Einen schlechteren Start für sein Kabinett hätte sich der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt kaum ausmalen können. Seit ihrem Antritt Anfang Oktober wird die Mitte-Rechts-Regierung in Stockholm von immer neuen Vorwürfen und Skandalen gebeutelt. Als erste war Handelsministerin Maria Borelius nach gerade einmal einer Woche im Amt zurückgetreten. Die 46-jährige Unternehmerin hatte jahrelang eine Haushaltshilfe beschäftigt, ohne diese bei der Steuerbehörde anzumelden. Das prachtvolle Sommerhaus der Familie gehört offiziell einer Briefkastenfirma, die im Steuerparadies Jersey regis-triert ist. Noch schwerer wiegt der Verdacht, bei einem fragwürdigen Aktiengeschäft sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen.
Nur einige Tage später folgte der Sturz der Kulturministerin Cecilia Stegö Chilò. Sie hatte 16 Jahre lang keine Rundfunkgebühren gezahlt. Aus Protest gegen das ihrer Meinung nach allzu linkslastige Programm der Sender, wie sie nach ihrem Rücktritt erklärte. Auch Einwanderungsminister Tobias Billström will sein Fernsehgerät nur deshalb nicht angemeldet haben, um damit ein Zeichen gegen die kulturelle Hegemonie der Sozialdemokraten zu setzen. Billström weigerte sich, sein Amt wegen dieser "Jugendsünde" aufzugeben. Die Gebühren will er nachzahlen.
Schließlich geriet Finanzminister Anders Borg unter Druck. Auch bei ihm geht es um nicht gezahlte Rundfunkgebühren und schwarz entlohnte Haushaltshilfen. In der Boulevardzeitung "Expressen" meldete sich ein früheres Kindermädchen der Familie zu Wort. Die heute 23-Jährige erzählte, sie habe Ende der 90er-Jahre einige Stunden in der Woche auf Borgs kleinen Sohn aufgepasst und sei dafür bar auf die Hand bezahlt worden. Borg bestätigt, dass die Familie ab und zu junge Frauen beschäftigte. Er sei aber davon ausgegangen, dass die Gehälter die zulässige steuerfreie Grenze von umgerechnet 1.080 Euro im Jahr nicht überschritten hätten.
Als Chefstratege und Vordenker spielt der 38-jährige Volkswirt Borg eine zentrale Rolle in der Moderaten Sammlungspartei, der stärksten Kraft der bürgerlichen Vier-Parteien-Allianz. An der Seite des Vorsitzenden Reinfeldt hatte er die Konservativen in die politische Mitte geführt und sich gegen den starken wirtschaftsliberalen Flügel durchgesetzt. Früher als andere hatte Borg erkannt, dass in Schweden allein mit dem Ruf nach Steuersenkungen keine Wahlen zu gewinnen sind. Parteichef Reinfeldt profilierte sich stattdessen mit einem ehrgeizigen Job-Programm für Jugendliche und Langzeitarbeitslose als der wahre Sozialpolitiker.
Wie er sich die künftige Reformpolitik der Bürgerlichen vorstellt, zeigte Borg am vergangenen Montag, als er im Reichstag das Budget für das Jahr 2007 vorstellte. Der Haushaltsentwurf sieht vor, dass das Arbeitslosengeld gesenkt und seine Bezugsdauer gekürzt wird. Mehr als 50.000 ABM-Stellen will die Regierung ersatzlos streichen. Gleichzeitig sollen die Bezieher von geringen Einkommen nach der Einführung eines Freibetrags um 100 Euro im Monat entlastet werden.
Die erhöhten Anreize sollen Arbeitslose dazu bewegen, auch schlecht bezahlte Stellen anzunehmen. Arbeitgebern wird ihr Anteil an der Sozialversicherung erlassen, wenn sie etwa Langzeitarbeitslose oder Frührentner einstellen. Für Beschäftigte zwischen 19 und 24 Jahren wird der Arbeitgeberanteil halbiert. Privatleute können die Kosten für Haushaltshilfen künftig von der Steuer absetzen.
Regierungschef Reinfeldt dankte seinem Vorgänger Göran Persson für die Sanierung der öffentlichen Haushalte. Damit war es mit den guten Worten für die abgewählten Sozialdemokraten aber auch vorbei. Diese hätten keineswegs eine "gedeckte Tafel" hinterlassen, wie Persson bei jeder Gelegenheit betone. Vielmehr seien in dessen Regierungszeit rund eine Million Schweden dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und in die Abhängigkeit von Sozialleistungen getrieben worden. Gerade ihre Kritik am Missbrauch der Sozialsysteme und der jahrzehntelangen Günstlingswirtschaft der Sozialdemokraten hatte der bürgerlichen Koalition bei den Wahlen im September zum Sieg verholfen. Arbeit und Eigeninitiative müssten sich endlich wieder lohnen, lautete die Parole. Doch die jüngsten Affären hinterlassen den Eindruck, bürgerliche Politiker seien besonders tüchtig, wenn es darum geht, sich an Regeln und Gesetzen vorbeizumogeln.
Premier Reinfeldt macht die Medien für das schlechte Ansehen der Politiker mitverantwortlich. Diese hätten auf der Suche nach immer neuen Skandalen längst jegliches Augenmaß verloren. Für sein Kabinett habe er keineswegs nach "perfekten Menschen" gesucht. Die Verfehlungen der Minister seien nicht zu rechtfertigen, sagte Reinfeldt - sie seien aber auch nicht unüblich in Schweden.
In der Tat hat 2005 jeder dritte Haushalt in Schweden die Dienste eines Schwarzarbeiters in Anspruch genommen, schätzt die schwedische Steuerbehörde. Der Steuerverlust belaufe sich auf umgerechnet rund 150 Millionen Euro im Jahr. Und auch die Gebührensünder in Reinfeldts Kabinett befinden sich in bester Gesellschaft. In der vergangenen Woche meldeten 6.000 Schweden ihre Radios und Fernseher nachträglich bei der Gebührenzentrale in Kiruna an. Unter den reuigen Sündern finden sich Wirtschaftsbosse, Schauspieler, Dramaturgen sowie der Chefredakteur einer auflagenstarken schwedischen Boulevardzeitung.