HINTERGRUND Vereidigung von Regierungsmitgliedern Noch nie hat einer beim Text gepatzt
Wer denn Geburtstag habe, spielt Gerhard Schröder den Ahnungslosen. "Herr Bundeskanzler, das liegt an den wichtigen personellen Änderungen im Kabinett", klärt ihn Vizepräsidentin Anke Fuchs auf und fügt hinzu: "Ich freue mich, dass Sie genau registrieren, was im deutschen Parlament geschieht." Gerhard Schröder lacht. Natürlich weiß er sehr genau, dass die Blumen für Renate Künast und Ulla Schmidt gedacht sind. Schließlich hatte er selbst den Termin vorgeschlagen, der an diesem Donnerstag als Punkt 3 ("Eidesleistungen der Bundesministerinnen") auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages steht. "Mit vorzüglicher Hochachtung" hatte er sich zu diesem Zweck am 15. Januar an den Bundestagspräsidenten gewandt.
Dieses Schreiben liegt nun zusammen mit dem Ernennungsbrief des Bundespräsidenten in einer roten Mappe vor Anke Fuchs, die an diesem Morgen Wolfgang Thierse vertritt. Sitzend liest die Vizepräsidentin des Bundestages aus dem Schreiben des Bundespräsidenten vor: "Gemäß Art. 64 Abs. 1 des Grundgesetzes habe ich auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers Frau Ulla Schmidt zur Bundesministerin für Gesundheit und Frau Renate Künast zur Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ernannt." Das Zitieren des Briefes dauert weniger als eine Minute. Dass das Dokument auch pünktlich zur Hand ist, das ist nur eines von vielen Details, die die Choreographen der Inszenierung bedenken mussten. Es sind auch die Kleinigkeiten, die ein solches Ereignis gelingen lassen und ihm Würde verleihen. Die Zeremonie ist minutiös festgelegt, eine Panne hat es nie gegeben. In Berlin nicht, und auch nicht in Bonn. In all den Jahrzehnten war das Mikrofon nie defekt, niemand ist über Kabel gestolpert, keiner ist in Ohnmacht gefallen, niemand hat beim Text gepatzt.
Die Eidesformel, die die Ministerinnen zu sprechen haben, ist in Artikel 56 des Grundgesetzes wörtlich festgelegt. Die religiöse Beteuerung "So wahr mir Gott helfe" kann auch weggelassen werden. Zur Vereidigung von Ministern und Ministerinnen wird ein Faksimile des Grundgesetzes verwendet.
Am Rand der entsprechenden Seite befindet sich eine rote Pappe. "Damit man die Seite mit der Eidesformel ohne langes Blättern sofort aufschlagen kann", erklärt Wolfram Büch, der für die Vorbereitung der Sitzungsunterlagen zuständig ist. Er verwahrt das ledergebundene Exemplar in einem grauen Aktenschrank hinter seinem Schreibtisch. Das Original von 1949 liegt einige Etagen höher, sorgsam im Panzerschrank aufgehoben. Das historische Dokument wird nur zur Vereidigung des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers herausgeholt.
Rund eine Stunde bevor Renate Künast und Ulla Schmidt nun also ihren Eid leisten, haben im Plenarsaal die letzten Vorbereitungen begonnen. Saaldiener Torsten Schneider hat das "Vereidigungsmikrofon" neben der Bundesflagge aufgestellt, genau in die Mitte zwischen der Regierungsbank und dem Sitzungsvorstand. Das Mikrofon wird im Technikraum in der Bunsenstraße aufbewahrt und ausschließlich bei Vereidigungen benutzt. Saaldiener und Techniker haben es auf die genaue Körpergröße der Ministerinnen eingestellt, um 8.30 Uhr haben sie ein letztes Mal die Akustik geprobt. Zur gleichen Zeit hat Herr Büch sein Zimmer im Erdgeschoss verlassen und das Faksimile des Grundgesetzes mit der roten Markierung in das Büro des Bundestagsdirektors getragen. Um 8.50 Uhr haben die Saaldiener die beiden Ministerinnen zu ihren Plätzen auf der Regierungsbank geführt: Die Landwirtschaftsministerin sitzt in der ersten Reihe rechts, die Gesundheitsministerin schräg hinter ihr.
Um 9.02 Uhr also erhebt sich erst Renate Künast, dann folgt ihr Ulla Schmidt ans Mikrofon. Alle im Saal haben sich von ihren Plätzen erhoben. Der Direktor des Bundestages hält das Buch in den Händen, das ihm Herr Büch gebracht hat. Die Ministerinnen sprechen darauf den Eid. Dass sie das Grundgesetz dabei berühren und die rechte Hand heben, ist ein ungeschriebenes Gesetz. Die Bedeutung des Amtseides erläutert Susanne Linn, die
Leiterin des Fachbereichs Parlamentsrecht: "Der Eid begründet
keine zusätzlichen Rechte oder Pflichten. Seine Wirkung als
Versprechen des Amtsinhabers, den ihm auferlegten Amtspflichten
nachzukommen, äußert sich nicht innerhalb der rechtlichen
Sphäre, sondern ausschließlich im Bereich des
Moralisch-ethischen."
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