Rechtsausschuss (Anhörung)
Berlin: (hib/HAU) Überwiegend skeptisch bewerten Experten die
von der EU-Kommission vorgeschlagene Dienstleistungsrichtlinie
(Ratsdok.Nr.5161/05). Das wurde anlässlich einer
öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am
Mittwochnachmittag deutlich. Mit der Richtlinie soll die
Liberalisierung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt
vorangetrieben werden. Strittigster Punkt des Entwurfes ist das
geplante Herkunftslandprinzip. Es sieht vor, dass Dienstleister in
Zukunft nur noch den staatlichen Bestimmungen ihres Herkunftslandes
unterliegen und nicht wie bisher den Maßstäben der
Bestimmungsländer. Für Professor Wolfgang Ewer, den
Vizepräsidenten des Bundesverbandes der Freien Berufe Berlin,
gibt es ein "Für und Wider" bei der Bewertung der Richtlinie.
Einerseits begrüße man das Bemühen der Kommission,
die tatsächliche Realisierung des Binnenmarktes auch im
Dienstleistungsbereich voranzutreiben. Besonders positiv sei dabei,
dass bewährte Strukturen aus der freiberuflichen
Selbstverwaltung einbezogen würden. Andererseits gebe es
aufgrund des Herkunftslandprinzips viele ungeklärte Fragen.
Eine wirkungsvolle Berufsaufsicht sei ebenso schwer zu
gewährleisten wie allgemein die Überwachung und
Durchsetzung von Qualitätssicherungssystemen. Aus der Sicht
von Rechtsanwalt Erhard Keller aus Düsseldorf bringt das
Herkunftslandprinzip eine "drastische Verschlechterung" des
wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes von deutschen Verbrauchern
und Mitbewerbern gegenüber ausländischen Dienstleistern
mit sich. Je nach Bestimmung des Herkunftslandes könnten nach
deutschem Recht klagebefugte Mitbewerber und
Verbraucherschutzverbände nicht mehr gegen unlauteren
Wettbewerb auf dem deutschen Markt vorgehen. Der Kritik schloss
sich Professor Helmut Köhler von der Universität
München an. Der Schutz vor unlauterem Wettbewerb stehe und
falle mit der schnellen Durchsetzung von Sanktionen. Die Anwendung
des Herkunftslandsprinzips auf unlautere Wettbewerbshandlungen von
Dienstleistungserbringern würde wegen der hohen
Kostenbelastung und der zeitlichen Verzögerung zu einer
Rechtsschutzverweigerung der betroffenen Dienstleister. Es empfehle
sich daher, die Regelungen gegen den unlauteren Wettbewerb in den
Katalog der Ausnahmen vom Herkunftslandsprinzip einzufügen.
Auch Professor Peter Mankowski von der Universität Hamburg
sieht den Entwurf "sehr kritisch". Es gebe gute und gewichtige
Gründe gegen das Herkunftslandprinzip für
Dienstleistungen im Binnenmarkt. Das angegebene Ziel, eine
Doppelregulierung zu vermeiden, führe dazu, dass es gar keine
Regulierung mehr gebe, da sich die Behörden im Herkunftsland
erwartungsgemäß um Regelungen, die nur für
Auslandsmärkte interessant seien, nicht kümmern
würden. Die Bestimmungsländer hätten keine Lobby im
Gesetzgebungsprozess und politischen Diskurs des Herkunftslandes.
Professor Christian Wolf von der Universität Hannover sieht
die größten Probleme im Wirtschaftsrecht. Die
Strafbarkeit falle in sich zusammen, wenn das Herkunftslandprinzip
gelte, warnte er. Man solle, so Kurt Christian Scheel vom
Bundesverband der Deutschen Industrie, nicht nur die Risiken,
sondern auch die Chancen der Richtlinie betrachten. Im
Dienstleistungsbereich liege ein großes Wachstumspotenzial,
welches es zu fördern gelte. Der vorgesehene Abbau von
Überreglementierung und bürokratischen Strukturen liege
im Interesse der Wirtschaft und der EU-Bürger. Das
Herkunftslandsprinzip sei für ein vereinfachtes
Verwaltungsverfahren in den Mitgliedsstaaten nützlich.