Übergangsfristen bei EU-Erweiterung lösen differenziertes Echo aus
Berlin: (hib/BOB) Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat sich dafür ausgesprochen, die Frage der Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bei der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union mit der Einwanderungsdiskussion insgesamt zu verbinden. Anlässlich einer Anhörung des Europaausschusses, die am Mittwochnachmittag begonnen hat, führt Karin Alleweldt vom DGB ihrer schriftlichen Stellungnahme zufolge aus, eine Einwanderungspolitik müsse sowohl die Folgen der EU-Erweiterung als auch die Situation auf dem einheimischen Arbeitsmarkt berücksichtigen. Die Gewerkschaften seien der Auffassung, dass Übergangsfristen zwischen sieben und zehn Jahren notwendig seien. Die enormen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte würden zum Zeitpunkt des Beitritts nicht behoben sein. Deshalb, so die DGB-Vertreterin, seien Strategien erforderlich, wie einer sozialen Unterbietungskonkurrenz wirksam begegnet werden könne. Alleweldt plädierte im Übrigen dafür, Mindestlöhne bzw. die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen einzuführen, um Sozialdumping und ungesicherte Arbeitsverhältnisse in Deutschland einzugrenzen.
Für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schreibt hingegen dessen Hauptgeschäftsführer Ludolf-Georg von Wartenberg, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Dezember vergangenen Jahres vorgeschlagene Übergangszeitraum bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit sei zu lang bemessen. Zwar greife das Konzept der Bundesregierung die Forderungen der deutschen Wirtschaft nach einer flexiblen und differenzierten Handhabung solcher Fristen auf. Doch hätte sich die Wirtschaft einen "weniger defensiven und stärker zukunftsgewandten Ansatz" gewünscht. Für die Dienstleistungsfreiheit, so der BDI weiter, sollten grundsätzlich keine Übergangsfristen vorgesehen werden. In Deutschland bestehe zum Teil großer Bedarf an Dienstleistungen gerade auf Seiten der im internationalen Wettbewerb stehenden Unternehmen. Gleichzeitig hätten viele deutsche Firmen ein wirtschaftliches Interesse, ihre industriellen Dienstleistungen in den Märkten der Beitrittsländer ohne Einschränkungen zu erbringen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fristen für sensible Branchen müssten deshalb so kurz wie möglich sowie überprüfbar gestaltet werden.
Für regional und sektoral differenzierte Übergangsregelungen gerade bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Dienstleistungsfreiheit plädiert auch der brandenburgische Minister der Justiz und für Bundes- und Europaangelegenheiten, Kurt Schelter. Zugleich erwarte die Landesregierung in Potsdam das bereits mehrfach angekündigte Aktionsprogramm der EU-Kommission zur Sicherung und Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen. Nach Auffassung von Herbert Brücker vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wird die Einführung der Freizügigkeit für mittel- und osteuropäische Beitrittskandidaten zu keinen oder nur zu geringen Belastungen auf den Arbeitsmärkten in Deutschland und den gegenwärtigen EU-Mitgliedstaaten führen. Wolfgang Quaisser vom Osteuropa-Institut in München vertritt in seiner Stellungnahme die Auffassung, die von der Bundesregierung vorgeschlagene Konzeption flexibler und auch vorzeitig aufhebbarer Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit erscheine angemessen.