keine neuen Kooperationen gefördert.
Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie die bürokratischen Hürden fallen! Hören Sie auf die Unternehmen! Hören Sie auf die Wirtschaft! Wir brauchen neue Innovationsimpulse, damit das 3-Prozent-Ziel erreicht wird. Frau Ministerin, handeln Sie hier!
Seit Jahren zeigt sich, dass die industrielle Umsetzung von Forschungsergebnissen aufgrund einer strukturellen Lücke im Innovationsprozess nicht mit der gebotenen Effizienz erfolgt. Was heißt das? Diese Lücke resultiert aus der nicht ausreichenden Reife der Forschungsergebnisse und führt zu einer mangelhaften Attraktivität für Investoren - Industrie wie auch kleine und mittelständische Unternehmen - für die das betriebswirtschaftliche Risiko bei einer Produktentwicklung bei fehlender Validierung zu groß ist.
Führen Sie einen Innovationsfonds der deutschen Forschung ein, wie ihn die Max-Planck-Gesellschaft fordert! Das wäre der richtige Weg. Vor allen Dingen: Zollen wir den Wissenschaftlern in unserem Land endlich mehr Anerkennung! Lassen wir endlich zu, dass ein Wissenschaftstarifvertrag geschlossen wird! Denn der TVöD ist der größte Hemmschuh für Spitzenforschung in diesem Land, dafür, dass internationale Wissenschaftler hierher kommen bzw. Nachwuchs im Land bleibt.
Wir brauchen mehr Anerkennung für die Wissenschaft. Wir brauchen ein weitaus forschungsfreundlicheres Klima in diesem Land. Deswegen rege ich an, Frau Ministerin, dass jedes Ministerium des Bundes jedes Jahr einen Forscherpreis auslobt und nicht nur Ihr Haus auf diesem Gebiet aktiv wird. Es ist gesellschaftspolitisch einfach nicht mehr einzusehen, dass ein Fußballstar in Deutschland Gagen in Millionenhöhe bekommt, junge Spitzenforscher aber keinerlei Anerkennung erfahren. Darauf, dass sich das ändert, legen wir als Liberale großen Wert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Angst; ich werde den Bundesbericht nicht vorlesen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich wollte Sie schon darauf aufmerksam machen, dass die Redezeit dafür vermutlich nicht reichen würde.
René Röspel (SPD):
Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander Exportweltmeister.
9,2 Prozent aller in der Welt exportierten Waren haben den Stempel ?Made in Germany“. Das hat viele Gründe. Es liegt sicherlich daran, dass wir viele fleißige und gute Arbeitnehmer haben, die übrigens lange genug Lohnverzicht geübt haben. Es liegt auch daran, dass wir viele gute, kreative und verantwortungsbewusste Unternehmer haben.
Aber darauf werden wir uns nicht ausruhen können. China hat im letzten Jahr die USA von Platz zwei auf Platz drei verdrängt. Ich gehe davon aus, dass wir nächstes oder spätestens übernächstes Jahr den Weltmeistertitel an China abgeben werden. China hat Riesenvorkommen an Rohstoffen, wir nicht. Unser Potenzial sind die gut ausgebildeten Menschen, die hier leben. Die Basis unseres Erfolgs lässt sich mit zwei Worten ausdrücken: Bildung und Forschung.
Eigentlich müsste ich deswegen nicht nur den Bundesbericht Forschung hier liegen haben, sondern auch den nationalen Bildungsbericht, den wir demnächst sicherlich auch diskutieren werden. Beides gehört zusammen, ist unabdingbar verknüpft in einer Gesellschaft, die nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich und im Forschungsbereich nach vorne kommen will.
Zuständig für Bildung und Forschung ist nicht nur der Bund. Auf der einen Seite sind es die öffentlichen Hände, Bund und Land, auf der anderen Seite - es ist schon erwähnt worden - die Wirtschaft. Auch aus dem Bundesbericht geht hervor, dass es in den Ländern - ich weiß, es ist nicht einfach -
deutliche Defizite gibt, was die finanzielle Förderung angeht. Ich würde mir - das ist dringend nötig - eine Reform des Bildungswesens in Deutschland wünschen. Dafür sind originär die Länder zuständig.
In Nordrhein-Westfalen, meinem Heimatland, hat die SPD bereits eine Diskussion über ein modernes und gerechtes Schulsystem begonnen. In Baden-Württemberg gibt es eine interessante Initiative von 100 Hauptschulen, die sich an das Kultusministerium gewandt und die Landesregierung aufgefordert haben, endlich das ungerechte dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen.
Als Forschungspolitiker spricht man ja gerne auch einmal über die Bildung.
Die zweite wichtige Säule ist die Wirtschaft. Sie trägt große Teile der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das ist gesagt worden; aber trotzdem ist es richtig. Die Wirtschaft profitiert eben auch von dem, was die öffentliche Hand, was Bund und Land für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen. Deswegen habe ich kein Verständnis, wenn die Wirtschaft - die Zahlen des Stiftungsverbandes der deutschen Wirtschaft, Frau Pieper, sprechen da eine deutliche Sprache - ihrer Verpflichtung zur Steigerung von Forschung und Entwicklung in gehörigem Maße nicht nachkommt.
Deswegen habe ich auch kein Verständnis, wenn Unternehmen Rekordumsätze machen, aber gleichzeitig Arbeitsplätze abbauen, wenn sie Rekordgewinne ausschütten, aber immer weniger in die Köpfe ihrer Beschäftigten und in Forschung und Entwicklung investieren.
Wenn man den Finger nach außen richtet, zeigen ja nach Gustav Heinemann drei Finger zurück: Die dritte Säule ist der Bund. Auch wir haben hier eine Aufgabe und spielen selbstverständlich eine wichtige Rolle. Ich darf in Erinnerung rufen - das gehört zur Geschichte -: Zwischen 1998 und 2005 hat die SPD zusammen mit dem damaligen Koalitionspartner, den Grünen, Bildung und Forschung erst wieder nach vorne gebracht. Wir haben die Ausgaben für Bildung und Forschung von 1998 bis 2005 um 37 Prozent erhöht.
Frau Pieper, in Ihrer Regierungszeit war Bildung und Forschung ein Auslaufmodell, die Etats gingen nach unten. Wir haben sie erst wieder gesteigert. Wir sind froh, dass wir mit dem neuen Koalitionspartner diesen erfolgreichen Kurs noch einmal verstärkt fortsetzen können.
Ein Beispiel dafür ist die Exzellenzinitiative. Das ist ein Wettbewerb zur Förderung von Spitzenleistungen an Universitäten, der in diesem Bereich bereits für große Dynamik und Bewegung gesorgt hat. 1,9 Milliarden Euro werden wir bis 2011 zur Verfügung stellen; drei Viertel davon trägt der Bund, ein Viertel tragen die Länder.
Mit dem Pakt für Forschung und Innovation sichern wir den großen deutschen Forschungsorganisationen zu, jedes Jahr bis zum Jahr 2010 verlässlich 3 Prozent mehr Mittel zur Verfügung gestellt zu bekommen. Dass sich das lohnt, sieht man, wenn man in den Bericht hineinschaut. Ich möchte einige Beispiele - bei fast 800 Seiten kann ich nicht alle nennen - anführen. 54 der weltweit am meisten zitierten Wissenschaftler im Bereich der Grundlagenforschung kommen aus der deutschen Max-Planck-Gesellschaft.
Schaut man sich an, welche Institute mit ihrer Publikationszitierung in wissenschaftlichen Zeitschriften weltweit vorne liegen, dann stellt man fest: In den Bereichen Chemie, Physik, Materialwissenschaften und Weltraumwissenschaften ist die Max-Planck-Gesellschaft auf Platz eins - Entschuldigung, dass ich sie zweimal nenne. Wir sind hier erfolgreich.
Auch für Erfolge im Bereich der angewandten Forschung gibt es gute Beispiele. Jedes Kind kennt mittlerweile den MP3-Player, eine Entwicklung der Fraunhofer-Gesellschaft aus Deutschland. Das zeigt aber auch die immer noch vorhandenen Probleme des Technologietransfers, ohne Frage.
Die Fraunhofer-Gesellschaft macht zu 90 Prozent Vertragsforschung für Industrie, Handel und Dienstleistungen öffentlicher Hand, die sehr erfolgreich ist. Die Leibniz-Gemeinschaft, die ich in der letzten Ausschusssitzung als Gemischtwarenladen bezeichnet habe, wird auf Seite 84 des Berichtes treffend charakterisiert:
Vielfalt bei gleichzeitig hoher Qualität, Effektivität und Effizienz der wissenschaftlichen Arbeit.
Ein berechtigtes Lob.
Wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Die Chinesen schlafen nicht, schon gar nicht um 9.20 Uhr deutscher Zeit. Der dickste Brocken beim Export - Sie sprachen es an; das muss man analysieren - sind Autos. Der Großteil der privaten Forschungsgelder und Investitionen geht in wenige Bereiche: Kfz-Bau, Elektrotechnik, Chemieindustrie.
- Und Maschinenbau, danke; im letzten Jahr aber übrigens mit rückläufigen FuE-Investitionen.
Das ist sehr bedenklich. Wir sind zusammen mit den Schweizern ziemlich weit oben im internationalen Maschinenbau, aber Forschung und Entwicklung gehen zurück.
Das bedeutet für die öffentliche Forschungsförderung - das ist unsere Aufgabe -, dass wir zusätzliche Forschungsfelder identifizieren und unterstützen müssen, die uns parallel zu diesen großen Bereichen Zukunftschancen eröffnen. Das sind zum Beispiel diejenigen, die wir - Frau Ministerin Schavan erwähnte es schon - in der Hightechstrategie beleuchten, mit der wir 6 Milliarden Euro bis 2009 zusätzlich zur Verfügung stellen: Nanotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Verkehrstechnologie und Gesundheitsforschung. Insbesondere diese ist nicht nur technologisch interessant, sondern für die Menschen unmittelbar; ich nenne hier das Stichwort Krankheitsbekämpfung. Bei der Umwelttechnologie sind wir bereits Exportweltmeister; hier steht noch ein gigantischer Markt zur Verfügung. Nicht zuletzt nenne ich auch die Energietechnologie. Wenn es uns gelingt, neue Energieträger zu mobilisieren, die umweltfreundlich sind und die hier vor Ort angewandt werden können, und wenn wir die Effizienz dieser Technologie steigern können, dann schafft das nicht nur mehr Exportmöglichkeiten, es schafft vor allen Dingen im Inland mehr Arbeitsplätze, wir können damit das Klima und die Umwelt schützen und den Frieden nach innen und außen sichern.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bewertung der Hightechstrategie hat sich mir ein Bild aus dem Umweltbereich aufgedrängt. Die Hightechstrategie der Bundesregierung erscheint mir ein bisschen wie eine Flussbegradigung, also quasi wie die Begradigung eines Erkenntnisstromes aus Wissenschaft und Forschung. Die Seitenarme intellektuellen Artenreichtums dieses Flusses werden nämlich weitestgehend durch die Hightechstrategie ausgetrocknet.
Ich will Ihnen sagen, warum ich diese Feststellung treffe: weil jegliche zu fördernden Aktivitäten ihre Existenzberechtigung im Wesentlichen aus einem gemeinsamen Nenner ableiten. Europa - ich zitiere Sie - soll zu einem ?wissensbasierten, wettbewerbsfähigen Forschungsraum“ und der angeschlossene ?europäische Forschungsraum zu einem wirklichen Forschungsbinnenmarkt“ werden. Also all das, was nicht direkt in diese Richtung fließt, wird demzufolge kaum etwas vom Milliardenregen der Hightechwolke der Bundesregierung auffangen können.
Ihre Zuwendungsvoraussetzungen für Förderprogramme besagen ganz klar - ich zitiere wieder; das kann man nachlesen -:
Die Projekte müssen unter industrieller Federführung stehen. In Ausnahmefällen können auch Einzelvorhaben von Unternehmen gefördert werden.
Wohlgemerkt, wir reden hier über öffentliche Mittel in Höhe von 14,5 Milliarden Euro, die sich aus Steuergeldern speisen. Ein gehöriger Teil dieser Mittel stammt aus der Besteuerung von Löhnen und Gehältern.
Ich will an dieser Stelle deshalb darauf verweisen, weil diese Hightechstrategie natürlich positiv die Frage beantworten muss, wem sie am Ende wirklich nutzen soll.
Wie wirkt sie sich denn am Ende tatsächlich auf die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen in diesem Land aus?
Eine Gewinnergruppe können wir schon heute benennen: Das sind die großen Unternehmen der sogenannten Hightechbranche, also jene, die es bereits im Vorfeld dieser Hightechstrategie durch ihre Interessenverbände geschafft haben, die Schwerpunktsetzung in diesen Programmen auf sich selbst zu lenken. Erkenntnis- und Wissensanwendung wird vor allem dann öffentlich gefördert, wenn sich dafür bereits jetzt ein Markt abzeichnet oder wenn man wie im Bereich der Sicherheitstechnologien einen Markt erst künstlich schaffen will. Innovative kleine und mittelständische Unternehmen dagegen, die häufig vor dem Hintergrund strukturschwacher Regionen wie im Osten die Keimzellen sind, werden es deutlich schwerer haben, sich um Projektförderung zu bewerben und sich dann auch zu behaupten.
Dazu muss ich sagen: Ich bin einigermaßen froh, dass es nach endlosem Drängen auch meiner Fraktion nun gelingen soll - dies ist schon von Frau Pieper angesprochen worden -, bis zum Sommer eine Art Forschungsprämie für innovative kleine und mittelständische Unternehmen aufzulegen, wie es sie bereits für andere öffentliche Wissenschaftseinrichtungen gibt.
Frau Ministerin, damit wir uns nicht falsch verstehen: Sie haben als Hauptidee dieser Strategie die Auflage einer modernen Form staatlicher Innovations- und Wirtschaftsförderung angekündigt. Mit deren Hilfe sollen neue Arbeitsplätze insbesondere in strukturschwachen Regionen entstehen. Dagegen legen wir natürlich überhaupt keinen Widerspruch ein. Widerspruch melden wir an, weil sich schon jetzt abzeichnet, dass diese Hightechstrategie in Teilen nicht eingehalten werden kann. Es werden eben nicht nur wichtige strategische Partner wie die zitierten innovativen kleinen und mittelständischen Unternehmen vernachlässigt. Was dem Programm derzeit auch völlig fehlt, ist ein Konzept, wie man diesem riesigen Fachkräftebedarf begegnen will. Weiterbildung und Fortbildung spielen in diesem Konzept kaum eine Rolle.
Bei der Umsetzung der neuen Hightechstrategie werden aber auch neue Konflikte und neue Konfliktlinien entstehen. Man kann schon jetzt in einzelnen Förderbereichen Problematisches erkennen. Im Programm selbst finden sich kaum Mittel für Projekte zur Risikoabschätzung und für die Voraussetzungs- und Begleitforschung. Es zeichnet sich bereits jetzt ein mangelnder Daten- und Verbraucherschutz ebenso ab wie fehlende Transparenz in der Mittelbewilligung. Es fehlen bei der Umsetzung dieses Programms Ansätze für einen öffentlichen Dialog zwischen Interessierten, Betroffenen, Experten sowie Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft und Politik. Ihr Innovationskreis ist zwar für Sie eine interessante Beratungseinrichtung; aber er findet nicht öffentlich statt. Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften finden in dem Programm nur dann Erwähnung - das ist bezeichnend -, wenn sie der Erklärung und damit am Ende auch einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber sensiblen und besonders umstrittenen Technologien dienen.
Schließlich werden wir - da bin ich mir sehr sicher - mit dem Programm vor dem Problem stehen, dass bei anwendungs- und industriebezogener Forschung die Unternehmen - das ist natürlich - ein Geheimhaltungsinteresse haben. Das widerspricht den Zielen öffentlicher Forschungsförderung. Ich will Ihnen diese Kritik gern an einem Beispiel erläutern. Das Programm ?IKT 2020“ dient der Subventionierung von Informations- und Kommunikationstechnologien.
Viele Projekte gelten offenbar nützlichen und Erfolg versprechenden Innovationen. Das wiederum kann ich nur vermuten und hoffen. Aber viele Projekte, die sich dort finden, sind inhaltlich noch nicht genau beschrieben.
So soll beispielsweise die Funkchiptechnologie künftig weit mehr leisten als reine Identifikation in vielen Transport- und Vertriebssystemen, in Fertigungsanlagen zur Prozesssteuerung oder in Teilen des Einzelhandels. Eingebaute Funksensoren in Produkten machen auch umfassende Datenerfassung und Datenauswertung über Einzelpersonen möglich. Produkte bekommen gewissermaßen ein Gedächtnis. Das Nutzer- und Verbraucherverhalten kann so lückenlos dokumentiert werden, und zwar ohne dass es die Betroffenen merken. Zu dieser Problematik gibt es aktuell keine verbindliche Selbstverpflichtung der Wirtschaft zum Datenschutz. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen in diesem Bereich überhaupt nicht aus.
Nun kann ja mancher hier, sowohl auf der Tribüne als auch Sie im Saal, meinen: Das betrifft mich ja alles nicht. - Weit gefehlt, kann ich Ihnen da nur sagen. Denn es bezieht sich auf Ihr Kauf- und Fahrverhalten genauso wie auf Ihren Fernseher und PC an jedem denkbaren Ort, ob in Ihrer Wohnung, im Garten oder sonst wo. Entwicklungen dieser Art halten wir für höchst problematisch. Deshalb wollen wir sie nicht auch noch mit öffentlichen Fördergeldern ausstatten und vorantreiben.
Weitere Beispiele ließen sich aufzählen für den Bereich der Sicherheitstechnologien, für Teile der Gesundheits- und Medizintechnik, für nukleare Energietechnologien, für die Grüne Gentechnik, für Fahrzeug- und Verkehrstechnologien, aber auch für Querschnittstechnologien wie die Nanotechnologie.
Für die Hightechpolitik der Bundesregierung ist übrigens auch symptomatisch, dass für die aus den Forschungsvorhaben gewonnenen Patente und Nutzungsrechte keinerlei Auflagen gemacht werden. Offenbar gilt Folgendes: Die Kosten für Forschung und Entwicklung sind gesellschaftlich aufzubringen, später anfallende Verwertungsgewinne dagegen werden privatisiert.
Je tiefer ich mich bei der Vorbereitung und im Zuge unserer Beratungen im Ausschuss in die Hightechstrategie eingearbeitet habe, desto mehr bestätigt sich für mich folgende Erkenntnis: Öffentliche Forschungsförderung und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Forschung und Lehre stehen immer weniger im Dienste der Gesellschaft.
Unlängst - Sie erinnern sich ganz gewiss an die Tumulte - wurde am Bundestag die Inschrift ?Dem deutschen Volke“ durch ein Transparent verhängt, auf dem ?Der deutschen Wirtschaft“ stand.
Nachdem ich die Hightechstrategie studiert habe, kann ich nur sagen: Die Protestierenden haben den Nagel auf den Kopf getroffen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ilse Aigner ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Ilse Aigner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute neben einer ganzen Reihe von Anträgen über den letztjährigen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Ich möchte hier zwei Feststellungen aus diesem Bericht aufgreifen: Innovationen richten sich zunehmend an den Möglichkeiten des Weltmarktes aus, und die Ausgaben für Forschung wurden von der Wirtschaft nicht kräftig genug erhöht. Letzteres ist bzw. war für eine Technologie- und Exportnation ein alarmierender Befund. Dies liegt nicht im Interesse unseres Landes, aber auch nicht im Interesse der entsprechenden Firmen und der Wirtschaft.
Von unserer Seite haben wir den ersten Schritt getan und ein Programm mit zusätzlich 6 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Man kann es nicht oft genug sagen: Die Wirtschaft muss jetzt nachziehen.
Natürlich braucht die Wirtschaft gute Rahmenbedingungen. Deshalb würde ich mich darüber freuen - es gibt entsprechende Anzeichen -, wenn sich bei der jetzt anstehenden Unternehmensteuerreform gewisse Veränderungen zugunsten von Forschung und Entwicklung auftun würden. Das kann nur in unserem Interesse sein.
Zurück zum Ausgangspunkt. Die Bundesregierung, insbesondere das federführende Forschungsministerium unter der Leitung unserer Ministerin Annette Schavan, hat umgehend weitere Konsequenzen gezogen. Mit einer schlüssigen Hightechstrategie, die alle Ressorts der Bundesregierung einschließt, hat sie alle auf einen gemeinsamen Kurs eingeschworen. Die Richtung ist klar: Mehr Innovation für mehr Arbeitsplätze.
Das Herzstück ist die Stärkung von Forschung und Innovation in der Wirtschaft. Diese erreichen wir vor allem, indem wir strategische Kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fördern. Die Ministerin hat die OLED-Initiative angesprochen. Wir wollen darüber hinaus gerade den kleinen und mittleren Unternehmen helfen, sich international zu positionieren.
Eines der neuen Instrumente wurde schon angesprochen: die Forschungsprämie. Sie soll für Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein Anreiz sein, sich verstärkt in Kooperationen mit der Wirtschaft zu begeben. Ziel: mehr Forschung und Entwicklung in den Betrieben.
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Bündelung der Kräfte von Wissenschaft und Wirtschaft wird der Clusterwettbewerb der Bundesregierung sein. Cluster von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen sind anerkanntermaßen eine immer wichtiger werdende Innovationsquelle. Das wissen wir auch durch erfolgreiche Beispiele früherer Fördermaßnahmen. In diesem Zusammenhang muss ich mal wieder - es sei mir nicht verübelt - eine bayerische Erfolgsstory ansprechen.
Letztes Mal war Sachsen dran. Zum Ausgleich nenne ich dieses Mal Bayern: die Biotechregion rund um München, wo 180 neue Unternehmen entstanden sind, deren magnetische Wirkung bis ins Ausland reicht.
Wichtig wird sein, dass wir den geplanten Clusterwettbewerb so ausgestalten, dass sich diese Erfolgsstory mehrfach wiederholt.
Eine Sache liegt mir noch am Herzen - das wäre das I-Tüpfelchen -: Vielleicht fällt uns irgendwann einmal eine bessere Bezeichnung als ?Cluster“ ein. Ich habe einmal nachgeschaut, was es in der wörtlichen Übersetzung heißt: Traube, Bündel, Schwarm, Haufen. So steht es in ?Wikipedia“. All das ist nicht sonderlich treffend. Dann gibt es - das habe ich bisher nicht gewusst - das alte deutsche Wort ?Kluster“; das schreibt man mit K. Das Wort ist allerdings nicht mehr gebräuchlich. In einem alten Wörterbuch, dem Grimm’schen Wörterbuch, steht: ?Was dicht und dick zusammensitzet.“ - ?Dicht“ ist ja noch in Ordnung. ?Dick“ klingt aber, insbesondere nach der gestrigen Debatte, zusammen mit ?sitzen“ nicht sonderlich dynamisch. Bis jetzt haben wir also keinen passenden deutschen Begriff.
- Clusterle.
Nun zurück zur Hightechstrategie. Man könnte auch Hochtechnologiestrategie sagen. Sie spricht ein in der deutschen Forschungslandschaft neues Förderinstrument an - wieder so ein Wort -: Public Private Partnership, öffentlich-private Partnerschaften beim Aufbau von Forschungsinfrastrukturen. Ich halte dieses Instrument für vielversprechend, um eine erkennbare Lücke zu schließen. Wir werden das unterstützen.
Eine wichtige Säule der Hightechstrategie ist die Internationalisierung der deutschen Wissenschaft und Wirtschaft. Damit komme ich zurück auf den anfangs genannten Punkt aus dem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit: ?Innovationen richten sich zunehmend an den Weltmarktmöglichkeiten aus.“ Besonders stark auf internationale Märkte ausgerichtet sind auch unsere umwelttechnologischen Unternehmen. Hier belegen wir international einen Spitzenplatz, den wir verteidigen müssen.
Lassen Sie mich beispielhaft ein Projekt des Forschungsministeriums aus diesem Bereich nennen, in dem die Ziele unserer Strategie - strategische Kooperationen von Wissenschaft und Wirtschaft und Orientierung auf internationale Märkte - exemplarisch umgesetzt wurden: ?Spree 2011“. Die Spree fließt unmittelbar vor unserer Haustür. Anders als viele vergleichbare Flüsse in Deutschland hat die Spree eine relativ schlechte Wasserqualität. Der Grund: Bei Starkregen läuft das Abwasser aus dem Kanalsystem in die Spree über. Jetzt hat sich ein Verbund aus mehreren mittelständischen Unternehmen und der Technischen Universität Berlin zusammengeschlossen und die Idee entwickelt, mit sogenannten Pontons, künstlichen Inseln, dieses Wasser zu sammeln, Membrankläranlagen in diese Inseln einzubauen und dadurch neue Inseln in der Spree zu gewinnen.
Diese können künftig, wenn wieder Badewasserqualität besteht, zum Beispiel durch Strandcafés für die dann zahlreichen Badegäste genutzt werden.
Dieses Problem der Wasserqualität gibt es aber nicht nur in Deutschland: Die Qualität der Flüsse ist leider weltweit nicht überall in Ordnung.
Deshalb ist dies auch ein Beispiel, wie man gute Ideen aus Deutschland in die weite Welt exportieren kann.
Leider kann ich, weil die Uhr schon blinkt, keine weiteren Beispiele bringen - die es verdient hätten. Entscheidend ist: Wir sollten nicht versuchen, auf gleichem Gebiet und mit gleichen Produkten mit anderen Ländern zu konkurrieren. Unser Vorteil war immer: Wir waren besser, innovativer und erfinderischer. Dass dies so bleibt, muss unser gemeinsames Interesse sein. Dass wir da noch besser werden, muss unser gemeinsames Ziel sein.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollege Priska Hinz, Bündnis 90/Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass der Bundesbericht Forschung in seiner Präambel keine neuen politischen Aussagen enthält, die Bundesministerin in ihrer Rede seltsam nebulös blieb und wieder nur Ankündigungen vorgetragen hat, nichts über die Umsetzung gesagt hat.
Die Hightechstrategie ist zwar gut gedacht, weil damit gebündelt werden soll und Schwerpunkte gesetzt werden sollen; doch sie ist damit noch lange nicht gut gemacht. Denn die dringenden Fragen und Probleme der Gesellschaft erfordern konkrete Antworten. So wäre die Ausrichtung der Forschungspolitik auf den Klimawandel, auf die demografischen Veränderungen, auf die zunehmende Heterogenität der Gesellschaft und auf die Ressourcenschonung dringend notwendig. Doch das lässt die Hightechstrategie vermissen.
Wir brauchen Nachhaltigkeit im Umgang mit Finanzmitteln und der Qualifizierung von Menschen. Die Entwicklung von Rahmenbedingungen, die Forschung und Entwicklung begünstigen, gehört dazu. Die Forschungsprämie für die Kooperation von Hochschulen und Wirtschaft ist ein solcher Baustein. Ich will die Detailkritik, die wir daran üben, jetzt nicht zum dritten Mal vortragen - wir werden sehen, was die Forschungsprämie bringt. Aber klar ist: Deutschland braucht mehr Unternehmen, die hierzulande forschen und in die Entwicklung und Vermarktung ihrer Produkte investieren. Forschung ist hierzulande durchaus attraktiv: Nach den USA und Japan belegen die Deutschen einen Spitzenplatz bei der Anmeldung von Patenten. Aber die Bedingungen dafür, die Forschungsergebnisse zu marktfähigen Produkten und Verfahren weiterzuentwickeln, reichen in Deutschland bei weitem nicht aus, um innovative Unternehmen in Deutschland zu halten oder sie überhaupt entstehen zu lassen. Dafür fehlt nämlich ein ausreichendes Angebot an Wagniskapital.
Wir haben hier einen Antrag eingebracht. Sie hätten schon lange selber einen Gesetzentwurf dafür auf den Weg bringen können. Bislang erfolgt sind nichts als Ankündigungen, auf jeder Veranstaltung, von fast jedem Minister dieser Bundesregierung.
Taten lassen Sie auf diesem Gebiet vermissen. Dabei könnte hier ein neues Kapitel für die Entwicklung und Umsetzung von Innovationen aufgeschlagen werden.
Mit dem, was Sie nun mit der Unternehmensteuerreform vorlegen, widersprechen Sie Ihren Sonntagsreden ebenfalls. Muss es denn ausgerechnet die Forschung sein, die mit dem Gesetz steuerlich erschwert wird? Müssen es ausgerechnet die jungen und innovativen Unternehmen sein, die in Entwicklung investieren wollen? Für sie werden die steuerlichen Bedingungen, Kapital zu erhalten, verschlechtert. Ich bin überzeugt, dass es bessere Wege gibt. Vielleicht - ich habe die Signale von Frau Aigner gehört - bewegen Sie sich; dann müssen Sie das schnell machen, wenn in der nächsten Zeit Investitionen in Deutschland getätigt werden sollen.
Die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehört zur Leistungsfähigkeit unbedingt dazu. Wir haben bereits jetzt einen Fachkräftemangel. Was macht aber die Regierung? Mittlerweile wird offensichtlich, dass durch den Hochschulpakt nicht genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden - er ist unterfinanziert -, um die notwendige Zahl an zusätzlichen Studienplätzen zu finanzieren.
Die Quote der Studienanfänger ist in den letzten drei Jahren von 39 Prozent auf 35,5 Prozent gesunken. Flächendeckend wird der NC eingeführt; die Abiturienten verdrängen die Realschüler von den Ausbildungsplätzen; die Hauptschüler gucken in die Röhre - da kann man doch nicht von einem Land für Bildung, Forschung und Entwicklung sprechen. Hier ist die Bundesregierung gefragt, tatsächlich mehr zu tun; denn, Frau Schavan, Sie sind nicht nur Forschungsministerin, sondern auch Bildungsministerin.
Meine Damen und Herren, auch bei der Nachwuchsförderung tun Sie viel zu wenig. Jetzt wollen Sie zwar ein Programm zur Förderung von Professuren für Frauen auflegen - nachdem Sie vorher alle Mittel für die Programme aus dem Haushalt gestrichen haben, durch die wirklich nachhaltig Strukturen verändert werden sollten -, aber Sie springen hier wieder zu kurz. Feste Zielzahlen und strukturelle Veränderungen sind notwendig, damit sich tatsächlich nachhaltige Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb zugunsten von Frauen ergeben. Es reicht nicht, einfach noch etwas dazuzupacken, während sich der Wissenschaftsbetrieb ansonsten nicht weiter um die Frauen und die Frauenförderung im Bereich des Nachwuchses bemühen muss.
Das BAföG ist ein wichtiges Instrument zur Förderung von Nachwuchs und ein weiterer Zankapfel in der Koalition.
Ich bin einmal gespannt, wie das ausgeht. Man hört nur unterschiedliche Signale. Auch hier ist die Quote der Geförderten stark zurückgegangen. Es wäre für die Wissenschaft in Deutschland dringend notwendig, dass Sie hier einen großen Schritt gehen.
Frau Schavan, Sie sagen in einem Interview, das in dieser Woche erschienen ist, dass man jetzt erst einmal die Studiengebühren richtig einführen muss. Ich richte an Sie die Aufforderung, sich nicht nur darum zu kümmern, ob die Länder jetzt Studiengebühren einführen, sondern auch darum, dass es endlich gescheite Stipendiensysteme gibt, damit es den Studierenden ermöglicht wird, tatsächlich ein Studium zu absolvieren. So könnten wir den Fachkräftemangel beseitigen.
Meine Damen und Herren, einen zweiten großen Fehler neben der Unternehmensteuerreform scheinen Sie bei der Umsetzung der Forscherrichtlinie der EU vorzubereiten. Sie ist von der EU als Initiative für den gemeinsamen Forschungsraum Europa gedacht, von dem Sie heute Morgen gesprochen haben, Frau Schavan.
Was macht aber die Bundesregierung daraus? Forscherinnen und Forscher dürfen dann in die Bundesrepublik, wenn sich die Forschungseinrichtung, an der sie arbeiten sollen, vor der Einreise verpflichtet, eventuelle Abschiebungskosten für diese Forscherinnen und Forscher zu übernehmen. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Dadurch können wir von dem Wissenschaftsaustausch durch Köpfe wirklich nicht profitieren. Das ist doch keine Internationalisierungsstrategie, das ist eine Abschottungsstrategie.
Ich hoffe sehr, dass Sie sich besinnen. Wir werden unseren Beitrag in den weiteren Debatten in den Ausschüssen über die Umsetzung der Forscherrichtlinie leisten.
Unsere Kritik an der Schwerpunktsetzung im Rahmen der Hightechstrategie gilt nach wie vor. Die technische Ausrichtung der Programme ist falsch. Am Beispiel der Forschung für die zivile Sicherheit kann man das besonders gut sehen. Es sollen vor allen Dingen neue Technologien gefördert werden. Um den ökologischen Gesamtzusammenhang, zum Beispiel zwischen den Klimaveränderungen, den Naturkatastrophen, den Bedrohungen aufgrund von Ressourcenknappheit und den Sicherheitsnotwendigkeiten, die daraus entstehen, kümmern Sie sich mit Ihrer Strategie aber viel zu wenig. Die Ursachenforschung und die Weiterentwicklung friedlicher Konfliktlösungsstrategien fehlen völlig, und die Geistes- und Sozialwissenschaften werden immer nur als Anhängsel betrachtet, nach dem Motto: Wir gucken erst einmal, was sich technologisch entwickeln soll, und dann gucken wir, ob die Gesellschaft das auch ertragen kann.
Sie müssen eine integrierte Sicherheitsforschung anstreben, wobei die Beteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften von Anfang an eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Damit haben Sie noch einen langen Weg vor sich.
Als letzten Punkt möchte ich den Klimaforschungsgipfel ansprechen, den Sie heute Morgen bereits lobend erwähnt haben. Eigentlich müssten Sie schon in diesem Jahr die Energieforschung auf die erneuerbaren Energien und deren Vernetzung, Transport und Speicherung ausrichten. Sie müssten mehr Forschungsmittel für den Bereich der klimafreundlichen Mobilität einsetzen. Diese Bereiche müssten auch gesellschaftlich erforscht werden.
Sie haben aber im Wesentlichen nur angekündigt, wieder in die Atomforschung investieren zu wollen. Im Übrigen gibt es bereits ein neues großes Programm zur Fusionsforschung. Das zeigt wieder einmal, auf welcher Seite Sie stehen. Diese Schwerpunktsetzung stellt sicherlich keine nachhaltige Strategie für die gesellschaftlichen Umbrüche und Herausforderungen dar, vor denen wir stehen.
Ich bin der Meinung, dass eine Regierung aus den Fehlern lernen sollte. Für die Forschungspolitik gilt das allemal. Ich hoffe sehr, dass Sie noch umsteuern und sich eines Besseren besinnen, damit die Hightechstrategie in Deutschland zu einem echten Erfolgsmodell werden kann.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Ulla Burchardt, SPD-Fraktion.
Ulla Burchardt (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist festzustellen: Mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm hält die Koalition Wort. Der Bund steht zum 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung und geht in Vorleistung.
Der Kollege Röspel hat völlig recht. Das sage ich mit Blick auf die FDP. Wenn Sie jetzt feststellen, das sei alles nicht genug, und immer mehr fordern, dann muss man daran erinnern, dass Sie der schwarz-gelben Koalition angehört haben, die bis 1998 die Forschungsausgaben heruntergefahren hat.
Wir mussten uns dann bemühen, aus diesem Tief wieder herauszukommen.
Insofern bringen wir als Sozialdemokraten jetzt Nachhaltigkeit in die von der rot-grünen Koalition erfolgreich begonnenen Maßnahmen wie die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung, die Clusterbildung, die Netzwerke und vieles andere.
Mit der ressortübergreifenden Hightechstrategie wird - ich greife gerne ein Bild auf, das die Kollegin Aigner immer verwendet - die nächste Stufe der Rakete gezündet. Wo sie recht hat, sie recht.
Aus dem 6-Milliarden-Euro-Programm fließen 4,5 Milliarden in die Wirtschaft. Das ist ja nicht per se zu kritisieren. Wenn aber die Unternehmen die eigenen FuE-Tätigkeiten am Standort Deutschland real zurückfahren - das belegen die Zahlen des Stifterverbandes -, dann ist das innovationsschädlich und ordnungspolitisch prekär. Wir Sozialdemokraten stehen dazu: Forschungsförderung darf kein Synonym für Subventionen und Wirtschaftsförderung werden. Die Steuerzahler haben ein Anrecht darauf, dass das, was wir zur Forschungsförderung in Unternehmen ausgeben, von den Unternehmen gemehrt wird und sich in einer Rendite für die gesamte Gesellschaft niederschlägt.
In dieser Koalition wollen wir deutsche Marktführerschaften in der Welt weiter ausbauen und knüpfen an unsere strategischen Weichenstellungen zur Förderung von Spitzentechnologien an. Ein besonders gutes Beispiel - das kann ich als Berichterstatterin feststellen - ist die Förderung der Nanotechnologie.
Seit 2004 gibt es die nationale Nanostrategie. Auch deshalb liegt Deutschland mit den USA und Japan an der Weltspitze, was die Publikationen und Patentanmeldungen angeht. In Europa ist Deutschland - das kann man mit Stolz feststellen - mit großem Abstand der Champion im Bereich der Nanotechnologie. 50 000 Arbeitsplätze wurden bis jetzt geschaffen. Vielfältige Produkte wurden als Ergebnis von Innovationen entwickelt. An diese erfolgreiche Strategie knüpfen wir in dieser Koalition an.
Ob Ideen in Produkte, Verfahren und Dienstleistungen umgesetzt werden - das ist die klassische Frage: wie kommt man von der Idee zum Produkt? -, hängt nicht zuletzt von einer klugen ressortübergreifenden Politikstrategie ab, in die die Forschungsförderung als wichtiger Teil eines Instrumentenmix eingebunden ist.
Ich verweise auf ein weiteres erfolgreiches Beispiel, nämlich die Klima- und Energiepolitik der letzten Jahre. Weg vom Öl und von der Atomenergie hin zum Solarzeitalter - das war und ist unser Leitbild -,
mit klaren Zielen für den Ausbau erneuerbarer Energien! Mit dem EEG wurde ein weltweit beachtetes innovatives Förderinstrument geschaffen, das zur Entstehung von über 170 000 neuen Arbeitsplätzen geführt hat.
Bei aller Übereinstimmung in der Koalition, was die Hightechstrategie angeht: Frau Schavan, es gibt von uns die Gelbe Karte, wenn Sie die Atomtechnik als Brückentechnologie zum Ausstieg aus dem Atomausstieg benutzen wollen. Das entspricht nicht dem Koalitionsvertrag.
Das deutsche Innovationssystem ist besser als sein Ruf. Die Kollegen haben darauf schon vielfach hingewiesen. Die größte Schwachstelle ist die mangelnde Leistungsfähigkeit des Bildungssystems. Frau Schavan hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass beispielsweise nahezu 100 000 junge Forscherinnen und Forscher fehlen, um das 6-Milliarden-Euro-Programm tatsächlich realisieren zu können. Daran sieht man, wo die großen Defizite im Innovationssystem bestehen. Deswegen muss die Föderalismusreform II als große Chance einer neuen Innovationspolitik genutzt werden.
Wir brauchen endlich einen Investitionsbegriff im Grundgesetz, der Bildung, Wissenschaft und Forschung nicht länger diskriminiert. Beton wichtiger einzuschätzen als Wissen oder - wie es unser KMK-Präsident Professor Zöllner treffend formuliert hat - die Investition in eine Friedhofsmauer zu erlauben, nicht aber in einen Forschungsbereich, ist vorsintflutlich und entspricht nicht mehr der Wissensgesellschaft.
Nicht nur Forschung, sondern auch Bildung und Wissenschaft brauchen eine ausreichende Finanzierung. Auch Bildung braucht ein klares quantitatives Ziel. Lassen Sie uns im Rahmen der Föderalismusreform II gemeinsam die Chance für einen Paradigmenwechsel in der Innovationspolitik nutzen!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.
Ulrike Flach (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute nicht nur über Forschung und Grundlagenforschung, sondern auch über Technologie und Technologieförderung, also über das, was - so hat es Helmut Kohl einmal formuliert - hinten herauskommen muss, und darüber, wie viel wir in diesem Lande leisten. Frau Schavan, es war klar, dass Sie uns sagen würden, dass die Bundesregierung sehr viel getan habe. Aber, Frau Schavan, ?viel hilft viel“ ist an dieser Stelle nicht das richtige Motto.
Wenn wir zeitnah marktfähige Produkte erhalten wollen, helfen weder Ihre schönen, von uns immer anerkannten Glanzbroschüren zur Hightechstrategie noch die Subventionsgießkannen des Bundeswirtschaftsministers. Das Geld muss effizient eingesetzt werden. Mitnahmeeffekte müssen vermieden und die Projekte konsequent auf ihren Erfolg überprüft werden. Genau hier, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, haben Sie Ihr großes Defizit.
Lieber Herr Tauss, lassen Sie mich das am Beispiel der Luft- und Raumfahrt verdeutlichen; das ist ja Technologie.
Beispiel Airbus. Hier hören wir seit Monaten Krisennachrichten über einen deutsch-französischen Kleinkrieg. Das Problem des Flugzeugbauers EADS ist nicht - wie die Propheten des Staatsinterventionismus immer sagen - zu wenig staatlicher Einfluss, sondern zu viel. Die Konkurrenz schläft nicht. Boeing hat nicht wie Airbus unter einer unflexiblen Firmenstruktur zu leiden. Wie lautet nun die Antwort der Bundesregierung? Mein geschätzter Kollege Hintze, der selten unter Sprachhemmungen leidet, hat uns geantwortet: Wir werden ?alles tun, um die Luft- und Raumfahrtindustrie zu unterstützen“. Lieber Herr Hintze, das ist nicht nur äußerst schwammig, sondern wahrscheinlich auch mehr eine Drohung als eine Verheißung, muss ich als Technologiepolitikerin sagen.
Der Einfluss des Staates auf strategische Unternehmensentscheidungen von Airbus hat eben nicht zu einem besseren Ergebnis bei der Technologieentwicklung und nicht zu Arbeitsplätzen in Deutschland geführt, ein Ziel, das wir alle haben.
Lassen Sie mich noch kurz das nationale Raumfahrtprogramm streifen. Da haben wir ein Schauspiel erlebt, das jeden strategischen Gedanken seitens der Bundesregierung vermissen lässt. Da wird plötzlich aus heiterem Himmel erklärt: Wir alle wollen zum Mond. - Auf unsere Frage, warum wir alle zum Mond wollen,
lautete die Antwort: weil die anderen auch dorthin fahren. Das ist alles andere als eine Hightechstrategie. Das ist einfach nur ein ideenloses Hin und Her.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein Beispiel anführen, das uns alle zurzeit besonders bewegt, ein Glanzstück der deutschen Technologiepolitik: Galileo. Hier hat schon die rot-grüne Bundesregierung den Fehler begangen, nicht entschieden gegen ein Zusammengehen der beiden Bieterkonsortien anzugehen. Sie von Rot-Grün haben in Ihrer Regierungszeit auf dem Rücken der Steuerzahler ein Monopol entstehen lassen.
Was dieses Monopol angeht, schläft die Große Koalition seit 2005 - und jetzt wundert sie sich, dass ihr alles um die Ohren fliegt.
Galileo strotzt vor Ungereimtheiten. Es gibt eine unsinnige Diskussion mit Spanien über ein drittes Bodensegment, das keiner braucht. Deutschland und Frankreich haben bis heute offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen, was Galileo können soll und inwieweit auch eine militärische Nutzung möglich sein soll.
Lassen Sie mich an dieser Stelle Herrn Enders zitieren. Er sagte:
Ich habe noch kein Projekt erlebt, das so stark politisch geprägt war wie dieses.
An dieser Stelle scheint die Politik offensichtlich nicht segensreich zu wirken; genau das Gegenteil ist der Fall.
Herr Hintze, Sie haben noch sehr viel Arbeit vor sich!
Die Beispiele zeigen, dass Sie zwar nach wie vor schöne Hochglanzbroschüren drucken lassen, es Ihnen aber nur schwer gelingt, im Technologiebereich etwas zu bewegen. Trotz aller Reden zum Thema Hightech sind Sie in den letzten Jahren kaum vorangekommen; das zeigen uns die vorliegenden Berichte deutlich.
Frau Schavan, Innovationsförderung muss sich am Erfolg messen, und zwar - da stimme ich Frau Burchardt absolut zu - am Erfolg für die Menschen. Sie haben uns ein Plus von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen versprochen. Nach anderthalb Jahren müssen wir Ihnen sagen: Wir erkennen keine Bewegung. Damit befinden wir uns in guter Gesellschaft mit Herrn Professor Rürup, der das vor wenigen Tagen gegenüber der Öffentlichkeit gesagt hat. Ihre Versprechen sind bisher Makulatur. Ich hoffe, in den nächsten beiden Jahren wird das deutlich besser.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Frau Flach, Sie haben mit Begeisterung von Airbus, vom Mond und von Galileo gesprochen. Das sind faszinierende Themen. Wenn Sie mit Ihrer Kritik die Hightechstrategie der Bundesregierung angreifen wollen, geht das ein bisschen am Zentrum vorbei.
Die Hightechstrategie ist eine Strategie - Frau Schavan hat darauf hingewiesen -, die im europäischen Kontext betrachtet werden muss. Wir haben den Ehrgeiz - darüber sind wir uns einig -, Teil des dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraums der Welt zu werden. - Dazu hat Frau Flach eine Frage. Es scheint ein Verständnisproblem zu sein. Intellektuelle Probleme räumen wir sofort aus; über politische Probleme müssen wir diskutieren.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich mache aber gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass ich serienweise bestellte Zwischenrufe weder aus den Reihen der Koalition noch aus den Reihen der Opposition zuzulassen gedenke. Das ist insofern jetzt die einsame Ausnahme. Bitte schön, Frau Flach.
Ulrike Flach (FDP):
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Sie haben den Finger in die Wunde gelegt. Ich höre Herrn Riesenhuber einfach so gern.
Herr Professor Riesenhuber, es ist Ihnen doch sicherlich bekannt, dass die Luft- und Raumfahrt ein Leuchtturmprojekt der Hightechstrategie ist. In diesem Zusammenhang müssen wir leider darüber reden, dass in den letzten Monaten vieles gegen die Wand gefahren worden ist. Darüber sind wir uns normalerweise einig, lieber Herr Professor Riesenhuber.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Liebe Frau Flach, wir beide haben mit sorgsam verteilten Rollen bei den zuständigen Stellen mehrfach mit Herzlichkeit angemeldet, dass Galileo nicht mit glücklicher Hand gemanagt worden ist. Wir haben hier vorzügliche europäische Institutionen, bei denen Manager antreten, über die wir alle nicht uneingeschränkt glücklich sind; und leider ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wenn wir keine Geschäftsmodelle haben, steigt die Industrie nicht ein, weil sie nicht weiß, ob das Geld zurückkommt. Über all diese Punkte haben wir mit Fleiß, Sachkenntnis und Entschlossenheit diskutiert.
Hier aber geht es um die Frage der Gesamtanlage der Hightechstrategie. Dazu muss ich sagen: Für den Weg in diese komplexe, wissensbasierte Welt, über die wir sprechen, hat die Bundesregierung ressortübergreifend eine einzigartige, integrierte Strategie angemeldet, und das war mit einer solchen Entschlossenheit und Einmütigkeit bis jetzt noch nicht der Fall gewesen.
Es ist von verschiedenen Rednern darauf hingewiesen worden, welche Elemente umgesetzt worden sind, die konstitutiv für die nächste Runde sein werden: die zusätzlichen 6 Milliarden Euro, die Planungssicherheit geben, die zugesagten Steigerungsraten im Bereich der Grundlagenforschung, das Konzept des Wirtschaftsministers, ein technologieoffenes Förderprogramm für den Mittelstand mit schnellen Bearbeitungszeiten einzustellen. Dies alles sind vernünftige und integrierte Elemente, eingebunden in ein Gesamtkonzept. Dass es darüber hinaus noch eine Menge offener Baustellen gibt, wissen wir. Wenn wir nichts mehr zu tun hätten, könnten wir nach Hause gehen. Wir sind dabei, die Sache mit einem sorgsam angelegten Konzept aufzubauen.
Die Frau Ministerin sprach von der Schwierigkeit und auch der Chance, in vier Ressorts Energieforschung zu betreiben. Es ist eine Kunst, diese Forschung zu einer Strategie zusammenzuführen, in der sich die Kompetenzen der einzelnen Ressorts wirklich auswirken können und die Forschung auch umgesetzt wird.
Die Hightechstrategie spricht von Querschnittsbereichen, die zu organisieren schwierig, aber lebensnotwendig ist. Ich nenne die Stichworte innovative öffentliche Nachfrage, Normen und Standards; die Frage der Abstimmung reicht bis hin zu den Finanzstandards. Frau Hinz hat das Wagniskapital zu Recht angesprochen. Zu dieser Stunde tagt das Gremium, das die Eckpunkte des Unternehmensbeteiligungsgesetzes berät. In der letzten Debatte, die wir leider aufgrund Ihres schönen Antrags nicht Auge in Auge führen konnten - nachts um vier diskutiert man nicht mehr so lebendig -,
sind wir uns in vielen Positionen einig gewesen. Wir sind der festen Überzeugung, dass, weil wir die jungen Unternehmen brauchen und weil wir mehr Wagniskapital brauchen, die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hightechstrategie die Voraussetzungen dafür schafft, dass sich in Deutschland Schwung und Dynamik weiter entwickeln können.
Zu dieser Stunde, während wir hier diskutieren, sind wir dabei, dies zu tun. Nicht alle tun alles zugleich, aber mit verteilten Rollen bringen wir Deutschland sehr gut voran.
Es stellt sich die Frage, wie wir die Forschung zurück in die Universitäten verlagern. Wenn die Fusion des Forschungszentrums Karlsruhe mit der Universität zum Karlsruhe Institute of Technology, KIT, gelingt, dann haben wir plötzlich wieder eine neue Qualitätseinrichtung voll strahlkräftiger Forschung und Lehre an einer Stelle.
Es stellen sich hier Fragen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Dabei beziehe ich Galileo durchaus mit ein. Wir sind hier weitergekommen und haben die richtigen Ansätze. Wir sind das Land der Ideen.
- Wenn Sie dem Präsidenten mitteilen, dass Sie mir zusätzliche zehn Minuten Redezeit Ihrer Fraktion überlassen, dann halte ich hier eine flammende Rede über die Erfolge.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Daran hat niemand Zweifel, Herr Kollege Riesenhuber. Deswegen wird die Opposition auch keine weiteren zehn Minuten zur Verfügung stellen.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Das ist sehr schmerzlich.
Was haben wir jetzt noch zu tun? Ich muss sagen: Frau Schavan spricht sanft, behutsam und mit liebenswerter Keuschheit die Fragen an.
Sie sagt hier - das finde ich gut -, Steuerpolitik sei auch Innovationspolitik. Ich lese in einem Dokument der Bundesregierung, dass wir steuerliche Instrumente der Forschungsförderung erwägen wollen.
Ich höre von Frau Schavan, dass sie die Auswirkungen der Forschungsprämie beobachtet und überlegen will, welche weiteren Instrumente man hier ansetzen kann. Mir scheint das eine faszinierende Debatte zu sein.
Wir haben die Frage der Tax-Credits gelegentlich in diesem Haus diskutiert. Wir haben das schon vor mehreren Jahren vorgeschlagen. Aber mir scheint dieser Zeitpunkt jetzt - das finde ich faszinierend - besonders günstig zu sein. Da greife ich einer komplexen Diskussion nicht vor. Wir haben eine ausdifferenzierte Forschungslandschaft. Dieses flexible Instrument - unbürokratisch, verlässlich für den Unternehmer, technologieoffen, perspektivisch angelegt - kann dazu beitragen, für Dynamik und Entfesselung in denjenigen Bereichen zu sorgen, in denen wir noch nicht so stark sind, wie wir es sein könnten. Die mittelständischen Unternehmen haben ihre Forschung in den vergangenen Jahren nicht mit der Dynamik ausgebaut, die wir brauchen. Wir haben gelernt, dass wir das Land der Ideen sind. Aber die Umsetzung in Produkte und der Eintritt in die Märkte sind nicht immer ganz glücklich gelaufen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Es scheint mir eine faszinierende Sache zu sein, die Fülle der Möglichkeiten zu bedenken und sie mit Entschlossenheit und ohne Hurrapatriotismus zu nutzen.
Der Staat soll die Zukunft nicht erfinden, der Staat ist nicht kreativ.
Wenn er versucht, kreativ zu sein, irritiert er die Menschen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Riesenhuber, ich bin über Ihre Zuwendung deswegen ganz besonders begeistert, weil ich weiß, dass Sie sich den Hinweis auf solche Kleinigkeiten wie Redezeiten bei diesem großen Blick auf die Welt und ihre aktuelle Verfassung nur schwerlich gefallen lassen.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Ja.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gleichwohl ist es so, wie es ist.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Herr Präsident, Sie sehen die richtige Relation zwischen der Redezeit und der Welt in ihrer aktuellen Verfassung.
Das ist eine Disproportionalität, die wir überbrücken müssen.
Wir können nicht kreativ sein. Wir sollten verlässlich sein, einen sauberen Rahmen setzen und gute Bedingungen schaffen. Wir sollten es den Männern und Frauen, die Ideen haben, überlassen, den Raum zu nutzen und mit fröhlichem Unternehmungsgeist die Welt für uns neu zu erfinden, sodass wir gemeinsam in eine frohgemute Zukunft schreiten können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Riesenhuber, ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass Sie Ihren Vortrag diesmal ganz überwiegend in unmittelbarer Nähe des Rednerpultes gehalten haben.
Ich hatte nämlich schon Vorkehrungen treffen lassen: Einige der Plenarassistenten haben sich an den Türen aufgestellt, um sicherzustellen, dass wir der Bestimmung der Geschäftsordnung gerecht werden, dass die Verhandlung im Deutschen Bundestag stattfindet.
Nun erhält das Wort der Kollege Klaus Hagemann für die SPD-Fraktion:
Klaus Hagemann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Thema Forschung geht es nicht um liebenswerte Lyrik, um den Zustand der Welt
- oder um Keuschheit -, sondern um harte Fakten: Wir haben uns verpflichtet, 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes für Forschung und Entwicklung aufzubringen.
Wir, Deutschland, liegen bei etwa 2,5 Prozent. Es geht darum, diesen Wert um einen halben Prozentpunkt zu erhöhen, damit wir unseren Verpflichtungen innerhalb der Europäischen Union nachkommen.
Aufzubringen sind immerhin zusätzlich circa 50 Milliarden Euro. Die Hälfte davon, also etwa 25 Milliarden Euro, hat die Wirtschaft aufzubringen. Etwa 6 Milliarden Euro muss der Bund und ebenfalls 6 Milliarden Euro müssen die Länder bereitstellen. Heute wurde schon mehrfach gefragt: Werden diese Ziele erreicht? Ich habe die große Sorge, dass dieses Ziel nicht erreicht wird.
Wird die Wirtschaft ihre 2 Prozent schaffen, Frau Flach? Die Wirtschaft soll den größten Beitrag leisten - das ist der Hauptpunkt -:
24 bis 25 Milliarden Euro.
Eine Studie des ZEW, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, besagt: Die Initiativen des Bundes haben sich in der Wirtschaft noch nicht durchgreifend niedergeschlagen. - Ich bitte die FDP als wirtschaftsnahe Partei, einen entsprechenden Appell an die Wirtschaft zu richten.
75 Prozent der Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, fließen in die Wirtschaft. Damit sollen Anstöße für Forschung und Entwicklung gegeben werden.
Hier ist schon wieder über steuerliche Entlastungen im Rahmen der Unternehmensteuerreform geredet worden. Ich muss darauf hinweisen, dass es in den zurückliegenden Jahren bereits eine Reihe von Steuerentlastungen gegeben hat.
Zu einer erneuten Steuerentlastung wird es so bald nicht kommen. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform werden wir wiederum für weitere Entlastungen der Wirtschaft sorgen.
Es wurde schon herausgestellt, dass Deutschland auf dem Gebiet der Grundlagenforschung gut dasteht. Das ist richtig so, und dazu tragen wir, der Bund, erheblich bei. Aber erhebliche Probleme gibt es doch bei der Umsetzung der Ergebnisse in Produkte und in Verfahren. Auf den MP3-Player wurde schon hingewiesen: Seine Entwicklung wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft und damit auch durch Steuermittel gefördert. Allerdings ist in Deutschland niemand auf die Idee gekommen, MP3-Player zu produzieren.
Zwischenzeitlich steht auch Wagniskapital zur Verfügung. Die KfW, die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, stellt Mittel zur Verfügung, um Risiken abzudecken, Frau Flach. Davon wird nur kein Gebrauch gemacht, bzw. die Hausbanken sperren sich dagegen. Ich könnte Ihnen schlimme Beispiele aus meinem Wahlkreis nennen.
Was EADS angeht, Frau Kollegin, haben bisher die Aktionäre profitiert; denn sie haben 500 Millionen Euro an Dividenden bekommen. Auch das sollte man noch einmal herausstellen.
Galileo, verehrte Frau Kollegin, ist natürlich in erster Linie an der Privatwirtschaft gescheitert.
Ich bin dankbar, dass Minister Tiefensee in dieser Frage jetzt die Notbremse gezogen hat und der Kommission etwas Druck gemacht wird, damit Entscheidungen gefällt werden. Ich bitte Sie, Frau Ministerin Schavan, dass auch Sie - oder die Frau Bundeskanzlerin - in Ihren Wirtschaftszirkeln, zum Beispiel in der Forschungsunion, entsprechend Druck machen, damit die feierlichen Verpflichtungen in den schönen Hochglanzbroschüren seitens der Wirtschaft umgesetzt werden. Das Gleiche gilt übrigens für die Länder; das möchte ich mit Nachdruck hervorheben.
- Kein Einziger ist auf der Bundesratsbank. Das ist fast schon skandalös bei diesem Thema.
Wir haben versucht, in diesem Zusammenhang die neuesten Zahlen über die Forschungsmittel der Länder zu bekommen. Mein Büro hat sich zwei Tage lang bemüht, ist aber nicht an die Zahlen herangekommen. Die vorhandenen Zahlen über den Anteil der Länder sind zwei Jahre alt; sie stammen aus dem Jahr 2005.
Auch wir als Bund sind betroffen. Wir stellen gern das Geld zur Verfügung. Im Haushaltsausschuss haben wir darüber sehr heftig diskutiert; die Strategie wurde begrüßt. Aber die Gelder müssen natürlich abgerufen und verausgabt werden. Ich bitte Sie, die entsprechenden Konzepte voranzubringen.
Wir werden in der nächsten Sitzungswoche den ersten Bericht in Bezug auf die Hightechstrategie diskutieren. Da hoffe ich, noch mehr Antworten auf die Fragen zu bekommen, die im Mittelpunkt stehen. Die Forschungsprämie und die Exzellenzinitiative sind beispielsweise zu erwähnen. Wir wollen wissen, wie diese Programme laufen, was - zusätzlich - bewirkt wurde und welche konkreten Konzepte das BMWi und das BMBF vorzuweisen haben.
Das 3-Prozent-Ziel ist kein Selbstzweck. Wir wollen damit vielmehr einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes, aber auch Europas leisten.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Axel Fischer, CDU/CSU-Fraktion.
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass heute hier im Hause bei dem Thema Hochtechnologiestrategie - oder neudeutsch: Hightechstrategie - die positiven Beiträge weit überwogen haben.
Es ist ein großer Fortschritt, dass wir wieder verstärkt über Chancen reden, fest ins Auge fassen, was uns morgen Vorteile bringt, und nicht länger Unheil heraufbeschwören, was uns am Ende vielleicht gar nicht droht. Die Blütezeit fruchtloser Angstdebatten über potenzielle Risiken der technologischen Entwicklung scheint jedenfalls endlich vorbei zu sein. Das Klima für Forschung und Innovationen hat sich gewandelt und wandelt sich weiter positiv.
Auch politisch können wir, können die Menschen im Land die Vorteile dieses Wandels hautnah spüren und die Früchte quasi mit Händen greifen. Die Zukunft gewinnt nicht, wer die Vergangenheit konserviert. Wer rastet, der rostet. Wer nicht strampelt, der fällt zurück. Deshalb müssen Chancen und Risiken der Forschung gewissenhaft abgewogen werden.
Dem Wunsch der Fraktion der Grünen nach Technikfolgenabschätzung kann daher entsprochen werden. Wir praktizieren dies ohnehin bereits seit Jahren erfolgreich, nicht wahr, Frau Burchardt?
Aber wenn Technikfolgenabschätzung draufsteht, muss auch Technikfolgenabschätzung darin sein, worauf Kollege Krummacher immer großen Wert.
Positive Neuerungen dürfen nicht durch Risikodiskussionen unnötig behindert werden. Im Gegenteil: Vorhandene und absehbare Chancen müssen angemessen einbezogen und entsprechend nach außen transportiert werden.
Meine Damen und Herren, wir müssen verantwortungsvoll mit unserem Können und mit unseren wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten umgehen. Dies gilt insbesondere für die Energieerzeugung. Es kann nicht unser Ziel sein, die Erfolge Deutschlands beim Klimaschutz zu erschweren; denn wir haben eine Verantwortung für die Schöpfung.
Die Kernkraft zum Beispiel ermöglicht eine kostengünstige und klimafreundliche Energieerzeugung.
Sie steht in Deutschland derzeit für mehr als 75 Prozent der CO2-freien Stromerzeugung.
Zudem wirkt sie einer Verknappung der Öl-, Gas- und Kohlevorkommen entgegen.
Frau Hinz, Sie haben vorhin behauptet, der Kernfusion werde in der Energieforschung eine zu große Bedeutung beigemessen.
Diese Behauptung ist angesichts des Entwicklungspotenzials dieser Energieumwandlungsform unverständlich.
Was glauben Sie eigentlich, warum sich die Europäische Union, die Schweiz, Japan, Russland, die Volksrepublik China, Südkorea, Indien und die USA gemeinsam im Rahmen des ITER-Projekts engagieren? Warum investieren all diese Länder Geld und wollen in internationalen Kooperationen Wege zur wirtschaftlichen Nutzung der kontrollierten Kernfusion aufzeigen? Was gewinnen wir denn, wenn wir uns hier zurückziehen und uns auf wissenschaftlichem Gebiet isolieren?
Was konkret gewinnen wir, wenn wir uns aus der Forschung im Hinblick auf Kernkraftwerke der vierten Generation ausklinken? Nichts! Genau deshalb müssen wir unsere Wissenschaftler und unsere Unternehmen an diese neu entstehenden Technologien heranführen. Nicht durch Abkopplung unserer Wissenschaft vom internationalen Standard oder durch deutsche Sonderwege werden wir am weltweiten technologischen Fortschritt teilhaben, sondern nur durch Mitmachen.
Unsere Unternehmen und unsere Wissenschaft müssen an vorderster Stelle mit dabei sein.
Da Sie immer von der Vorreiterrolle sprechen,
sage ich Ihnen: Wir dürfen uns bei internationalen Projekten nicht in die Schmollecke stellen oder uns gar klammheimlich vom Acker machen.
Denn wir sind es unseren Kindern schuldig,
dass wir ihnen die gleichen Entwicklungschancen hinterlassen, die auch wir vorgefunden haben. Mit der technologischen Leistungsfähigkeit eines Entwicklungslandes jedenfalls werden wir mit Sicherheit keine gute Zukunft haben. Vor diesem Hintergrund ist es in höchstem Maße unredlich, Investitionen in die Kernforschung schlechtzureden. Im Gegenteil, wir müssen die Chancen und die ökologischen, ökonomischen und sozialen Vorteile der technologischen Weiterentwicklung dieser Schlüsseltechnologie betonen.
Es ist ebenfalls unredlich, die hervorragenden Ergebnisse des Klimaforschungsgipfels, der in der letzten Woche stattgefunden hat, kleinzureden. So zu tun, als habe die damalige Bundesregierung unter dem Autokanzler vorbildhaft gearbeitet und als stehe die jetzige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel auf der Bremse, ist einfach nur lächerlich. Sie hatten sieben Jahre lang Zeit, eine Forschungsstrategie im Hinblick auf das Klima zu entwerfen. Nichts ist geschehen.
Bis zum Herbst dieses Jahres, also nach weniger als zwei Jahren Regierungstätigkeit, will Bundesforschungsministerin Schavan konkrete Ergebnisse vorlegen. So sieht die Realität aus. Das ist erfolgreiche Realpolitik.
Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft wird immer bedeutender. Deshalb ist die Verschmelzung des Forschungszentrums Karlsruhe und der Universität Karlsruhe zum KIT, zu einer Art MIT, ein hervorragender Schritt, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich Wissenschaft, Wirtschaft und Staat endlich gemeinsam an der Erforschung, Entwicklung und Fertigung von Produkten beteiligen. In dieser Richtung muss die Arbeit der Bundesregierung fortgesetzt werden. Wir unterstützen Frau Schavan auf diesem Kurs und freuen uns, dieses Thema in der Großen Koalition gemeinsam voranzubringen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun spricht die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.
Ute Berg (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehe jetzt nicht auf die Rede von Herrn Fischer ein.
Denn dann müsste ich so viel sagen, dass ich für meinen eigenen Text zu wenig Zeit hätte. Ich glaube allerdings, meine Rede ist erfreulicher.
Wer samstags durch die Straßen zieht, sieht häufig leidenschaftlich putzende Männer
- wohlgemerkt, sie putzen ihre Autos. Insbesondere die Felgen gelten als hartnäckige Schmutzmagneten, die schon manchen stolzen Autobesitzer in Rage gebracht haben. Doch - eine erfreuliche Nachricht - das ist bald passé. Eine Firma aus Herford hat dieses Problem erkannt und bei der Suche nach einer Lösung die Universität Paderborn um Hilfe gebeten. Dort hat man sich im Fachbereich Chemie mit dem Problem beschäftigt und einen Lack erfunden, der Autofelgen quasi immun gegen Schmutz macht. Der Clou dabei: Der Lack wehrt insbesondere Eisenstaub ab, der von den Bremsscheiben stammt und als hartnäckig gilt.
Der neue Lack ist den sich derzeit im Handel befindlichen Produkten ganz klar überlegen und wird von der Herforder Firma mittlerweile auch vermarktet.
Solche Beispiele zeigen: Unternehmen, die mit Wissenschaftlern kooperieren, die Forschung und Entwicklung betreiben, haben im Wettbewerb die Nase vorn. Das ist auch der Grund, warum wir anwendungsnahe Forschung und Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft fördern. Dafür investieren wir eine Menge Geld. Insgesamt 15 Milliarden Euro fließen in den nächsten Jahren in die Hightechstrategie. Ein großer Teil davon kommt direkt der Wirtschaft zugute, insbesondere dem Mittelstand.
Das tun wir nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil wir damit einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen verfolgen. Unsere Förderung unterstützt Wirtschaftswachstum, zukunftssichere Arbeitsplätze und schafft damit auch ein solides Fundament für unseren Sozialstaat. Da das Beschäftigungswachstum in innovativen Firmen fast viermal so hoch ist wie in anderen, konzentrieren wir unsere Unterstützung natürlich genau auf diesen Bereich.
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, fordern in Ihrem Antrag für die Wirtschaft - ich zitiere - ?eine indirekte FuE-Förderung“, die ?zielgenau auf den Ausgleich bestehender Schwächen ... ausgerichtet“ ist und ?effizient, flexibel, bedarfsgerecht und unbürokratisch“ ist. Ich kann Ihnen heute eine freudige Nachricht übermitteln: Genau das gibt es bereits
mit der indirekten Förderung für den Mittelstand durch das Wirtschaftsministerium, im Übrigen einem wesentlichen Bestandteil der Hightechstrategie. Knapp 600 Millionen Euro fließen allein dieses Jahr in diesen Bereich.
Mit unseren Investitionen erreichen wir zudem, dass die Wirtschaft in diesem Bereich zusätzlich investiert, zum Beispiel bei ProInno: 1 Euro Innovationsförderung vom Staat macht 2 Euro an Investitionen aus der Wirtschaft locker.
Solche Programme haben eine enorme Hebelwirkung. Die Evaluation bescheinigt ihnen eine hohe Effizienz.
Zurzeit wird im Wirtschaftsministerium daran gearbeitet, das breite Förderangebot für Unternehmen noch übersichtlicher und serviceorientierter zu gestalten.
Ein Problem beschäftigt uns aber sicherlich alle momentan. Das wurde schon von einigen geäußert; nur Frau Pieper hat da die Augen ein bisschen zugemacht. Wir, der Bund, haben die Notwendigkeit erkannt, auf technologische Erneuerungen zu setzen, und 6 Milliarden Euro auf unsere FuE-Ausgaben draufgepackt.
Aber die Unternehmen ziehen noch nicht genug mit; das wurde eben schon mehrfach erwähnt.
Dabei sind die Chancen, die sich auch für die Wirtschaft durch Forschung und Entwicklung und neue Technologien ergeben, doch so eindeutig. Sie liegen auf der Hand. Nehmen wir zum Beispiel die Energietechnologien. Da verfügen wir bei den erneuerbaren Energien über eine dominante Patentposition weltweit. Das macht sich wirtschaftlich bezahlt. Deutsche Hersteller von Kraftwerkstechnik, Windkraftanlagen und Solartechnik sind in der Welt führend. Das ist beispielgebend für andere Bereiche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnis, dass die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands über die Zukunft unserer Industrie- und Wissensgesellschaft entscheidet und damit über Wohlstand und Teilhabechancen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, hat sich inzwischen fast überall durchgesetzt. Dafür zu sorgen, dass wir in eine gute Zukunft gehen, ist Aufgabe von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Lassen Sie uns gemeinsam weiter beherzt daran arbeiten!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Thomas Oppermann von der SPD-Fraktion ist der letzte Redner in dieser Debatte.
Thomas Oppermann (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner kann ich nur feststellen: Es ist vieles gesagt worden, aber noch niemand hat die Debatte zusammengefasst.
Man kann das, ohne alle Belege, die dafür erbracht worden sind, noch einmal anzuführen, sicherlich in einem Satz machen: Die deutsche Forschung ist schon heute besser, und ihre internationale Wertschätzung ist schon heute größer, als es die eine oder andere politisch inspirierte Diskussion der vergangenen Jahre uns nahezulegen versucht hat.
Das ist natürlich auch ein hervorragender Ausgangspunkt, um noch besser zu werden.
Als jemand, der in den letzten zehn Jahren die Forschungsdebatte verfolgt hat und die Forschungspolitik teilweise auch mitgestalten durfte, bin ich erstaunt, wie viel in Deutschland im Augenblick gleichzeitig umgesetzt wird: Wir machen die Hightechstrategie und den Pakt für Forschung und Innovation; wir führen die Forschungsprämie und Vollkostenfinanzierung ein; die Exzellenzinitiative mit Graduate-Schools, Exzellenzclustern und Eliteuniversitäten ist auf dem Weg; Juniorprofessuren wurden eingeführt; wir machen ein European Research Council mit Pionierforschung - so etwas hätte ich mir vor zehn Jahren im Rahmen der EU nie vorstellen können -,
und wir befinden uns inmitten der Umsetzung der Lissabonstrategie. Das alles passiert jetzt. Es wäre - das muss man bei aller Fairness sagen - ohne die Reformdebatte der letzten zehn Jahre und ohne die Arbeit der Vorgängerregierung von Rot-Grün nicht möglich gewesen, so viel in so kurzer Zeit in Deutschland auf einmal zu machen. Viele Konzepte sind da schon entwickelt worden.
Es belegt aber auch die enorme politische Durchsetzungskraft der Großen Koalition, die ja nicht an jeder Stelle so leicht wie hier ins Auge fällt.
Wir werden allerdings auch mit der Hightechstrategie Deutschland nicht wieder dahin bringen können, wo es einmal stand. Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als der Glaube an den Zusammenhang von wissenschaftlichem Fortschritt und Wohlstandsbildung noch ungebrochen war und in Deutschland grundlegende Erkenntnisse wie die Relativitätstheorie oder die Quantenmechanik entwickelt wurden, waren wir im Grunde genommen in den Natur- und Technikwissenschaften international unangefochten die Nummer eins. Dahin kommen wir nicht so ohne Weiteres wieder hin, weil die anderen - das muss man zur Kenntnis nehmen - inzwischen viel besser geworden sind. Das schaffen wir nur mit vereinten Kräften im Rahmen der Europäischen Union.
Die Europäische Union kann zur Nummer eins in Forschung, Entwicklung und Innovation werden, aber nur, wenn wir die Lissabonstrategie umsetzen. Das ist schwierig, wie wir wissen. Der Bund schafft es, die Länder schaffen es kaum; auch die Wirtschaft schafft es bis 2010 nicht, die 2 Prozentpunkte beizubringen. Am 1. Mai haben wir gesagt: Der Aufschwung muss ein Aufschwung für alle werden, auch für die Arbeitnehmer. Heute können wir hinzufügen: Der Aufschwung, den wir im Augenblick haben, muss auch zu einem Aufschwung von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen führen.
Angesichts der Tatsache, dass die Länder es nicht schaffen, ihren Anteil von 0,5 Prozentpunkten aufzubringen, dürfen wir uns nicht zufrieden zurücklehnen und mit dem Finger auf sie zeigen.
Auch auf europäischer Ebene wird es nicht möglich sein, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen, wenn wir auf Länder wie Rumänien, Bulgarien, Malta oder Zypern warten, bei denen der Anteil für diese Ausgaben irgendwo bei 0,5 Prozent liegt. Da muss, wie ich denke, der Exportweltmeister eine Führungsrolle übernehmen.
Wenn wir das 3-Prozent-Ziel bis 2010 erreichen, dann sollten wir uns für den Zeitraum bis 2020 vornehmen, einen Anteil von 3,5 Prozent zu erreichen.
Ich möchte noch drei Anmerkungen machen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die müssen aber knapp sein, Herr Kollege.
Thomas Oppermann (SPD):
Seien Sie großzügig, Herr Präsident.
Ich war durch wochenlange Gefangenschaft im Untersuchungsausschuss gehindert, hier im Plenum zu reden.
Die erste der drei Bemerkungen zur Exzellenzinitiative: Frau Pieper, Sie sagten, dass Sie Strategien vermissten. Mit der Exzellenzinitiative überwindet die deutsche Forschung eine bis dahin eklatante strategische Schwäche. Die Versäulung der deutschen Forschung in Max-Planck-Institute, Fraunhofer-Institute usw. bedeutete ja nichts anderes als der Auszug der Spitzenforschung aus den Hochschulen. Jetzt kehrt sie zurück. Schauen Sie sich einmal die ganzen Anträge zur Exzellenzinitiative an, die Cluster und die Zukunftskonzepte. Die außeruniversitäre Forschung kommt zurück und verbündet sich mit der Hochschulforschung. Wir haben wieder exzellente internationale Forschungszentren in den Universitäten. Das heißt, wir überwinden eine strategische Schwäche, ohne eine vorhandene Stärke, nämlich die Eigenständigkeit zum Beispiel der Max-Planck-Institute und der Fraunhofer-Institute, aufzugeben.
Zwei weitere kurze Bemerkungen. Wir müssen zwei Probleme lösen, zwei Lücken schließen. Die erste ist die Spitzentechnologie- und Innovationslücke. Die FDP hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, dass wir genau in den Bereichen der Spitzentechnologie, wo die Wertschöpfungspotenziale am größten sind, noch Schwächen in Bezug darauf haben, die wissenschaftlichen Erkenntnisse wirtschaftlich verwertbar zu machen. Wir brauchen den Innovationsfonds. Wir müssen im Rahmen der Hightechstrategie eine Lösung finden.
Die zweite Lücke, die geschlossen werden muss, ist die Mittelstandslücke. 88 Prozent der Mittel für Forschung und Entwicklung werden von Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten aufgewendet. Die Forschungsinvestitionen der KMU machen 12 Prozent der Gesamtinvestitionen der Wirtschaft aus. Das ist zu wenig. Angeblich gehen auch noch 40 Prozent der Aufträge ins Ausland. Die Forschungsprämie ist eine erste Antwort darauf. Wir müssen prüfen, ob wir noch weitere Maßnahmen ergreifen müssen, um dem Mittelstand Forschung und Entwicklung zu ermöglichen.
Jetzt komme ich zu meiner Schlussbemerkung, Herr Präsident. Es genügt nicht, die noch vorhandenen Lücken zu schließen. Es reicht nicht aus, den Instrumentenkasten zu vervollständigen, die Instrumente zu schärfen und Milliarden Euro zu mobilisieren. Wir müssen in diesem Land auch das Denken und die Einstellungen der Menschen verändern. Wir müssen vor allem die immer noch verbreitete Angst vor Technik überwinden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie wollten eine Schlussbemerkung machen, Herr Oppermann.
Thomas Oppermann (SPD):
Wir brauchen in den Schulen und Hochschulen, in den Unternehmen und Forschungseinrichtungen mehr Innovationskultur, mehr Risikobereitschaft und mehr Unternehmergeist. Die SPD wird sich in ihrem neuen Grundsatzprogramm dazu bekennen. Wir wollen neue Wertschöpfungen durch technischen Fortschritt und auf diese Weise die Voraussetzungen für ökonomischen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in Deutschland erhalten und verbessern.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Kollege Oppermann, um allzu weitreichenden Schlussfolgerungen vor allen Dingen anderer Kolleginnen und Kollegen vorzubeugen, weise ich darauf hin, dass die Mitgliedschaft im Untersuchungsausschuss keinen Anspruch auf zusätzliche Redezeiten im Plenum begründet. Nehmen Sie den Zuschlag als ganz persönliche Sympathiebekundung.
- Ebendrum. - Deswegen trage ich den eingeräumten Zuschlag gar nicht vor. Sie können sich im Präsidium erkundigen, wie wir das gehandhabt haben.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen zu den Vorlagen, zunächst zu den Tagesordnungspunkten 22 a und 22 b. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/3910 und 16/4863 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. - Dann ist das so beschlossen.
Zum Tagesordnungspunkt 22 c. Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf der Drucksache 16/3546 zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung über den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006, Drucksache 16/1245, über den Bericht zum 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung, Drucksache 16/1400, sowie über die Hightechstrategie für Deutschland, Drucksache 16/2577, und zu weiteren Vorlagen.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unterrichtungen den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1546 mit dem Titel ?Die technologische Leistungsfähigkeit mit dem 6-Milliarden-Euro-Programm und der High-Tech-Strategie stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist diese Beschlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unterrichtungen den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/2628 mit dem Titel ?Forschungsprämie zur besseren Kooperation von Wissenschaft und Klein- und Mittelunternehmen (KMU) zügig umsetzen“ anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition angenommen.
Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unterrichtungen den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1532 mit dem Titel ?Innovationen brauchen Freiheit - Für mehr Arbeit und Wohlstand“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Auch hier ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis dieser Unterrichtungen den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2083 mit dem Titel ?Innovationen durch Investitionen - Sonderprogramm für die Wissenschaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirtschaft (Forschungsprämie)“ abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5, in Kenntnis der schon mehrfach erwähnten Unterrichtungen den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2621 mit dem Titel ?Technologiepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten“ abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung
- Drucksachen 16/1009, 16/4675 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
V-Leute in der NPD abschalten
- Drucksache 16/4631 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus dauerhaft verankern und Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung berücksichtigen
- Drucksache 16/4807 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste aus antifaschistischen Organisationen und Verbänden, die wir heute eingeladen haben! Neofaschistische Propaganda und Gewalttaten haben einen neuen Höchststand erreicht. In den Parlamenten von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern verbreitet die NPD menschenverachtende Hetze. Auf den Straßen richten ihre Fußtruppen Terror gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Einen Augenblick, bitte! Ich bitte diejenigen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen können oder wollen, ihre anderweitigen Verpflichtungen außerhalb des Plenarsaals wahrzunehmen und - soweit sie der Debatte im Plenarsaal doch folgen wollen - die dafür hinreichend verfügbaren Sitzplätze zu benutzen. - Wir warten, bis wir das realisiert haben. - Bitte schön, Frau Jelpke.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Sinn unserer Großen Anfrage war es, diese Entwicklung so gründlich wie möglich zu erforschen. Die Linke will, dass Neofaschismus in diesem Land bekämpft werden kann.
Die Antworten der Bundesregierung sind jedoch extrem knapp. Oftmals hat sie trotz des Einsatzes von V-Leuten in dieser Partei überhaupt keine Erkenntnisse.
Wir wollen Aufklärung und wir wollen Konzepte gegen rechts. Stattdessen präsentiert uns die Regierung eine Mischung aus Oberflächlichkeit, Ignoranz und Verharmlosung. Diese Antwort, auf die wir ein Jahr lang warten mussten, hinkt weit hinter den Notwendigkeiten her.
Ein Beispiel. In manchen Regionen werden Linke oder Menschen ausländischer Herkunft Tag für Tag von Rechtsextremisten bedroht. Neofaschisten sprechen von sogenannten national befreiten Zonen. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung warnt auf ihrer Homepage vor einer Faschisierung der ostdeutschen Provinz. Aber die Bundesregierung wiegelt ab und behauptet, es könne lediglich der Eindruck entstehen, dass Rechtsextremisten punktuell das öffentliche Erscheinungsbild bestimmen. Das ist unserer Meinung nach eine zynische Missachtung der Opfer neofaschistischer Gewalt.
Zweites Beispiel. Über Nazikonzerte erteilt die Regierung die nichtssagende Auskunft - ich zitiere -:
Rechtsextremistische Bands bevorzugen Rockmusik in den verschiedensten Stilrichtungen oder Liedgut in Balladenform.
Tatsächlich dringen Neofaschisten immer stärker in andere Musikstile ein. Ich nenne hier nur Ska, Punk, Rap und Hip-Hop. Diese Musik wird mit Texten unterlegt, die Hetze und Mordaufrufe enthalten. Darauf geht die Bundesregierung in ihrer Antwort mit keinem Wort ein.
Eine falsche Behauptung löst die andere ab; eine Wissenslücke folgt auf die nächste. Bekannt ist, dass Läden der rechten Szene für den Zusammenhalt der Nazikameradschaften zentral sind. Warum die Regierung keinerlei Erkenntnisse hat, wie sich diese Läden entwickeln und wie verbreitet sie sind, können wir nicht nachvollziehen. Dies betrifft ebenso die Widersprüche innerhalb der NPD.
Rechtsextreme Einstellung ist ein Problem in der Mitte der Gesellschaft, keines des Randes oder bestimmter Altersgruppen.
So heißt es in einer Studie der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Doch die Bundesregierung will den Neofaschismus nur als Problem sehen, das den extrem rechten Rand betrifft. Tatsächlich suchen und finden Neofaschisten Anknüpfungspunkte weit in der sogenannten Mitte dieser Gesellschaft. Vor wenigen Tagen hat der CDU-Landrat von Muldental mit sogenannten volkstreuen Jugendlichen und Anhängern der NPD freundlich geplaudert. Der sächsische Landtagspräsident Erich Iltgen, Mitglied der CDU, hielt es in dieser Woche nicht einmal für nötig, den NPD-Abgeordneten Holger Apfel zu rügen, als er Migranten als ?Wohlstandsneger“ bezeichnete und diese diffamierte, indem er sagte, sie seien sowieso nicht in Deutschland integrierbar. Für die Linke ist so etwas nicht mehr mit Naivität zu entschuldigen.
Aber damit nicht genug. Das Studienzentrum Weikersheim unter der Schirmherrschaft von Unionspolitikern fördert seit Jahren Wehrmachtsverherrlichung und Antisemitismus. Bei Vertriebenenverbänden, Burschenschaften und etlichen pensionierten Bundeswehroffizieren lässt sich Ähnliches beobachten. Umfragen zeigen hohe Zustimmungswerte für rassistische Positionen. Es hat sich ein Graubereich etabliert, in dem sich Rechtsextremisten und Konservative vermischen. Doch die Regierung drückt beide Augen zu und will hiervon nichts wissen. Es gibt keinerlei Erkenntnisse.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zeigt erneut: Eine ernsthafte Bekämpfung des Rechtsextremismus bedarf einer umfassenden Konzeption. Der Einsatz von V-Leuten in der NPD gehört unserer Meinung nach nicht dazu.
Wenn wir verhindern wollen, dass Naziparteien weitere Wahlerfolge feiern und der rechte Terror auf den Straßen zunimmt, brauchen wir vielfältige Programme und Aktionen gegen diese braunen Banden. Wir brauchen Konzepte gegen den weitverbreiteten Antisemitismus und Rassismus in dieser Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Fraktion Die Linke ?Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung“ mit 286 und - wenn wir die Unterfragen hinzurechnen - insgesamt 390 Fragen wurde von der Bundesregierung in der geforderten Ausführlichkeit beantwortet. Die Kritik an der Sorgfalt der Bundesregierung bei der Beantwortung dieser Fragen, Frau Jelpke, möchte ich zurückweisen.
Vielmehr scheinen zwischen den Fragestellern und der Position der Bundesregierung Diskrepanzen aufzutreten, auf die ich in meiner Kommentierung der Großen Anfrage eingehen möchte.
Da ist zunächst einmal eine Vorbemerkung erforderlich. Wir reden heute über Rechtsextremismus. Das ist angesichts der leider anhaltenden Aktualität dieses Themas sicher wichtig. Der Rechtsextremismus, der heute unser Thema ist, stellt aber nur einen Teil der extremistischen Bedrohungen unserer Grundordnung dar - einen gewichtigen, den wir sehr ernst nehmen müssen und auch sehr ernst nehmen. Es muss aber auch klar bleiben - ich glaube, das ist für die meisten Mitglieder dieses Hauses selbstverständlich -, dass sich der freiheitliche Staat gegen jede Form extremistischer Bedrohung verteidigen muss.
Dieser Logik folgen unsere Verfassungsschutzberichte, wenn sie rechtsextremistische, linksextremistische und islamistisch-terroristische Bestrebungen und Gefährdungen darstellen.
Wir reden also heute aus klarem Anlass über einen Teil des Gesamtproblems. Das Gesamtproblem verdient auch deshalb eine Erwähnung, weil nur so das Schutzgut ?freiheitlich-demokratische Grundordnung“ hinreichend deutlich wird. Die Diskussion über den Rechtsextremismus, den wir gemeinsam bekämpfen wollen, darf nicht zur Legitimierung linksextremistischer Gegenbewegung führen.
Grundlage unserer Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und seiner Bekämpfung ist ein mehrdimensionaler Handlungsansatz mit präventiven und repressiven Elementen. Dabei ist das wohl wichtigste Instrument der Extremismusprävention, den Menschen - auch und gerade den heranwachsenden Menschen - den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie deutlich zu machen.
Gerade wir in Deutschland wissen leider aus überreicher Erfahrung, was es bedeutet, dieser Grundwerte zu entbehren. Ein positives Verhältnis zu unserem Staat, zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist die sicherste Gewähr gegen extremistische Versuchungen.
Ich habe mich unter diesem Gesichtspunkt mit den Vorbemerkungen der Großen Anfrage der Linken auseinandergesetzt. Leider finde ich in diesen Vorbemerkungen wenig überzeugende Hinweise für solch ein positives Verhältnis zu unserem Gemeinwesen. Stattdessen werden rechtsstaatliche Institutionen und demokratische Parteien zu indirekten Handlangern des Rechtsextremismus erklärt. So weisen Sie, meine Damen und Herren von der Linken, auf angeblich gutbegründete Ängste in der Bevölkerung hin und behaupten, dass antisemitische und rassistische Lösungsangebote auch deshalb auf Zustimmung stoßen, ?weil die Bürgerinnen und Bürger nach Alternativen zur Koalition der marktradikalen Kräfte von Grünen bis zur CDU suchen.“
Ich könnte hier noch weitere Beispiele aus den Vorbemerkungen nennen. Wenn man diese Vorbemerkungen liest, fragt man sich, ob wir wirklich im selben Staat leben. Ich bitte deshalb das Hohe Haus um Verständnis, dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer Antwort darauf verzichtet hat, auf diese Vorbemerkungen der Fragesteller einzugehen.
Einen Punkt aber möchte ich in Reaktion auf die Vorbemerkungen der Großen Anfrage festhalten: Wer unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Extremismus, gerade auch gegen Rechtsextremismus, verteidigen will, der ist nur glaubwürdig, wenn er diese Grundordnung selbst bejaht und davon überzeugt ist, dass sie es wert ist, verteidigt zu werden.
Nach meiner persönlichen Beobachtung - wenn ich dies anführen darf - besteht das gegenwärtige Risiko in der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes bei weitem nicht nur in der Verführungskraft und Attraktivität dieser menschenverachtenden Thesen, es besteht nicht nur in der gefährlichen Struktur rechtsextremistischer Organisationen, sondern das Risiko besteht auch in der Leere und Orientierungslosigkeit in den Köpfen Einzelner, insbesondere Jugendlicher.
Ich sage das deshalb, weil politische Bildung, die zum Verständnis und zur Bindung an die Werte unseres Rechtsstaates und unserer Rechtsordnung beiträgt, in diesem Zusammenhang unbedingt Beachtung verdient. Der politische Bildungswert dieser Großen Anfrage ist jedoch durchaus in Zweifel zu ziehen. Schwerpunkt für die Autoren war, Erkenntnisse über rechtsextremistische Erscheinungen und Tendenzen in unterschiedlichen Gliederungen unserer Gesellschaft zu erhalten. Die Bundesregierung hat sich, wie gesagt, um angemessene Auskunft bemüht, was oft dadurch erschwert wurde, dass sich die Fragesteller in ihrem Auskunftsbegehren weit von den gültigen Kriterien des Verfassungsschutzes, etwa den §§ 3 und 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, entfernt und die Fragestellung nicht selten zum Anlass zweifelhafter politischer Wertungen und Unterstellungen genommen haben. Hier, Frau Jelpke, ist möglicherweise die Ursache für die in Ihren Augen unbefriedigende Antwort auf Ihre Fragen zu suchen. Wenn Sie Fragen stellen, die mit Wertungen verbunden sind, die die Bundesregierung nicht teilt, können Sie nicht die Antworten erwarten, die Sie sich vorgestellt haben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lötzsch?
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Ja, bitte.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, über die Hälfte Ihrer Redezeit sind Sie auf die Vorbemerkungen unserer Großen Anfrage eingegangen, was Sie ja eigentlich nicht tun wollten. Ich nehme das zum Anlass, um darauf hinzuweisen, dass Sie viele unserer Fragen unzureichend beantwortet haben. Mir geht es konkret um die Frage 180. Darin geht es um die rechtsextremen Denkfabriken. Die Bundesregierung lässt hier sehr viel offen. Ich möchte die unzureichend beantwortete Frage 180 zu einer Zwischenfrage nutzen. Vielleicht können Sie das Ganze etwas präziser ausführen.
Sie wissen, dass das Studienzentrum Weikersheim in die Schlagzeilen gekommen ist, weil dort immer wieder rechtsextreme Vorträge gehalten wurden. Ministerpräsident Oettinger sah sich gezwungen, seine Mitgliedschaft in diesem Studienzentrum zumindest ruhen zu lassen. In Anbetracht dieser Tatsache möchte ich gerne von Ihnen wissen, warum die Bundesregierung dieses Studienzentrum weiterhin unterstützt und ob Sie bereit und in der Lage sind - Sie sind natürlich in der Lage dazu; ich möchte aber wissen, ob Sie dazu auch bereit sind -, die finanzielle Unterstützung für das Studienzentrum Weikersheim sofort einzustellen.
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:
Frau Kollegin Lötzsch, ich bin auf die Vorbemerkungen eingegangen, weil die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage aus den von mir geschilderten Gründen zu diesen Vorbemerkungen nicht Stellung genommen hat und weil die Vorbemerkungen bedauerlicherweise keine Hinweise auf das eigentliche Schutzgut, um das es uns bei der Extremismusbekämpfung - hier der Rechtsextremismusbekämpfung - geht, enthält.
Wir sind zurzeit dabei, eine schriftliche Anfrage, die Sie zum Thema Weikersheim gestellt haben, zu beantworten. Ich will dieser Antwort nicht vorgreifen, ich will mir aber einen Hinweis erlauben: Ich habe das Zitat gebracht, indem Sie von einer marktradikalen Koalition sprechen, die von den Grünen bis zur CDU reicht; die SPD gehört vermutlich auch dazu.
- Wenn ich das Zitat richtig deute. Vielleicht sind Sie auch außen vor geblieben. Ich weiß das nicht. - Ich habe diese Aussage in Ihren Vorbemerkungen aus gutem Grund zitiert: Sie leisten mit einer solch sektiererischen Wertung gegenüber anderen demokratischen Parteien keinen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das ist meine feste Überzeugung.
Gerade vor dem Hintergrund solcher oft problematischer Fragestellungen sei es mir erlaubt, im Sinne einer Klarstellung zusammenfassend zu betonen: Für die Bundesregierung bleibt die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine Daueraufgabe, nicht nur, aber natürlich auch im Bereich der inneren Sicherheit. Die Bundesregierung nimmt zusammen mit allen demokratischen Kräften die Bekämpfung des Rechtsextremismus sehr ernst und tritt den rechtsextremistischen Erscheinungsformen mit einem Bündel an repressiven und präventiven Maßnahmen deutlich entgegen. Gerade die Entwicklung von zielgerichteten Präventionsstrategien ist hierbei von besonderer Bedeutung. Vielfalt, Toleranz und Demokratie sind Werte, die in der präventiven Arbeit kontinuierlich und überzeugend vermittelt werden müssen.
Aber auch die bereits rechtsextremistisch gefährdeten Jugendlichen dürfen nicht aufgegeben werden. Das Parlament hat für diese Arbeit 19 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung gestellt. Das Programm ?Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ ist am 1. Januar 2007 erfolgreich gestartet. In Ergänzung zu dem Präventivprogramm ist im Auftrag des Parlaments ein weiteres Programm geplant, das einen Schwerpunkt auf die anlassbezogene Intervention gegen Rechtsextremismus setzt. Für dieses Programm sollen 5 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung gestellt werden. Dabei geht es um Angebote zur Beratung, darum, den betroffenen Kommunen, aber auch den betroffenen Menschen vor Ort in einer akut bedrohlichen Situation mit rechtsextremem, fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund schnelle und professionelle Hilfe anzubieten. Die Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr. Wir wollen dabei Hand in Hand mit allen demokratischen Kräften in Bund, Ländern und Kommunen handeln. Um neue Wege bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus auszuloten und vorhandene Strategien zu optimieren, hat das Bundesministerium des Innern mit dem Familienministerium und den jeweiligen Partnerressorts der neuen Länder einschließlich Berlins sowie den kommunalen Spitzenverbänden eine Koordinierungsgruppe eingesetzt. Es geht vor allem darum, Synergieeffekte zu erzeugen und Lücken in der Handlungskette aufzuzeigen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir hier wichtige Impulse geben können. Nur wenn jede Ebene ihre Verantwortung übernimmt und im Verbund mit den anderen Verantwortungsträgern entschlossen und konsequent handelt, können und werden wir diesen schwierigen Kampf bestehen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Miriam Gruß, FDP-Fraktion.
Miriam Gruß (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder vierte Deutsche ist tendenziell ausländerfeindlich eingestellt. Rechtsextreme Einstellungen sind kein Randphänomen, sondern in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt; dies ergab unlängst die schon angesprochene bundesweite Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ausländerfeindlichkeit ist demnach die am weitesten verbreitete rechtsextreme Einstellung. 26,7 Prozent der Befragten aus allen Bevölkerungsschichten, Bundesländern und Wählergruppen stimmten entsprechenden Thesen zu. Das ist jeder vierte Bundesbürger. Wir reden hier also nicht von einer Gruppe Verrückter. Es ist deshalb notwendig, immer wieder zu thematisieren, wie gefährlich die unterschiedlichen Spielarten des politischen Extremismus sein können.
Dieses Problem darf nicht marginalisiert werden.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sind in Teilen Deutschlands rechtslastige Strukturen entstanden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt dort langsam die Alltagskultur zu durchdringen. Es ist ein schwelender Brand, der die Zivilgesellschaft bedroht. Dieser Brand breitet sich klammheimlich immer weiter aus und ist bald nicht mehr einzudämmen. Dabei geht es nicht nur um Skinheads mit Springerstiefeln und Springmessern, sondern auch um scheinbar ganz normale Menschen, die in der Mitte unserer Gesellschaft leben. Die rechte Szene wird immer selbstbewusster, warnte unlängst das Bundeskriminalamt. Das zeigt sich auch an ihren zunehmend öffentlich gewählten Tatorten und an provokativen Auftritten und Demonstrationen. Vor allen Dingen junge Menschen werden mehr und mehr, ideell verbrämt, mit demokratiefeindlichem Gedankengut erzogen. Viele von ihnen werden so für ihr Leben geprägt und gebrandmarkt.
Es ginge auch anders. Doch präventive politische Bildungsarbeit scheint nicht immer erwünscht. Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Großen Koalition, hätten die Beratungs- und Hilfeprogramme gegen Rechtsextremismus doch am liebsten einstampfen lassen - gegen den Rat aller Experten und der vor Ort engagierten Spezialisten.
Nur mit massivem Druck konnten wir Sie alle dazu bringen, diese Programme weiter existieren zu lassen, wenn auch in mangelhafter Ausstattung.
Sie alle haben die Programme auf ein Minimum reduziert, auf Projekte, die nur noch eine Reaktion zulassen, nicht aber die so dringend notwendige präventive Aktion.
Dabei ist und bleibt Prävention das wichtigste Mittel im Kampf gegen extremes Gedankengut.
Die neuen Programme, die Sie aufgelegt haben, greifen nur in Krisensituationen.
Doch wer beurteilt, wann ein Vorfall problematisch ist? Wie schnell kann ein mobiles Beratungsteam im Notfall vor Ort sein, und wie lange hat dieses Team Zeit, zu arbeiten? Muss es gleich zum nächsten Brandherd weiter? Der Rechtsextremismusexperte Wilhelm Heitmeyer betonte bereits mehrfach, dass Projekte nur dort erfolgreich arbeiten können, wo sie gut vernetzt sind. Berater von außerhalb werden von den Menschen vor Ort nicht akzeptiert.
Angesichts der vom Rechtsextremismus ausgehenden Bedrohungen und der Gefahr einer sich zunehmend herausbildenden rechtsextremen Jugendszene bleiben staatlich unterstützte Projekte zur Bekämpfung solcher Tendenzen eine Daueraufgabe und kein einmaliges Ereignis.
Die Motive rassistischer Einstellungen sind mittlerweile sehr vielschichtig. Ihre Bekämpfung muss es deshalb auch sein. Neben den hier thematisierten punktuellen Beratungs- und Hilfeangeboten müssen wir weiterhin die Ursachen dieser fatalen Entwicklung finden und beheben. Diese sind in erster Linie Bildungsmangel, Armut und Arbeitslosigkeit.
Deshalb brauchen wir, wie von unserer Fraktion bereits im vergangenen Spätsommer gefordert, ein tragfähiges und langfristiges Konzept zur Bekämpfung von Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus
und keine Oberflächenkosmetik. Die zuständigen Stellen brauchen Planungssicherheit.
Wir brauchen einen integrativen Ansatz, durch den der Extremismus im Ansatz bekämpft wird. Eine reine Krisenintervention wird nicht ausreichen. Wie ein solcher integrativer Ansatz aussehen könnte, haben wir in unserem Antrag bereits deutlich gemacht.
Die Bundesregierung zeigt in diesem Punkt allerdings Beratungsresistenz.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Miriam Gruß (FDP):
Meine Damen und Herren, nur wenn wir dieses Programm langfristig gemeinsam angehen, können wir unsere Gesellschaft vor einer katastrophalen Entwicklung und viele junge Menschen vor einem Irrweg, der ihr Leben ruiniert, bewahren.
Danke.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion.
Gabriele Fograscher (SPD):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Klarstellung: Das Studienzentrum Weikersheim erhält weder aus dem Bundeshaushalt noch aus dem Landeshaushalt Baden-Württemberg Mittel. Traurig ist allerdings natürlich, dass es anscheinend durch Privatpersonen finanziert wird und dadurch finanziell gut ausgestattet ist.
Frau Gruß, wir wollten die Bundesprogramme CIVITAS und ENTIMON keineswegs einstampfen. Es war aber von Anfang an klar, dass die Programme weiterentwickelt werden müssen. Das haben wir getan. Ich gebe ja zu, dass der Diskussionsprozess nicht immer einfach war, aber ich glaube, wir haben hier jetzt einen guten Ansatz gefunden, der nachhaltig wirken wird.
Die Anfrage der Linken zum Rechtsextremismus enthält 286 Fragen, deren Beantwortung nicht ausschließlich in der Zuständigkeit des Bundes liegt; das wissen Sie. Viele Fragen wurden deshalb nur knapp beantwortet. Ich finde aber schon, dass trotzdem ein guter Überblick über die Entwicklung und die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Deutschland gegeben wird. Trotz der vielfältigen Aktivitäten der Bundesregierung bleibt die Bekämpfung des Rechtsextremismus natürlich auch in Zukunft eine wichtige Aufgabe.
Das wird leider auch durch die aktuellen Zahlen gezeigt. Dr. Schäuble stellte am 30. März 2007 fest - ich zitiere -:
Der höchste Zuwachs ist dabei im Bereich der politisch motivierten Kriminalität - rechts festzustellen, der mit 18.142 Straftaten ... ohnehin den Hauptanteil stellt ...
Die politisch motivierte Kriminalität rechts ist im Vergleich zu 2005 in 2006 um rund 14 Prozent gestiegen. Die Gewalttaten von rechts stiegen um rund 7,8 Prozent auf 1 115 registrierte Fälle.
Diese Zahlen sind erschreckend. Deshalb brauchen wir beides: Wir brauchen repressive Maßnahmen, wie Vereins- und Versammlungsverbote, und konsequente Strafverfolgung. Das ist die eine Seite wehrhafter Demokratie.
Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung - dort sind die Vereinsverbote der letzten Jahre seit 2000 aufgeführt -:
Verbote sind grundsätzlich Ultima Ratio der Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus. ... Die Bundesregierung bewertet diese Verbote als erfolgreich, da hierdurch die Strukturen des gewaltbereiten subkulturell geprägten Rechtsextremismus ... deutlich geschwächt wurden.
Auch mit den Änderungen des Versammlungsrechts und des Strafgesetzbuches seit April 2005 wurden die Möglichkeiten verbessert, rechtsextremistische Versammlungen zu verbieten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke?
Gabriele Fograscher (SPD):
Ja.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Kollegin Fograscher, Sie haben gerade über Verbote von Organisationen gesprochen. In der Tat hat die Bundesregierung einige Verbote erlassen. Wie Sie wissen, ist aber das NPD-Verbotsverfahren gescheitert, und zwar vor allem deshalb, weil die V-Leute des Verfassungsschutzes nicht abgezogen wurden.
Vertreter Ihrer Partei - an führender Stelle Herr Struck, aber auch der Vorsitzende des Innenausschusses, Herr Edathy - sprechen sich immer wieder für ein neues Verbotsverfahren aus. Sind Sie bereit, nähere Auskunft darüber zu geben, wie das Thema in der Fraktion der SPD weiterbehandelt wird? Wird sich die SPD unserem Antrag anschließen, die V-Leute abzuschalten, damit die Bundesverfassungsrichter die Situation erneut überprüfen können?
Gabriele Fograscher (SPD):
Frau Jelpke, ich wollte eigentlich später auf Ihren Antrag zum Abzug der V-Leute aus der NPD eingehen, aber ich kann das auch gerne an dieser Stelle tun. Ich halte diesen Antrag für naiv. Denn ich glaube, dass viele Einschätzungen in den Antworten der Bundesregierung auf Erkenntnissen beruhen, die ohne den Einsatz von V-Leuten nicht gewonnen werden könnten.
Ich halte Ihren Antrag auch für gefährlich, weil sich ein weiteres Verbotsverfahren über lange Zeit hinziehen könnte und wir dann keine Informationen mehr über Entwicklungen in der extremen rechten Szene hätten. Deshalb werden wir Ihrem Antrag, die V-Leute abzuziehen, nicht zustimmen.
Schwerpunkt der Maßnahmen in der Auseinandersetzung mit politischem Extremismus bleiben die präventiven Maßnahmen. Wir haben die ehemaligen Bundesprogramme Civitas und Entimon weiterentwickelt bzw. ein neues Bundesprogramm mit dem Titel ?Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ aufgelegt, das mit jährlich 19 Millionen Euro ausgestattet ist.
Wir setzen mit diesem Programm bei den Jugendlichen an. Wir nehmen die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung der vergangenen Jahre zu Civitas ernst und setzen sie um. Von zentraler Bedeutung ist die Eingebundenheit von Projekten in Vernetzungsstrukturen. Wenn zum Beispiel ein außerschulisches Programm auch in der Schule seinen Widerhall findet, erhöht dies die Erfolgsaussichten deutlich. Deshalb ist es richtig, dass das neue Programm lokale Aktionspläne fördert. Eingebundenheit und Akzeptanz eines Projektes in der jeweiligen Kommune sind wichtige Voraussetzungen für den Erfolg. Denn demokratische Kultur muss zuallererst auf lokaler Ebene gestaltet und gelebt werden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Spieth?
Gabriele Fograscher (SPD):
Ja.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Frau Kollegin Fograscher, ich habe eine Nachfrage zu Ihren Ausführungen über die Programme Civitas und Entimon. Sie sprachen davon, dass diese Programme mit dem neuen Programm fortgesetzt werden, und haben auf die einzelnen Positionen hingewiesen. Sind Sie wirklich der Überzeugung, dass das neu aufgelegte Bundesprogramm eine Weiterentwicklung des Civitas-Programms darstellt? Wie Sie wissen, stand im Civitas-Programm der präventive Charakter - insbesondere die Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Ansätze - im Vordergrund. Bei dem neuen Programm hingegen wird im Wesentlichen der präventive Ansatz vermieden; stattdessen wird mit der Krisenintervention nur noch der reaktive Ansatz verfolgt. Das heißt, es wird erst dann mit Beratungsangeboten agiert, wenn das Kind schon im Brunnen liegt.
Halten Sie das wirklich für eine Fortentwicklung, oder sehen Sie es als das, was es ist, nämlich ein Rückschritt gegenüber den ursprünglichen Programmansätzen?
Gabriele Fograscher (SPD):
Ich habe über das Folgeprogramm von Civitas und Entimon gesprochen, das mit jährlich 19 Millionen Euro ausgestattet ist und in der Tat eine Weiterentwicklung dieser Programme bedeutet. Ich komme gleich zu dem Programm, das wir zusätzlich auflegen. Ich danke unseren Haushältern in der SPD-Bundestagsfraktion und besonders Frau Griese, dass es uns gelungen ist, dieses Programm mit 5 Millionen Euro auszustatten. Dieses Programm beinhaltet die sogenannte Krisenintervention. Das kommt hinzu. Ich halte das für sinnvoll.
Dieses mit 5 Millionen Euro ausgestattete Programm ?Förderung von Beratungsnetzwerken - Mobile Kriseninterventionsteams gegen Rechtsextremismus“ ist ein zusätzliches Programm. Es wird in Zukunft in jedem Bundesland eine Koordinierungsstelle geben, die neben der Bildung eines landesweiten Beratungsnetzwerkes auch über die Zusammensetzung und Koordinierung der mobilen Interventionsteams entscheiden wird. Diese Landeskoordinierungsstellen dienen als Kontaktstellen für die Betroffenen in Krisensituationen. Es werden ein regelmäßiger Informationsaustausch und Öffentlichkeitsarbeit über das Beratungsnetzwerk und die mobilen Interventionsteams gewährleistet. Mit dieser Konzeption werden wir - davon bin ich überzeugt - mehr erreichen, als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, in Ihrem entsprechenden Antrag fordern.
Wir haben gerade über den Abzug der V-Leute diskutiert. Sie fordern die Bundesregierung auf, ?dem Bundestag ein inhaltliches und finanzielles Konzept für eine zu schaffende unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorzulegen“. Glauben Sie ernsthaft, dass eine solche Beobachtungsstelle mehr Informationen über das Innenleben der NPD oder anderer rechter Organisationen bekommt als der Bundesverfassungsschutz und die Verfassungsschutzämter der Länder?
Ich halte diese Ansicht nicht nur für naiv, sondern auch für gefährlich.
Rechte und rechtsextreme Parteien engagieren sich inzwischen auch im vorpolitischen Raum. Sie gehen in Vereine, richten Straßen- und Familienfeste aus, engagieren sich in Elternbeiräten der Schulen, stellen sich als Trainer und Betreuer in Sportvereinen zur Verfügung. Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Veralltäglichung rechtsextremer Jugendkultur. Mit rechtsextremer Musik und Dresscodes, Symbolen und Konzerten werden Jugendliche angelockt. Hier besteht in der Tat weiterer Aufklärungs- und Informationsbedarf.
Wertvolle Arbeit leistet dabei das Bündnis für Demokratie und Toleranz, auch aus Bundesmitteln gefördert, die in diesem Haushalt auf 1 Million Euro pro Jahr aufgestockt wurden.
Ich selbst durfte in der letzten Woche in Würzburg Preisträger auszeichnen, die am Wettbewerb ?Aktiv für Demokratie und Toleranz“ teilgenommen haben. Ich habe dabei engagierte und motivierte Menschen kennengelernt, die sich ehrenamtlich in vielfältigen Projekten und Initiativen gegen rechts und rechtes Gedankengut stellen und für Respekt, Vielfalt, Demokratie und Toleranz im Alltag werben. Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung und Anerkennung.
Ich darf Sie zum Schluss zu einer Veranstaltung am 23. Mai, am Tag des Grundgesetzes, einladen. Das ist in der nächsten Sitzungswoche. Hier wird das Bündnis für Demokratie und Toleranz wie in jedem Jahr aktiv. Im Haus der Berliner Festspiele werden unter anderem die Botschafter der Toleranz ausgezeichnet. Sie können sich, wenn Sie diese Veranstaltung besuchen - ich glaube, Sie alle haben eine Einladung erhalten -, von vorbildlichen Projekten einen eigenen Eindruck verschaffen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Lötzsch.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Kurzintervention bezieht sich sowohl auf den Herrn Staatssekretär als auch auf die Kollegin Fograscher. Herr Staatssekretär, Sie waren der Auffassung, dass Sie meine Anfrage noch nicht beantwortet hätten. Ich darf Ihnen mitteilen, dass Herr Staatssekretär Diller vom Finanzministerium mir am 9. Mai die Antwort zugeleitet hat. Frau Kollegin Fograscher, aus dieser Antwort geht eindeutig hervor, dass das Studienzentrum Weikersheim - mir liegt eine vierseitige Tabelle vor - aus Mitteln des Bundes finanzielle Unterstützung erhalten hat,
zum Beispiel für das 5. Jung-Weikersheim-Seminar zum Thema Konservatismus, eine sicherheitspolitische Tagung und die 13. Internationalen Studientage ?Der Sozialstaat im Wandel - Eigentum oder Bevormundung des Bürgers?“. All das fand im Studienzentrum Weikersheim statt; all das wurde über den Bundeshaushalt finanziert.
Ich will das hier richtigstellen.
Ich habe mich auf eine offizielle Angabe der Bundesregierung bezogen. Frau Kollegin Fograscher, Sie können sich diesen Bericht gern von den Berichterstattern des Einzelplanes 06 Ihrer Fraktion überreichen lassen. Dann müssen Sie mich hier nicht mehr zeihen, die Unwahrheit zu sagen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Es besteht kein Bedürfnis, zu antworten. Deswegen gebe ich das Wort zum nächsten Redebeitrag der Kollegin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teile der extremen Rechten haben es geschafft, durch langfristige Strategien ernst zu nehmende Erfolge zu erzielen; das zeigen die Antworten auf die Große Anfrage deutlich. Der NPD ist es gelungen - ich zitiere aus der Antwort -,
... im Rahmen der ?Volksfront von rechts“ ... unterschiedliche Kräfte sowohl aus dem Neonazilager als auch aus dem rechtsextremistischen Parteienspektrum zu bündeln.
Sie hat
... die Bedeutung langjähriger kontinuierlicher Basisarbeit und lokaler Verankerung ... erkannt und versucht deshalb, entsprechende Schwerpunkte ... zu setzen ...
Da ist also von ?kontinuierlicher Basisarbeit“ und von ?lokaler Verankerung“ die Rede. Was heißt das konkret? Ich möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel erzählen. Es illustriert, wie Rechtsextreme vor Ort Fuß fassen und einbezogen werden. In meiner Heimat Sachsen liegt der Muldentalkreis mit der Kreisstadt Grimma. Es ist eine ganz normale Kleinstadt mit normalen Leuten. Die NPD sitzt allerdings im Kreistag; es gibt dort junge Leute, die sich selbst als ?volkstreu“ bezeichnen und aktiv Kontakt zu den örtlichen Behörden aufbauen. Wie wir vor einigen Tagen zur Kenntnis nehmen mussten, tun sie das mit Erfolg: Der Landrat Dr. Gey, ein CDU-Mitglied, empfing direkt in seinem Amtssitz eine rechtsextreme Delegation und debattierte mit deren Angehörigen, als wären sie politisch Interessierte wie andere auch. Danach schwärmte die NPD in einer Pressemitteilung davon und erklärte, es sei ein ?von gegenseitigem Respekt und von Fairneß“ getragener Dialog gewesen.
Ich will Ihnen sagen, was mich hieran am meisten erschüttert: Es ist nicht die Tatsache, dass Herr Gey bereit ist, mit allen Menschen aus seiner Stadt zu sprechen, sondern die Tatsache, dass es in einem derart offiziellen Rahmen getan wurde, ohne sich in angemessener Weise von diesen Neonazis zu distanzieren.
Nach dem Medientrubel war der Vorfall dem Landrat peinlich; er erklärte, er habe einen Fehler gemacht. Zu dieser Einsicht hätte er aber schon vorher kommen können; denn es gab schon vorher Warnungen. Sie wurden aber leider nicht ernst genommen.
Dieses aktuelle Ereignis zeigt die Hilflosigkeit, mit der die Behörden vielfach den Rechtsextremen gegenüberstehen. Mittlerweile hat sich Dr. Gey beraten lassen; er geht mit einem Anwalt gegen bestimmte Aussagen der NPD vor. Am Tag zuvor rechtfertigte er sein Treffen noch, indem er erklärte, dass für ihn Toleranz keine Einbahnstraße sei.
Ich bin auch für Toleranz; aber Demokraten sollten ihre Toleranz nicht auf Verfassungsfeinde ausweiten.
Wir haben unseren demokratischen Rechtsstaat historisch schwer errungen. Er ist auch heute keine Selbstverständlichkeit. Wenn wir die Nazis von heute nicht bei jeder Gelegenheit in ihre Schranken weisen, werden sie alles daran setzen, das Fundament wieder zu zerstören. Wer Neonazis in seinem Amtssitz empfängt, macht ihre menschenverachtenden Ansichten gesellschaftsfähig. Das darf nicht geschehen.
Ich wünsche mir deshalb, dass die politisch Verantwortlichen insbesondere auf kommunaler Ebene stärker den Kontakt zu den erfahrenen Initiativen gegen rechts suchen und sich beraten lassen. Die Verzweiflung von Initiativen im Muldentalkreis ist nun groß; das Verhalten des Landrats zeigt, dass staatliche Stellen bei der Entwicklung von Weitblick und Sensibilität im Zusammenhang mit dieser Problematik teilweise noch in den Kinderschuhen stecken. Das schafft immer wieder Schlupflöcher für gut geschulte Rechtsextremisten; sie arbeiten kontinuierlich und basisorientiert.
Gerade solche langfristigen Strategien müssen auch wir Demokraten im Kampf gegen Rechtsextremismus noch stärker ausbauen. Ein wichtiger Teil sind dabei die Bundesprogramme. Die ehemaligen Programme Civitas und Entimon waren breit angelegt. Sie bauten auf langfristig ausgerichteten Konzepten auf. Sie haben demokratisches Engagement vor Ort gestärkt, waren auf lokale Projekte zugeschnitten und hatten die Zivilgesellschaft als wichtigsten Akteur im Blick. Die neuen Bundesprogramme sind im jetzigen Zustand nicht in der Lage, das zu leisten, weil sie eine Abhängigkeit der Initiativen von örtlichen Behörden schaffen. Leider fehlen da, wie wir an dem Beispiel gesehen haben, immer noch die notwendigen Kompetenzen.
Der vorhin genannte Muldentalkreis erhält Bundesmittel, ist aber ein Beispiel dafür, wie es schlecht laufen kann. Bewährte Initiativen stehen dort ohne Bundesförderung da und sind auf die Gnade dieses Landrates angewiesen. Stattdessen besteht die Gefahr, dass rechtsextreme Gruppierungen davon profitieren können. Initiativen und Beratungsnetzwerke werden so zu Rufern in der Wüste degradiert. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Außerdem zeigen die neuen Programme teilweise einen Mangel an konzeptioneller Nachhaltigkeit. Wenn etwa die Bundesregierung nur zahlt, nachdem es vor Ort bereits gebrannt hat, ist das zu kurz gedacht. Die Evaluation der früheren Bundesprogramme zeigt eindeutig, dass es auf eine präventive und kontinuierliche Beratung ankommt.
Eine Intervention ist nur möglich, wenn Strukturen vorhanden sind, auf die man im Ernstfall zurückgreifen kann. Da die Förderung aber auf drei Monate begrenzt ist, können kontinuierliche Beratungssysteme gar nicht entstehen. Ein solcher Ansatz, der nur auf Reaktion setzt, steht in der Gefahr, zu scheitern.
Ein weiterer Fehler dieses Programms ist die Landeskoordinierungsstelle, die die Kontaktstelle für Betroffene sein soll. So wird das nicht funktionieren. Der Vorteil der bisherigen Programme war doch, dass man sich unkompliziert an eine nichtstaatliche Einrichtung wenden konnte. Welche Migrantin und welcher Punker ruft im Ministerium an? Das frage ich mich wirklich.
Dieses Denken zeigt sehr wenig praktisches Einfühlungsvermögen in die Szene.
Ich verlange nicht, dass die Koalition unsere Konzepte übernimmt, aber ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, dass Sie auf Vernunft und Erfahrung bauen. Dazu müssen die zivilgesellschaftlichen Initiativen wirklich weiter gestärkt werden.
Wir dürfen uns allerdings nicht in Scheingefechte zwischen Regierung und Opposition verstricken. Mein Ziel ist es, einen demokratischen Konsens im gesamten Spektrum dieses Hauses herzustellen. In anderen Fragen können wir uns gern politisch streiten, hier aber halte ich es für wichtig, unsere Kräfte zu bündeln.
Im Kampf gegen Rechtsextremismus muss die Bundesregierung offensiv für eine Kultur der Demokratie und Anerkennung werben. In zahlreichen Regionen haben sich schon Netzwerke gebildet, die den Rechtsextremen den kulturellen Kampf ansagen. Solche Aktivitäten bilden die Basis für unsere Demokratie. Sie brauchen unsere volle Unterstützung. Ich nenne Ihnen einige ausgezeichnete Beispiele von Initiativen, die ich selbst besucht habe und die zeigen, dass es funktionieren kann, wenn Initiativen mit Bürgermeistern zusammenarbeiten. In Pirna, Sachsen, gibt es die Aktion Zivilcourage, in Verden, Niedersachsen, das Bündnis für Demokratie und Toleranz, in Lübtheen, Mecklenburg-Vorpommern, das Bürgerbündnis gegen Rechts und in Wunsiedel, Bayern, das Bündnis gegen Rechtsextremismus und die Jugendinitiative. Unsere Demokratie darf es sich nicht leisten, dass diese kleinen Initiativen pleitegehen. Hier sind besonders Länder, Landkreise und Kommunen in der Pflicht.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Antrag der Linksfraktion eingehen, in dem es um die Abschaltung der V-Leute in der NPD als Voraussetzung für ein neues Verbotsverfahren geht. Das Verbotsverfahren wird in allen Fraktionen heiß diskutiert, natürlich auch bei uns. Ich persönlich sehe einen erneuten Verbotsantrag eher kritisch. Die harte Hand der Repression wird rechtsextremes Denken in den Köpfen nicht zerschlagen können. Wir müssen uns stattdessen fragen, warum sich in unserem Land so viele Menschen mit rechtsextremem und antisemitischem Gedankengut identifizieren. Was geschieht in diesem Land, in dem nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung 8,6 Prozent der Befragten ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild vertreten? Würde ein NPD-Verbot die Haltung der 15,2 Prozent verändern, die meinen, es sollte einen starken Führer geben, der Deutschland mit starker Hand regiert? Ganz sicher nicht. Mit einem Verbot kann man gewisse Strukturen beschädigen, aber nicht die Ideologie in den Köpfen ändern.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Landgraf?
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
Katharina Landgraf (CDU/CSU):
Ist Ihnen bekannt, dass Landrat Gey aus dem Muldentalkreis, also aus meinem Wahlkreis, heute eine einstweilige Verfügung gegen diese falsche Darstellung der NPD gerichtet hat? Für uns ist klar, dass er - das müssten Sie gehört haben - einem Gespräch mit Jugendlichen zugestimmt hatte, an dem die NPD-Funktionäre dann ungebeten teilgenommen haben. Die NPD hat es falsch dargestellt. Halten Sie den Landrat Gey tatsächlich für einen Wegbereiter der NPD-Strategien? Ich jedenfalls halte ihn für einen aufrechten Demokraten.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich habe in meinem Redebeitrag schon darauf hingewiesen, dass Herr Gey gegen gewisse Äußerungen der NPD vorgeht. Es ist vollkommen okay, dass er das macht. Auch habe ich Herrn Gey nicht abgesprochen, ein Demokrat zu sein. Er ist für mich in dieser Hinsicht ein naiver Demokrat gewesen.
Es mag sein, dass diese Jugendlichen sich irgendwie benachteiligt gefühlt haben und meinten, mit dem Herrn Landrat in Kontakt kommen zu müssen. Allerdings hätten bei mir schon dann die Glocken geläutet, wenn sich eine Gruppierung, die sich ?volkstreu“ nennt, anmeldet. Das mag bei anderen politischen Richtungen anders sein. Allerdings müsste Herr Gey seine Pappenheimer eigentlich kennen; denn es waren bekannte NPD-Funktionäre dabei. Diese Funktionäre sitzen auch im Kreistag; selbst der NPD-Kreisvorsitzende war anwesend.
Wie Sie wissen, hat Herr Gey selber gesagt, es sei eher schwierig gewesen und er hätte es so nicht machen sollen; zwar hätte er sich mit den Jugendlichen unterhalten sollen, die Funktionäre aber hätte er hinauswerfen müssen. Das hat er also selber eingesehen. Er hat einen Fehler gemacht. So etwas muss man einfach benennen, und man muss darüber diskutieren, damit solche Fehler nicht noch einmal gemacht werden.
Abschließend möchte ich drei Beispiele dafür geben, was wir alle tun können, damit Rechtsextreme nicht in die schon vorhin angesprochenen Lücken stoßen:
Erstens. Wir selbst müssen die Lücken schließen, die die Rechtsextremen heute suchen, um Menschen in ihre Gruppen zu ziehen.
Zweitens. Wir müssen uns selber vor Ort begeben und uns mit den Anliegen der Menschen dort ernsthaft beschäftigen.
Drittens. Wir müssen gerade für junge Leute Angebote schaffen, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch kulturell. Wir müssen ihnen zeigen, dass unsere Gesellschaft ihre Ideen, ihr Engagement braucht. So entsteht auch ein Gemeinschaftsgefühl mit einer demokratischen Grundlage.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion.
Alois Karl (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Linken beschert dem Bundestag zum wiederholten Mal eine Debatte über Rechtsextremismus.
Dies soll offensichtlich in periodischen Abständen geschehen, wohl um der Welt zu zeigen, wie weit wir in Deutschland auf dem schlechten Weg nach rechts außen schon gekommen sind.
In ihrer Großen Anfrage malen die Linken dieses Bild, besser gesagt: dieses Zerrbild, mit 286 Fragestellungen und mit 390 Einzelfragen. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, sondern ziehen das Fazit gleich vorne weg: Deutschland ist auf dem Weg nach rechts außen, und dafür sind alle im Bundestag vertretenen Parteien gleichermaßen verantwortlich; wir alle hier - von den Grünen bis hin zur CDU/CSU - gehören zu den marktradikalen Kräften - der Staatssekretär hat das angesprochen -; die Sozialdemokraten und die Freidemokraten werden automatisch in Sippenhaft genommen.
Die Linken stellen damit eine abstruse, eine wirre Situation dar. Unser Land soll in der öffentlichen Wahrnehmung in ein schlechtes, in ein schiefes Licht gerückt werden. Das ist der eigentliche Sinn Ihrer Anfrage. Aber damit werden Sie nicht durchkommen. Wir leben nämlich in einem anderen Land, in einem offenen Land, in einer anderen Gesellschaft, in einer toleranten Gesellschaft.
Der Widerspruch gegen Rechtsextremismus ist für mich, für uns, für unsere Fraktionen selbstverständlich. Wir alle wissen, dass dieser Extremismus menschenfeindlich ist, dass der Rechtsextremismus der Feind des demokratischen Rechtsstaates ist. Wir wissen, dass er diese Staatsordnung aufheben möchte.
Die von Ihnen abgekanzelten Fraktionen haben zudem ein anderes gemeinsames Ziel: Wir wollen unsere Staatsordnung gegen jeden Extremismus verteidigen, gegen den rechten genauso wie gegen den linken.
Ich kann für unsere Fraktion nur sagen: Wir sind da hellwach, und zwar auf beiden Augen. Im Gegensatz zu Ihnen kann unsere Werteordnung von rechts oder von links bedroht werden. Ich verweise nur auf die Äußerungen des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, von gestern.
Sie ignorieren beharrlich, dass die Bedrohung von links genauso gegeben ist. Aus diesem Grunde meine ich, meine Damen und Herren von der Linken, Sie stellen nicht eine Lösung des Problems dar, sondern Sie sind oft ein Teil des Problems.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke?
Alois Karl (CDU/CSU):
Bitte schön, Frau Kollegin.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Kollege, ich bin der Meinung, dass es immer eine schlechte Antwort ist, wenn man kein Konzept gegen Rechtsextremismus hat, auf Linke einzuschlagen. Ich frage Sie aber ganz einfach: Können Sie mir Beispiele dafür nennen, dass bei Linken Waffenlager gefunden worden sind, wie es bei Neofaschisten in der Vergangenheit der Fall war? 133 Menschen sind durch Rechtsextremisten erschlagen worden. Haben Sie ähnliche Beispiele für Linke?
Alois Karl (CDU/CSU):
Liebe Frau Jelpke, Sie bräuchten nur den Bericht der Bundesregierung zur Kriminalitätsstatistik des Jahres 2006 anschauen. Dort ist sehr akribisch dargestellt, wie sich die Entwicklung der rechts- und linksmotivierten Straftaten vollzogen hat. Die Zahl der linksmotivierten Gewaltdelikte ist immer noch deutlich höher als die der rechtsmotivierten.
- Doch, leider Gottes ist das so. Darunter fällt auch all das, Frau Jelpke, was Sie angesprochen haben.
Sie haben vorhin in Ihrer Rede auch kurz die sogenannten befreiten Zonen angesprochen. Fragen Sie zum Beispiel einmal beim Polizeipräsidium in München nach. Dort werden Straßenseiten zum Beispiel von Migranten für sich reklamiert und als deutschenfreie Zone bezeichnet.
All das, Frau Jelpke, müssen Sie in Ihre Diskussion einbeziehen. Das, was Sie ansprechen, ist auf der rechten Seite in der Tat gegeben, wird aber auf der linken Seite von Ihnen verschwiegen. Das ist Ihr Fehler.
Politisch motivierte Straftaten sind für uns - ob von rechts oder von links motiviert - in der gleichen Weise erheblich. Wir können das Auge auf der linken Seite auf keinen Fall zudrücken.
Ich komme auf die Anfrage selber zurück. Sie desavouieren sich selber, weil Sie die historischen Tatsachen in Ihrer Anfrage verdrehen. Sie führen eine unangemessene Radikalität in Ihrer Sprache. Sie nehmen keine Rücksicht auf die Opfer und sind teilweise historische Brandstifter.
Die Radikalität Ihrer Sprache und die Verdrehung historischer Tatsachen kommt zum Beispiel zum Vorschein, wenn Sie sich in Ihrer Anfrage mit den Heimatvertriebenen befassen. Sie nehmen die Unwahrheit bewusst in Kauf, wenn Sie die Vertriebenen - immerhin sind das 15 Millionen; davon sind 2 Millionen auf der Flucht gestorben -
als ?sogenannte“ Heimatvertriebene bezeichnen und die Vertreibung der Deutschen als bloße Umsiedlung aus Osteuropa bezeichnen.
Diese Sprache, Frau Jelpke, ist verletzend. Das hätte ich auch Ihnen nicht zugetraut.
Meine Fraktion und die große Mehrheit im Haus wissen um das große Leid der Heimatvertriebenen und um die 2 Millionen, die auf der Flucht umgekommen sind. Wir wissen aber auch, dass sie sich in großen Teilen beim Wideraufbau in Deutschland verdient gemacht haben.
Niemand will Unrecht gegen Unrecht aufrechnen. Wir alle wissen, welch unendliches Leid die Deutschen über die Welt gebracht haben. Aber es ist nicht korrekt, dass Sie die Organisationen der Heimatvertriebenen zwischen dem rechten Rand des demokratischen Meinungsspektrums und neonazistischen Personen einordnen. Genau das machen Sie. Das weisen wir auf das Schärfste zurück.
Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir um die Verdienste der Heimatvertriebenen in diesem Land.
Auch studentische Verbindungen stellen Sie auf sehr abstruse Weise dar.
Hierzu sage ich ein offenes Wort: Wer dort aufgenommen werden will, Herr Ströbele, der muss die Frage beantworten, ob er rechten oder linken Organisationen angehört. Wenn er diese Frage mit Ja beantwortet, wird er nicht aufgenommen. Wenn er sie falsch beantwortet, wird er später hinausgeschmissen.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. In Ihrer Großen Anfrage richten Sie Ihren Fokus auch auf die, wie Sie schreiben, rechtsextremistisch durchsetzten Traditionsverbände, Reservistenvereinigungen und Kameradschaftskreise. Auf diese Frage hat Ihnen die Bundesregierung bereits geantwortet. Aber die Antwort genügt Ihnen nicht. Sie finden es schick, nur die Frage zu stellen. Auf die Antwort kommt es Ihnen offensichtlich nicht an. Ihnen genügt es, einen bestimmten Eindruck zu suggerieren. Die Bundesregierung hat Ihnen geantwortet, dass keine rechtsextremistisch durchsetzten Traditionsverbände bekannt seien. Dennoch bin ich mir sicher, dass Sie die nächste Gelegenheit nutzen werden, um diese Frage in gleicher Weise erneut zu stellen.
Ich darf Ihnen sagen, dass ich aus meiner früheren Tätigkeit in der Kommunalpolitik viele dieser Vereine kenne.
Sie alle haben eine grundlegende Gemeinsamkeit, liebe Frau Jelpke: All diejenigen, die den Krieg miterlebt haben, sagen, nie wieder dürfe es Krieg und nie wieder eine Zeit des Unrechts und der Intoleranz geben wie seinerzeit. Diese Einstellung verbindet sie. Ich sage Ihnen: Das sind keine ?kalten Krieger“. Im Gegenteil, sie sind Teil einer Bürgerinitiative für Frieden und Verständigung in unserem Land geworden.
Durch die Antwort der Bundesregierung zieht sich ein roter Faden:
In unserem Lande bewegen wir uns nicht an den rechten Rand des politischen Spektrums. Es existieren in Deutschland rechts-, aber auch linksextremistische Gruppen. Hier stellen sich uns große Aufgaben. Aber im bloßen Verbot von Parteien sehe ich nicht die Lösung. Wenn wir die NPD verbieten würden - darauf läuft Ihr Antrag hinaus, da Sie fordern, die V-Leute in der NPD abzuschalten -, würden wir uns damit den großen Vorteil nehmen, über die V-Leute Informationen abschöpfen zu können, um zu wissen, welche Aktionen und Demonstrationen rechte Gruppen und die NPD planen. Das allein ist schon ein Gewinn.
Sie verlangen, die NPD zu verbieten. Das verlangen allerdings auch die Republikaner. Daran sehen Sie, dass man sich seine Freunde nicht unbedingt aussuchen kann.
- Auch die Republikaner verlangen das Verbot der NPD.
Ich meine, dass es unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten richtig wäre, die NPD weiterhin durch V-Leute verfolgen und beobachten zu lassen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Alois Karl (CDU/CSU):
Ich komme zum Schluss. - Dadurch gewinnen wir mehr, als wenn wir in einem unsicheren Verfahren erneut die Forderung nach einem Verbot der NPD aufgreifen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit überzogen, und Sie haben gerade einen guten Schlusssatz gesagt.
Alois Karl (CDU/CSU):
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Spieth.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Karl, nach meiner Auffassung haben Ihre Ausführungen vor Unkenntnis gestrotzt. In Ihrer Darstellung haben Sie eine ungeheure Schlichtheit und Verharmlosung herübergebracht, die so selbstredend ist, dass man dazu eigentlich nichts mehr sagen müsste. Aber dennoch muss man, glaube ich, auch der Öffentlichkeit sagen, dass das, was Sie hier äußern, im krassen Widerspruch steht zu dem, was Ihr eigenes Jugendministerium, das wohl CDU-geführt ist, zu diesem Thema sagt. Ich darf, Frau Präsidentin, aus dem Bundesprogramm zitieren: Die Verfestigung rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Strukturen im Gemeinwesen und deren gezielte Einflussnahme auf die Einstellung der Bürgerinnen und Bürger bedrohen die demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft. - Das heißt: Im Bundesjugend- und -familienministerium wird sehr wohl begriffen, dass wir hier eine massive Bedrohungssituation in den Kommunen, bei den Menschen in allen Regionen Deutschlands haben.
Wir haben verschiedenste Untersuchungen. Ich will hier nur den von der Thüringer Landesregierung - CDU-geführt - vorgelegten ?Thüringen-Monitor“ nennen. Dort wird seit Jahren auf das besondere Problem rechtsextremistischer Einstellungen, fremdenfeindlicher Einstellungen, antisemitischer Einstellungen hingewiesen. Es wird aufgezeigt, dass über 20 Prozent der Thüringerinnen und Thüringer - das wird durch andere Studien für andere Regionen in Ost und West genauso belegt - demokratiefeindliche, rechtsextreme Einstellungen haben. Wenn man dann sagt: ?Wir können vor dem Hintergrund dieser Debatte links und rechts gleichstellen“, dann halte ich das für unverantwortlich und meine, das wird der historischen Herausforderung in keiner Weise mehr gerecht.
Ich will Ihnen klar sagen: Wir werden genauso wie Sie jede Gewalt ablehnen, und zwar egal, ob sie von rechts oder von links kommt. Aber derart - auch historisch - verharmlosend rechts und links gleichzustellen, das ist nach meiner Auffassung in der Tat so etwas wie - Sie haben es vorhin gesagt - Brandstiftung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Karl, Sie haben das Wort.
Alois Karl (CDU/CSU):
Ich darf darauf mit wenigen Sätzen antworten. - Wissen Sie, ich habe in meiner Rede nicht bestritten, dass in der rechten Szene Gefahren bestehen. Das wird auch in allen Dokumentationen, in allen Statistiken aufgelistet; das ist gar keine Frage. Wogegen ich mich gewandt habe, ist die Unehrlichkeit und auch die Unkorrektheit in Ihren Anträgen und in Ihren Anfragen, die in eklatanter Weise mindestens 50 Prozent des anderen Spektrums ausblenden und so tun, als wäre hier eine Bedrohung von rechts gegeben, eine Bedrohung auf der linken Seite aber in gar keiner Weise vorhanden. Darin besteht die Unehrlichkeit und damit auch die Unkorrektheit Ihrer Anträge.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe der Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke, das Wort.
Petra Pau (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Karl, eine Zahl vorweg: Im statistischen Schnitt werden bundesweit nicht durch die Linke, sondern durch die Bundesregierung Tag für Tag drei Gewalttaten registriert, die rechtsextremistisch, rassistisch oder antisemitisch motiviert sind. Das sind die offiziellen Zahlen - die tatsächlichen liegen weit höher und damit auch die Zahl der Opfer.
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sind also längst wieder eine Gefahr für Leib und Leben. Wenn jemand brandstiftet, dann sind das diese Menschenfeinde, die auf andere Menschen, weil sie anders aussehen, anders leben oder anders lieben, Übergriffe vollziehen. Von den Toten hat meine Kollegin Jelpke schon gesprochen.
Eine zweite Zahl dazu: Allein von 2004 bis 2006, also binnen zwei Jahren, hat die Zahl der registrierten Straf- und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund um 50 Prozent zugenommen. Diese Entwicklung ist alarmierend. Deshalb müssen auch wir, der Bundestag und alle Fraktionen, uns fragen, ob wir bislang adäquat auf diese Entwicklung reagiert haben. Ich finde: Nein. Wir sollten es aber endlich tun, und zwar parteiübergreifend.
Aber nicht nur die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Wir haben es auch mit einer neuen Qualität von Rechtsextremismus zu tun. Rechtsextremismus ist heute längst nicht mehr auf schlagende Stiefelknechte zu reduzieren wie vielleicht noch vor zehn Jahren. Von der Strategie über die Programmatik bis hin zum Personal suchen Rechtsextremisten Widerhall in der Gesellschaft, und das mit Erfolg. Auch hiermit haben wir uns gemeinsam im Bundestag bisher nicht adäquat beschäftigt.
Meine erste These: Nur wenn die Analyse stimmt, gibt es auch Aussicht auf Erfolg. Stimmen unsere Analysen? Ich sage: Nein. Das beginnt schon bei den Zahlen und Fakten. Deshalb sage ich erneut für die Fraktion Die Linke: Wir brauchen endlich eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Ihre Einrichtung war eigentlich in diesem Hause schon einmal beschlossen, aber es gibt sie noch immer nicht.
Meine zweite These: Solange Rechtsextremismus vorwiegend als Rand-, Jugend- oder Ostphänomen behandelt wird, werden wir ihn nicht zurückdrängen können.
Dasselbe gilt übrigens, solange der Rechtsextremismus vorwiegend als innen- oder rechtspolitisches Problem bearbeitet wird. Die Besetzung der Regierungsbank bei dieser Debatte spricht Bände.
Deshalb brauchen wir endlich eine ressortübergreifende Strategie, die sich auf Kompetenz stützt und die Zivilgesellschaft stärkt.
Aber genau da haben wir das nächste Problem. Wir erleben gerade - das spielte hier schon eine Rolle - eine Umstrukturierung der Initiativen, die sich für Demokratie und Toleranz engagieren. Die Gefahr ist eben immer noch nicht gebannt, dass dabei Bewährtes gegen Verfehltes ausgetauscht wird. Zu dem sächsischen Beispiel wurde hier schon gesprochen. Das wäre natürlich ein Ding aus dem Tollhaus, wenn sich Rechte hier Mittel erschleichen könnten.
Meine dritte These: Wer die NPD verbieten will, der ist zum Erfolg verpflichtet. Deshalb halte ich es ausnahmsweise einmal mit meinem Kollegen Bosbach aus der CDU. Er hatte an die Adresse der SPD gemeint: Eines gehe überhaupt nicht, nämlich monatelang öffentlich über ein NPD-Verbot zu reden, aber nichts dafür zu tun;
denn das werte die NPD nur zusätzlich auf. Ich füge hinzu: Das sollten wir tunlichst alle gemeinsam unterlassen.
Bezüglich der Frage, ob ein NPD-Verbot sinnvoll ist oder nicht, gibt es übrigens auch in der Linken unterschiedliche Auffassungen. Aber in einem sind wir uns einig: Wer die verfassungsfeindliche NPD ernsthaft und rechtsstaatlich verbieten will, muss zuerst das Verbotshindernis beseitigen, das heißt, die V-Leute abschalten. Sie nützen nichts, sie schaden aber sehr viel.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster, SPD-Fraktion.
Martin Gerster (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und diese Große Koalition bekämpfen jeglichen politischen Extremismus entschlossen und nachhaltig. Deswegen diskutieren wir fast in jeder Sitzung des Innenausschusses darüber. Ich sage dazu: Das ist gut so.
Ich verwehre mich aber an dieser Stelle für mich und die SPD-Fraktion ganz klar gegen den permanenten Versuch, Rechts- und Linksextremismus gleichzustellen und gegenseitig aufzurechnen.
Ich glaube, aus historischer Verantwortung heraus sind wir verpflichtet, Rechtsextremismus von Grund auf als zentrale Herausforderung für unsere freiheitliche Demokratie, für unsere Bundesrepublik Deutschland, für unser friedliches Zusammenleben zu sehen. Deswegen glaube ich, dass wir uns klarmachen müssen, dass im Rechtsextremismus ein Bedrohungspotenzial liegt, das niemals relativiert werden darf.
Wir dürfen uns an dieser Stelle nichts vormachen. In betroffenen Gebieten, Städten und Gemeinden, aber auch in Schulen und Vereinen ist oft die Angst da, Rechtsextremismus zu thematisieren: die Angst vor Stigmatisierung, die Angst vor Nachteilen. Deswegen wird das Thema leider viel zu oft totgeschwiegen. Wir haben es im Rahmen eines Ausflugs mit dem Kollegen Klaus Uwe Benneter vor einem halben Jahr bei einem Vor-Ort-Besuch in Brandenburg erlebt. Da haben uns Bürgermeister und Schulleiter berichtet, dass man sich in der Schule weigert, zu thematisieren, dass Rechtsextremismus in den Klassen ein Thema ist, weil man Angst um das gute Image der Schule hat. Deshalb ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle etwas tun.
Rechtsextremismus ist ein Thema, das wir nicht so wie viele Medien behandeln sollten, nämlich dass wir es erst dann auf die Tagesordnung hier im Bundestag setzen, wenn etwas passiert ist und es Schlagzeilen gibt. Es ist ein Thema, das keine Konjunktur duldet. Im Gegenteil: Dauerhaftes Engagement ist hier gefragt. Genau das machen die Bundesregierung und die Große Koalition, indem die wichtigen Programme fortgeschrieben werden.
In der Tat ist eine schlimme Entwicklung bei den Gewalt- und Straftaten zu verzeichnen. Kollegin Gabi Fograscher hat es erwähnt, und es ist auch in den entsprechenden Berichten nachzulesen. Im Bund waren es 15 914 Straftaten im vorletzten Jahr und über 18 000 im letzten Jahr. Auch in Baden-Württemberg gibt es eine immense Steigerung von 1 166 auf 1 351 Fälle. Das ist also nicht nur in den neuen Bundesländern ein Thema. Dort tritt es sicher verstärkt auf, aber es ist ein gesamtdeutsches Problem.
Als Abgeordneter aus Baden-Württemberg möchte ich einmal darauf hinweisen, was wir dort erleben. Da ist ein Wanderzirkus unterwegs; es gibt Kundgebungen, Aufmärsche, Einschüchterungen, in Friedrichshafen, in Laupheim, in Aulendorf. Es erschüttert einen, was dort stattfindet. Man kann sich nur wundern, wenn oft so getan wird, als ob dies nur in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern ein Thema wäre.
Die Zahlen zum rechtsextremistischen Personenpotenzial sind deutlich: Über 38 000 Personen werden diesen Kreisen zugerechnet, von denen 10 400 dazu noch als sehr gewaltbereit eingestuft werden. Das ist schlimm und besorgniserregend. Es ist sehr wichtig, dass wir entschieden und nachhaltig dagegen vorgehen.
Rechtsextremismus ist aus meiner Sicht aber nicht nur an Wahlerfolgen beispielsweise der NPD in zwei Landtagen oder an Kundgebungen und Aufmärschen festzumachen, sondern ist auch in sehr vielen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden. Auch darauf sollten wir bei einer solchen Debatte unser Augenmerk richten.
Die Strategie beruht ja vielfach auf vier Säulen: Kampf um die Straße - Kundgebungen, Aufmärsche; ich habe es erwähnt -, Einschüchterungen, Kampf um den Einzug in die Parlamente, leider die beiden Erfolge der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Aber auch der Kampf um die Köpfe und letztendlich eine organisierte Willensbildung sind an dieser Stelle von Bedeutung. Leider sehen sehr viele in der sogenannten neuen Rechten eine Scharnierfunktion zwischen rechtskonservativem Denken und rechtsextremistischem Handeln. Ich glaube, das ist eine sehr gefährliche Grauzone, die sich leider sehr stark entwickelt.
Ich will hier nur ein Beispiel anführen. ?Gesellschaft für freie Publizistik“ zum Beispiel hört sich wunderbar an; mit 500 Mitgliedern ist diese aber inzwischen die größte rechtsextremistische ?Kulturvereinigung“. Hier sind Referenten wie David Irving, der Holocaustleugner, oder auch Albrecht Jebens, früher im Weikersheimer Studienzentrum, jetzt bei der Hans-Filbinger-Stiftung tätig, zu finden. Ich bin heilfroh, dass die Bundeskanzlerin in der Woche nach Ostern den Ministerpräsidenten auf Abwegen ganz klar gestoppt hat.
Bezüglich der Zwischenfrage von Frau Lötzsch vorhin, in der sie auf Bundesmittel für das Studienzentrum Weikersheim hingewiesen hat, will ich ganz klar sagen, dass es offenbar so ist, dass über die Bundeszentrale für politische Bildung geringe Mittel für einzelne Veranstaltungen zur Verfügung gestellt worden sind. Heute Morgen hatten wir eine Kuratoriumssitzung, wo insbesondere über diese Themen gesprochen worden ist. Schade, dass von Ihrer Fraktion niemand da war; dort wäre diese Nachfrage eigentlich gut platziert gewesen. Aber ich versichere Ihnen, dass wir als Kuratoriumsmitglieder bei der nächsten Sitzung darüber reden werden, wer von diesen Mitteln profitiert.
Ich denke, das gehört dort auf die Tagesordnung.
Ich weise an dieser Stelle aber auch darauf hin, dass sich in der Grauzone zwischen rechtskonservativem Denken und rechtsextremistischem Handeln im Bereich der Publizistik einige Zeitschriftenverlage und Magazine bewegen, bei denen wir sehr genau hinschauen sollten.
Wir haben erlebt, wie leider auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP - das soll jetzt kein Vorwurf von mir sein - hereingefallen ist und der ?Deutschen Militärzeitschrift“ ein Interview gegeben hat. Kurz darauf hat sie sich dafür entschuldigt. Das ist in Ordnung. Ich appelliere an uns alle, zukünftig darauf zu achten, wer nach einem Interview fragt.
- Herr Kollege, das war von mir nicht böse gemeint; ich wollte nur einmal dieses Beispiel anführen. Wir haben auch in unseren eigenen Reihen Kollegen, die in eine Falle tappen könnten. Wir sollten also alle sehr vorsichtig sein, damit wir als Abgeordnete diesen Leuten nicht auf den Leim gehen.
- Ich habe deutlich darauf hingewiesen, dass es nicht nur Kollegen von der FDP waren.
Die Frage ist, was wir tun können. Ich will an dieser Stelle betonen, dass wir die Initiativen vor Ort stärken müssen. Wir müssen diese Leute ermutigen, im Kampf gegen rechts weiterzumachen. Es ist vielfach nicht einfach, unsere Werte zu verteidigen; denn man gerät unter Druck und wird eingeschüchtert. Deswegen glaube ich, dass die Fortschreibung der entsprechenden Programme an dieser Stelle ein ganz wichtiges Instrument ist.
Das Bundesprogramm wird mit 19 Millionen Euro fortgeschrieben. Außerdem werden 5 Millionen Euro draufgesattelt. Ich sage herzlichen Dank an alle Kollegen, die an dieser Stelle mitgewirkt haben. Ich bedanke mich auch bei den betreffenden Ministerien, dass sie schnell bereit waren, hier mitzuarbeiten. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal.
Ich will mit dem Hinweis schließen: Geld ist nicht alles. Aber ohne Geld ist auch beim Kampf gegen den Rechtsextremismus leider kaum Land zu gewinnen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Christian Ahrendt, FDP-Fraktion.
Christian Ahrendt (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir können hier übereinstimmend feststellen, dass der Rechtsextremismus in Deutschland zugenommen hat. Wir können auch feststellen, dass sich die rechtsextremistischen Parteien organisieren. DVU und NPD sprechen sich bei Landtagswahlen ab. Wir haben im letzten Jahr erlebt, dass aufgrund dieser Absprache die NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen ist. 2004 konnte die DVU wieder in den Landtag Brandenburg einziehen. Ebenfalls 2004 ist die NPD in den Sächsischen Landtag eingezogen.
Auch die rechtsextremistische Gewalt nimmt zu. Die Frage, die daraus resultiert, lautet, wie die Zivilgesellschaft und die Parteien dieser Herausforderung begegnen sollen. Man kann nun den Antrag stellen, die V-Männer in der NPD sozusagen abzuschalten, um so ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD vorzubereiten. Das halte ich aber für falsch. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass es richtig ist, Aufklärung in der rechtsextremistischen Szene zu betreiben und Erkenntnisse über das Gefährdungspotenzial in der rechten Szene zu gewinnen. Daher halte ich es, wie gesagt, für falsch, die V-Männer abzuschalten.
Man muss ferner sagen, dass die Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotsverfahrens nicht unbedingt als positiv einzuschätzen sind. Aus einem Verbotsverfahren würden sich in jedem Fall folgende Konsequenzen ergeben:
Erstens. Die NPD dürfte sich während des gesamten Verfahrens einer nicht unerheblichen medialen Aufmerksamkeit sicher sein.
Zweitens. Wenn das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verloren geht, dann erhält die NPD das Gütesiegel ?nicht verfassungswidrig“, was sie sich dann auf die Fahne schreiben könnte.
Auch vor diesem Hintergrund muss man sich sehr wohl überlegen, ob man ein solches Verfahren tatsächlich anstrengen möchte.
Drittens. Ein solches Verfahren löst tatsächlich nicht die Probleme. Wir haben in der Bundesrepublik durchaus Erfahrungen mit Parteiverboten. Bisher haben wir feststellen müssen, dass man zwar die Partei verbieten kann, aber nicht die Überzeugung. Die Überzeugung besteht weiter.
Deswegen kommt es darauf an - das hat mein Vorredner richtig gesagt -, dass wir die Kräfte in der Zivilgesellschaft unterstützen.
Die NPD setzt im ländlichen Raum und in den Kleinstädten an. Dort bereitet sie zurzeit große Schwierigkeiten. Während des Landtagswahlkampfs in Mecklenburg-Vorpommern und der Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt konnten wir der Presseberichterstattung entnehmen, dass dort ganz gezielt Politiker anderer Parteien in martialischer Weise in ihrer Meinungsäußerung eingeschüchtert wurden. Auf der anderen Seite versteckt sich die NPD hinter einer Fassade bürgerlicher Freundlichkeit, indem sie Kinderfeste veranstaltet, Bürgerinitiativen gründet und in Elternversammlungen vertreten ist.
Die Auseinandersetzung der Menschen vor Ort - gerade derjenigen in einem Ehrenamt - mit diesem Problem über eine lange Zeit verlangt viel Kraft. Dazu muss aus diesem Hohen Hause wesentlich mehr Unterstützung geleistet werden, als nur - das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich - Programme aufzulegen und dann zur Tagesordnung zurückzukehren.
Ich will das Stichwort Brandstiftung, das ein Kollege in dieser Debatte genannt hat, aufgreifen. Es ist viel geklagt worden, wer wann welcher Zeitung - möglicherweise auch aus dem rechten Bereich - welches Interview gegeben hat. Ich habe mir ein Plakat herausgesucht, das mich persönlich, weil ich aus Mecklenburg-Vorpommern komme, immer sehr geärgert hat. Ich glaube, es gehört zur politischen Kultur, dass man sich auch einmal überlegt, wie man im politischen Wettbewerb wirbt. Dies ist ein Plakat von Ihnen von der Linken mit dem Titel ?Es reicht“.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Plakate lässt nur die Präsidentin zu.
Christian Ahrendt (FDP):
Ich zeige es nur kurz und packe es jetzt wieder ein.
Wer solche Plakate aufhängt und sich parallel dazu die Plakate der NPD anschaut, wird feststellen: Es sind die gleichen Plakate; es ist die gleiche Sprache. Man muss sich, da nach unserer Verfassung Extremismus nicht teilbar ist, sehr wohl überlegen, wie man im politischen Wettbewerb agiert und ob man sich dieser Methoden bedienen will.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Fraktion.
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen betonen, dass die CDU/CSU-Fraktion jegliche Form von Extremismus ablehnt, insbesondere den politischen Extremismus, egal ob von rechts oder links motiviert.
Ich teile die Auffassung meiner Vorredner und warne davor, Extremismus zu kategorisieren, wie es oftmals vom Antragsteller getan wird.
Wir alle haben vorgestern die gewalttätigen Ausschreitungen der linken Szene in Hamburg verfolgt. Nach eigenen Aussagen wollten die linksextremen Randalierer mit Brandanschlägen und anderen Aktionen den Weltwirtschaftsgipfel verhindern.
Polizisten wurden mit Flaschen, Brandsätzen und Steinen beworfen. Heute schreibt der ?Tagesspiegel“, dass die Gefahr von links wachse. Das ist die Realität, und darauf müssen wir Antworten finden.
Wenn man Ihre Anträge zum Thema Rechtsextremismus liest und die jüngsten Äußerungen zu den Krawallen hört, dann muss man auf der einen Seite den Eindruck gewinnen, dass Sie zwischen tolerierbarem und nicht tolerierbarem Extremismus unterscheiden.
Das lehnen wir von vornherein ab. Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion: Wir sind weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind. Das sollte auch bei anderen Fraktionen in diesem Hause so sein.
Auf der anderen Seite warne ich davor, Extremismus zu verharmlosen, wie es einige immer wieder tun.
Jede Form von Extremismus muss entschieden bekämpft werden.
Es ist besorgniserregend, dass die rechtsextremistische Ideologie gerade bei jungen Menschen ankommt. Im Verfassungsschutzbericht wird festgestellt: Die Zahl sowohl der rechts- als auch der linksmotivierten Straftaten hat zugenommen; dies haben wir schon von verschiedensten Seiten gehört. Wir nehmen die Aussagen des Verfassungsschutzberichts sehr ernst. Ich sage aber in aller Deutlichkeit, dass ich eine künstlich hochgezogene Debatte für genauso falsch halte;
denn das zeigt ein falsches Bild von Deutschland in der Welt.
Extremismus verfolgt immer die gleichen Ziele: Intoleranz und Ignoranz. Das sind Eigenschaften, die wir in Deutschland nicht haben wollen.
Ich möchte auf die vorliegenden Anträge und die Maßnahmen, die die Bundesregierung ganz konkret zum Thema Rechtsextremismus ergreift, eingehen. Wir begrüßen es, dass sich die Bundesregierung des Themas Extremismus annimmt. Allein für die Bekämpfung der extremen Rechten gibt sie 24 Millionen Euro im Jahr aus. Ich halte das Programm der Bundesregierung ?Förderung von Beratungsnetzwerken - Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ für richtig; denn dieses Programm setzt im Gegensatz zu bisherigen Programmen dort an, wo es gebraucht wird, nämlich vor Ort, in den Kommunen, in den Gemeinden und in den Ländern.
Ich halte es auch für richtig, dass die Länder und Kommunen mit ins Boot genommen werden; denn nur in enger Kooperation mit den Ländern können in allen Bundesländern nachhaltige Strukturen für eine präventive und engagierte Arbeit gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufgebaut werden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lazar?
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Gerne.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, ich habe gerade gelesen, dass Sie aus dem Wahlkreis Zollernalb kommen. Ich war vor einigen Wochen in dieser Region und habe an einer Veranstaltung in Burladingen teilgenommen. Auch Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass in Burladingen das Problem besteht, dass rechtsextreme Jugendliche für Unsicherheit im Ort, zum Beispiel auf dem Weihnachtsmarkt, sorgen. Die Initiativen dort haben mir ganz eindeutig gesagt, dass ihnen die politische Unterstützung, angefangen beim Bürgermeister, fehlt. Ich würde gern von Ihnen wissen, ob Sie sich vor Ort dafür einsetzen, dass das Problem von den Politikern auf kommunaler Ebene erkannt wird. Sie haben ja gerade das Bundesprogramm befürwortet. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie den Bürgermeister darauf ansprechen würden.
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Ich bin für diesen Einwurf dankbar. Ich kenne die Region sehr gut. Ich bin dort auch Kreisrat. Aus diesem Grund setze ich mich dafür ein, dass die kommunalen Kräfte verstärkt werden und im Kampf gegen Rechtsextremismus Unterstützung vom Land und vom Bund bekommen.
Ich werde mich nicht nur als Bundestagsabgeordneter, sondern auch als Kreisrat vor Ort dafür einsetzen.
Für das neue Programm sind im Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 5 Millionen Euro vorgesehen. Oftmals wird verkannt, dass sich die Länder darüber hinaus mit eigenen Mitteln - Minimum 20 Prozent - an der Finanzierung des Programms beteiligen müssen. Damit wird die Eigenverantwortung gestärkt, und die Mittel werden erhöht. Dadurch wird die Kraft vor Ort verstärkt.
Ich glaube, mit dem Programm zeigt die Bundesregierung eines: ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Rechtsextremismus zielorientierter als bisher anzugehen. Umso erstaunlicher finde ich es, dass die Kollegen von der Linkspartei das Konzept in ihrem Antrag als ?ungeeignet“ ablehnen. Stattdessen fordern sie ein neues Konzept, ohne sich mit dem auseinanderzusetzen, was bereits umfassend geschieht und was die Bundesregierung weiterentwickelt und verbessert hat.
Ich möchte hier ganz offen sagen, dass es in der Vergangenheit Kritik an laufenden Projekten gegeben hat. Bei näherer Betrachtung muss man feststellen, dass viele Finanzmittel leider nicht am richtigen Ort angekommen sind. Gerade deshalb bin ich - das habe ich vorhin schon erwähnt - für eine kommunale Trägerschaft und nicht für eine Projektträgerschaft. Das haben wir jetzt festgeschrieben.
Mein Kollege von der SPD hat es vorhin gesagt - sicherlich sind wir uns darin einig -: Geld ist nicht alles. Wir brauchen auch anderes, um Extremismus zu bekämpfen. Wir müssen die Frage stellen, warum gerade junge Menschen dem Extremismus oftmals verfallen. Ein Grund ist sicherlich, dass vielen eine individuelle Perspektive und Zukunftszuversicht fehlen. Gerade im Osten führt dies meines Erachtens immer wieder zu Problemen. Deshalb finde ich es unglaublich ermutigend, dass der Arbeitsmarkt eine hervorragende Entwicklung vorweist. Bundesweit sind im April 2007 130 000 Jugendliche weniger arbeitslos gemeldet gewesen als im Vorjahresmonat. Das ist eine erfolgreiche Bilanz, die die Bundesregierung zu Recht immer wieder stolz in den Mittelpunkt stellt.
Ein weiterer Lichtblick ist der Ausbildungspakt, der kürzlich um drei Jahre verlängert worden ist. Circa 25 000 Verträge - das sind 13 Prozent mehr als im vergangenen Jahr - wurden abgeschlossen. Das ?Ausbildungsprogramm Ost“ mit 13 000 Plätzen in 2006 zeigt, dass jedem Einzelnen eine Perspektive geschaffen wird. Jeder Ausbildungsplatz oder Arbeitsplatz mehr entzieht dem Extremismus Nährboden und trägt dazu bei, jungen Menschen eine Zukunft zu geben. Wer eine Zukunft hat, wird sicherlich keine fremdenfeindlichen oder andere Parolen von sich geben.
Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die Bildung. Ich bin fest davon überzeugt, dass Bildung das beste Mittel gegen Intoleranz ist. Außerdem bietet Bildung die Chance, die unterschiedlichen Lebensformen als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu erfahren. Das fördert Toleranz und verhindert Fremdenfeindlichkeit.
Gerade in der Familie werden Werte und vor allen Dingen Respekt und Toleranz anderen gegenüber gelehrt und vermittelt. Deshalb ist jeder Euro, der in die Familie investiert wird, auch ein Mittel gegen Rechtesextremismus. Die Familie bildet deshalb den Kern unserer Gesellschaft.
Daneben bilden - das wurde bereits angesprochen - Vereine eine ganz wichtige Basis; das sage ich, weil ich aus Baden-Württemberg komme. Jeder, der in einem Verein, zum Beispiel einem Sportverein oder Musikverein, vor Ort engagiert ist, wird nicht zu einer rechtsextremen Vereinigung gehen, sondern einen wichtigen und engagierten Beitrag in der Gesellschaft leisten.
Weil wir die Ratspräsidentschaft innehaben, möchte ich noch eines sagen: Ich glaube, Europa ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Viele Menschen haben heutzutage die Möglichkeit, Europa und die Welt - andere Menschen, andere Kulturen und andere Religionen - per Jugendaustausch kennenzulernen. Das ist ein ganz wichtiges Mittel, um Fremdenfeindlichkeit vorzubeugen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit der Europäischen Union über 7 Milliarden Euro für Jugendaustauschprogramme innerhalb der nächsten fünf Jahre zur Verfügung gestellt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um Extremismus zu bekämpfen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen: Die Bundesregierung misst der Auseinandersetzung mit dem Extremismus und seiner Bekämpfung einen sehr hohen Stellenwert bei. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bundesregierung bei diesem Vorhaben weiterhin mit voller Kraft unterstützen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Bevor ich dem Kollegen Nitzsche das Wort gebe, gratuliere ich dem Kollegen Michael Hartmann sehr herzlich zu seinem heutigen Geburtstag.
Das Wort hat der Kollege Henry Nitzsche.
Henry Nitzsche (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung mit Kräften, die unseren Rechtsstaat bedrohen, ist richtig und wichtig.
Bei diesem sensiblen Thema muss aber die Frage gestellt werden, ob die Große Anfrage, die Anträge und die gesamte parlamentarische Arbeit der Linken wirklich geeignet sind, unseren Rechtsstaat zu schützen. Nach dem Lesen der Großen Anfrage bezweifele ich mittlerweile grundsätzlich, dass sie überhaupt darauf abzielt, Gefahren vom Rechtsstaat, somit von der Meinungsfreiheit abzuwenden; denn in der Großen Anfrage werden - der Kollege Karl hat es schon erwähnt - Heimatvertriebenenverbände, Trachtenverbände, Burschenschaften und sogar Teile der Bundeswehr pauschal unter Generalverdacht gestellt. Selbst die Union sitzt nach Darstellung der Linken irgendwo da drin. Ich wundere mich, dass Sie den ADAC nicht bemühen; denn schließlich setzt er sich für das Rechtsfahrgebot in Deutschland ein.
Was wir hier bekommen, ist die Verzerrung der politischem Zustände. Das erinnert mich - einige aus den Reihen der Linken kennen das noch - an die DDR. Das Verständnis von Freiheit und Demokratie wird in eine ausschließlich linke Meinungsführerschaft umgedeutet. Der Fokus wird umgeschwenkt, sodass die Mitte zwischen SPD und PDS angekommen zu sein scheint. Ich erinnere mich dabei an die Parole von Walter Ulbricht aus DDR-Zeiten: ?Jeder Mann an jedem Ort - mehrmals in der Woche Sport“ - angesichts der letzten Beschlüsse der Koalition geradezu Labsal.
Wenn man allerdings die historische Mission der Arbeiterklasse und ihrer leninistischen Arbeiterpartei mit Führungsanspruch anführt, um die entwickelte sozialistische Gesellschaft mit dem linken Meinungsführeranspruch zu zementieren, wird mir Angst. Ich frage mich: Sind wir trotz Wendezeit, trotz Montagsdemonstrationen wieder da angekommen, wo die Freiheit des Wortes mit Füßen getreten wird? Findet sich das bürgerliche Lager wie einst die Blockparteien mit der Meinungsführerschaft der politischen Linken ab? Wenn ja, macht sie sich auch Schuld an der Pervertierung der Meinungsfreiheit.
Zu den Zahlen: Von 2001 bis 2006 wurden für etwa 4 500 Projekte circa 192 Millionen Euro ausgegeben. Gleichzeitig stieg aber die Zahl rechtsextremer Straftaten und rechtsextremer Wahlerfolge. Und was will Genossin Jelpke jetzt? Mehr Geld. Und was passiert dann? Arbeitsbeschäftigung für Politologen und Soziologen. Frau Jelpke, ich habe gelesen, dass Sie Soziologin sind. Das ist ja die Kaste von Menschen, die für eine gute Lösung das passende Problem sucht.
Das Problem DDR haben wir damals abgewickelt. Ich bin 1989 auf die Straße gegangen,
da haben Sie sich noch bei den Grünen in Hamburg den Hintern gewärmt, für gutes Westgeld. Sie hätten die DDR erleben können.
Für mich ist Demokratie Wettbewerb, Parteienwettbewerb um die besten politischen Konzepte.
Wenn Sie jetzt die NPD verbieten wollen, müssen Sie zur Kenntnis nehmen - -
- Frau Präsidentin, kann man einmal um Ruhe bitten?
2004 haben in Sachsen 190 909 Menschen die NPD gewählt. Bei der letzten Bundestagswahl waren es 748 568. Wollen Sie sagen, das sind alles Rechtsextremisten? Wollen Sie das behaupten? Gehen Sie doch einmal auf die Sorgen und Nöte dieser Menschen ein! Fragen Sie sie, warum sie NPD gewählt haben: aus Frust, aus Protest, als Denkzettel.
Sind das etwa die Wechselwähler, die Sie an die NPD verloren haben, immerhin 11 000 in Sachsen?
Ich lese - vielleicht beruhigt Sie das - jetzt gern und oft die ?junge Welt“. Da gibt es hochinteressante Beiträge. So konnten wir am 14. März dieses Jahres in der ?jungen Welt“ lesen, dass Genossin Jelpke vom Verfassungsschutz überwacht wird.
Was steht in diesem Bericht? Ich nenne exemplarisch wenige Punkte: kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Deutschen Kommunistischen Partei; Ihre politische Heimat war die orthodoxe Politsekte Kommunistischer Bund - da gibt es hier weitere Verstrickungen -;
zahlreiche Veröffentlichungen in linksextremistischen Publikationen; ein ungeklärtes Verhältnis zu politisch motivierter Gewalt.
Selbst die Verfassungsschutzbehörden stecken in der Welt Jelpkes - Zitat - ?seit vielen Jahren selber tief im braunen Dreck“. Für Sie ist also alles rechtsradikal.
Ich sage Ihnen: Personen und Organisationen, die selber in linksextremistische Zusammenhänge verstrickt sind, können bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus keine Bündnispartner sein. Deshalb sind Ihre Anträge abzulehnen. Für Ihr Poesiealbum - ich weiß nicht, ob Sie eines haben -
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Henry Nitzsche (fraktionslos):
- ich komme zu meinem Schlusswort - möchte ich zitieren, was Rosa Luxemburg gesagt hat: ?Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Gert Winkelmeier.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Nitzsche, Ihr Redebeitrag zum Rechtsextremismus liest sich wie eine Bewerbung für die NPD; dort gehören Sie geistig auch hin.
Sie sollten hier nicht über Rechtsextremismus reden. Ich wundere mich, dass jemand wie Sie in die CDU aufgenommen werden konnte; aber das ist ein anderes Thema.
In dem kleinen Westerwaldort Oberlahr fand letzten Sonntag eine Demonstration von über 1 000 Menschen gegen die NPD statt. Dabei war zu beobachten, dass dieser Protest aus der Mitte der Gesellschaft gekommen ist. Der CDA-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz forderte während der Versammlung ein Verbot der NPD. Auch die ?Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten“ wirbt mit einer Unterschriftensammlung für einen erneuten Anlauf für ein NPD-Verbot. Und das ist gut so.
Um beurteilen zu können, warum das erste Verbotsverfahren scheiterte, lohnt sich ein genauer Blick ins Jahr 2000: In der ?FAZ“ vom 5. April 2000 wird Herr Schily zitiert, dass von der NPD keine Gefahr für die Demokratie ausgehe. In der ?Berliner Zeitung“ vom 26. April 2000 warnte er vor unbedachten Schnellschüssen und wies Forderungen nach einem Verbot rechtsextremer Parteien zurück.
Erst nach einer Reihe rechtsextremistischer Anschläge - ich erinnere an den Düsseldorfer Sprengstoffanschlag - wurde die Debatte über ein NPD-Verbot lebhafter. Auf einmal forderte der bayerische Innenminister ein NPD-Verbot. Es gab auch Widerspruch: Brandenburgs Innenminister Schönbohm fand die Gründe für ein NPD-Verbot nicht ausreichend, Frau Künast bezeichnete das Verbotsverfahren laut ?FAZ“ vom 11. Oktober 2000 als absoluten Quatsch, und die FDP war immer gegen ein Verbot der NPD. Dass es überhaupt zu einem Verbotsantrag kam, haben wir dem damaligen Kanzler Schröder zu verdanken, der seine Kampagne ?Aufstand der Anständigen“ initiierte und davon sprach, dass das Verbot ein Stück politischer Hygiene bedeute. Danach setzte ein kampagnenartiger, hektischer Aktionismus ein. Genau das war das Problem.
Ich behaupte hier und heute, dass die damalige Bundesregierung nie ernsthaft daran interessiert war, die NPD zu verbieten. Sie wollte lediglich Aktivitäten vortäuschen. Herr Schily war von der großen Sorge erfasst, dass sein Kontrahent, Herr Beckstein, bei diesem Thema die Meinungsführerschaft erhält. Deshalb wurden in der Hektik elementare Fehler bei der Erstellung des Verbotsantrags gemacht.
Die Öffentlichkeit hatte den Eindruck, dass man nicht mehr wusste, ob die NPD von V-Männern oder von ihren eigenen Leuten geführt wird. Jeder siebte NPD-Funktionär stellte sich als bezahlter staatlicher Verfassungsschutzmann heraus.
- Doch, das ist wohl wahr.
Die schlampige Arbeit des Bundesinnenministeriums ist umso bedauerlicher, als es im Bundestag von Ende 2000 bis 2001 eine breite politische Übereinstimmung gab. Im Kern waren sich alle Parteien einig, dass es der Staat nicht hinnehmen dürfe, dass ?unter dem Schutz des Parteienprivilegs neonazistisches Gedankengut gefördert“ werde. In einem Antrag aller Parteien sprach man sich im März 2001 gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt aus. In einer Drucksache vom 1. März 2002 sprach sich auch die Fraktion der CDU/CSU für ein Verbot der NPD aus. Heute macht die Bundesregierung einen großen Bogen um das Thema NPD-Verbot.
Die NPD provoziert im Landtag von Sachsen einen Skandal nach dem anderen. Ein NPD-Abgeordneter ging in Mecklenburg-Vorpommern mit einem ?Totschläger“ in den Landtag. Ich fordere Frau Bundeskanzlerin Merkel auf, das NPD-Verbot zur Chefinsache zu machen. - Leider ist sie nicht hier. Das ist schade. Man sieht allerdings, dass die Regierungsbank sowieso relativ schwach besetzt ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat einen klaren Weg aufgezeigt, wie es zu einem Verbot kommen kann. V-Leute in der NPD müssen abgezogen werden; denn sie sind für nichts notwendig. Entscheidende Erkenntnisse werden über sie nicht erlangt. Das wird durch die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion bewiesen. Es ist ein Armutszeugnis, dass auf viele Fragen an die Regierung mit einem lapidaren ?Dazu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.“ geantwortet wird.
Man kann grundsätzlich nicht mit Agentenmethoden gegen Parteien vorgehen. Parteien sind öffentlich. Deshalb muss eine nichtstaatliche Organisation Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beobachten. Durch eine Analyse der NPD-Beweise wird deutlich, dass ausreichend Anlass besteht, ihre Verfassungstreue zutiefst zu bezweifeln.
Wir sind uns sicherlich einig, dass durch ein Verbot allein rechtsextremes und fremdenfeindliches Gedankengut nicht aus den Köpfen der Menschen getrieben wird. Das muss politisch gelöst werden. Wir müssen uns auf den Leitsatz ?Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ einigen. Mit dem NPD-Verbot bekämen wir ein Instrument in die Hand, um die menschenfeindlichen Theorien und Zielsetzungen des Faschismus aus den Köpfen zu bekommen.
Für die NPD und ihre Anhänger darf nicht das demokratische Gebot der Meinungsfreiheit gelten. Die NPD ist nicht gestärkt aus dem gescheiterten Verbotsverfahren hervorgegangen; sie nutzt einfach ihre Möglichkeiten und kann mit öffentlichen Geldern weiter ihr Unwesen treiben.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Gert Winkelmeier (fraktionslos):
Ich komme zum Ende.
Mein Appell an die Bundesregierung lautet: Wenn Sie es mit dem Verbot im Jahre 2000 wirklich ernst meinten, dann handeln Sie jetzt rechtsstaatlich. Schaffen Sie die Voraussetzungen für ein zweites NPD-Verbotsverfahren!
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.
Sebastian Edathy (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man als letzter Debattenredner das Wort ergreifen darf, dann hat man zwei Vorteile: Erstens kann einem anschließend nicht widersprochen werden - wozu es, wie ich annehme, wahrscheinlich auch keinen Grund geben wird. Zweitens hatte man Gelegenheit, die ganze Debatte zu verfolgen. Somit muss ich mich nicht mit einem fertigen Manuskript hier hinstellen, sondern kann vielleicht das eine oder andere, was heute ausgeführt worden ist, aufgreifen.
Ich glaube, dass wir alle miteinander eindeutig feststellen müssen: Rechtsextremismus ist organisierte Menschenfeindlichkeit. Deshalb ist Rechtsextremismus immer eine latente Herausforderung und Gefahr für die Demokratie, der wir unsere volle Aufmerksamkeit widmen müssen.
Das heißt nicht zuletzt: Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Strategien es gegen Rechtsextremismus - seine Erscheinungsformen, aber auch sein Entstehen - gibt, dann kommt es auf drei Komponenten an. Eine Komponente besteht unzweifelhaft darin, dass wir den Konsens zwischen den Demokratinnen und Demokraten brauchen, dass rechtsextremistisches Verhalten und das Wählen rechtsextremistischer Parteien völlig inakzeptabel sind.
Ich habe manche Äußerungen mit einem etwas unguten Gefühl vernommen, die darauf hindeuteten, dass Linksextremismus gegen Rechtsextremismus aufgewogen werden soll; die Fraktionen machen sich gegenseitig Vorwürfe. Ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Wir müssen vielmehr den demokratischen Grundkonsens, der seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht, auch im 21. Jahrhundert bewahren. Dazu gehört auch, das Thema nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren. Das sollten wir auch in diesem Haus berücksichtigen.
Mir macht beim Thema Rechtsextremismus ein Phänomen am meisten Sorge, das auch in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage erheblichen Raum einnimmt. Rechtsextremismus in Deutschland ist seit zehn bis 15 Jahren davon geprägt, dass zunehmend junge Menschen damit in Erscheinung treten. In der Mitgliederstruktur der NPD als radikalste rechtsextremistische Partei in Deutschland liegt das Durchschnittsalter bei Anfang 30. Wir müssen also davon ausgehen, dass uns das Thema weiter beschäftigen wird.
Vor allen Dingen müssen wir berücksichtigen, dass es Rechtsextremisten in der Vergangenheit zunehmend gelungen ist, ihren Nachwuchs aus den heranwachsenden Generationen zu rekrutieren. Wenn wir keine gemeinsamen Ansätze formulieren können, um dem Rechtsextremismus zum Beispiel dort mit Alternativangeboten entgegenzuwirken, wo es an Jugendarbeit fehlt oder sie nicht funktioniert oder wo möglicherweise in der Vergangenheit Entscheidungen von einer falschen Prioritätensetzung in den Kommunen geprägt waren, dann perpetuieren wir das Problem, und dann wird es noch stärker an Bedeutung gewinnen.
Was heißt das im Hinblick auf Gegenstrategien? Es war viel von Verboten die Rede, worauf ich auch noch eingehen werde; aber das ist für mich nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr ist neben der Intervention die Frage der Vorbeugung von entscheidender Bedeutung. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns in diesem Land gemeinsam an eines erinnern müssen - das haben wir aus der deutschen Geschichte gelernt -: Demokratie lässt sich nicht vererben, und sie ist auch keine Errungenschaft, die für ewige Zeiten als garantiert betrachtet werden kann. Vielmehr muss Demokratie nicht nur bewahrt, sondern auch weitergegeben werden. Sie muss von jeder Generation aufs Neue gelernt werden.
Wenn wir es schaffen, Kindern und Jugendlichen auf dem Weg zum Staatsbürger so viel stabilisierende Hilfe zu gewähren, dass sie irgendwann die Werte verinnerlichen und es nicht nötig haben, die Würde anderer in den Dreck zu ziehen, um sich des eigenen Selbstbewusstseins zu vergewissern, dann haben wir den entscheidenden Schritt gegen jede Art von Extremismus, insbesondere aber gegen den Rechtsextremismus, geleistet.
In der Hinsicht sind wir auf Bundesebene in der Tat ein Akteur, aber nicht der einzige. Wir brauchen die anderen staatlichen Ebenen - die Länder und die Kommunen -, aber auch die Zivilgesellschaft: die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände, die Kirchen, die Sozialverbände und die vielen Initiativen und Projekte, die sich in diesem Bereich vorbildlich engagieren und die man mit ihrer Arbeit nicht alleinlassen darf. Wir brauchen ein Bündnis gegen Rechtsextremismus, das sowohl die staatlichen als auch die privaten Akteure in unserem Lande umfasst.
Ich bin stolz darauf, dass wir es in der Großen Koalition geschafft haben, die Mittel des Bundesprogramms signifikant - von 19 Millionen Euro auf mittlerweile 24 Millionen Euro pro Jahr - zu erhöhen. Ich gebe zu, dass das nicht leicht war, aber eine Große Koalition hat auch gelegentlich den einen oder anderen pädagogischen Effekt. Ich freue mich sehr darüber, dass auch die Unionsfraktion letzten Endes die Vorschläge der Sozialdemokraten als vernünftig anerkannt und ihnen zugestimmt hat.
Wir müssen sehen, wie sich dieses Programm bewährt. Es ist kritisiert worden, dass die Mittel nur dann verausgabt werden können, wenn die Kommunen zugestimmt haben. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie man mit Kommunen verfahren soll, in denen das Problembewusstsein nicht hinreichend ausgeprägt ist. Wir müssen bei der Umsetzung des Programms darauf achten, ob im Einzelfall nachgesteuert werden muss. Grundsätzlich halte ich es aber für ausgesprochen sinnvoll, darauf zu achten, dass die Initiativen und Projekte, die vom Bund unterstützt werden, auf Dauer auch kommunal verankert sind, akzeptiert und mitgetragen werden. Dort, wo es Kommunikationsschwierigkeiten gibt, sollten wir behilflich sein, und zwar nicht zuletzt über das Familienministerium.
Ich will noch etwas - weil das in der Debatte eine gewisse Rolle gespielt hat - zum Thema Intervention sagen, also dazu, was wir dort tun, wo Rechtsextremismus bereits entstanden ist. Priorität hat für mich, das Entstehen einer Gesinnung zu verhindern. Das ist neben der Ächtung einer Gesinnung das Beste, was wir machen können, wenn es um die rechtsextremistische Ideologie geht. Ich bin der Auffassung, dass wir in der Vergangenheit einen guten Weg gegangen sind, eine vernünftige Balance gefunden haben. In Zukunft wird es vermehrt darauf ankommen, sicherzustellen, dass Straftaten zügig aufgeklärt werden, dass Prozesse zügig stattfinden, dass es keine Toleranz gegenüber Rechtsextremisten gibt. Wir müssen darauf achten, dass die Behörden, wenn eine Demonstration nicht verboten werden kann, den Veranstaltern Auflagen machen, um ihnen das Agieren zu erschweren und den Aktionsradius, den sie in Anspruch nehmen wollen, einzuengen.
Wir sollten zu gegebener Zeit überlegen, ob wir Konsequenzen aus dem ziehen, was dankenswerterweise die Justizministerin im April auf europäischer Ebene ausgehandelt hat. Es gibt einen Rahmenbeschluss der Justizminister der Europäischen Union, wonach der Richter den Strafrahmen bei einer fremdenfeindlichen bzw. rassistisch motivierten Straftat höher ansetzen kann als ursprünglich im Gesetz vorgesehen. Ich gebe zu bedenken, dass wir sehr sorgfältig prüfen sollten, ob der Staat in solchen Straftatbereichen, in denen ein besonderer Unrechtsgehalt zu erkennen ist, im Hinblick auf die Präventivwirkung ein höheres Strafmaß als bisher einräumt.
Zum Thema NPD-Verbot. Ich will ganz freimütig sagen: Wenn ein NPD-Verbot erreicht werden könnte, gäbe es, glaube ich, nur wenige Menschen in diesem Land, die sich nicht darüber freuten. Die NPD hat in den letzten Jahren zunehmend die Kooperation mit der rechtsextremistischen Szene systematisch ausgebaut. Sie ist sozusagen Schirmherrin für viele Demonstrationen und Veranstaltungen. Ich bin sehr dafür, dass wir uns damit intensiv beschäftigen. Aber wir sollten den Weg eines NPD-Verbots nur gehen, wenn er absehbar von Erfolg gekrönt ist. Wir sollten nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Das Prüfungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Aber so gut es wäre, die Infrastruktur der Rechtsextremisten durch ein NPD-Verbot ein Stück weit zu zerschlagen: Wir können eine Partei verbieten, nicht aber eine Gesinnung. Wir können eine Gesinnung ächten und ihre Entstehung vielleicht präventiv verhindern; das müssen wir Demokraten gemeinsam machen. Das muss unser vorderster Ansatz bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus sein.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4631 mit dem Titel ?V-Leute in der NPD abschalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP und des fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der Linken und gegen die Stimme von Herrn Winkelmeier abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 23 c: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4807 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 98. Sitzung - wird am
Montag, den 14. Mai 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]