BEHINDERTENPOLITIK
Rehabilitationsrecht in neuem Sozialgesetzbuch IX zusammenfassen
(as) Das Rehabilitations- und Schwerbehindertenrecht soll in einem Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) zusammengefasst und fortentwickelt werden. Dies beschloss die große Mehrheit des Bundestages bei Enthaltung der PDS am 6. April und nahm einen Gesetzentwurf der Koalition ( 14/5074) in geänderter Fassung ( 14/5786) an.
Darin ist vorgesehen, die Träger der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendhilfe in den Kreis der Rehabilitationsträger unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten einzubeziehen. Weiter beschlossen die Parlamentarier, auf die Bedürftigkeitsprüfung bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu verzichten. Außerdem soll die Divergenz und Übersichtlichkeit des bestehenden Rechts zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen beendet werden. Auch soll ein bürgernaher und barrierefreier Zugang zu erforderlichen Sozialleistungen möglich werden. Im Zuge der Ausschussberatungen wurde außerdem beschlossen, die Prävention durch Einbindung der behandelnden Ärzte auszubauen und das volle Kostenrisiko bei selbstbeschafften erforderlichen Rehabilitationsleistungen auf die jeweiligen Träger zu verlagern.
In den Augen der SPD ist der Gesetzentwurf ein wesentlicher Teil des Paradigmenwechsels in der Behindertenpolitik. Menschen mit Behinderungen sollten nicht mehr Objekt des sozialen Leistungsgeschehens sein, vielmehr stehe ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Mittelpunkt. Das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes werde im Bereich der Sozialpolitik durch das SGB IX umgesetzt. In Abstimmung mit den Verbänden, den Rehabilitationsträgern und anderen entstandene Gesetzentwurf orientiere sich das Gesetz ganz besonders an den Interessen und Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen. Die Mitglieder der Union stimmten dem Gesetzentwurf zwar grundsätzlich zu, da er einen ersten Schritt in die richtige Richtung darstelle. Sie verwiesen aber auf grundsätzliche Mängel und forderten in einem Entschließungsantrag ( 14/5804) ein eigenständiges Leistungsgesetz für behinderte Menschen. Ein solches müsse bundesfinanziert sein und einheitliche Leistungen gewähren, unabhängig von Einkommen und Vermögen der Betroffenen und ihrer Eltern. Die Parlamentarier unterstützten es, in der Initiative den Grundsatz "ambulant vor stationär" zu verankern und die Wunsch- und Wahlfreiheit behinderter Menschen zu erweitern.
Die Bündnisgrünen wiesen darauf hin, in der Gesellschaft habe es inzwischen einen Bewusstseinswandel gegeben. Es sei ein großer Erfolg, dass nunmehr der Rückgriff auf Eltern wegen ihrer behinderten Kinder beendet werde. Wichtig sei es auch, im Hinblick auf die Teilhabe am Arbeitsleben klarzustellen, dass ambulante und betriebliche Maßnahmen Vorrang hätten und unter Einbeziehung familienentlastender und unterstützender Dienste erbracht würden. Die Barrierefreiheit gehöre zur Leistungsqualität für die Behinderten und sei eine Umsetzung des Benachteiligungsverbotes des Grundgesetzes. Die F.D.P.-Fraktion fragte, warum die Koalition von ihrer ursprünglichen Absicht, die Nachrangigkeit vollständig zu beseitigen, abgekommen sei. Es sei unverständlich, dass die freien Träger aus dem Gesetzentwurf ausgeblendet worden seien. Falsch sei es, beim Wunsch- und Wahlrecht eine Beweispflicht zu Lasten der Behinderten einzuführen. Schwer und mehrfach Behinderte kämen in dem Gesetzentwurf zu kurz.
Für die PDS fehlt der Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik. Der Gesetzentwurf bringe nur geringfügige Verbesserungen für die Behinderten. Er sei im Wesentlichen rehabilitationsorientiert und ziele nicht auf die Teilhabe behinderter Menschen, wie es der Name eigentlich vermuten lasse. Das Schwerbehindertengesetz werde an manchen Stellen aufgeweicht; so werde die Prüfungspflicht der Arbeitgeber, ob ein Arbeitsplatz für einen Behinderten geeignet sei, verwässert. Die Fraktion blieb ohne Mehrheit mit mehreren Änderungsanträgen ( 14/5826- 14/5830), mit denen zur Umsetzung des Benachteiligungsverbotes weitere Schritte gefordert werden. Unter anderem solle ein Gleichstellungs- oder Antidiskriminierungsgesetz und ein Leistungsgesetz für Behinderte geschaffen werden. Auch ein Entschließungsantrag ( 14/5823) mit der Feststellung, dass die Länder und Kommunen als Träger der Sozialhilfe mit den Kosten der Eingliederungshilfe belastet würden, wurde abgelehnt.