Der Schweizer Politologe Alois Rikklin hat mit seinem Buch "Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung" eine neue Form der Darstellung jener Disziplin eingeführt, die unglücklicherweise meist "Geschichte der politischen Ideen" genannt wird. Ideen aber haben keine Geschichte. Erfindungen und ihre Wirkungen und Weiterentwicklungen schon. Und die Erfindungen, die zu einer Verteilung der Macht durch die Verfassung führten, sind Gegenstand dieses Buches. Rikklin untersucht nicht beliebige Denker der Politik in der Reihenfolge, in der sie gelebt und gewirkt haben: Er ist dem republikanischen Denken auf der Spur.
Das Buch behandelt die Machtteilung, und der Autor beschränkt sich nicht auf die Darstellung der Denker, die die verschiedenen Formen und Techniken der Kompetenzverteilung und Machtkontrolle aus- und durchdacht haben; der emeritierte Schweizer Politikwissenschaftler behandelt die Denker durchgehend im Zusammenhang mit der wirklich bestehenden Verfassungsordnung, über die sie jeweils reden.
So lauten denn die einzelnen Kapitel beispielsweise für die Antike "Platon und Sparta", "Aristoteles und Athen" oder "Polybios, Cicero und die Römische Republik". In einem zweiten Teil wird die "Renaissance der Mischverfassung" beschrieben, und wir begegnen den ersten Denkern, von denen wir - sofern wir nicht Spezialisten sind - bislang eher wenig gehört haben. Nach einem Kapitel über den Versuch des Thomas von Aquin, unter Berufung auf das alte Israel den Gedanken der Mischverfassung zu beleben, finden wir Kapitel über "Contarini und Venedig" sowie über "Giannotti und Florenz". Der im dritten Teil geschilderte "Siegeszug der Mischverfassung" konfrontiert uns dann mit den Überlegungen der Denker Arinsaeus und Limnaeus jeweils zum Römisch-Deutschen Reich, den Verfassungsreflexionen Harringtons zu England sowie mit den Kapiteln "Burlamqui und Genf", "Montesquieu und England", "John Adams und die USA" sowie mit dem Kapitel "Sieyes und Frankreich".
In einem vierten Teil hebt Rikklin die doch etwas verbal-dogmatisch anmutenden Trennungen zwischen Mischverfassung und Gewaltenteilung auf, als er die wesentlichen Gegner der Mischverfassung, Bodin, Filmer, Hobbes, Rousseau, Paine und seltsamerweise Madison mit ihren Verfassungsreflexionen vorstellt. Ein weiteres Kapitel behandelt aktuelle Probleme der Mischverfassung, die leider - dies beschreibt Rikklin an mehreren Stellen seines Buches - unter den Pseudonymen "Verfassungsstaat", "repräsentative Demokratie" oder einfach "demokratischer Verfassungsstaat" ihre wahre Natur nicht im Namen vorzeigt.
Das Buch unterstreicht die Notwendigkeit, die Ethik der Menschen und Bürger durch institutionelle Kontroll-, Mitwirkungs- und Machtverteilungsregelungen zu unterstützen. Die institutionalistische Ethik gründe auf der Qualität von Institutionen.
Stände, Geburtsadel, Erobererprivilegien und "Herrscher von Gottes Gnaden" - was immer das in Wirklichkeit bedeutet - waren über den längsten Zeitraum unserer Geschichte soziale und politische Macht- zentren, die an der Machtausübung kontrollierend, mitwirkend und bremsend beteiligt waren. Die Macht war in den politischen Ordnungen verteilt und geteilt. Die Mischung aber auf die Teilnahme der Stände und des Adels zu reduzieren, lehnt Rikklin zu Recht ab.
Auch heute haben wir Mischverfassungen, die oli- garchische, monarchische und demokratische Elemente verbinden. "Die Beschränkung der Mischverfassung auf die geburtsständische Variante, die mit der amerikanischen Revolution einsetzte und bis heute anhält, ist willkürlich und unhistorisch." Und, so erklärt uns Rikklin scharfsinnig, wir könnten auch von den Regelungen und Strukturen der ständischen oder von Aris-tokratien bestimmten Verfassungen lernen. Seine Hinweise und Hervorhebungen machen die Bedeutung der Mischverfassungen für die praktische Verfassungspolitik etwa in Europa unübersehbar. So schreibt er beispielsweise über den im 17. Jahrhundert wirkenden Althusius, sein "kybernetisches Modell des Föderalismus" sei "viel gehaltvoller als die Verkürzung, Verengung, Erstarrung und Kanonisierung des zweistöckigen Bundesstaates. (...) Es könnte auch für die undogmatische Weiterentwicklung der Europäischen Union nach Maastricht fruchtbar gemacht werden."
Dass sich der Autor in seinen Untersuchungen nicht auf einen jener gelehrten Schreibstubendenker reduzieren lässt, die kenntnisreich aber unaktuell Niederschriften produzieren, wird an seiner Schilderung der Florentiner Auseinandersetzungen um republikanische Symbole in den aller Welt bekannten Denkmälern dieser Stadt sichtbar. Er zeigt den vergeblichen Kampf der Republikaner gegen die Medici, die die Stadt mit ihren anti-republikanischen Symbolen durchdringen wollen. Rikklin endet: "Der Europarat, der gemäß seiner Satzung auf die Demokratie verpflichtet ist, war schlecht beraten, als er unlängst die große Ausstellung in Florenz den Medici widmete - als ob die Florentiner Republikaner Banausen gewesen wären." Die Verteidigung der Symbole der Republik gegen die protzigen Monokraten hat nie ein Ende; Rikklins bezauberndes und differenziertes Buch ergreift Partei für die machtverteilende Republik.
Der Band ist, wie bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft üblich, liebevoll ediert, die 456 Seiten umfassen auch einen ergiebigen Quellenanhang, der die Quellenangaben an den Enden der Kapitel ergänzt, sowie ein hilfreiches Personenregister.
Alois Rikklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006; 456 S., 49,90 Euro.