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Reform der Bundeswehr"Reparatur am laufenden Motor"
Von Christoph SchwennickeUmbau der Bundeswehr – um die Aufgabe von Verteidigungsminister Rudolf Scharping plastisch werden zu lassen, sei ein kleiner Vergleich erlaubt. Man stelle sich vor, ein Kfz-Betrieb bekommt einen VW-Käfer zum Tunen auf den Hof gestellt. In den Wagen ist schon ein Porsche-Motor eingebaut, wenn auch etwas provisorisch, und ohne jede Anpassung von Fahrwerk oder Bremsen. Bis in vier Wochen, so die Vorgabe des Kunden, müsse der Wagen renntauglich sein. Kosten dürfe die Feinabstimmung des Wagens allerdings nichts.
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Soldaten der Bundeswehr bei einer Übung. |
Das ist metaphorisch die Situation, die Scharping vor zwei Jahren vorgefunden hat. Die Bundeswehr war mit ihrer Einteilung in Krisenreaktionskräfte und Hauptverteidigungskräfte notdürftig für die neuen Aufgaben jenseits der Landesverteidigung gewappnet worden. Aber mit der Behelfskonstruktion konnte dauerhaft den international eingegangenen Verpflichtungen nicht entsprochen werden.
Es stand der konsequente Umbau an, die "Reparatur am laufenden Motor", wie Karl Feldmeyer einmal in der FAZ schrieb. Zugleich muss Scharping mit dem Umstand zurande kommen, dass der Verteidigungsetat weiter und weiter schrumpft. Wie abzusehen war, löste bei der allmählichen Präsentation seiner Bundeswehrreform die Veröffentlichung des neuen Standortkonzeptes die bisher größte politische Wallung aus. Der Standort ist der physische Existenznachweis einer Armee in Mauern und Menschen, mithin also ein Wirtschaftsfaktor, den jeder Wahlkreisabgeordnete, jeder Landrat und jeder Ministerpräsident im Blick haben muss.
Die Kritik an Scharpings Standortkonzept liegt dabei voll daneben und ist goldrichtig zugleich. Voll daneben geht der Vorwurf, der Minister hätte sich bei seinen Standortschließungen von parteipolitischem Kalkül leiten lassen. Dafür gibt es keine Belege – so hart die Konsequenzen für die Regionen auch sein mögen, in denen das Kasernenlicht ausgeht. Ebenso in die Irre führt der Vorwurf des Kahlschlags. Hätte Scharping weniger konsequent entschieden, wäre ebenso stereotyp die Kritik der Halbherzigkeit gekommen. Und schließlich ist der Vorwurf der mangelhaften Information unausweichlich: Die Frage der Standorte war die mit der meisten Spannung erwartete und mit den meisten Ängsten verbundene Komponente der Bundeswehrreform. Alle wollten von Scharping zuerst informiert werden – die Ministerpräsidenten, die Bürgermeister, die Landräte, die Wahlkreis-Abgeordneten. Diese Erwartung konnte man nur enttäuschen.
Die Opposition liegt jedoch richtig, wenn sie sagt, die Reform Scharpings sei auf Sand gebaut. Analog zu den am Ende nicht haltbaren Besänftigungen in der Standortfrage wird Scharping demnächst einräumen müssen: Seine Bundeswehr ist nicht zu bezahlen mit dem, was ihm die Bundesregierung für die kommenden Jahre zugebilligt hat. Um die drei Milliarden Mark stehen im Etat des kommenden Jahres zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dass diese Kluft so groß wird, ist zum Teil der Preis, den Scharping für eine immer noch 285.000 Mann starke Armee zahlen muss. Sie wäre geringer, hätte er sich an den Größenordnungen der Wehrstrukturkommission orientiert. Dieses sachkundige Gremium hatte eine Bundeswehr von 240.000 Mann für zeitgemäß und sicherheitspolitisch ausreichend erachtet. Es bleibt im Übrigen das Geheimnis der CDU/CSU, wie sie ihre Armee-Konzeption von mehr als 300.000 Soldaten zu bezahlen gedächte.
Die unangenehme Wahrheit ist: Selbst bei einer deutlicher verschlankten Bundeswehr bräuchte Scharping in den kommenden Jahren mehr Geld. Er muss die Streitkräfte technisch von Grund auf renovieren und modern ausrüsten. Er muss bei schwindender Wehrpflicht die Armee als berufliche Perspektive konkurrenzfähig machen und deshalb die Soldaten besser bezahlen können. Ob Hans Eichel ein Ohr für Scharpings Nöte haben wird? Dass dieser die Bundeswehr gerade mal um zehn Prozent verkleinert (die Zahl der kostenträchtigen Berufs- und Zeitsoldaten steigt sogar), dürfte die gering ausgeprägte Spendierfreude des Finanzministers nicht erhöhen. Wie hatte Außenminister Joschka Fischer Scharping schon im Sommer vergangenen Jahres im Kabinett zugeknurrt: Eine spätere "Aktion Klingelbeutel" werde es für Scharpings 285.000-Mann-Armee nicht geben.
Die Frage nach der angemessenen und bezahlbaren neuen Bundeswehr steht in einem großen Zusammenhang. Sie setzte eigentlich voraus, dass einmal über deutsche Interessen in der internationalen Sicherheitspolitik diskutiert würde, was aber tunlichst vermieden wird.
Spätestens aber seit der Kosovo-Krieg und die Situation auf dem Balkan die USA wie Europa sicherheitspolitisch herausgefordert haben, ist die klassische Rollenverteilung innerhalb der Nato aus dem Gleichgewicht geraten. Die USA haben erkannt, dass ohne sie nichts geht. Europa ärgert sich zwar über das nach wie vor hegemoniale, inzwischen zur Hybris gesteigerte Verhalten der USA. Zugleich muss es kleinlaut deren Unentbehrlichkeit eingestehen, allerdings ohne dieselbe Demut und uneingeschränkte Dankbarkeit wie in der Zeit des Kalten Krieges. Wie ehrlich ist die amerikanische Klage über die rudimentäre europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Abhängigkeit von den Kapazitäten der USA? Was, wenn die Europäer sich mit ihrem Konzept der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) tatsächlich "mit Lichtgeschwindigkeit" (Javier Solana) daran machten, Versäumtes nachzuholen, um alsbald sagen zu können: "Europa handelt alleine"?
Zu den ernüchternden Fakten gehört, dass die Europäer zusammen nicht nur weniger aufwenden für Sicherheits- und Verteidigungspolitik als die USA. Vielmehr führt das immer noch vorwiegend um die eigene Nation zentrierte Denken in Europa dazu, dass das Geld ineffizient eingesetzt war: Mit 60 Prozent der Mittel erreicht Europa derzeit gerade zehn Prozent der Potenziale der USA. Der Rest versickert in den nationalen Schrebergärten. Immer noch haben die europäischen Nato-Mitglieder zwei Millionen Soldaten unter Waffen gegenüber 1,4 Millionen in den USA, die ihrerseits einen, gemessen an Nato-Europa, fast doppelt so hohen Verteidigungsetat aufbringen.
Immer noch wird also in Europa zu viel Geld für das Falsche ausgegeben. Angesichts dieses drastischen Ungleichgewichts ist es erstaunlich genug, wie schwer sich Europa tut, aus seiner teils selbstverschuldeten, teils hegemonial produzierten Unmündigkeit herauszufinden. Offenbar trauen sich die europäischen Partner untereinander noch längst nicht so weit über den Weg, gemeinsame sicherheitspolitische Strukturen aufzubauen, geschweige denn eine gemeinsame Armee. Zwar reicht ihr Vertrauen aus, nationale Währungen zugunsten einer einheitlichen aufzugeben, nicht jedoch, um auf ihre nationalen Armeen zu verzichten.
Auch Deutschland ist da, abgesehen von löblichen Initiativen eines gemeinsamen europäischen Transportkommandos, keine rühmliche Ausnahme. Was aber wäre eine Basis für ein gemeinsames Europa? "Die Planung muss sich schon heute darauf einstellen, dass die Verteidigungspolitik nicht mehr länger aus der europäischen Integration ausgeklammert wird", schreibt Richard von Weizsäcker im viel zu schnell beiseite gelegten Bericht seiner Wehrstrukturkommission. Klarer könnte die Perspektive kaum sein, zumal sich auch die Präambel des Maastrichter Vertrages von 1992 auf eine gemeinsame Verteidigungspolitik, "die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte", festlegt.
Doch keiner wagt zu sagen, wann diese Zeit "gegeben" ist. Immer noch sind die großen Drei – Frankreich, Großbritannien und Deutschland – zu sehr damit beschäftigt, ihre politischen Gewichte auszutarieren, statt sich an die Arbeit zu machen. Immerhin zeichnet sich ab, dass jene stehende europäische Eingreiftruppe von 60.000 Soldaten samt eigener strategischer Aufklärung und einem gemeinsamen Transportkommando die Keimzellen einer künftigen gemeinsamen Verteidigungspolitik sein sollen. Aber dieses Konzept greift zu kurz. Denn auch für die Verteidigungspolitik müsste die "Finalität" definiert werden, die Außenminister Joschka Fischer für die europäische Außenpolitik angesprochen hat. Und eine sicherheitspolitische Finalität kann nur eine gemeinsame Armee und nicht eine vergleichsweise kleine Eingreiftruppe sein.
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Christoph Schwennicke. |
Christoph Schwennicke, Jahrgang 1966, geb. in Bonn. Schon während des Studiums in Bamberg (Germanistik, Politikwissenschaften und Journalistik) freie Mitarbeit u.a. bei der Südwest Presse Ulm und dem SDR-Studio Ulm (Hörfunk). Nach Abschluss des Studiums ab 1993 Redakteur bei der Badischen Zeitung Freiburg in der Redaktion Reportage, 1995 Korrespondent dieser Zeitung in Bonn, seit 1996 in der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung tätig.
1992 erhielt er den Theodor-Wolff-Förderpreis.