Das Parlament: Herr Wajda, Sie haben sehr unterschiedliche Filme gedreht: Das große Historiengemälde "Danton", die Biografie über Janusz Korczak, jenem jüdischen Arzt, der gemeinsam mit den von ihm betreuten Waisenkindern in Treblinka ermordet wurde. Oder "Der Mann aus Eisen", bei dem es um den Danziger Hafenarbeiterstreik und die Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc geht. Das sind sehr unterschiedliche Themen...
Andrzej Wajda: Ich wollte etwas Neues machen, denn das ganze polnische Kino basierte damals hauptsächlich auf der polnischen Literatur, die das Hauptereignis, den Krieg, diese schmerzenden Erfahrungen, die wir alle kannten, bearbeitet hatte. Der andere Grund war die Situation der Kinematografie in einem Land, das damals das Kino nationalisierte. Das heißt, es gab eine Zensur, die das Kino sehr stark beeinflusste. Es war sehr schwer vorauszusehen, dass es so eine starke Reaktion auf politische Filme wie meinen "Asche und Diamant", eine desillusionierende Schilderung der jugendlichen Nachkriegsgeneration, geben würde. Ähnlich ging es mir mit "Der Mann aus Eisen". Der Film durfte zunächst nicht anlaufen und wurde auf keinem Festival gezeigt. Ich habe danach einen leichteren Stoff gewählt, nämlich "Die Mädchen von Wilko", eine romantische Liebesgeschichte. Der Film war so anders, dass die politische Obrigkeit glaubte, nicht mehr so detailliert nach dem schauen zu müssen, was ich mache.
Das Parlament: Sie haben in einem Berliner Vortrag 1999 gesagt: "Ich glaube nicht an die Zukunft des politischen Films." Warum?
Andrzej Wajda: Wann entsteht ein politischer Film? Der entsteht unter dem Druck der Obrigkeit, die einen bestimmten politischen Film sehen will. Doch die gesellschaftliche Realität ist eine andere und der Regisseur will sie zeigen. Genau das erwartet auch der Zuschauer. Der politische Film muss einen Grund finden, um den Zuschauer zu erreichen. Heute findet die Politik im Fernsehen, in der Zeitung und im Radio statt. Der Zuschauer ist über alles informiert und wird mit allem konfrontiert.
Das Parlament: War es für Sie leichter, unter den stalinistischen Verhältnissen einen politischen Film zu drehen als heute?
Andrzej Wajda: Ihre Frage ist falsch gestellt. Damals war die politische Situation eine ganz andere als heute. Ich habe die damalige Wirklichkeit im sozialistischen Polen nicht akzeptiert und versucht, diese Position mit meinen Filmen auszudrücken. Heute akzeptiere ich die politische Situation in Polen und unterstütze sie künstlerisch.
Das Parlament: Sie haben nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft mehrere Filme mit historischem Inhalt gedreht, die beim Publikum kaum Interesse fanden. Woran lag das?
Andrzej Wajda: Nach dem Durchbruch der Freiheit traf beispielsweise "Korczak" auf eine ganz neue Situation im polnischen Kino. Von 3.000 Kinos sind nur 700 übrig geblieben. Das gewaltige Repertoire des amerikanischen Kinos fand in Polen junge Zuschauer, die sich nach einem schnellen Kino sehnten, nach Gangsterfilmen und Action, ein Genre, das man vorher so nicht sehen konnte. Mit einem Mal veränderte sich die Erwartungshaltung einer ganzen Generation. Mein Publikum dagegen, das Intelligenz-Publikum, saß schon lange nicht mehr im Kino, sondern zu Hause vor dem Fernseher. Deshalb trafen meine Filme ins Leere.
Das Parlament: Hat das europäische Erzählkino eine Zukunft?
Andrzej Wajda: Wir unterschätzen, wie sehr das US-Kino vom europäischen Kino beeinflusst worden ist. Andererseits können wir kaum Vorbilder, kaum die Machart aus dem US-Kino übernehmen. Das ist ein Phänomen, das ich mir bis heute nicht erklären kann. Eine andere Frage, die ich mir immer wieder stelle, ist: Was will das europäische Kino erreichen? Wen vertritt es eigentlich? Was hat es für eine Idee? Erst wenn wir das wissen, können wir nationaler werden und fragen, wie sieht eine polnische, französische oder deutsche Kinematografie aus.
Das Parlament: Wie kann eine polnische Kinematografie aussehen?
Andrzej Wajda: Die polnische Gesellschaft hat lange Zeiten der Unterdrückung erlebt. Wir wurden unter den Großmächten Deutschland, Russland und Österreich aufgeteilt. Wir hatten keine Chance, mit eigener Stimme zu sprechen. Als polnischer Künstler konnte man deshalb die polnische Gesellschaft nicht kritisieren, weil man sich bewusst war, dass die Gesellschaft nicht das ausdrückt, was sie eigentlich sagen will. Daraus resultiert beispielsweise heute der Schock über Jedwabne, jenem Ort, an dem während des Zweiten Weltkrieges ein von Polen verübter Pogrom stattgefunden hat. Bis dahin waren die Polen überzeugt, nur Opfer gewesen zu sein. Es ist sehr schmerzhaft zu erfahren, dass wir auch Täter waren. Wir Künstler haben die Aufgabe, der polnischen Gesellschaft das zu vermitteln und dazu beizutragen, dass eine Diskussion in der Gesellschaft stattfinden kann.
Das Parlament: Warum ist es jetzt möglich, dass der polnische Antisemitismus thematisiert wird?
Andrzej Wajda: Weil wir erst jetzt in der Freiheit in der Lage sind, die Verantwortung auch für unsere Taten zu übernehmen.
Das Interview führten Michael Marek und Matthias Schmitz