Mehrzahl der Experten für Beibehaltung der Bundeskompetenz beim Heimrecht
Berlin: (hib/MPI) Die im Rahmen der Föderalismusreform geplante Übertragung des Heimrechts in die Zuständigkeit der Länder wird von der Mehrzahl der Verbände vehement abgelehnt. In Stellungnahmen zu einer Anhörung von Bundestag und Bundesrat plädierten die meisten Sachverständigen dafür, die Bundeskompetenz in diesem Bereich zu erhalten. Dies sei notwendig, um einen Basisstandard in allen Heimen bundesweit zu bewahren und eine rechtliche Zersplitterung zu vermeiden, so der Tenor in den Beiträgen des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Deutschen Caritasverbandes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Bei einem Übergang des Heimrechts in Landeszuständigkeit stehe zu befürchten, "dass ein unangemessener Sozialleistungswettbewerb um niedrige Mindeststandards zu Lasten älterer und behinderter und hilfebedürftiger Menschen" entsteht, schreibt das Diakonische Werk. Der Sozialverband Deutschlands ergänzte, eine Übertragung der Zuständigkeit werde dazu führen, dass in 16 Bundesländern unterschiedliche rechtliche Regelungen gelten. Dies sei für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen undurchschaubar.
Eine abweichende Position zur Verlagerung des Heimrechts in die Verantwortung der Länder vertrat in der Anhörung der Vorsitzende der Rummelsburger Anstalten der Inneren Mission, Karl Heinz Bierlein. Auf Länderebene ließen sich "bürokratische Verwerfungen möglicherweise schneller beheben", sagte er. Zudem hoffe er, dass die Diskussionen um neue Unterbringungsmöglichkeiten, etwa das betreute Wohnen, beendet werden könne. Das derzeitige Heimgesetz war 1974 in Kraft getreten und hatte die bis dahin geltenden landesrechtlichen Zuständigkeiten abgelöst. Es legt unter anderem bauliche und personelle Mindeststandards für die Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe fest. Ferner ging es in der Anhörung um die Neufassung von Grundgesetzartikel 84. Danach soll es den Ländern möglich sein, zu Bundesgesetzen, die sie in eigener Angelegenheit ausführen, vom Bundesrecht abweichende Verfahrensregelungen zu treffen. Das Diakonische Werk befürchtet, dass dadurch der Zugang für Menschen mit Behinderung zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, etwa dem persönlichen Budget, erschwert werden könnte. Der Düsseldorfer Verwaltungswirt Harry Fuchs warnte, mit einem Abweichungsrecht der Länder bestehe etwa die Gefahr, dass die Selbstverwaltung in den Sozialversicherungssystemen abgeschafft wird. "Die Probleme werden sich vervielfachen", prophezeite Fuchs.
Begrüßt wurde von den Experten einhellig, dass der Bund seine Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Kinder- und Jugendrechts behalten soll. Allerdings sahen sie auch auf diesem Feld die Änderung von Artikel 84 mit Sorge. Er würde "einen nicht zu verantwortenden Rückschritt" bedeuten, bilanzierte Thomas Meysen vom Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht. So drohte eine Unterordnung der Kinder- und Jugendhilfe unter die Kriminalprävention beziehungsweise die Strafverfolgung. So wäre es etwa für ein sexuell missbrauchtes Mädchen etwas ganz anderes, ob es sich vertraulich einem Jugendamtsmitarbeiter offenbaren könne, oder ob dieser die Informationen an die Polizei weitergeben müsse. Professor Thomas Klie von der Evangelischen Fachhochschule Freiburg unterstrich, die Pläne gefährdeten "einen wirksamen und unabhängigen Kinderschutz". Einige Sachverständige, so Professor Johannes Münder von der TU Berlin, wiesen darauf hin, dass in vielen Bundesländern die Jugendhilfeausschüsse abgeschafft würden, die eine direkte Beteiligung von Eltern, Kindern und anerkannten freien Trägern der Jugendhilfe ermöglichten. Der Jugendhilfeausschuss ist in Deutschland neben der Verwaltung ein Teil des Jugendamtes. Zu befürchten sei, fügte Münder hinzu, dass in einigen Ländern die gesamten Jugendämter abgeschafft würden. Zurzeit sind alle örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe gesetzlich verpflichtet, ein einheitliches Jugendamt zu errichten. Diese Verpflichtung bestehe seit den 1920-er Jahren und habe "sich nachhaltig bewährt", betonte Professor Reinhard Joachim Wabnitz von der Fachhochschule Wiesbaden. Beim Wegfall dieser Verpflichtung würden die Aufgaben zersplittert und die "Schlagkraft der Kinder- und Jugendhilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachhaltig geschmälert", betonte Wabnitz.