Der Buchtipp
Wird in der Politik zu wenig gestritten?
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Niemals zuvor in der deutschen Nachkriegsgeschichte haben Parlamentarier, Parteipolitiker und Medienvertreter ein so geringes öffentliches Ansehen gehabt wie heute. Sie sind, so Bettina Gaus, gefangen in einem System gegenseitiger Gefälligkeiten und Abhängigkeiten. Diese "professionelle Deformation" wiederum führe zu einer beständigen Suche nach Konsens. Die Folge sei der Niedergang der demokratischen Streitkultur. Wichtige politische Fragen werden, wie sie nicht nur unter Bezugnahme auf den Kosovo-Krieg meint, der öffentlichen Auseinandersetzung entzogen. Deswegen fordert sie wieder mehr "Parteiengezänk", mehr Entwicklung parteipolitischer Alternativen, mehr konkurrierende Politikmodelle, mehr Polarisierung von Personen und Programmen.
Gaus, als Journalistin längere Zeit in Afrika tätig, seziert mit dem geschärften Blick von außen die Strukturen und Politikabläufe im Deutschen Bundestag, den Umgang mit Parteien und Journalisten. Dabei gelingen ihr sensible Beobachtungen, z.B. über Macht und Arbeit der Abgeordneten. Man kann bezweifeln, ob es wirklich, wie Gaus meint, so wenig politische Auseinandersetzung im Parlament und der deutschen Öffentlichkeit gibt und ob die Suche nach Kompromissen und fachlicher Übereinstimmung nicht zur Stärkung, sondern zur Krise der Demokratie beiträgt. Aber zweifellos hat Bettina Gaus eine Streitschrift im besten Sinne des Wortes verfasst: Sie provoziert und trägt damit zu dem politischen "Streit" bei, den sie selbst im Niedergang sieht. B.B.
Bettina Gaus: Die scheinheilige Republik. Das Ende der demokratischen Streitkultur, Stuttgart u.a. 2000, Verlag DVA, DM 34,-