Gedenkveranstaltungen und Ehrengottesdienste wurden in den vergangenen Tagen für ihn abgehalten: Dietrich Bonhoeffer. Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer des Dritten Reiches wäre am 4. Februar 100 Jahre alt geworden. Mit 39 Jahren und wenige Tage vor der Kapitulation des Deutschen Reiches erhängten ihn die Nationalsozialisten im Konzentrationslager Flossenbürg. Bonhoeffer hatte sich während des Krieges in der Widerstandsgruppe um Admiral Wilhelm Canaris engagiert und war einer der Wegbereiter für das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gewesen.
Bonhoeffers Courage und die frühe Einsicht, den Nationalsozialismus aufhalten zu müssen, machen ihn bis heute zu einer der bedeutendsten Figuren der deutschen Geschichte. Doch wird er damit auch zu einem "evangelischen Heiligen", als den ihn Bischof Wolfgang Huber am 6. Februar auf dem "Blauen Sofa" in Berlin bezeichnete? In der von Wolfgang Herles (ZDF-aspekte) moderierten Diskussionsrunde im Berliner Ensemble zu Ehren Bonhoeffers wollten nicht alle Gäste dieser - so ganz und gar unprotestantischen - Heiligsprechung folgen. Vor allem nicht der Historiker Götz Aly: Man solle es lassen, warf der streitbare Publizist in die Runde, aus Bonhoeffer, ungeachtet seiner großen Verdienste, eine Überfigur machen. "In seinen Schriften findet man kaum Aussagen zur Judenverfolgung oder Aufrufe zum Widerstand." Bonhoeffer kennzeichne weniger das öffentliche politische Engagement, als vielmehr seine "katholische Zurückhaltung". Im Saal wurde das mit einem deutlichen Raunen quittiert.
Klaus von Dohnanyi, ein Neffe Bonhoeffers, verwahrte sich gegen diese Einschätzung: "Bonhoeffer wäre wahnsinnig gewesen, hätte er solche Bezüge hergestellt. Es hätte ihn in große Gefahr gebracht." Gleichwohl habe er schon 1934 in seiner "Friedensrede" auf einer ökumenischen Tagung in Dänemark vor der drohenden Kriegsgefahr gewarnt. Seit 1935 sei er Mitglied der oppositionellen Bekennenden Kirche gewesen. "Bonhoeffer hat früh geistigen Widerstand geleistet, aber er hat aus christlichen Gesichtspunkten auch den Tyrannenmord befürwortet. Er hat die Rechtmäßigkeit eines solchen Mordes formuliert und erkannt, dass es Gottes Wille ist, das Böse aufzuhalten, wenn es die Macht ergreift", sagte von Dohnanyi.
BE-Intendant Claus Peymann hatte dazu einen Einwand: Es sei Zeit, auch mal die "weniger feinen Widerständler" zu ehren, forderte er, jene, die nicht so bürgerlich und privilegiert gewesen seien wie Bonhoeffer. Die Runde stimmte zu. Und irgendwie trug auch dieser Widerspruch dazu bei, dass die Veranstaltung am Ende weit mehr war als nur eine gutgemeinte Plauderrunde. Sie behandelte Fragen, die heute an Brisanz kaum verloren haben: Was bedeutet Zivilcourage? Welche Verantwortung haben Individuen gegenüber der Gesellschaft? Wann ist gewaltsamer Widerstand gerechtfertigt - erst recht für einen Christen?
Am Beispiel Bonhoeffers kann man über all das trefflich diskutieren. "Bonhoeffer hat verstanden, dass es Situationen gibt, in denen schuldfreies Handeln nicht möglich ist", betonte Huber. Ihn habe weniger beschäftigt, wie er durch das Leben kommen könnte, ohne je Gewalt anzuwenden, als die Frage, "wie er Menschen davor bewahren könnte, dass Gewalt gegen sie angewendet wird". Politisch weitsichtig sei das gewesen, befand Huber, und fügte hinzu: "Es ist richtig, Bonhoeffer als evangelischen Heiligen zu bezeichnen. Er war ein Vorbild im Glauben, ist nicht einfach in die Passivität geflohen. Darauf lasse ich nichts kommen."