Als Franz-Hermann Brüner vor sechs Jahren in Brüssel bei der neu gegründeten Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF den Chefposten übernahm, schien er die ideale Besetzung: Eine EU-Kommission war gerade über zu viele Skandale gestolpert und Nachfolger Romano Prodi wollte alles besser machen. OLAF sollte nicht nur bei Subventionsbetrug in den Mitgliedsstaaten ermitteln, sondern auch die EU-Kommission selber streng kontrollieren. Dazu musste die neue Behörde unabhängig sein, und der erfahrene Ermittler Brüner schien genau der richtige Chef. Am 7. Februar wurde Brüners Amtszeit nach einer einjährigen Hängepartie um weitere fünf Jahre verlängert.
Mit Vorschusslorbeeren und hohen Erwartungen wurde der damals 55-Jährige vor sechs Jahren in der EU-Hauptstadt begrüßt. Skandale wie die Vetternwirtschaft der französischen EU-Kommissarin Edith Cresson hafteten noch frisch im öffentlichen Gedächtnis, und der Haushaltskontrollausschuss des Europäischen Parlaments, der die Kommission unter Jacques Santer zum Rücktritt gezwungen hatte, befürwortete eine starke neue Ermittlungsbehörde.
Da kam Brüner wie gerufen, denn seine Vita erscheint wie eine Fahrkarte nach Brüssel: Der gebürtige Hesse absolvierte seine juristische Ausbildung in Bayern und arbeitete dort zunächst als Richter, bevor er zur Staatsanwaltschaft München wechselte. Vom Bonner Justizministerium führte ihn sein Karriereweg in die Arbeitsgruppe Regierungskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Berlin, dann arbeitete er als leitender Oberstaatsanwalt in der Abteilung Wirtschaftskriminalität und Korruption in München und wechselte schließlich zur Betrugsbekämp- fungseinheit der EU in Bosnien-Herzegowina.
Nachdem Brüner im Jahr 2000 seinen neuen Job als Generaldirektor des Amtes für Betrugsbekämpfung angetreten hatte, folgte nach anfänglichem Enthusiasmus bald die große Ernüchterung: Brüner musste OLAF von Null aufbauen und konnte sich seine Mitarbeiter doch nicht frei aussuchen. Er hatte sich die Prozedur nicht so mühsam vorgestellt und war auf das typische Brüsseler Doppelspiel nicht vorbereitet. Während die nationalen Regierungen lautstark forderten, mit dem Geld der Steuerzahler müsse endlich besser gewirtschaftet werden und die EU brauche eine schlagkräftige Betrugsbekämpfungsbehörde, blockierten einige von ihnen Brüners Personalpläne aus innenpolitischen Motiven. So weigerte sich zum Beispiel Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi, einen von Brüner gewünschten kritischen Staatsanwalt für OLAF abzustellen - der Posten blieb lange unbesetzt. Bei Brüners regelmäßigen Auftritten vor dem Haushaltskontrollausschuss des Europaparlaments ließ sich beobachten, wie sein Vertrauenskredit schrumpfte. Die Fragen wurden jedes Mal kritischer, die Abgeordneten wollten endlich Ermittlungsergebnisse sehen.
Als vor einem Jahr die neue Kommission unter José Manuel Barroso Brüners Amtszeit formlos um weitere fünf Jahre verlängern wollte, hagelte es Proteste. Die dann folgende Ausschreibungsprozedur zog sich monatelang hin. Von ursprünglich 180 Bewerbern kamen drei in die engere Auswahl. Für Verblüffung sorgte, dass der Haushaltskontrollausschuss zunächst weder Brüner noch den Schweden Björn Eriksson favorisierte. Denn Eriksson verfügt zwar nicht über praktische Ermittlungserfahrung, gilt aber als hervorragender Organisator und hat diese Fähigkeit als Leiter der schwedischen Zollbehörde und als ehemaliger Präsident von Interpol unter Beweis gestellt. Doch im Haushaltskontrollausschuss zeichnete sich eine Mehrheit für den dritten Bewerber, den Franzosen Alain Gilette, ab. Er arbeitet als Verwaltungskontrolleur bei der UNO.
Amtsinhaber Brüner habe seine Chance nicht genutzt, erklärten viele Abgeordnete. Zwar werden dem 60-jährigen Erfolge bei der Aufdeckung von Subventionsbetrug bescheinigt. Im Jahr 2004 führten die OLAF-Ermittlungen dazu, dass 200 Millionen Euro nach Brüssel zurück überwiesen werden mussten. Derzeit ermittelt OLAF in etwa 500 Fällen, wo Agrar- oder Regionalbeihilfen regelwidrig ausgezahlt worden sein sollen. Doch die EU-Kommission werde von OLAF mit Samthandschuhen angefasst. Weder bei den Ermittlungen um schwarze Kassen bei der Statistikbehörde Eurostat noch bei der Aufarbeitung alter Skandale der Santer-Kommission habe Brüner zielstrebig und energisch genug agiert.
Vergangene Woche setzte sich Bundeskanzlerin Merkel persönlich dafür ein, dass Brüner weitere fünf Jahre in Brüssel bleiben kann. Die Bundesregierung als größter Nettozahler habe großes Interesse daran, dass die Mittelvergabe effektiv kontrolliert werde, hieß es. Brüner habe innerhalb von sechs Jahren wertvolle Erfahrung gesammelt und solle nun nicht durch einen Neuling ersetzt werden.
Der deutsche Vorstoß mag den Ausschlag dafür gegeben haben, dass vergangenen Dienstag bei einem Vermittlungsgespräch zwischen Rat, Parlament und Kommission sein Name auf der Liste ganz nach oben rückte. Der OLAF-Chef ist im vergangenen Jahr, als er nur noch kommissarisch im Amt war und keine Personalentscheidungen treffen konnte, oft gefragt worden, warum er sich das antue. Er habe Jahre gebraucht, das Amt in seinem Sinne aufzubauen und wolle nun endlich richtig mit der Arbeit beginnen, lautete Brüners gleichbleibende Antwort. Dazu bekommt er nun die Gelegenheit.