"50 JAHRE DEMOKRATIE DANK AN BONN" Kohl: "Wir gehen nach Berlin – aber nicht in eine neue Republik"(bn) Zum letzten Mal trat am 1. Juli 1999 der Deutsche Bundestag in Bonn zusammen. Bundestagsvizepräsidentin Anke Fuchs (SPD) eröffnete die 50. Sitzung der 14. Legislaturperiode, die unter dem Motto stand "50 Jahre Demokratie – Dank an Bonn". In einer dreieinhalbstündigen Debatte resümierten 14 Rednerinnen und Redner aller Fraktionen über die Bedeutung Bonns, den Weg der zweiten deutschen Demokratie und deren Zukunft in Berlin. Er habe "noch immer ein Grundgefühl des Glücks, daß deutsche Geschichte endlich auch einmal gut ausgehe", bekannte Bundestagspräsdident Wolfgang Thierse (SPD), der als erster Redner sprach. In Berlin müßten wir Deutschen jedoch erst noch beweisen, "daß wir den letzten, den besten 50 Jahren deutscher Geschichte weitere gute 50 Jahre, diesmal für ganz Deutschland, hinzufügen können". Bonn sei für viele Ostdeutsche ein Ort für die "Sehnsucht nach demokratischer Freiheit" gewesen, das werde, so Thierse, unvergessen und mit Bonn dauerhaft verbunden bleiben (siehe auch Essay, S. 45) "Tag der Dankbarkeit"Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bezeichnete den ersten Juli als einen Tag des Rück und Ausblickes und "Tag der Dankbarkeit". Der 23. Mai 1945 wie der 9. November 1989 stünden in einem engen Zusammenhang mit der heutigen Plenardebatte: "Parlament und Regierung kehren in das wiedervereinigte Berlin zurück". Der Abschied von Bonn, so Kohl, bedeute nicht die Abkehr von den "Werten und Grundentscheidungen unserer Verfassungsordnung, sondern die "Krönung des jahrzehntelangen Strebens der Deutschen nach Einigkeit und Recht und Freiheit". Man solle nicht von "Berliner Republik" reden, appellierte er: "Wir gehen nach Berlin – aber nicht in eine neue Republik". Kohl hob bedeutende Stationen der vergangenen 50 Jahre hervor und erinnerte daran, daß vieles, was zunächst umstritten war, dann doch gemeinsame Zielrichtung geworden sei: Die soziale Marktwirtschaft, die NATOMitgliedschaft, die Wiederbewaffnung Deutschlands, die Ostpolitik in den 70er Jahren und die Deutschlandpolitik der 80er Jahre. Auch betonte er, "viel zu wenig gewürdigt" werde vor dem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen in Jugoslawien die Integrationsleistung von 12 Millionen Heimatvertriebenen. Jeder, der künftig von Berlin aus regiere, so Kohl, sei gut beraten, sich in die Kontinuität dessen zu stellen, was von Bonn ausging. An die Jugend appellierte er, die in Bonn geschaffenen Grundlagen für Frieden, Freiheit, Demokratie und das Zusammenleben der Völker zu erhalten und fortzuführen. "Bleiben wir Deutsche Europäer und europäische Deutsche – dann haben wir alle Aussicht auf eine gute Zukunft in Frieden und Freiheit." Grundgesetz kann Vorbild seinBundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen) bewertete die zurückliegenden 50 Jahre Demokratie in Bonn als eine "atemberaubende Erfolgsgeschichte". Eine Verfassung wie unser Grundgesetz müßte man, so Vollmer, "in Jugoslawien jetzt schreiben und den Menschen anbieten, die aus dem Chaos und dem Trauma des Bürgerkrieges, der Vertreibungen und der Bombennächte auftauchen". Die Geschichte der "Bonner Republik" sei für sie eine "ganz große Integrationsleistung" von 12 Millionen Vertriebenen, von belasteten "Trägern und Mittätern des totalitären NSRegimes", der außerparlamentarischen Opposition, von Millionen von ausländischen Mitbürgern und von den neuen Ländern in unser Gemeinwesen. "Substanz nicht verlieren"Wolfgang Gerhardt (F.D.P.) bezeichnete Bonn als "ein Stück schattenspendende Institution in unserer Nachkriegsgeschichte". Die Stadt stehe für die "Ausprägung von Individualrechten" und eine "kritische Öffentlichkeit", die sich in Deutschland herausgebildet habe. Beim Umzug von Bonn nach Berlin müsse man darauf achten, daß die "Grundachse nicht verschoben werde, die unser Land so erfolgreich" gemacht habe. Der Ministerpräsident des Landes NordrheinWestfalen, Wolfgang Clement (SPD), betonte, von Bonn konnte niemals eine "Bedrohung" ausgehen. Das sei sein "Reiz" gewesen. Nach dem Umzugsbeschluß habe in Bonn so etwas wie "Weltuntergangsstimmung" geherrscht. Diese gebe es nicht mehr. Die Menschen würden erkennen, daß der Strukturwandel greife und die Ausgleichsvereinbarungen umgesetzt werden, so Clement. "Pacta sunt servanda"Bonn und die Region brauchten jedoch auch nach dem Umzug Planungssicherheit. "Pacta sunt servanda", Verträge müßten eingehalten werden – das gelte auch hier. Darauf wiesen auch die meisten anderen Redner hin. "Bonn sei ein Gewinn" für die Bundesrepublik Deutschland. Einen solchen Gewinn "verspiele" man nicht, mahnte der Ministerpräsident. Michael Glos (CSU) betonte, aus dem "Symbol Bonn" sei weltweit eine anerkannte Demokratie geworden. Es dürfe jedoch keine Berliner Republik geben, "genausowenig wie es eine Bonner Republik gegeben hat. Unser Land muß die Bundesrepublik Deutschland sein". Glos betonte ebenfalls, die CSU habe sehr viel zum Gelingen der deutschen Einheit beigetragen. Christa Luft (PDS) verwies auf die anhaltende Massenarbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit junger Leute. Hierbei handele es sich um Gefährdungen der Demokratie, über die man "bei aller Feierlichkeit des heutigen Tages" nicht hinweggehen könne. Berlin "dienende Hauptstadt"Den Schluß der Debatte bildete der Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin, Eberhardt Diepgen (CDU). Seiner Überzeugung nach habe die Bonner Politik "viele Zeichen der Solidarität in der Zeit der Spaltung gesetzt". Berlin sei 40 Jahre lang ein "Focus für Teilung" und in den zurückliegenden 10 Jahren der Einheit eine "Werkstatt der Wiedervereinigung" gewesen. Es ginge nunmehr um Aufbruch und Zukunft. Berlin wolle eine "dienende" Bundeshauptstadt sein, die die Menschen zusammenführe. (Nach Redaktionsschluß) |