STREITGESPRÄCH Verbraucherpolitik "...Kontrolle ist besser"Die BSE-Krise hat die Verbraucher in einem nie zuvor gekannten Ausmaß verunsichert. Wie geht es weiter, worauf sollten sich Bürger und Landwirte einstellen? Blickpunkt Bundestag lud dazu die Agrar- und Verbraucherpolitiker der Fraktionen von CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr und Ulrike Höfken, zum Streitgespräch. Blickpunkt Bundestag: Wann haben Sie zuletzt Rindfleisch gegessen?
Höfken: Vor zwei oder drei Wochen. Es war vom Bio-Hof meines Nachbarn. Ronsöhr: Gestern.
Essen Sie es regelmäßig? Höfken: Ich reduziere den Konsum. Da sind mir zu viele Fragezeichen. Ich habe mir schon lange angewöhnt, nur begrenzt Fleisch zu essen, aber dafür gute Qualität zu kaufen. Ronsöhr: Ich esse weiterhin Rindfleisch. Das ist eine individuelle Entscheidung, die ich keinem vorschreiben will. Das haben wir zu akzeptieren, gerade in der jetzigen Krise.
Wie kam es zu diesen nie gekannten Irritationen der Verbraucher? Höfken: Der Fehler liegt im System. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Sie lassen viel zu viele Lücken für Missbrauch, sie lassen immer noch Produktionsweisen, Zusatzstoffe und Produkte zu, die für den Verbraucher schädlich sind. Das muss von Grund auf geändert werden, sonst schafft man es nicht, das Vertrauen der Verbraucher wieder zu gewinnen. Ronsöhr: Mich stört vor allem, dass wir zwar Gesetze zum Schutz der Verbraucher erlassen haben, deren Einhaltung aber nicht richtig kontrolliert worden ist. Wenn wir ein Tiermehlfütterungsverbot für Wiederkäuer erlassen und nun erfahren, dass doch Tiermehlbestandteile im Futtermittel für Wiederkäuer waren, dann enttäuscht mich das zutiefst. Ganz gleich, für welche Grundlage wir uns im Verbraucherschutz entscheiden, es muss kontrolliert werden.
Wenn die Kontrolle besser wird, wird auch das Vertrauen wieder gut? Höfken: Keine Frage: Die Kontrolle ist ein wichtiger Punkt. Aber was können wir denn kontrollieren? Bei Pestiziden gibt es beispielsweise ein solches Spektrum an Stoffen, dass sie die Möglichkeiten der Kontrolluntersuchungen schlichtweg übersteigen. Genauso ist es bei der Medikamentierung in der Tierhaltung.
Muss man denn unbedingt hunderttausende von Tieren schlachten? Höfken: Man kann die Bekämpfung von BSE durch halbherzige Maßnahmen jahrzehntelang verzögern, oder aber man setzt einen festen Rahmen und versucht, die Seuche in einem begrenzten Zeitraum von vielleicht 3-6 Jahren weitgehend zu beenden. Das wäre besser für den Verbraucherschutz und die Betriebe. Dann ist eine Herdenschlachtung, wie sie auch in der Schweiz bis Ende `99 praktiziert wurde, sinnvoll. Das Marktentlastungsprogramm ist darüber hinaus eine der wenigen Möglichkeiten, die Tiere zu entfernen, bei denen die Belastung am größten ist. Und es geht natürlich auch darum, die Ställe zu entlasten. Ronsöhr: Wir sollten Marktentlastung und BSE-Bekämpfung nicht durcheinander werfen. Das ist unehrlich. Der Herauskauf dieser 400.000 Tiere in Deutschland hat wenig mit BSE-Bekämpfung zu tun, sondern mehr mit Marktentlastung. Man hat ja vor kurzem den Landwirten noch die Empfehlung gegeben, auf Rindfleisch zu setzen. Jetzt hat mir ein Landwirt gesagt, er habe bald ein Altersheim für Kühe, weil er keine mehr absetzen kann. Hierauf muss die Politik reagieren. Aber ich habe Zweifel, ob das Verbrennen der Tiere richtig ist. Höfken: Das Verbrennen produziert Horrorbilder. Aber wir können auch nicht anderen Ländern Produkte anbieten, die wir selber nicht essen wollen. Einlagern geht nicht. In zwei Jahren ist dieses Fleisch nicht mehr verkehrsfähig. Dann würde es später verbrannt und wir hätten auch noch die Kosten der Einlagerung. Bezogen auf Ökonomie, Tierschutz und Verbraucherschutz gibt es hier keine ethisch gute Lösung. Überfüllte Ställe, in denen die Tiere nicht mehr richtig versorgt werden können, wollen wir auch nicht.
Auf was müssen sich die Landwirte einstellen? Wird ein radikales Umsteuern auch im Konflikt versucht werden?
Höfken: Ich glaube nicht, dass der Konflikt so groß ist. Die Landwirtschaft hat selber ein Bedürfnis, aus ihrer jetzigen Situation herauszukommen. Da gehen Verbraucherinteressen und Interessen der Landwirtschaft gemeinsam, auch in Richtung Tierschutz. Das Problem ist, eine solche Qualitätsproduktion abzusichern gegen Dumping-Wettbewerb. Ronsöhr: Der Verbraucherschutz darf sich nicht alleine aus dem biologischen Landbau entwickeln. 90 Prozent, vielleicht 80 Prozent der Verbraucher werden immer noch konventionelle Produkte nachfragen. Wir müssen alle in ein Boot hinein. Das kann nicht alleine die Landwirtschaft leisten. Höfken: Ich habe deshalb vorgeschlagen, zwei Qualitätssiegel zu bilden: eines für den ökologischen Landbau und ein weiteres für die Qualitätsproduktion im konventionellen Bereich. Da geht es um nachvollziehbare Kriterien, auf die sich die Verbraucher verlassen können und die man auch bewerben kann, um sie aus der irritierenden Vielzahl unterschiedlicher Siegel herauszuheben. Ronsöhr: Wir stimmen da überein. Das Marketing muss aber darauf aufbauen können: Wo wollen Handelsketten mehr machen, wo können regionale Gütezeichen ergänzen?
Fürchten Sie nicht eine Zweiklassengesellschaft aus denen, die sich ökologisch produzierte Lebensmittel leisten und gesund ernähren können, und denen, die nicht so viel Geld haben? Höfken: Ein Großteil der Probleme liegt darin, dass die Handelsketten und Konzerne einen derartigen Preisdruck ausüben, dass die Qualitätsproduktion auf der Strecke bleibt. Die Konsequenzen und die Milliardenschäden haben wir alle zu tragen. Es gibt Untersuchungen, die den ökologischen Einkauf und den von konventionellen Produkten miteinander verglichen und festgestellt haben: da war der ökologische Einkauf günstiger. Denn ökologische Ernährungsweise beinhaltet ja auch eine andere Gewichtung in der Ernährung. Natürlich ist ökologische Produktion in Deutschland noch teuer. Aber wenn sich die Produktion ausweitet, verändern sich auch die Kostenstrukturen. Wir geben in Deutschland nur 12,8 Prozent für Lebensmittel aus, aber viel für Katzenfutter, für Autos, für andere Konsumgüter. Wäre es nicht besser, hier mehr zu investieren und zu einer Situation zu kommen, wo die Kosten in der Qualitätserzeugung wirklich honoriert und weitere derartige Lebensmittelskandale vermieden werden? Ronsöhr: Mit Verbraucherbeschimpfung kommen wir nicht weiter. Wie auch immer man jetzt den ökologischen Landbau ausdehnt, es wird noch eine ganz starke konventionelle Landwirtschaft geben müssen, und es wird auch viele Verbraucher geben, die sich für diese Lebensmittel entscheiden. Viele Ideen kann man nur mit Handelsunternehmen verwirklichen. Die dürfen wir nicht ausschließen. Wir brauchen eine kostengünstige Qualitätsproduktion. Das andere Problem liegt im Diskriminierungsverbot für Nahrungsmittel. Das heißt ja nichts anderes, als dass Lebensmittel zu uns reinkommen, die nicht nach unseren Standards produziert worden sind. Autos, die nicht unseren nationalen Bestimmungen entsprechen, müssen umgerüstet werden. Nahrungsmittel kann man nicht umrüsten, weil der Verbraucherschutz integraler Bestandteil der Produktion sein muss. Wenn wir aber ein Hormonverbot erlassen, dann darf sich niemand darüber hinwegsetzen. Sonst kommen Preise und Qualitäten ins Rutschen. Und das darf nicht sein. InternetUmfangreiches Informationsmaterial zur ökologischen Landwirtschaft und zum Verbraucherschutz kann nachgelesen oder heruntergeladen werden unter |