Treffpunkte
Lesepause, Schnupperkurs, kleiner Urlaub
Die Parlamentsbuchhandlung in der Wilhelmstraße erfüllt diese Sehnsüchte sofort, sie ist eine Insel im Reich der Hektik.
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Es gibt die Entschlossenen, die Pragmatischen, die Suchenden, die Schnellen, die Neugierigen. Manche plaudern ein wenig, schauen sich um, fegen einmal durch die Buchreihen, sind wild entschlossen, nichts zu kaufen und gehen mit drei Büchern raus. Andere wissen exakt, wo die Zeitschrift liegt, die sie immer kaufen, und sind schnell wieder verschwunden. Es gibt welche, die begrüßen Tina, die sanfte Hündin mit dem treuherzigen Blick, die zur Buchhandlung gehört, als sei sie fest angestellt. Andere lesen sich fest und schauen irgendwann ein wenig schuldbewusst auf die Uhr, stellen mit leichtem Bedauern das Buch wieder ins Regal und starten durch zur nächsten Arbeitsrunde.
Manchmal, ganz selten nur, wenn die Parlamentsbuchhandlung leer ist, gehen der Buchhändler Peter Lenz oder der Leiter der Buchhandlung, Benedict Maderspacher, mit einem regenbogenfarbenen Staubwedel durch die Regale – das wirkt dann fröhlich und archaisch zugleich.
Fast alle Abgeordneten waren schon mal oder sind regelmäßig Kundin oder Kunde im Laden. Er liegt so günstig und bietet genau den Service, den man braucht: die wichtigsten Neuerscheinungen und eine gute Auswahl an Büchern und Zeitschriften, eine nachvollziehbare Ordnung, Ecken, in denen man in Ruhe ein paar Seiten lesen kann und noch ein paar Kleinigkeiten, die nicht zu verachten sind: Lotto, Zigaretten, Kugelschreiber, Postkarten, Filme und ein bisschen Büromaterial.
Ich liebe das Lesen. Das war schon immer so. In der Volksschule sind wir alle in die Stadtbücherei gegangen, und jedes Kind durfte im Unterricht ein Buch vorstellen. Astrid Lindgren konnte ich auswendig und Erich Kästner habe ich immer wieder gelesen." Die SPD-Abgeordnete Helga Kühn-Mengel gehört wahrscheinlich zu jenen, die immer mit guten Vorsätzen in die Parlamentsbuchhandlung gehen und mit weniger Geld wieder rauskommen.
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Helga Kühn-Mengel kauft den Briefwechsel von Kurt Weill mit Lotte Lenya.
Auch an diesem Tag kann sie nicht widerstehen und kauft den Briefwechsel von Kurt Weill mit Lotte Lenya. "Das sind Namen, die mich berühren und hinter denen ich Geschichten vermute. Aber oft, das ist ganz wichtig für mich, lese ich, um mir eine andere Sprache zu erobern. Shakespeare, Rilke oder, lachen Sie nicht, Brehms Tierleben. Das sind gute Kontrastprogramme zur politischen Sprache."
Helga Kühn-Mengel entschiede sich für eine Buchhandlung, in der Frauenliteratur die Regale füllte. Oder? "Wenn ich damit nicht meinen Lebensunterhalt verdienen müsste, gäbe es in meinem Laden nur Gedichte. Geht eigentlich nicht, zu kleine Zielgruppe. Aber es wäre trotzdem wunderbar."
Die Hündin Tina wird übrigens von vielen Mupsi genannt und hat eine berühmte Patentante: Martina Navrati.lova. Es gab eine Zeit, da schickte der Tennisstar jedes Jahr einen großen Knochen aus den USA fürs Patentier. Das sind Geschichten, die könnten in einem Buch stehen.
Der FDP-Abgeordnete Detlef Parr greift sich ein Buch aus dem Regal, das er sofort läse, wenn – keine Sitzungswoche wäre, er Urlaub hätte und einen leeren Schreibtisch dazu. Vaclav Havels "Moral in Zeiten der Globalisierung" gefiele ihm für solche Zeiten. Groß geworden ist er mit Mark Twain – unter anderen. Ihm sind Bücher wichtig, die Geschichte erzählen, sozialkritisch sind, etwas über Moral – in guten und in schlechten Zeiten – vermitteln.
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Detlef Parr sucht ein Buch von Vaclav Havel aus.
Er gesteht allerdings auch, dass er ein Abbrecher ist. Wenn ein Buch ihn enttäuscht, weil es das Versprochene nicht hält, legt er es beiseite. Allerdings läse er nie den Schluss zuerst. Das ist Frevel, in etwa so schlimm wie Fußballergebnisse, die man erfährt, bevor man das Spiel sehen konnte. "Weil die Zeit oft knapp ist, orientiere ich mich gern an Ranglisten. Reich-Ranicki war immer ein guter Vorleser – ich mag es, wenn mir Bücher interessant empfohlen werden. Und ich mag Läden wie diesen, die übersichtlich sortiert sind und trotzdem zum Stöbern einladen."
Sein Buchladen wäre mit Klassikern gefüllt. "Das ist irgendwie auch logisch. Ich bin Lehrer von Beruf, und ich finde es wichtig, dass Menschen Literaturgeschichte lernen. Ob so eine Buchhandlung allerdings am Markt erfolgreich wäre, weiß ich nicht."
Viele Kunden, die in die Parlamentsbuchhandlung kommen, kriegen sofort die Zeitschrift oder Zeitung, die sie immer kaufen. Buchhändler haben ein gutes Gedächtnis und eine angenehme Art, Service zu deklinieren.
Der CDU-Abgeordnete Thomas Dörflinger greift sich den "Faust" aus dem Regal. Das löst Erstaunen aus, aber: " Was man als Jugendlicher mal lesen musste, macht freiwillig noch mal gelesen richtig Spaß." Thomas Dörflinger liest am liebsten dann, wenn er den Kopf wirklich frei dafür hat. Alles andere ist irgendwie verschenkt und wird den Büchern nicht gerecht. Die Helden seiner Kindheit waren nicht von dieser Welt: das kleine Gespenst, die kleine Hexe und der Räuber Hotzenplotz beflügelten seine Fantasie. Den Hotzenplotz hat er immer noch und liest ihn heute seinem Sohn vor. "Bücher vorzulesen, die man fast auswendig kennt, macht Spaß."
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Thomas Dörflinger zieht den "Faust" vor.
Woran er heute kaum vorbeigehen kann, sind unterschiedliche Biografien über die gleichen Leute. Das ist spannend, und das Angebot in der Parlamentsbuchhandlung ist für diese Vorliebe gut. Mit seinen Buchbestellungen übers Internet macht Thomas Dörflinger den Mitarbeitern der Buchhandlung allerdings keine große Freude. "Meine Buchhandlung", sagt der Abgeordnete, "machte wahrscheinlich schnell pleite. Ich stellte nur politische, historische und biografische Werke rein." Nun, das käme auf einen Versuch an.
In der Parlamentsbuchhandlung liegt zur Sicherheit das Handbuch der Bundestagsabgeordneten immer unterm Ladentisch. Wer öfter kommt, soll mit Namen angesprochen werden. Das gehört zum Service.
Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen, greift sich ein Buch über das Auswärtige Amt. Das riecht nach Arbeit. Aber lesen ist angenehme Arbeit und das Buch interessiert ihn. Als Junge hat er irgendwann begonnen, Tagebuch über die Bücher zu führen, die er gelesen hat. In manchem Jahr kamen da 200 zusammen. Später ist er dann lange in Buchhandlungen gegangen mit dem Motto: "Irgendwas Schönes werde ich schon finden." Das ging dann im Angesicht der sich füllenden Bücherregale zu Hause nicht mehr. "Es war auch eine Vorstufe zur Sucht. Heute gehe ich also viel gezielter in Buchläden und am Ende kommt das Gleiche raus. Vielleicht stimmt der Begriff Vorstufe nicht."
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Winfried Nachtwei liest ein Buch über die Außenpolitik.
Was Winfried Nachtwei bedauert, ist, dass man viele Bücher unter ganz funktionalen Aspekten liest. Schnell und viel Wissen anhäufen, querlesen, um alles zu schaffen. Umso wichtiger sind jene Momente, in denen er aus reinem Vergnügen und purer Neugier lesen kann. In seiner Buchhandlung stünde einvernehmlich Zeitgeschichte neben Poesie. Das klingt ziemlich schräg. Wie "Autos und Weine". Aber den Laden gibt es wirklich. Warum also nicht?
Man kann auch einfach reingehen in die Buchhandlung und sagen: "Ich suche da ein Buch, von dem habe den Titel vergessen und der Autor heißt mit Vornamen Stefan und der Nachname fängt mit L an." Dann hat man einen geduldigen Buchhändler und kommt meist zum Ziel.
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Pia Maier schätzt Krimis.
Ist der Laden eine Parallelwelt? Das wäre der PDS-Abgeordneten Pia Maier gerade recht, denn sie liebt Parallelwelten. Zumindest literarische. Sie ist mit Bilderbüchern und Comics groß geworden, und es gab eine Zeit, da las sie schrecklich gern "Hanni und Nanni". Will sie aber heute richtig aus dem Alltag raus, nimmt sie Fantasiegeschichten zur Hand: "Wenn ich mich entspannen möchte, begebe ich mich literarisch in andere Welten oder ich greife zu Kriminalromanen, die zugleich auch Milieugeschichten oder Sozialdramen sind. Kommissar Brunetti zum Beispiel, eine Hauptfigur bei Donna Leon, mag ich sehr." Pia Maier mag auch Buchhandlungen, die Ruhe ausstrahlen und Buchhändler oder -händlerinnen, die was erzählen können. Wenn sie das Glück hätte oder in die Verlegenheit käme, eine eigene Buchhandlung aufzumachen, dann gäbe es dort auch Krimis. Und Pia Maier wäre ihre beste Kundin.
Text: Kathrin Gerlof/Fotos: studio kohlmeier