Streitgespräch
Dialog
Streitgespräch über den Tarifkonflikt
Arbeitskampf ein Konjunkturkiller?
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Arbeitskämpfe sind selten populär. Dies gilt umso mehr, wenn ein Streik gleich dreifach vorbelastet ist: Durch die nahende Bundestagswahl, eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und eine nur zögernd anziehende Konjunktur. Passen Streiks – wie der Arbeitskampf in der Metallindustrie – in die wirtschaftliche und politische Lage? Bringen sie mehr soziale Sicherheit oder gefährden sie Aufschwung und notwendige Innovation? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit dem SPD-Abgeordneten und Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen Ottmar Schreiner und dem früheren Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt, FDP.
Blickpunkt Bundestag: Willy Brandt, so heißt es, sei 1974 als Kanzler auch an den hohen Tarifforderungen der ÖTV gescheitert. Könnte der jetzige Streik auch Bundeskanzler Schröder gefährden, Herr Schreiner?
Ottmar Schreiner: Ich glaube nicht, dass man beide Arbeitskämpfe vergleichen kann. Damals ging es um Lohnerhöhungen im zweistelligen Bereich, die unmittelbar die Staatskassen bedrohten. Heute geht es um moderate Forderungen, die keineswegs Staat oder Wirtschaft gefährden. Deshalb sehe ich auch keine Gefahr für den Kanzler.
Günter Rexrodt: Einspruch. Der Streik ist Gift für die anziehende Konjunktur und passt nicht in die Landschaft. Vielen Unternehmen, besonders im mittelständischen Bereich, geht es nicht gut, weil sie durch hohe Abgabenlasten stranguliert werden. Hohe Lohnforderungen sind ein zurzeit nicht zu erbringender Kostenfaktor und eine psychologische Barriere für zusätzliche Investitionen. Das wird der gegenwärtigen Regierung eher schaden als nutzen.
Blickpunkt: Ist ein Streik in einer zentralen Wirtschaftsbranche ein Konjunkturkiller, der den Standort Deutschland gefährdet?
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Im Gespräch: Günter Rexrodt ...
Schreiner: Nein. Die deutschen Gewerkschaften gehen mit dem verfassungsmäßigen Recht auf Streik äußerst verantwortungsbewusst um. Im internationalen Vergleich ist Deutschland eines der Länder mit den wenigsten streikbedingten Ausfalltagen. Außerdem sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Reallöhne in den letzten zehn Jahren durchschnittlich um zwei Prozent zurückgegangen. Wenn Arbeitnehmer weniger Geld in der Tasche haben, dann können sie nicht gleichzeitig mehr ausgeben. Deshalb sind die aktuellen Schwierigkeiten in der Binnenkonjunktur darauf zurückzuführen, dass die Lohnentwicklung keineswegs Schritt gehalten hat mit der allgemeinen Wohlstandsentwicklung. Das sollte korrigiert werden.
Blickpunkt: Was ist problematischer: die Lohnforderungen oder der Streik?
Rexrodt: Beides passt nicht in die Zeit. In einer daniederliegenden Konjunktur und bei einer Schlusslicht-Position der deutschen Wirtschaft im europäischen Kontext sind hohe Lohnforderungen und Streik kontraproduktiv. Kostenträchtige Bruttolohnerhöhungen landen nur zu einem Bruchteil in den Taschen der Arbeitnehmer. Der Großteil geht an den Staat und die Sozialsysteme. Am Ende gibt es noch weniger Arbeit in Deutschland, noch weniger Investitionen, noch mehr Verlagerung von Produktion ins Ausland. Das kann auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer liegen!
Schreiner: Ich verweise darauf, dass die Arbeitnehmer in den letzten Jahren weder am Produktivitätsfortschritt noch am Inflationsausgleich teilgenommen haben. Insofern sind die Gewerkschaftsforderungen auch ein Akt nachholender Gerechtigkeit. Hinzu kommt, dass sich die Behauptung, eine zurückhaltende Lohnpolitik schaffe mehr Arbeitsplätze, nicht bewahrheitet hat. Also: Vernünftige Lohnerhöhungen passen durchaus in die Landschaft, zumal die Anzeichen für eine Konjunkturbelebung unübersehbar sind. Außerdem: Wenn Manager großer Konzerne Wasser predigen und selber Wein trinken, indem sie ihre Millionengehälter teilweise verdoppeln, kann bei Abschlüssen um vier Prozent wohl kaum von Maßlosigkeit die Rede sein.
Rexrodt: Beim letzten Punkt bin ich mit Herrn Schreiner einer Meinung. Die teilweise exorbitanten Steigerungen der Einkünfte von Vorständen stoßen an Grenzen, die uns nachdenklich machen müssen. Aber noch ein Wort zum Produktivitätsfortschritt: Bei unverhältnismäßig hohen Lohnabschlüssen besteht die Gefahr, dass auf Grund der hohen Kostenbelastungen der Unternehmer dieser Fortschritt von immer weniger Menschen erbracht wird. Kann das im Interesse der Gewerkschaften liegen?
Blickpunkt: Wie weit können Sie sich eine Flexibilisierung der Tarifpolitik vorstellen? Sind die starren Flächentarife noch up to date?
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... und Ottmar Schreiner.
Rexrodt: Überhaupt nicht. Die starren Flächentarife und die vielfältigen Überregulierungen am Arbeitsmarkt haben ausgedient. Wir müssen das Arbeitsrecht entrümpeln und den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Dabei muss die Tarifpolitik viel stärker auf die betriebliche Ebene verlagert werden. Wo das Platz greift, haben wir geringere Arbeitslosigkeit. Schauen wir nur nach Amerika oder Großbritannien.
Schreiner: Im internationalen Vergleich haben wir zwar eine relativ hohe Regulationsdichte, dennoch kann von Unbeweglichkeit und Betondenken keine Rede sein. Flexibilisierung ist doch schon längst Wirklichkeit. Wir haben über 30.000 unterschiedliche Regelungen, die auf die jeweiligen Besonderheiten Rücksicht nehmen, denken Sie nur an die Tausende unterschiedlicher Arbeitszeitregelungen. Also bitte keinen Popanz aufbauen.
Blickpunkt: Wo könnte noch weitere Flexibilisierung stattfinden? Sollte es Einstiegstarife für Jobsuchende, ergebnisabhängige Entlohnungsmodelle, individuelle Kündigungsschutzregelungen für ältere Arbeitnehmer geben?
Schreiner: Ich bin skeptisch. Wir haben ja schon viele Aufweichungen etwa beim Kündigungsschutz oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erlebt, jeweils mit dem Versprechen, dies bringe mehr Beschäftigung. Aber es gibt nirgendwo einen empirischen Beleg dafür, dass eine nachhaltige Deregulierung – im Klartext: Verschlechterung – sozialer Schutzrechte wirklich zu mehr Beschäftigung geführt hat.
Rexrodt: Doch! Sie können das doch nicht in Abrede stellen. Der Zusammenhang von Überregulierung und Beschäftigung ist für jeden objektiv Denkenden klar erkennbar. Deshalb müssen wir die vielen Barrieren abbauen, die sich in der Summe in Hunderttausenden von unbesetzten Arbeitsplätzen auswirken.
Blickpunkt: Zurück zum Streik. Passt dieses klassische Instrument der Tarif-auseinandersetzung noch in die Zeit? Oder verhindert Traditions- und Besitzstandsdenken notwendige Innovationsprozesse?
Rexrodt: Wir haben Tarifautonomie, und dazu gehört das Streikrecht der Gewerkschaften ebenso wie die Aussperrungsmöglichkeit durch die Unternehmer. Ob und wie weit sie angewandt werden und sollten, ist eine andere Frage. Insgesamt haben sich die Gewerkschaften durchaus verantwortungsvoll verhalten. Aber jetzt sind sie in eine Krise geraten. Dass sie den Streik durchführen, hat ein Gutteil damit zu tun, dass sie ihren Mitgliedern, die in Scharen weglaufen, den Beweis ihrer Existenz liefern müssen.
Schreiner: Unsinn. Streik ist doch kein Selbstzweck. Es ist der enorme Druck von der Basis auf eine angemessenere Beteiligung am gesellschaftlichen Wohlstand, der zum Streik geführt hat. Nach Jahren nicht belohnter gewerkschaftlicher Zurückhaltung habe ich dafür Verständnis.
Blickpunkt: Metallarbeitgeber-Chef Kannegiesser plädiert angesichts des Umsatzausfalles von knapp 1.000 Euro pro Streiktag und Beschäftigten sowie des internationalen Konkurrenzdrucks für ein neues Modell der Konfliktlösung: Statt der Streitparteien sollte ein unabhängiges Expertengremium das letzte Wort haben. Ein praktikables Modell?
Rexrodt: Ich halte davon nicht viel, wie ich überhaupt skeptisch bin gegenüber einem überzogenen Konsensdenken. Das gilt sowohl für die Gewerkschafts- wie die Arbeitgeberseite, da bin ich gar nicht einseitig. Bei den Arbeitgebern hat es über Jahrzehnte ein Kartell gegeben, das gebrochen werden muss. Das spiegelt eine längst hinter uns liegende Zeit wider. Mit Konsens und überzogener Kooperation sind die Probleme nicht zu überwinden. Wir wollen nicht Streit um des Streites willen, aber ein Konflikt muss am Ende auch durchgestanden werden. Manchmal ist eine handfeste Auseinandersetzung zielführender als der Fetisch des Konsenses und des Bündnisses.
Blickpunkt: Damit könnten Sie einverstanden sein, oder?
Schreiner: Selten genug: Aber ich könnte jeden Satz unterschreiben.