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Forum der Nation

Bild: Debatte im Plenum.
Debatte im Plenum.

Bild: Plenarassistent teilt Schriftstücke aus.
Plenarassistent.

Bild: Vier Stenografen bei der Arbeit.
Stenografen.

Das politische Plenum

Das Plenum – also die Vollversammlung aller Abgeordneten – ist nicht nur formal der wichtigste Ort des Bundestages. Auch wenn vieles in seinen Grundzügen in der Regierung, in Fraktionen und Ausschüssen vorbereitet wird, so bleibt das Plenum doch der Ort, wo alles verbindlich wird. Und wo für die Öffentlichkeit nachvollziehbar der Entwurf der Regierenden und der Gegenentwurf der Opposition aufeinander treffen. Hier findet das argumentative Kräftemessen statt. Deshalb ist der Plenarsaal des Bundestages das „Forum der Nation“.

Das lässt niemanden kalt. Wer zum ersten Mal an den Saaldienern vorbei den Plenarsaal des Bundestages betritt, den überkommt „ein besonderes Gefühl“. Denn dieser Weg ist nur wenigen Menschen vorbehalten. Gewählten Volksvertretern. So wie der FDP-Abgeordnete Detlef Parr erinnern sich viele an den herausragenden Einschnitt ihrer politischen Karriere, erstmals ins Plenum zu kommen: „Man empfindet sehr deutlich, dass man eine besondere Aufgabe hat.“

Ein Gefühl, das zunächst unabhängig davon ist, ob die eigene Bundestagsfraktion zugleich die Regierung stellen und den Kanzler aus den eigenen Reihen wählen kann. Alles ist zum Greifen nah: der Regierungschef mit seinen Ministern und Staatssekretären auf der Regierungsbank vom Redner aus gesehen rechts neben dem Rednerpult und Bundestagspräsidenten, die Ministerpräsidenten oder Minister aus den Bundesländern auf der Bundesratsbank links daneben, der den Raum prägende riesige Bundestagsadler und nicht zuletzt die eigenen Parteifreunde, die sich in übersichtlichen Blöcken im Plenarsaal gruppieren – vom Redner aus gesehen links die SPD bis fast zur Mitte, daneben Bündnis 90/Die Grünen, gefolgt von CDU/CSU, dann der Abschluss durch die FDP.

Koordinatensystem für den Plenarsaal

Somit hat sich die Grundorientierung aus der Frankfurter Paulskirche bis heute gehalten und das Koordinatensystem für den alltäglichen Sprachgebrauch beeinflusst: Eher links sitzen die Sozialdemokraten, eher rechts die Bürgerlichen.

Nur die vorderen sechs Reihen verfügen außer verschiebbaren Sesseln auch über Pulte. Das weist darauf hin, dass sich die Arbeit des Bundestages nicht aufs Reden und Debattieren beschränkt. Der Plenarsaal zeigt der Öffentlichkeit das Redeparlament. Aber für den einzelnen Abgeordneten ist der Bundestag vor allem geprägt als Arbeitsparlament. Die meiste Zeit verwendet der Volksvertreter oder die Volksvertreterin auf das Erarbeiten von Entwürfen und Papieren in Fraktionszirkeln, Koalitionsrunden, Arbeitskreisen und Ausschüssen.

Die Kunst der Durchsetzung politischer Konzepte liegt vor allem darin, Mehrheiten zu organisieren, möglichst viele Funktionsträger einzubinden. Erst am Ende steht die öffentliche Präsentation im Plenum. Deshalb ist der Normalfall im Plenum, dass bei der Beratung von Fachmaterie vor allem die jeweiligen eingearbeiteten Fachleute unter den Abgeordneten den Debatten folgen.

Aber natürlich werden oft auch Themen debattiert, die nicht nur für Experten wichtig sind. Dann füllt sich der Plenarsaal. Für jeden Abgeordneten ist Platz. Vor allem vor namentlichen Abstimmungen, insbesondere wenn die Kanzlermehrheit stehen muss, füllen sich die Reihen. Doch für diese Fälle muss nicht jeder auch noch ein Pult haben. Das lässt den Plenarsaal auch bei über 600 anwesenden Abgeordneten übersichtlich bleiben.

Politik ist dynamisch

In den ersten Reihen sind sogar Telefone eingebaut. Denn Politik ist dynamisch, parlamentarische Abläufe bleiben im Schwung, und so müssen oft schnell Details mit Büros geklärt werden. Für die Zustellung von Papieren und anderen schriftlichen Nachrichten gibt es die Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes („Saaldiener“), die den Kontakt zwischen draußen und drinnen aufrecht erhalten und eine der Würde des Hauses entsprechende Kleidung tragen. In der ersten Reihe finden sich die Fraktionsvorsitzenden, ihre Stellvertreter und die Parlamentarischen Geschäftsführer (PGF). Egal wie voll oder leer das Parlament ist, mindestens ein PGF aus jeder Fraktion ist immer da. Denn sie organisieren fraktionsintern die Abläufe, treffen fraktionsübergreifende Absprachen.

Ihre wichtigsten Ansprechpartner sitzen ihnen erhöht gegenüber – hinter den Stenografen: der amtierende Bundestagspräsident und je ein Schriftführer zur Rechten und zur Linken. Die drei Abgeordneten bilden zusammen den Sitzungsvorstand. Sowohl Koalitions- als auch Oppositionsfraktionen sind stets darin vertreten. Das ist zum Beispiel wichtig für die Akzeptanz von Abstimmungsergebnissen. Das vom amtierenden Präsidenten oder von der amtierenden Präsidentin festgestellte Ergebnis gilt nur, wenn beide Schriftführer den selben Eindruck von den jeweiligen Mehrheiten haben. Sind sie sich nicht einig, muss die Abstimmung wiederholt werden, damit das Ergebnis eindeutig festgestellt werden kann. Die Schriftführer nehmen Wortmeldungen entgegen und führen ein detailliertes Redeprotokoll. Sehr häufig stehen die Geschäftsführer neben ihnen. Denn immer wieder gibt es Verschiebungen, will die eine Seite auf die Redneraufstellung der anderen neu reagieren.

„Für einen Neuling ist diese Aufgabe unbedingt zu empfehlen“, unterstreicht Petra Selg. Die Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen hat die Arbeit bis vor kurzem zwei Jahre lang gemacht und auf diese Weise „gleich zum Einstieg die ganze Bandbreite des Plenargeschehens mitbekommen“. Es sei natürlich „ein besonderes Gefühl, von oben das ganze Haus im Blick zu haben“ – verbunden mit der Verpflichtung zu ständiger Aufmerksamkeit, ob sich etwa ein Kollege zu einer Zwischenfrage zu Wort meldet. Es sei auch interessant, quasi im Nacken des Redners die verschiedenen Vortragstechniken verfolgen zu können – mit Manuskripten, Zettelnotizen, Bemerkungen am Rand oder ganz frei.

Gemütlicher Eindruck

Peter Altmaier (CDU/CSU) ist ebenfalls Schriftführer – und hat auch noch den kreisrunden Plenarsaal in Bonn vor Augen. „Berlin vermittelt einen gemütlicheren Eindruck“, lautet sein Vergleich, denn der Plenarsaal im Reichstagsgebäude „wirkt nicht so riesengroß wie der in Bonn“. Dafür sorgen die weit in den Raum hineingezogenen Besuchertribünen. Vom Redner aus sei der Saal optisch dort zu Ende, wo die Tribünen anfingen. Gleichwohl seien Klima und Debattenkultur vom Rhein an die Spree mit umgezogen. Mitarbeiter, Möbel, die Politiker selbst seien anfangs dieselben gewesen: „Die Hardware hat sich geändert, die Software des Parlamentes ist nur überspielt worden.“

Hinter dem Sitzungsvorstand nehmen der Direktor beim Deutschen Bundestag, also der Chef der Bundestagsverwaltung, und die Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes Platz, die sich vor allem um organisatorische, juristische und technische Unterstützung der Plenarabläufe kümmern. Auf einem Sessel links neben dem Sitzungsvorstand sitzt der Wehrbeauftragte des Bundestages. Die übrigen Sitze auf der linken Stirnseite gehören zur Bundesratsbank. Die Mitglieder der Ländervertretung können ebenso wie die Mitglieder der Bundesregierung jederzeit im Bundestag reden.

Die Bandbreite des Geschehens im Plenarsaal lässt die vielen verschiedenen Funktionen des Bundestages deutlich werden. Gleich nach seiner eigenen Konstituierung und Aufnahme der Arbeitsfähigkeit gehört es nach jeder Neuwahl zu den vornehmsten Aufgaben des Parlaments, der Bundesrepublik eine handlungsfähige Regierung zu geben. Ebenfalls im Plenum des Bundestages folgt sodann die Vereidigung des Kanzlers und seiner Minister, wodurch unterstrichen wird, wem die Exekutive verantwortlich ist.

Die Kontrolle der Regierung kommt unter anderem in der Regierungsbefragung jeweils mittwochs nach Kabinettssitzungen, in der wöchentlichen Fragestunde und oft auch in Aktuellen Stunden zum Ausdruck. Daneben gehören Kleine und Große Anfragen zu einem oft gebrauchten Kontrollinstrument, und auch über die Anforderung regelmäßiger Berichte zu bestimmten Fachbereichen hält sich der Bundestag über die Politik und ihre praktischen Auswirkungen im Plenum auf dem Laufenden.

Schließlich tritt kein Gesetz in Kraft, das nicht in der Regel dreimal im Plenum beraten worden ist. Zwischendurch gehen die Fachausschüsse den Vor- und Nachteilen vorgesehener Bestimmungen in nichtöffentlichen Sitzungen und öffentlichen Anhörungen auf den Grund. Doch die letzte Entscheidung fällt immer im Plenum.

Zu den wichtigsten Funktionen gehört es zudem, Politik öffentlich zu machen und vor aller Augen die Belange der Nation zu debattieren. Und zwar auch unabhängig von konkreten Gesetzesvorhaben. Durch verschiedene Änderungen der Geschäftsordnung hat der Bundestag die Debatten immer lebendiger zu machen versucht. Zwischenfragen und Kurzinterventionen tragen ebenso dazu bei wie Redezeitbeschränkungen auf jeweils fünf Minuten in Aktuellen Stunden, die brennende und die Öffentlichkeit bewegende Themen ins Parlament bringen. Die Formulierung in der Medienberichterstattung „Schaltet nun den Bundestag ein“ lässt die Stellung des Parlaments erahnen. Was hier besprochen wird, ist weniger unverbindlich als der zufällige Schlagabtausch gezielt eingeladener Prominenter in Fernseh-Talkshows.

Ehrfurcht vor dem Plenarsaal

Das Ambiente unterstreicht diesen Umstand. „Ich habe immer Ehrfurcht, wenn ich in den Plenarsaal komme“, sagt Jann-Peter Janssen, SPD-Abgeordneter aus Ostfriesland. Die Geschichte des Hauses sei zu spüren, ebenso die Mitverantwortung, die jeder Abgeordnete hier zu tragen habe. Er bemerke auch immer wieder bei Besuchergruppen, dass der Plenarsaal und das Geschehen darin nicht ohne Eindruck auf die Bürger bleibe. „Ich als kleines Arbeiterkind darf da sitzen und mitentscheiden – das gibt einem schon was“, berichtet Janssen. Und so sei er stolz darauf, als Abgeordneter Deutschland vertreten zu können – „und mindestens genauso stolz, an diesem Ort Ostfriesland vertreten zu dürfen“.

Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier, picture-alliance
Grafiken: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 08. November 2004

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Fraktion: Fraktionen sind wie im Ursprungswort „Fraktur“ (Bruch) Bruchteile des Bundestages. Zur Bildung einer Fraktion müssen mindestens fünf Prozent der Gesamtmitgliederzahl des Bundestages derselben Partei angehören. Es können sich auch Angehörige zweier Parteien zusammenfinden, wenn sie „solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen“.
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