Der Unangepasste
Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Hermann Otto Solms, sagt von sich, er sei ein geborener Liberaler. Für ihn bedeute das, Verantwortung niemals abzuschieben.
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Hermann Otto Solms vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin. |
Zu Beginn einer jeden Legislaturperiode
wählen die Abgeordneten das Bundestagspräsidium. Es
besteht aus dem Präsidenten und in der Regel so vielen
Stellvertreterinnen und Stellvertretern, wie es Fraktionen gibt.
Sie alle entscheiden über Angelegenheiten, die die Leitung des
Hauses betreffen, und sitzen abwechselnd den Plenarsitzungen vor.
Eine Ehre ist es, diesem Gremium anzugehören, und eine
Herausforderung dazu.
Wer aber sind die Menschen, die diese Herausforderung
annehmen?
Als Hermann Otto Solms, geboren 1940, mit 31 Jahren in die FDP eintrat, war er bereits das, was man hier zu Lande gern einen „gestandenen Mann“ nennt. Er hatte Abitur gemacht, den Wehrdienst absolviert, eine Banklehre abgeschlossen, die Kaufmannsgehilfeprüfung bestanden, in Frankfurt am Main, Gießen und Kansas State, USA, Landwirtschaft und Wirtschaftswissenschaften studiert und hatte das Diplom in der Tasche. 1971 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Gießen. Nichts deutete zu der Zeit darauf hin, dass Hermann Otto Solms, aus einer alteingesessenen Familie kommend, deren Stammbaum sich 900 Jahre zurückverfolgen lässt, Politiker werden würde. Obwohl er ein politischer Mensch war.
Die Zeiten waren aufregend. Willy Brandt war seit 1969 Bundeskanzler, es gab eine sozialliberale Koalition, eine neue Ostpolitik und den Kanzlersatz: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an.“ Die mit Walter Scheel als Außenminister betriebene Öffnung nach Osten wurde 1970 in zwei Vertragswerke gegossen, die auf großen Widerstand bei der CDU/CSU stießen und 1972 mit den Stimmen von SPD und FDP vom Bundestag gebilligt wurden.
Hermann Otto Solms verstand die bewegten Zeiten auch als Aufforderung, sich einzumischen. Er trat der von Walter Scheel geführten FDP bei. „Das entsprach meiner Geisteshaltung“, sagt er. „Ich bin ein geborener Liberaler. Ein Nonkonformist“, schickt er hinterher und setzt danach einen Punkt. Wer Fragen hat, wird sie stellen. Also fragt man, ob die Haltung eines Nonkonformisten einem geradezu in die Wiege gelegt sein könne und was überhaupt damit gemeint sei.
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Als Motto steht auf seiner Homepage ( http://mdb.liberale.de/solms) der Goethe-Satz: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“ Für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, nie nach Ausreden zu suchen, sondern Chancen zu nutzen und Risiken abzuwägen, sei die Crux, sagt der Vizepräsident. Erst dann könne man auch für andere etwas tun, wenn man gelernt hat, für sein eigenes Leben verantwortlich zu sein. Nichts sei kontraproduktiver als verstaatlichte Nächstenliebe. Die verhindere im schlimmsten Fall das, was Immanuel Kant die Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit nannte.
Ein Mindestalter für Eigenverantwortung gibt es für Hermann Otto Solms nicht. Und damit gehen wirklich viele nicht konform. Zurzeit arbeitet der Politiker daran, eine neue Debatte über die Herabsetzung des Wahlalters in Gang zu setzen. Von dem Moment an, wo sich jemand in der Lage fühlt, eine Wahl treffen zu können, soll er dies auch tun dürfen. Altersbeschränkung? „Keine“, sagt der Vizepräsident und weiß, dass es lange dauern wird. Dieser Weg ist noch auf keiner Karte verzeichnet und steil ist er ebenfalls. Aber schon die Diskussion darüber wird etwas in Bewegung bringen, selbst wenn man dagegen ist, müssen Argumente gefunden werden. Die gibt es nicht zu kaufen.
Der Eintritt in die FDP 1971 ging nicht gleich einher mit dem Beginn einer politischen Karriere. 1973 aber wurde Solms Persönlicher Referent der Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke. Wenn man das heute liest, hat es was. Sich in ein Amt wählen zu lassen, das man einst aus nächster Nähe kennen gelernt hat, spricht dafür, dass es eine gute Erfahrung war. „Ich bin sozusagen der einzige gelernte Vizepräsident“, sagt Hermann Otto Solms. Sein Arbeitsstil sei davon geprägt, Fairness mit spürbarer aber doch zurückhaltender Autorität zu verbinden. Zu Beginn habe er sich dabei ertappt, hin und wieder einen Zwischenruf machen zu wollen. „Manche Plenarsitzungen sind zu lang und zu unverständlich. Ich glaube, mindestens die Hälfte der Debatten könnte anstatt
„Ich will keine Halbsätze in Gesetzen ändern. Darin liegt nicht mein Ehrgeiz. Ich will grundlegende Sachen machen.“
im Plenum in den Fachausschüssen geführt werden. Erste Lesungen beispielsweise bräuchten nach meiner Auffassung gar nicht im Plenarsaal stattfinden. Es macht keinen Sinn, bis tief in die Nacht hinein über Inhalte zu debattieren, an denen in den Ausschüssen erst noch gearbeitet werden müsste und könnte.“
Hermann Otto Solms hält viel von Effizienz und von Nachvollziehbarkeit. Das liegt vielleicht an der wichtigen und nicht kurzen Interimszeit als freier Unternehmer, die sich an die Arbeit als Persönlicher Referent anschloss. Von 1976 bis 1984 war er ein Mann der Wirtschaft. „Das war eine wichtige Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen, sich alles selbst beizubringen. Wer einmal so in der Praxis verankert war, verliert später – auch als Politiker – den Bezug zur Realität nicht. Ich weiß ziemlich genau, wovon ein Mittelständler heute redet, wenn er seine Schwierigkeiten beschreibt.“ Und weil er so etwas weiß, fängt er an, groß zu denken. „Ich will keine Halbsätze in Gesetzen ändern. Darin liegt nicht mein Ehrgeiz. Ich will grundlegende Sachen machen. Beispielsweise mit anderen zusammen ein komplett neues Steuersystem entwickeln. Ich bin Finanzpolitiker, eine radikale Steuerreform ist geradezu ein Herzenswunsch. Und ich will eine breite Debatte über all diese Dinge. Da ist die jüngere Generation beispielsweise zu sehr außen vor gelassen worden. Aber letztlich geht es doch auch darum, wie wir den Generationenvertrag erneuern.“
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Siebeneinhalb Jahre war Hermann Otto Solms Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag. Dies sei der schönste Job gewesen, sagt er, konfrontativ und aufregend, gestaltend und produktiv. Als amtierender Präsident müsse man entschlossen leiten, dürfe sich auch einmischen, es sei jedoch nicht immer einfach, die Angelegenheiten bestimmt, aber unauffällig zu steuern. Auf der Homepage des Vizepräsidenten ist ein Bild zu sehen, das seine Tochter Christine gemalt hat. Hermann Otto Solms hat drei Töchter, die gemeinsam mit der Frau, befindet er, eindeutig die Regierung in der Familie stelle. Ein Bild das die ganze Familie zeigt. Dazu gesellen sich ein Hund und ein Vogel. Christine hat den Vater mit weit aufgerissenem Mund gemalt, was gegen die Regierungsthese spricht, aber Hermann Otto Solms bleibt dabei. Auf jeden Fall sehen die Porträtierten glücklich aus. Und auf die Frage, ob der Vizepräsident ein glücklicher Mensch sei, sagt er Ja.
In seiner Freizeit spiele er gern Saxofon, hält John Coltrane und Albert Mangelsdorff für ganz Große im Jazz, und zu seinem 60. Geburtstag bekam er von seiner Frau ein Motorrad geschenkt. Wenn Zeit ist, fährt er damit, manchmal mit der Sportgemeinschaft des Bundestages. Auf zwei Rädern und bei nicht unbeträchtlichen Geschwindigkeiten das Gleichgewicht zu halten, ist auch nicht einfach. Muss man können. Und wollen.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier