Bei der SPD sieht es nicht besser aus. Franz Müntefering, Nummer eins der Partei in der Bundesregierung, lockt in Freiburg gerade mal 400 Menschen an. Wenn Oettingers Kontrahentin Ute Vogt in Hallen oder bei Podiumsdiskussionen auftritt, hält sich der Andrang ebenfalls in Grenzen. Diese bescheidene Resonanz mutet erst recht merkwürdig an: In Wahlkämpfen sorgt gemeinhin die Opposition für Zunder, bläst zur Attacke, und das elektrisiert die Stimmbürger.
Doch von Angriffslust ist bei der Südwest-SPD nicht allzu viel zu spüren. Überhaupt liegt trotz der vielen Plakate im Straßenbild keine Spannung in der Luft, es fehlt in diesem Wahlkampf offensichtlich der Zündstoff. Das hat zum Teil mit der allgemeinen Situation in der Republik zu tun. "Die Große Koalition in Berlin hat die Bundespolitik neutralisiert", meint Vogt. Einzig über die Laufzeit der Atomkraftwerke können sich SPD und auch Grüne mit Oettinger etwas kabbeln.
Aber auch landespolitisch will es nicht so richtig funken. Vogt kritisiert, dass "die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist". Zudem wirft die SPD-Spitzenkandidatin Oettinger vor, beim Ausbau von Ganztagsschulen zwar werbewirksam ein "Kernthema der SPD" zu besetzen, aber "auf halbem Wege stehen zu bleiben". Der Ministerpräsident kontert in seinen Reden mit dem Hinweis auf die im Bundesvergleich guten Daten des Landes in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswesen und straft ansonsten die SPD und deren Frontfrau möglichst mit Nichtachtung.
In dieser wenig aufrührerischen Gemengelage verwundert es nicht, dass ein mitreißender Wahlkampfhit nicht in Sicht ist. Auch machtpolitisch herrscht keine Wechselstimmung. Umfragen sehen die CDU bei etwa 46, die SPD bei knapp 30 Prozent, FDP und Grüne liegen zwischen acht und zehn Prozent, die WASG dürfte den Sprung ins Parlament wohl nicht schaffen. Alles deutet also auf eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition hin. Indes ist ein bemerkenswertes Phänomen aufgetaucht: Bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten würde Oettinger gegen Vogt nach demoskopischen Erkenntnissen nur mit 46 gegen 36 Prozent erreichen - ein erstaunlich bescheidener Wert für einen Regierungschef. Angela Merkel erklomm binnen kurzem ein Popularitätshoch, und im Südwesten erreichte Erwin Teufel einst Zustimmungsquoten von 70 Prozent. Als Oettinger und Vogt im Fernsehen die verbalen Klingen kreuzten, ging dieses Duell unentschieden aus.
Auch nach elf Monaten Regentschaft in der Stuttgarter Villa Reitzenstein scheint deren Hausherr bei Schwaben und Badenern persönlich noch nicht angekommen zu sein. Charisma strahlt der oft angespannt und angestrengt wirkende 52-Jährige nicht aus. Versuche, sich im Wahlkampf volkstümlich und locker unter die Leute zu mischen, wirken nicht gerade authentisch. Oettinger vermittelt das Bild des tatkräftigen Schwaben in einer technokratisch-modernen Version, der als Chefmanager der Baden-Württemberg-AG für Effizienz sorgt. Momentan regiert er das Land zwischen fast 100 Wahlkampfevents vorwiegend vom Dienstwagen aus.
Hinter Saalmikrofonen betet der Schnellredner in perfekt gebauten Sätzen stakkatohaft die Leistungsdaten des Landes herunter, Exportquote, Bruttosozialprodukt, Arbeitslosigkeit, PISA-Werte, Lehrer-Schüler-Relationen und was auch immer. Doch rhetorisch zieht Oettinger die Bürger nicht in den Bann. Auch die Sprache kommt ziemlich blutleer daher: Es gelte, "entlang der regionalen Stärken sinnvolle Profile zu entwickeln". Oder: "Ich gebe Impulse entlang von Entwicklungen der Gesellschaft." Macht die Arbeit Spaß? Freude sei "durchaus ein Begriff, den ich akzeptiere", antwortet Oettinger hölzern in einem Interview.
Gegen eine derart sperrige Person zu punkten, dürfte eigentlich nicht schwer fallen. Doch Ute Vogts Kontrastprogramm verläuft sich wenig griffig irgendwo im Ungefähren. 2001 verhalf der SPD-Frontfrau ihr Jungmädchen-Image gegen den altbackenen Landespater Teufel zu Profil und zu einem Plus von acht Prozentpunkten. Jetzt aber spricht die 42-Jährige, die sich meist immer noch mit einem Kennedy-Lächeln präsentiert, im Wahlkampf von Ernsthaftigkeit angesichts einer ernsten Lage. Selbst in Baden-Württemberg wachse die Furcht vor Erwerbslosigkeit. Dem Ministerpräsidenten hält Vogt vor, "kein soziales Gespür" zu haben, er sehe "die Menschen als funktionale Teile der Gesellschaft und der Arbeitswelt". Sie hingegen wolle sich "Zeit für die Menschen" nehmen.
Das ist ein Satz, gegen den wohl niemand etwas einwenden kann. Aber ist das der Stoff für einen markanten personellen Gegenentwurf, kann man so einen Regierungschef aus dem Sessel jagen? Vogt, ohne Mandat in einem Parlament oder einem Kabinett, hat überdies mit Handicaps im eigenen Lager zu kämpfen. Zu Münteferings Coup mit der Rente ab 67 ausgerechnet im Vorfeld der Wahlen meint sie, "ich hätte das Thema nicht gebraucht". Und dann ging kurz vor dem Urnengang auch noch ihr eigener Generalsekretär Jörg Tauss bei der von der Südwest-SPD befürworteten Föderalismusreform öffentlich auf Gegenkurs.
Nicht nur Oettinger und Vogt präsentieren sich als wenig fetzige Wahlkampfmatadore. Auch FDP-Justizminister Ulrich Goll und der grüne Fraktionsvorsitzende Winfried Kretschmann bleiben als Spitzenkandidaten ihrer Parteien eher im Hintergrund. Die Liberalen plagt schon die Sorge vor einer absoluten Mehrheit der CDU: "Dann gibt es Politik in der Blackbox", warnt Goll. Oettinger lobt zwar die Zusammenarbeit mit der FDP, lehnt aber eine formelle Koalitionsaussage zugunsten der Liberalen ab. Schwarz-Grün als Hintergedanke scheidet wohl aus, solche von Oettinger einst selbst genährten Überlegungen spielen im Wahlkampf weder bei der Union noch bei den Grünen eine Rolle. Vielleicht braucht die CDU am Abend des 26. März die FDP jedoch gar nicht mehr. Das komplizierte Landtagswahlrecht bevorzugt über Gebühr die stärkste Partei: Unter Umständen reichen 46 Prozent der Stimmen bereits für die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament.