Hintergrund
Bundestag live
Das TV-Studio des Parlaments
Nein, als Intendant fühlt er sich nicht. Aber stolz ist Hartwig Bierhoff doch, als er den Besucher durch das nagelneue, hochmoderne und mit allen technischen Raffinessen ausgestatte parlamentseigene TV-Studio im großzügigen Untergeschoss des neuen Jakob-Kaiser-Hauses führt. "Mit dieser Ausrüstung können wir in der Parlamentsberichterstattung gut mit den öffentlich-rechtlichen oder privaten TV-Anstalten mithalten", strahlt der Chef des Referats PI 4 "Parlamentsfernsehen/Online-Dienste" des Bundestages und lässt seine Augen fast liebevoll über kühl glänzende Scheinwerfer und TV-Kameras schweifen.
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Blick ins Studio.
Rund 100 Quadratmeter groß ist das hypermoderne Studio, das im inneren Zirkel Platz für Talkrunden und Diskussionsforen und Platz für 50 Zuschauer bietet. An der Decke hängen 45 Scheinwerfer. Drei fahrbare Kameras sorgen für Live-Atmosphäre selbst dann, wenn das Studio unbesetzt ist und mit seiner halbrunden "Opera"-Rückwand, auf die Lichteffekte und Bilder projiziert werden können, wie ein Zirkusrund aus der Science-Fiction-Welt wirkt.
Gut 28 Millionen Mark haben Studio, benachbarte Regie- und Schminkräume, Ton- und Bildarchiv sowie die neuen TV-Installationen im Plenum, einigen Ausschuss- und Enquete-Sälen sowie den Fraktionssälen von SPD und CDU/CSU gekostet, mit denen live die vielfältige Arbeitswelt des Parlamentes übertragen werden kann. Viel Geld. Aber gut angelegtes, wie Bierhoff findet. Bierhoff: "Damit haben wir einen großen Schritt zur Lebendigkeit und Authentizität der politisch-parlamentarischen Arbeit geschafft." Mit seinen jetzigen Kommunikationsmöglichkeiten sei der Bundestag international Spitze: "Viele Kollegen aus dem Ausland sind begeistert." Auch einige Prominente von ARD und ZDF sollen schon anerkennende Blicke auf die technisch hypermoderne Unterwelt im Jakob-Kaiser-Haus geworfen haben. Konkurrenz aber will und kann das Parlamentsfernsehen den anderen Fernsehanstalten nicht machen, sondern ein zusätzliches Angebot liefern, um die Arbeit des Parlaments ein Stück transparenter zu machen.
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In der Maske.
Doch noch repräsentieren Bierhoff und seine insgesamt 16-köpfige Mannschaft ein technisches Königreich ohne richtiges Volk. Zwar übernimmt der Nachrichtensender n-tv alle Plenarübertragungen des Parlamentsfernsehens, vorwiegend aber sind die parlamentseigenen Bilder nur über den Parlamentskanal im Berliner Breitbandkanal zu sehen, an den auch die Büros der Abgeordneten, Journalisten, Bundestagsverwaltung und kommerziellen TV-Anstalten angeschlossen sind. ARD, ZDF und private Sender schicken meist – noch – eigene Teams ins Parlament, weil sie keine Bilder abnehmen wollen, auf die sie keinen Einfluss haben.
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Aufzeichnung einer Talk-Show.
Das aber, so die Hoffnung der Bundestags-TV-Leute, könnte sich ändern. Denn die Zeiten, in denen das Parlamentsfernsehen überwiegend starre und damit langweilige Redner-Bilder aus dem Plenarsaal übertrug, sind mit der technischen "Revolution" im neuen Berliner Parlament vorbei. Zwar gibt es noch immer Verhaltensgrundsätze für die Kameraführung und Tonmischung ("Keine Großaufnahmen von Personen und Nahaufnahmen von Dokumenten"), aber mit den acht ferngesteuerten Kameras im Plenarbereich wird heute ein vielfältiges, lebendiges, professionelles und interessantes Bild mit Schwenks auf Regierungs- und Bundesratsbank und Zwischenrufer ausgestrahlt. Und das auch dann, wenn sich die Debatten bis in den späten Abend ziehen und kein einziger Journalist mehr auf den Pressetribünen anzutreffen ist, keine andere Kamera als die des Parlamentsfernsehens das dokumentiert, was hier politisch verhandelt wird. Der stille Wunsch der Fernsehmacher vom Bundestag: Der Empfang des Parlamentsfernsehens möge bald bundesweit möglich sein. Bierhoff: "Das würde auch dem Auftrag des Parlamentes als Forum der Nation, das öffentlich tagt, entgegenkommen."
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Mischpult in der Tonregie.
Für mehr Lebendigkeit, Transparenz und innere Kommunikation sollen auch die neuen Übertragungsmöglichkeiten aus den Ausschüssen und den großen Fraktionssälen sowie dem neuen TV-Studio sorgen, aus dem die TV-Riege des Bundestages mit Talkshows und Diskussionsrunden ein "Forum vor Ort" zu machen hofft. "Wir wollen dort nah und präsent sein, wo die eigentliche Arbeit geschieht", postulieren Hartwig Bierhoff und Gerhard Rakenius ihren ambitionierten Anspruch. Rakenius hat die eigentliche Aufbauleistung für die hochmodernen medialen Installationen des Bundestages vollbracht. Damit sind nicht nur die technischen Möglichkeiten für eine zeitgerechte Darstellung nach außen, sondern auch für die interne Information der über 5.000 Mitarbeiter im Bundestag verbessert worden.
Dazu gehören neben Studio und Plenarübertragung auch das elektronische Archiv, der Video-Aufzeichnungsdienst und die Online-Dienste des Parlaments. Rund 500 Stunden Parlaments- und Ausschussübertragungen hält das Archiv aktuell vor, danach gehen die Aufzeichnungen als "Dauerkonserve" an das eigentliche Parlamentsarchiv. Dort sind beginnend mit der ersten TV-Aufzeichnung aus dem Bundestag alle aufgezeichneten Veranstaltungen des Parlaments gegen eine geringe Gebühr abrufbar.
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Bildregie.
Stark genutzt wird auch der Video-Aufzeichnungsdienst. Dieser Service des Bundestages zeichnet politisch relevante Sendungen auf und stellt sie bei Bedarf den Abgeordneten zur Verfügung. "Dieser Dienst wird außerordentlich stark frequentiert", freut sich Bierhoff. Abgerundet wird die mediale Kompetenz des Parlaments durch seinen aktuellen Online-Dienst im Internet.
Hier werden alle Parlamentssitzungen live, unkommentiert und in voller Länge als Web-TV angeboten. Zusätzlich können alle Redebeiträge der 14. Wahlperiode über Video-on-demand abgerufen werden. Bierhoffs Gesamtbilanz: "Der Bundestag ist erwachsen geworden – auch medial."
Sönke Petersen