Der Buchtipp
Religion ist keine Privatsache
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Christen und Politik, Katholiken und Sozialdemokratie – noch immer alte Gegensätze? Bundestagspräsident Thierse hat dazu ehemalige und aktive Parlamentarier der SPD – von Otmar Schreiner bis Rudolf Scharping, von Georg Leber bis Peter Glotz – sowie Vertreter aus Kirche, Wissenschaft und Verbandswesen um Stellungnahmen gebeten. Der Titel ist für Thierse Programm: Religion ist keine Privatsache. Christen dürfen sich nicht in die Welt altdeutsch-privater Innerlichkeit zurückziehen. Die demokratische Auseinandersetzung, darauf weist der Bundestagspräsident hin, braucht den Einsatz der Kirchen und Religionsgemeinschaften: Es könne keine "christliche Politik" geben, aber sehr wohl eine aus christlicher Ethik und Grundwerten erwachsende Einmischung in die bürgerschaftlichen Angelegenheiten.
Noch im 19. Jahrhundert standen sich Christentum und Sozialdemokratie wie "Feuer und Wasser" (Bebel) gegenüber. Es war ein langer, schwieriger, von Auseinandersetzungen geprägter Lernprozess, in dem sich die SPD und die katholische Kirche aufeinander zu bewegten. Heute sind beide keine Antipoden mehr, das verkrampfte Verhältnis weicht – das wird in dem Buch deutlich – einem fruchtbaren Dialog über Gegenwarts- und Zukunftsfragen.
Die Beiträge der katholischen Sozialdemokraten, Theologen und Sozialethiker greifen ein breites Themenspektrum auf: staatliche Religionspolitik, Kirchenpolitik, Wirtschaftsethik, Wandel der Arbeitswelt, Steuergerechtigkeit, Forschung und Lehre, Familienpolitik, Friedens- und Sicherheitsfragen. Sie machen deutlich, dass die "Suche nach der gemeinsamen Verantwortung in Staat, Gesellschaft und Kirche" (Thierse) zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie nicht nur politische Notwendigkeit, sondern inzwischen auch selbstverständliche Normalität geworden ist – ein his-torischer Fortschritt. Bernward Baule
Wolfgang Thierse (Hg): Religion ist keine Privatsache, Düsseldorf 2000, Patmos-Verlag, DM 39,80