Als EU-Kommissar Olli Rehn Anfang Oktober die Türkei besuchte, fiel Beobachtern das sorgenvolle Gesicht des finnischen EU-Kommissars für Erweiterungsfragen auf. Um seinen Job beneiden ihn momentan wohl nur wenige. Denn überall dort, wo es um den möglichen Beitritt eines Landes zur Europäischen Union geht, schlagen die Emotionen zurzeit hohe Wellen: innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft.
Auch der Beitritt Rumäniens und Bulgariens, die zum 1. Januar 2007 in die Gemeinschaft aufgenommen werden sollen, wurde in der Öffentlichkeit von viel Kritik begleitet. Bei seinem Besuch im Europaausschuss des Bundestages am vergangenen Mittwoch zog Rehn eine positive Bilanz des Beitrittsprozesses: die anstehende Erweiterung um Rumänien und Bulgarien bedeute für die Gemeinschaft und ihr Regelwerk kein Risiko, versicherte Rehn. In dem von der Kommission im September veröffentlichten Bericht habe sich gezeigt, dass beide Länder in der Lage seien, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Der Schlüssel für den Erfolg sei sowohl in den eigenen Bemühungen der Schwarzmeerstaaten als auch in der Unterstützung durch die EU zu sehen. Rumänien und Bulgarien hätten Auflagen erfüllt, die noch strenger als in der Vergangenheit waren, so Rehn.
Und dennoch musste der finnische Kommissar etwas Wasser in den Wein gießen. Als Bereiche, in denen in beiden Ländern noch Nachbesserungen nötig seien, nannte er die Justizreform und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Auch die Verteilung sowie die Auszahlung der Agrar- und Strukturfonds machen der Kommission weiterhin Sorgen. Beim Binnenmarkt sind es sowohl die Lebensmittel- als auch die Luftverkehrssicherheit, die nach einem Beitritt noch weiter verbessert werden müssen. In all diesen Bereichen hat die Kommission bestimmte Zielgrößen festgelegt, die von beiden Ländern erfüllt werden müssen. Bis März 2007 müssen die Fortschritte evaluiert werden. Nach einem neuen Bericht der Kommission im Juni soll dann entschieden werden, ob bestimmte Schutzmaßnahmen aus dem Beitrittsvertrag zum Tragen kommen. So wäre es beispielsweise möglich, Gelder aus den Agrar- und Strukturfonds einzubehalten, falls bestimmte Maßnahmen nicht eingehalten werden. Die CDU/CSU-Fraktion machte in der anschließenden Aussprache den Vorschlag, die im Vertrag verankerten Schutzklauseln bereits zum Beitrittstermin in Kraft zu setzen. Diesem Vorschlag erteilte Rehn jedoch eine Absage. "Es wäre unangebracht, Schutzklauseln sofort anzuwenden", erklärte er. Dennoch würde die Kommission nach eingehender Beobachtung nicht zögern, dieses auch anzuwenden.
Sorgen bereitet vielen Abgeordneten weiterhin der Schutz sensibler Daten wie zum Beispiel Informationen von Europol. Auch die SPD-Fraktion erklärte, dass für sie die Bereiche "Justiz und Inneres zu den sensibelsten Fragen" zählen. Dennoch dankten die Abgeordneten aller Fraktionen dem EU-Kommissar für den vorgestellten Erweiterungsplan. Die Fraktion die Linke vertrat dabei jedoch die Position, dass "die Ampeln zu früh auf grün gestellt" worden seien. Auch die FDP plädierte dafür, bei kommenden Erweiterungsrunden keine konkreten Zieldaten mehr zu nennen. Auch müssten konkrete Anforderungen an das Verhältnis zwischen einzelnen Beitrittskandidaten gestellt werden, sagte ein FDP-Vertreter. Bündnis 90/Die Grünen wollten von Rehn erfahren, welche konkreten Änderungen sich für die Organisation der Kommission aus dem Beitritt der beiden neuen Mitgliedstaaten ergeben würde. Hier hielt sich der EU-Kommissar bedeckt. Es gebe Gespräche, er machte jedoch keine genauen Angaben über Namen oder Ressorverteilungen. Vor der Aufnahme neuer Mitglieder will Rehn vor allem eines erreichen: einen neuen Konsens in der Erweiterungspolitik. "Ich zähle auf die deutsche Präsidentschaft", sagte Rehn vor dem Ausschuss. Er machte jedoch klar, dass zuerst institutionelle Fragen und die Halbzeitüberprüfung der finanziellen Vorausschau 2008 bis 2009 anstünden. "Vor diesem Zeitraum", so Rehn, "ist kein neuer Beitritt vorgesehen."