EXPERTEN ÄUSSERN SICH ZU INFRASTRUKTURGEBÜHREN Ansatz der Kommission als "vorkopernikanisch" bewertet(vb) Skeptisch bis höchst kritisch haben sich mehrere Sachverständige am 24. März zu Vorschlägen der Europäischen Kommission über die künftige Erhebung von VerkehrsInfrastrukturgebühren in der EU geäußert. Grundlage einer nichtöffentlichen Anhörung des Verkehrs und Bauausschusses war ein Weißbuch "Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung" (Ratsdok. 10778/98). So warf beispielsweise Professor Dieter Schmidtchen von der Universität des Saarlandes der Kommission vor, diese greife auf eine ökonomische Theorie zurück, die man in Analogie zur Physik nur als "vorkopernikanisch" bezeichnen könne. Der Wissenschaftler Ronald Coase habe bereits im Jahre 1960 mit einem bahnbrechenden Artikel nachgewiesen, daß die in Brüssel bevorzugte "Vulgärform des Verursacherprinzips" nach dem Motto "Der Nutzer zahlt" ein untaugliches Instrument sei. Dieser "schwerwiegende Kunstfehler" könnte die Gesellschaft aber teuer zu stehen kommen. Statt Kosteneinsparungen durch erhobene Nutzungsgebühren könnten nicht unerhebliche Kostenerhöhungen die Folge sein. Unzufrieden mit dem Weißbuch war auch der Vertreter des Bundesverbandes Güterkraftverkehr und Logistik e. V., Dr. KarlHeinz Schmidt. Der Vorschlag der Kommission sei weder fair noch geeignet, für Effizienz im Verkehr zu sorgen. Dies könne nur gezielten Investitionen in die Infrastruktur gelingen. Hinter dem wissenschaftlich rückständigen Ansatz seien "wohl politische Absichten und weniger theoretische Erkenntnismängel zu vermuten", so der Sachverständige. Offenkundig solle eine quasi staatliche Preisordnung für den Güterverkehrsbereich nach Aufhebung der Tarife unter neuen Vorzeichen wiederhergestellt werden. Diese "Schutzzaunpolitik" im vermeintlichen Interesse der Schienenverkehrsbetreiber sei unübersehbar. Realitätsbezug vermißt Laut Schmidt ist der Straßengüterverkehr nach wie vor das Rückgrat der Logistik und der Wirtschaft. Knapp 80 Prozent aller Transporte seien regionaler Wirtschaftsverkehr und aus dieser Sicht weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll auf die Schiene zu verlagern. Eine massive Verteuerung des Straßengüterverkehrs aus vermeintlichem Schutzinteresse der Bahn werde zu beträchtlichen Standortverschiebungen in der produzierenden Wirtschaft führen, warnte der Experte. Professor Werner Rothengatter von der Universität Karlsruhe bemängelte ebenfalls, trotz einer grundsätzlich begrüßenswerten Zielsetzung lasse das Weißbuch den Realitätsbezug vermissen und falle zudem durch eine "Fülle von Widersprüchen" auf. Der Experte monierte zudem die Herausnahme des PkwVerkehrs aus dem Konzept. Dies, so auch Dagmar Haase von der Deutschen Bahn AG (DB AG), sei "völlig unverständlich". Auch der Hinweis der Kommission auf die Zuständigkeit der EUMitgliedstaaten im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips vermöge dabei nicht zu überzeugen. "Isolierung inakzeptabel" Professor HansHelmut Grandjot von der Fachhochschule Wirtschaft und Technik in Heilbronn hielt es ebenfalls nicht für sachgerecht, "alles auf den Lkw zu schieben". Schließlich machten Pkw etwa 80 bis 85 Prozent des Aufkommens im Fernverkehr aus. Die Vertreterin der DB AG kritisierte außerdem, die zur Umsetzung des Weißbuchs erforderlichen Richtlinienvorschläge habe die Kommission bislang ausschließlich für den Schienensektor formuliert. Es sei nicht sichergestellt, daß die vorgeschlagenen Prinzipien für ein InfrastrukturPreissystem für den Schienensektor nur festgelegt und angewendet werden dürften, wenn dies gleichzeitig und in gleicher Weise auch für konkurrierende Verkehrsträger erfolge. Genau dies sei jedoch zur Vermeidung neuerlicher Wettbewerbsverzerrungen dringend erforderlich. Dementsprechend sei auch eine isolierte Betrachtung gerade des relativ umweltfreundlichen Schienenverkehrs mit externen Umweltkosten nicht akzeptabel. Professor Axel Friedrich vom Umweltbundesamt äußerte unter anderem sein Unverständnis darüber, daß der Flugverkehr im Weißbuch nur am Rande behandelt werde. |