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Denk-Anstöße für die Abgeordneten
Leserfrage: Wann eigentlich finden MdB Muße für Inspirationen?
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Stillleben: Denken. |
Der politische Alltag der Abgeordneten: Hektik, Termine und wieder Termine. Reisen vom Wahlkreis nach Berlin zum Parlament und zurück, Anhörungen und Exkursionen mit dem Ausschuss. Zu Hause Bürgersprechstunde, öffentliche Diskussionen, Veranstaltungen und Vereinsfeste. Und auch die örtliche Parteigliederung fordert ihren Zeit-Tribut. Angesichts all dieser Anforderungen stellte Blickpunkt-Bundestag-Leser Wilfried Steinicke aus Erbach die Frage: Wann eigentlich hat der Abgeordnete Muße zum Nachdenken, zum Lesen und zu neuer Inspiration – oder einfach, um einmal nur die Gedanken schweifen zu lassen? Wo findet er seine Denk-Anstöße. Wir gaben die Frage weiter an fünf MdB.
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Eduard Oswald in der Abgeordneten-Lobby des Bundestages. |
Für den CSU-Parlamentarier Eduard Oswald ist Denken schlicht ein "Dauerprozess". "Ich grübele, ja lasse auch mal während der Verhandlungen die Gedanken schweifen – um mich dann schnell wieder zu konzentrieren", sagt der 53-jährige ehemalige Bauminister. "Es ist schon wahr – im täglichen operativen Geschäft des Abgeordneten kommen visionäre Fragen oft zu kurz. Doch dafür gibt es genug andere Gelegenheiten außerhalb der aktuellen Politik, in der Diskussion mit Mitarbeitern, Freunden und Experten."
Oswald sieht dabei den Abgeordneten "immer im Dienst" – auch am Wochenende. "Ich kann Politik und Privatleben kaum trennen, weder daheim in Augsburg noch in Berlin. Wenn mich im Wahlkreis Menschen ansprechen oder auf Reisen: Sie sehen fast immer den Politiker, von dem sie etwas hören wollen. Oswald nutzt die Zeiten im Flugzeug und in der Eisenbahn gern zum Lesen – nicht nur zum Aufarbeiten der Akten. "Im Gepäck ist immer auch ein wenig schöne Literatur." Doch nicht selten komme es vor, dass er "eingegraben im ICE-Stuhl" sich eigentlich seinem Buch oder den Akten widmen wolle, er aber dann noch einbezogen werde in Gespräche der Mitreisenden. Oswald: "Ich schätze diese Zufallsbegegnungen und möchte sie überhaupt nicht missen."
Noch wichtiger für die Meinungsbildung bei der politischen Arbeit sind für Oswald Diskussionen mit Freunden und gelegentlich auch mit den erwachsenen Kindern. "Ob bei Theaterbesuchen mit Frau und Freunden oder beim Ausgehen – kaum ein Abend verläuft ohne solche Diskussionen." Und das "Baumeln lassen der Seele – das geschieht dann, wenn ich am Wochenende durch die Wälder laufe."
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Hans-Ulrich Klose in der Berliner S-Bahn. |
Dagegen sagt Hans-Ulrich Klose (63) über sich, dass er auch in der Woche "gut abschalten kann", vor allem am Abend in Berlin – und manchmal auch "in langweiligen Sitzungen". Ja, Nachdenken, Abwägen, Visionäres aufgreifen und auch wieder verwerfen, das tue er sehr gerne beim S-Bahn-Fahren zwischen Berlin-Charlottenburg und seinem Abgeordneten-Büro – im Anblick von Menschen oder einfach beim Blick aus dem Fenster. Gleiches gilt für ihn bei der Fahrt mit dem Rad durch den Berliner Tiergarten.
Nach einem hektischen und terminbeladenen Tag in Berlin schätzt der SPD-Politiker am Abend seine Pfeife, einen guten spanischen oder italienischen Weißwein und ein Buch – meist Erzählungen oder Romane. Akten und Fachliches, darunter regelmäßig zwei bis drei ausländische Zeitungen, hat Klose, der seit 1998 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ist, meist schon im Büro gelesen. Anders als in Bonn, wo Klose privat gebunden ist, sei er "als Pendler in Berlin" abends viel häufiger allein. "Eine Folge ist, ich lese viel mehr. Doch manches, was man dabei bedenkt, muss man auch bereden."
Das geschieht dann eher zu Hause bei der Frau in Bonn und mit Freunden, auch im Wahlkreis in Hamburg – wenn ihn nicht gerade sein Sohn, der in Berlin studiert, spontan in eine Kneipe am Savignyplatz entführt oder ihn seine Schwiegertochter mit dem Enkelsohn besucht.
Seit dem Parlamentsumzug und durch Kloses Pendeln zwischen Bonn, Berlin und Hamburg verbringt der Parlamentarier fast zwanzig Prozent mehr Zeit im Flieger und in der Bahn. Hinzu kommen als Ausschussvorsitzender zwölf bis vierzehn längere Flugreisen pro Jahr. "Das Fahren verführt zum Lesen", sagt Klose, der aber auch gern Gedichte schreibt, und dies nicht nur am eigenen Arbeitsplatz, sondern auch im ICE zwischen Hamburg und Berlin.
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Gregor Gysi in einem der Aufzüge des Reichstagsgebäudes. |
"Solange der Mensch wach ist, denkt er. Schläft der Mensch – dann träumt er", sagt Gregor Gysi (53) spontan auf die Frage, wann er zum Denken komme – um dann gleich hinzuzufügen: "Natürlich macht es einen Unterschied, ob ich einfach nur denke und reagiere oder über ein Problem nachdenke."
Nach Auffassung des PDS-Parlamentariers gibt es aber selbst für einen "hektischen Politiker tausend Gelegenheiten zum Nachdenken", Inspirationen aufzunehmen in Podiumsdiskussionen, zuDebatten mit dem politischen Gegner, zu Gesprächen mit Wissenschaftlern, Freunden und Mitarbeitern. Wichtiger als der Ort sei für ihn beim Nachdenken "die innere Stimmung". Dabei sei es dann gleichgültig, ob er im Flugzeug, in der Bahn oder in einer Sitzung sei, "bei der man dann auch schon mal unerhörterweise nicht zuhört".
Gysi: "Wenn mich ein ernstes Problem bewegt und ich dann zum Abschalten zum Buch greife, merke ich oft nach drei, vier Seiten: Du hast von dem Buch gar nichts mitbekommen. Dann gibt es nur eins: Ich muss mich zwingen, erst über das Problem nachzudenken." Wichtige Bedeutung für Inspirationen haben für Gysi die Bürgersprechstunden. "Da werde ich plötzlich mit sozialen Fragen konfrontiert, die mit meiner Lebenssituation nichts zu tun haben", sagt er. Und weil gerade die Linke sich in dieser Gesellschaft oft ein "festes Weltbild" zurechtgezimmert hätte, fügt er schnell hinzu: "Ich bin immer wieder bereit, mich erschüttern zu lassen."
Gysi liest gern Bücher. Bei Fachaufsätzen und Presseveröffentlichungen schätzt er die Auswahl durch seine Mitarbeiter, den Tipp "das solltest du mal lesen". Gysi: "Ich bin unter dem Zeitdruck leider ein Nutzer von Sekundärliteratur geworden – so wie die Journalisten die Agenturen nutzen." Dass zu Hause oder am Wochenende nicht mehr so viel Zeit für intensive Gespräche und auch zum Nachdenken bleibe, liege auch an seiner kleinen Tochter, die mit ihren knapp fünf Jahren "selbstverständlich auch viel Zeit fordert – aber auch das hilft beim Denken".
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Christian Simmert beim Frühstück mit seinen Mitarbeitern. |
Drei Jahre alt ist die Tochter von Christian Simmert (Bündnisgrüne), der mit 28 Jahren zu den jüngsten Abgeordneten des Parlaments zählt. "Zu Hause ist oft Rabatz in der Bude." Und: "Da muss ich schon mit meiner Frau Susanne die Ruhe organisieren und die Oma als Babysitterin gewinnen, wenn wir essen gehen wollen."
Sieht man von diesen Verpflichtungen ab, fühlt sich Simmert als "spontaner Mensch". "Mich springen die Ideen eher im Gespräch an, nicht im stillen Kämmerlein." Dabei schätzt er das Bahnfahren in der zweiten Klasse und mischt sich auch mal in Gespräche der Mitreisenden ein. In Berlin ist für Simmert der Dialog mit den Mitarbeitern besonders wichtig. Regelmäßig montags trifft er sich mit dem gesamten Team zum gemeinsamen Frühstück. "Dabei geht es auch mal um Ideen, die nicht immer sofort umsetzbar sind." Aber auch das bedeutet für Simmert viel Inspiration. Gleiches gilt für die Diskussionen in einer rot-grünen-Parlamentariergruppe. Dabei schätzt der Grüne zum Nachdenken auch schon mal einen guten Rotwein.
Aber auch Bewegung entspannt. Geschätzter Ort ist dazu für Simmert und seine Mitarbeiter eine Diskothek in Berlin-Charlottenburg, die sie in Sitzungswochen gemeinsam gern aufsuchen. "Nachts um eins – auf der Tanzfläche kommen manchmal auch gute Gedanken", offenbart Simmert im Gespräch.
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Günter Rexrodt in seinem Abgeordnetenbüro. |
Dagegen schätzt Günter Rexrodt (59) das Nachdenken lieber klassisch: zu Hause im Sessel, in der Nähe seines Bücherschrankes. Seit der F.D.P.-Politiker beschlossen hat, "nur noch gezielt nach Programm fernzusehen", bleibt ihm auch wieder mehr Zeit zum Lesen: sehr viel Historisches, deutsche Geschichte und als Lieblingslektüre Astrophysik – "vom Urknall bis zum Zerfall".
Der ehemalige Wirtschaftsminister sucht regelmäßig die politischen Gespräche mit seiner Frau und guten Freunden, die allesamt seine besten Ratgeber seien. Als Abgeordneter, Berliner F.D.P.-Landesvorsitzender, Mitglied des Bundesvorstandes der Liberalen und praktizierender Manager einer Berliner Firma bleibt Rexrodt "weniger Zeit zum intensiven Nachdenken, als ich eigentlich möchte." Die Muße will dann organisiert sein, vor allem am Wochenende, wo es auch in Berlin noch viele gesellschaftliche Verpflichtungen gibt.
Rexrodt sucht auch abends gerne den Kontakt zu Bekannten und Freunden, ist häufig Gast in Berliner In-Lokalen. Wenn dann im Urlaub plötzlich "richtiges Abschalten" angesagt ist, sei er "die ersten Tage immer unerträglich". Aber: "Anschließend ist es dann wunderbar, und nach drei Wochen geht es mit neuer Freude an die Arbeit."
Karl-Heinz Reith