Familiengeschichten
Wenn Politik im Blut liegt
Eigentlich ist es nur eine Redewendung – die vom "Vollblutpolitiker". Aber manchen Abgeordneten scheint das politische Engagement tatsächlich im Blut zu liegen. Denn im Laufe der Bundestagsgeschichte gab es schon eine ganze Reihe von Abgeordneten aus ein und derselben Familie in direkter Generationenfolge. Wie der Vater, so der Sohn. Oder auch die Tochter.
So Gerda Hasselfeldt. Die frühere Bundesbau- und Bundesgesundheitsmi-nisterin kam erstmals 1987 in den Bundestag – und trat damit in die Fußstapfen von Alois Rainer, ihrem Vater, der ebenso wie sie Mitglied der CSU-Landesgruppe war, freilich einige Jahre vor ihr, von 1965 bis 1983. Bei anderen geschah die Staffelübergabe nahtlos. Bei den Corteriers etwa, wo Vater Fritz bis 1969 für die SPD im Bundestag wirkte und Sohn Peter ab 1969. Oder bei den Metzgers, wo Vater Ludwig ebenfalls 1969 die Geschicke als SPD-Abgeordneter an Sohn Günther weitergab.
Den Vogel schießt in dieser Hinsicht die Familie Arndt ab. Sowohl Vater Adolf als auch Sohn Claus schrieben an wichtigen Kapiteln der deutschen Rechtsgeschichte entscheidend mit, galten als "Kronjuristen" der SPD – und saßen sogar gleichzeitig im Bundestag. "Das hat sich durch Zufall so ergeben", erinnert sich der heute 75-jährige Claus Arndt. Auch durch den Einfluss und das Beispiel seines Vaters sei er schon sehr früh "hoch politisiert" gewesen. Und so kam es, wie es mit engagierten jungen Menschen immer wieder passiert: Die Hamburger SPD wurde auf ihn aufmerksam, und nach verschiedenen bestens bewältigten Aufgaben kam sein Chef eines Tages zu ihm: "Der Landesvorstand hat dich als Bundestagskandidat vorgeschlagen."
Der Vater musste beichten
Dagegen gab es von Claus Arndt "keine Einwände". Denn mit Vater Adolf Arndt war dies abgesprochen. "Wir hielten es für nicht angemessen, wenn Vater und Sohn gleichzeitig im Bundestag wären." Und zum Zeitpunkt der Beratungen im Landesvorstand war klar, dass der Vater, der seit der ersten Sitzung 1949 im Bundestag gesessen hatte, 1965 nicht erneut kandidieren würde. Die Überraschung war perfekt, als er wenig später mit seinem Vater zusammen in der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn saß. Dort trafen sie sich häufiger, weil Claus Arndt als Hamburgischer Beamter seinen Senat häufig im Bundesrat vertrat. Plötzlich trat nämlich ein Parteifreund auf seinen Vater zu, um ihm zum "tollen Aufstellergebnis" zu gratulieren. Und so musste denn der Vater dem Sohn "beichten", doch noch einmal für seinen Kölner Wahlkreis anzutreten. Rat suchend wandten sich Vater und Sohn an den damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Fritz Erler: "Was soll nun passieren?" Die pragmatische Antwort: "Es passiert, was der Wähler will."
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Claus (li.) und Adolf Arndt gemeinsam bei einer Abstimmung im Bundestag.
Im Plenum oft Seite an Seite
1968 kam es so, wie es der Wähler wollte: Claus Arndt rückte über die Reserveliste in den Bundestag nach, Vater Adolf Arndt saß für den Wahlkreis Köln noch drin – und schon berichtete ein Nachrichtenmagazin über "Familienstreit in der SPD-Fraktion". Den Journalisten war nämlich eine zeitlich zurückliegende Szene zu Ohren gekommen, als Adolf Arndt die Haltung der Rechtspolitiker der Fraktion zu den Notstandsgesetzen darstellte – und Claus Arndt für Hamburg als federführendes Land auf Bundesratsseite eine gänzlich andere. Aber von "Streit" zwischen Vater und Sohn könne man nicht sprechen, betont Claus Arndt: "In 95 Prozent aller Fragen waren wir uns einig."
Da sich die Sitzordnung im Plenarsaal jahrelang am Alphabet orientierte, saßen Arndt, Adolf, und Arndt, Claus, oft nebeneinander. In der Fraktion lag jedoch die ganze Länge des Saales zwischen ihnen: Denn dort saßen die Landesgruppen zusammen – die Hamburger vorne, die Rheinländer hinten. Da nicht jeder über die Familienverhältnisse Bescheid wusste, gab es mitunter staunende Gesichter, wenn sich zwei SPD-Abgeordnete morgens herzlich umarmten und küssten – "aber warum sollten wir uns bei der Begrüßung im Bundestag anders verhalten als zu Hause?", fragt Claus Arndt.
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Vater Ludwig Metzger.
Einmal spielte er für seinen Vater auch den "Ausputzer". Denn dieser hatte eine Frage an die Bundesregierung gerichtet – war aber in der Fragestunde nicht anwesend, als sie aufgerufen wurde. Er wolle diese Frage übernehmen, meldete Claus Arndt beim Sitzungspräsidium an. Das hat immer zu prüfen, ob die Bedingungen der Geschäftsführung für die Übernahme von Fragen durch Kollegen gegeben sind. Ein (fachlicher) Zusammenhang muss bestehen. Vizepräsident Walter Scheel bejahte augenzwinkernd mit Blick auf die Familienverhältnisse: "Ein Zusammenhang ist gegeben." Noch lange habe ihn sein Vater damit aufgezogen und auch im Privatleben immer wieder geschmunzelt: "Ein Zusammenhang ist gegeben."
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Sohn Günther Metzger im Bundestag.
Doch solche direkten "Zusammenhänge" waren die Ausnahme. Häufig liegen mehrere Wahlperioden zwischen der 1. und der 2. Abgeordnetengeneration einer Familie. So auch beim gerade ausgeschiedenen CDU-Abgeordneten Wolfgang Schulhoff. Er engagierte sich von 1983 bis 2002 im Bundestag, sein Vater Georg von 1961 bis 1972. In den elf Jahren dazwischen vervollständigte Schulhoff seine "Ochsentour" in der Kommunalpolitik und an der Basis der Partei – ein Weg, den er jedem Politiker dringend raten möchte. Die Parallelität im Hause Schulhoff: Als Vater Georg 1969 zum letzten Mal für den Bundestag im Düsseldorfer Wahlkreis kandidierte, trat Sohn Wolfgang zum ersten Mal für den Stadtrat in Düsseldorf an. Und noch ein Zufall: 1983 übernahm Wolfgang Schulhoff den Wahlkreis von Gottfried Arnold – auch er war ein 2.-Generation-Abgeordneter: er folgte seinem Vater Karl nach. Wie sein Vater Karl, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Mitgründer der CDU, war auch Gottfried Arnold Abgeordneter der CDU.
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Im neuen Bundestag erstmals ein Bruderpaar: Siegfried und Volker (re.) Kauder.
Schwarz-grüne Familientradition
Insofern stellen der Abgeordnete Ludger Volmer (seit 1985 im Bundestag) und sein Vater Günter (bis 1983 im Parlament) eine Ausnahme dar: CDU-Abgeordneter der Vater, Grünen-Abgeordneter der Sohn. Nicht immer ist also alles identisch, wenn es heißt: "Wie der Vater, so der Sohn". Jedenfalls begründeten die Volmers auf diese Weise über zwei Generationen die erste schwarz-grüne (Familien-)Koalition im Deutschen Bundestag.