"Bonn hat Maßstäbe gesetzt"
Zum ersten Mal in seiner Geschichte waren im Bonner Plenarsaal auch die Stehplätze besetzt. Es war gleichzeitig das letzte Mal. Bevor sich Abgeordnete sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundestages endgültig auf den Weg von Bonn nach Berlin machten und das Regierungsviertel sich leert, wurde es noch einmal richtig voll. "Danke Bonn" sagten Bundestag und Bundesrat mit einem zweitägigen Fest. Und die Bonner ließen sich gern danken.
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Am ersten Tag des Festes bevölkerte alt und jung den Bonner Marktplatz und am zweiten das Regierungsviertel. Daß sie die "Feste feiern, wie sie fallen" wird den Rheinländern ohnehin nachgesagt. Daß sie bei einem derart geschichtsträchtigen Ereignis nicht fehlen, versteht sich von selbst.Und das Bild eines sommerlichen Volksfestes bot sich den Besuchern auch.
Wo sonst Abgeordnete und Minister von einer Sitzung zur nächsten eilten, Journalisten mit Mikrophonen und Kameras auf die Politiker warteten, schlenderten zahlreiche Bonner durch das Regierungsviertel. Dennoch war ein wenig Wehmut zum Abschied zu spüren. "Hier werden 50 Jahre Geschichte aufgegeben", bedauerte beispielsweise Markus Thiebes, der das Fest mit seiner Familie besuchte. "Eigentlich ist das kein Grund zum Feiern."
"Der richtige Ort zur richtigen Zeit" sei Bonn gewesen und "eine wirkliche Heimstatt", betonte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. "Bonn hat Maßstäbe gesetzt." Er habe zwar für Berlin gestimmt, die Bonner nähmen ihm das aber offenbar nicht übel, erklärte er später in einem Interview. Anders erging es da Bundeskanzler Gerhard Schröder. Die Bonner empfingen ihn mit Pfiffen auf dem Marktplatz. Er werde Bonn nicht vermissen, hatte sich der Kanzler auf dem Fest der SPDBundestagsfraktion verabschiedet. Mit wohlwollendem Applaus quittierten die Festgäste auf dem Markt seine Erklärung, damit seien nur Straßen und Plätze gemeint gewesen; selbstverständlich werde er die Menschen vermissen. "Der wird irgendwann schon wieder an den Stäben rütteln", prophezeiten die Kabarettisten Norbert Alich und Rainer Pause. Sie waren auch um einen Vorschlag für die weitere Verwendung des Plenarsaals nicht verlegen: "Das wird der Partykeller des Heimatvereins Rhenania."
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Eher skeptisch nahm das Publikum das eigens für Bonn komponierte Werk "Aufbruch" von York Höller auf. "Wenn Aufbruch Unruhe bedeutet, dann paßt es", interpretierte Jörg Schommer das Stück. "Ich hätte mir etwas Melodischeres gewünscht", kommentierte Barbara Sprenger. Als "gewöhnungsbedürftig" empfanden die meisten Besucher das Stück. "Beethoven war für viele am Anfang auch nicht verständlich", erinnerte die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und bedankte sich mehrmals für das "wunderschöne Konzert". Mit "Wehmut und Optimismus" verabschiedete sich Bonns erste Frau von Parlament und Regierung.
Gelassen schaut sie in die Zukunft der Bundesstadt: "Bonn wird niemals mehr Provinz werden." Ebenso gelassen blieben die Festbesucher. "Wir sind Rheinländer und wollen es auch bleiben", meinten Barbara Sprenger und Jörg Schommer. Daß in Bonn "jetzt tatsächlich alles vorbei" sein soll, mochten die meisten noch gar nicht so recht glauben. Ein Wachtberger Ehepaar meinte sogar: "Wir sind einfach erst mal froh, wenn der ganze Rummel jetzt vorbei ist."
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Ein Fest für Bonn: Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundesratspräsident Roland Koch bedankten sich bei den Bonner Bürgern. Neben zahlreichen Musikdarbietungen und einem Programm für die "kleinen Bonner" war auch für das leibliche Wohl der Gäste gesorgt.
Am zweiten Festtag im Regierungsviertel gab es musikalisch für jedes Ohr etwas - vom Jubiläumskonzert Johann Strauß "Vater und Sohn" über die jazzige "Hommage an Beethoven" des MarkusSchinkelTrios bis "Hard days night" mit Musik von den Beatles. Den Geschmack der Besucher im wahrsten Sinne des Wortes traf die große Eistorte in Form des Regierungsviertels, die Wolfgang Thierse zusammen mit dem Bundesratspräsidenten Roland Koch anschnitt und verteilte. Mit Erstaunen stellte der Bundestagspräsident anschließend fest, daß er sich "diesmal nicht bekleckert" habe.
Bei ihrem Rundgang wurden Thierse und Koch nicht nur von zahlreichen Journalisten, sondern auch von historischen und typischen Figuren begleitet. Neben Baron Münchhausen zählten dazu ein Hausmeister ebenso wie ein Jogger im roten Trainingsanzug, der noch ein letztes Mal mit Joschka Fischer um die Bannmeile laufen wollte.
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Langeweile kam beim Fest "Dank an Bonn" nicht auf: Die Kinder waren begeistert von Clown Peppino und der Euromaus, das Kabarett Pantheon sorgte mit Wortwitz für gute Stimmung. Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann nahm das eigens für Bonn komponierte Werk "Aufbruch" entgegen.
Die kleinen Besucher des Festes kamen ebenfalls auf ihre Kosten: Dafür war nicht nur mit Kletterwand und Hüpfburg gesorgt, neben anderen unterhielt Clown Peppino die Kinder. Daß es sich um ein Abschiedsfest handelt, wußten schon die ganz jungen Besucher. "Der Bundestag und die Parteien ziehen um", erklärten die beiden Neunjährigen Ben und Falko. Was sie aber vor allem trifft: "Freunde von uns ziehen auch nach Berlin."
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Dieses Schicksal teilen sie mit der 15jährigen Lena und dem 16jährigen Christian, die zufällig beim Fest vorbeischauten. "Nach 50 Jahren ist so ein Aufwand angemessen", finden beide übereinstimmend. Gleichzeitig war es für sie der erste Besuch des Bundestags. Offen erklärten beide, daß sie traurig seien über den Abschied von Regierung und Parlament aus Bonn.
Berührt vom Abschied war auch die Bottroperin Annemarie Berkenbusch, die eigens für das Fest nach Bonn gereist war. "In Bonn war alles nett, gemütlich, handlich." An der Feier begeisterte sie vor allem die Möglichkeit, sich alles anzuschauen und sich beispielsweise auf die Couch zu setzen, auf der sonst ausländische Staatsgäste Platz genommen haben. Besonders beeindruckte sie Konrad Adenauers Arbeitszimmer und die "großartigen Kunstwerke". Die MoorePlastik einmal anzufassen, die sie sonst nur bei politischen Berichten im Fernsehen gesehen habe, sei schon etwas besonderes. Sie werde zwar sicher einmal nach Berlin fahren, aber auch in Bonn sei sie nicht zum letzten Mal gewesen. "Wenn alle weg sind, komme ich wieder."
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Alfred Grosser erklärte, daß er sich den Titel seines Festvortrags "Bonn war Bonn bleibt" nicht selbst ausgesucht habe. "Bonn bleibt - in Berlin" interpretierte er ihn für sich. Ähnlich sah das auch Wolfgang Thierse: "Wir werden uns in Berlin an den Bonner Stil erinnern ."