Informationstechnik im Bundestag
Das interaktive Parlament
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250.000. Diese Zahl zeigt, wie weit der Computer auch in den Alltag der Parlamentsarbeit schon Einzug gehalten hat. Denn an manchen Tagen verarbeiten die Server des Bundestages bis zu 250.000 E-Mails, elektronische Briefe also. Sie müssen nicht mehr ins Kuvert gesteckt, mit Briefmarke versehen und dann über Nacht den Weg vom Postkasten zum Empfänger antreten. Sie sind sofort da, wo sie hin sollen. Und auch Gesetzentwürfe, Protokolle, wichtige Dokumente muss der Abgeordnete nicht mehr aus langen Reihen von Aktenordnern heraussuchen – ein paar Klicks mit der Maus genügen, und die Information ist auf dem Bildschirm. Ganz gleich, ob der im Berliner Büro steht, im Wahlkreis oder den Abgeordneten als Laptop unterwegs begleitet. Schneller, direkter, umfassender – was für die Arbeit der Volksvertreter gilt, verändert auch die Begleitung durch das Volk. Per Computer kann jeder dabei sein.
Der Internetauftritt des Bundestages „www.bundestag.de“ ging am 15. Januar 1996 ins Netz. Nach drei Jahren hatte die Internetpräsenz täglich bereits 5.000 Besucher. Heute sind es schon 15.000 täglich. Und jeder bleibt im Schnitt eine Viertelstunde. Denn es gibt viel zu sehen: die Biografien aller Abgeordneten, die Tagesordnungen von Plenum und Ausschüssen, die Politikentwürfe der Fraktionen, der Stand der Gesetzgebung, Neuigkeiten aus den vielen verschiedenen Themenfeldern, Erklärungen über die Hintergründe und Zusammenhänge der parlamentarischen Arbeit – und ein umfangreiches Archiv, über das sich Zehntausende von Drucksachen ins eigene Wohnzimmer herunterladen lassen. Wer nicht mehr ungefähr ahnen will, worum es geht, sondern es genau und schwarz auf weiß wissen will – bundestag.de macht’s möglich. Wer schon immer wissen wollte, wie der Bundestag eigentlich funktioniert – hier steht, wie die Gremien arbeiten, auf welche Weise Gesetze zu Stande kommen, wie das Parlament die Regierung kontrolliert und wie es dabei von der Bundestagsverwaltung unterstützt wird.
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In Foren wird intensiv diskutiert, und wer ständig auf dem Laufenden gehalten werden will, kann „Newsletter“ kostenlos abonnieren. Dann stecken Bundestagsneuigkeiten automatisch im heimischen elektronischen Briefkasten. Schon jetzt haben sich über 11.000 Interessenten allein für den „hib“-Dienst angemeldet, der in Sitzungswochen ständig über die Arbeit in den Fachausschüssen berichtet. Manchmal mehrmals am Tag. Auf die fertigen Plenarprotokolle lässt sich inzwischen schon oft am selben Tag zurückgreifen.
Vollständig, unkommentiert, direkt
Längst gibt es auf bundestag.de aber nicht mehr nur die Schriftform. Über Web-TV geht es direkt auf die Zuschauertribüne des Bundestages – oder auf die seiner Ausschüsse und Kommissionen, wenn diese öffentlich tagen. Die Devise: vollständig, unkommentiert und möglichst direkt. Überschneiden sich öffentliche Sitzungen, wird die eine direkt übertragen und folgen Aufzeichnungen der anderen im Anschluss. Wer die Live-Übertragung im Internet verpasst, kann sich einzelne Redebeiträge über das Video-Archiv jederzeit noch einmal aufrufen und in Ruhe anschauen. So sieht gläserner Parlamentarismus im elektronischen Zeitalter aus.
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Faxgeräte im Depot. | ||||||||||
Dabei handelt es sich auch nicht um eine Einbahnstraße. Immer wieder stellen sich Politiker aller Fraktionen in aktuellen „Chats“ live den Fragen der Internetbesucher. So sind sie beispielsweise in der Lage, die gerade gelaufenen Übertragungen aus öffentlichen Ausschusssitzungen zu ergänzen und darüber in einen direkten Kontakt mit den Bürgern zu treten. Bei einer solchen neunzigminütigen Onlinekonferenz gehen die Politiker auf rund 300 Nachfragen ein – und eine ähnlich große Zahl wird zumeist noch einmal im Nachhinein beantwortet. Auch in diesem Monat geht der Bundestag wieder auf diese Weise online, wenn der Vertreter des Deutschen Bundestages im Europäischen Verfassungskonvent, Jürgen Meyer, im Chat mit den Bürgern diskutiert.
Aber nichts ist so perfekt, dass es nicht noch besser werden könnte – gerade in Zeiten, in denen sich die technischen Möglichkeiten stürmisch weiterentwickeln. So arbeiten die Macher von bundestag.de gerade an einem neuen Aufbau und noch einfacheren Zugriffs- und Suchfunktionen. Es soll virtuelle Rundgänge durch die Gebäude des Bundestages geben, auch die Chats sollen deutlich ausgebaut werden und zum regelmäßigen Service gehören. „Wir wollen die Breite der Arbeit noch übersichtlicher, noch aktueller und noch besser darstellen“, lautet die Zusammenfassung von Hartwig Bierhoff, Chef des zuständigen Online-Referates in der Bundestagsverwaltung. Internetexperten der Hochschulen in Köln und Erfurt untersuchen die Materie zurzeit darauf, was verbesserungsfähig ist. Und spätestens Anfang 2004 wird der überarbeitete Internetauftritt auf den Weg gebracht.
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Binnen Sekunden ins Büro
Was das Internet für die Öffentlichkeit, das ist das Intranet für die interne Kommunikation. Ständig wachsend, wichtiger werdend, immer mehr nachgefragt. Hier finden sich für jeden einzelnen Ausschuss die Tagesordnungen, die Vorlagen, die Protokolle – kurz alles, was früher aktenordnerstark durch die Gegend getragen wurde, kommt nun binnen Sekunden in die Büros, in denen es gerade gebraucht wird. Natürlich erfordert das verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Denn die nicht öffentlichen Angelegenheiten heißen nicht nur so, sie sollen es auch bleiben. Jeder Abgeordnete und Mitarbeiter hat seinen eigenen elektronischen Zugangsschlüssel, und jeder Abgeordnete legt innerhalb seiner Büroorganisation fest, welcher Mitarbeiter auf welche Daten zurückgreifen darf. Sämtliche Dateien werden nämlich verschlüsselt und dezentral gespeichert, und nur der Berechtigte kann sie entschlüsselt wieder aufrufen.
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Dieser Systemaufbau ist die Voraussetzung dafür, dass der Abgeordnete nicht auf seinen Schreibtisch angewiesen ist, um seiner Arbeit nachzugehen. Wenn er seinen Computer im Wahlkreis einschaltet und die Verbindung zum zentralen Rechenzentrum des Bundestages hergestellt hat, ist das so, als säße er an der Spree. Genauso verhält es sich, wenn er von unterwegs schnell Zugriff auf Aufzeichnungen, Vorlagen, Dokumente haben muss. Laptop einschalten, Verbindung schaffen – schon ist er „drin“. Mitten in seinem Büro, wo auch immer er sich gerade aufhält.
Wie sehr sich die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter bereits auf die elektronische parlamentarische Arbeit eingestellt haben, mag den Reaktionen auf einen Defekt im Mailserver zu entnehmen sein, weswegen kürzlich das System einmal heruntergefahren werden musste. Obwohl das an einem Samstag um Mitternacht geschah und keine 13 Stunden später alles wieder funktionierte, führte dies doch zu besorgten Nachfragen über die Verfügbarkeit der elektronischen Dienste. Der Chef der Unterabteilung „Zentrale Informationstechnik“, Arnulf Lunze, ermittelte: „99-prozentig verfügbar, aber wir sind dabei, dies noch zu verbessern“. Wobei Faktoren von außen schwierig zu managen sind – wenn etwa wegen Bauarbeiten Stromausfälle auftreten. Trotzdem: Das Parlament hat sich an die elektronische Arbeit bereits derart gewöhnt, dass es selbst samstags nachts nicht darauf verzichten möchte.
Kryptografischer Tunnel
Die ständigen Zugriffsmöglichkeiten über verschiedene Berliner Liegenschaften hinweg, über Stadt- und Ländergrenzen hinweg, aus jedem Wahlkreis und schier unbegrenzt über jeden Abgeordneten-Laptop – das stellt eine gewaltige Herausforderung an das Referat „IT-Sicherheit“. Damit die Datenströme nicht von Unbefugten mitgelesen werden können, kommen sie durch einen so genannten „kryptografischen Tunnel“. Das heißt: Sie werden vom Ausgangsgerät und Zentralserver doppelt verschlüsselt und sind erst wieder auf dem PC des Abgeordneten lesbar. „Das alles muss wirklich rundum sicher sein“, betont Lunze. Und tatsächlich, egal wie die „Würmer“, „Trojaner“ und „Viren“ in der vergangenen Zeit auch hießen, an der „Firewall“ des Bundestages, einem Schutzprogramm zur Abwehr unerwünschter E-Mails oder Viren, war für sie in der Regel Endstation. Derzeit wird auch für den Mail-Austausch eine optionale Verschlüsselung eingeführt. Im Verlaufe dieses Herbstes erhält jeder Abgeordnete und Funktionsträger in der Bundestagsverwaltung seinen eigenen elektronischen Schlüssel, der noch mehr Authentizität und Sicherheit garantiert.
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Monitor in der Fernsehwerkstatt. | ||||||||||
5.100 PC-Arbeitsplätze in den Abgeordnetenbüros und in der Bundestagsverwaltung, dazu noch knapp 700 Laptops und nebenbei auch noch 11.200 Telefonanschlüsse – da versteht es sich von selbst, dass umfassend Vorsorge zu treffen ist, damit diese Fülle an Hardware am Laufen gehalten und bei der damit verbundenen potenziellen Vielzahl von Softwareproblemen auch Fachleute zur Behebung bereitstehen. Mehrere Referate kümmern sich um diese gewaltige Aufgabe, entwickeln gezielt auf die verschiedenen Anforderungen zugeschnittene Programme, machen die Anwender in einem eigenen Schulungszentrum damit vertraut und unterhalten auch eine Hotline, die bei Bedarf sofort eingeschaltet werden kann.
170 Kursangebote
Der Wehrbeauftragte des Bundestages braucht mit seinen Mitarbeitern andere Funktionen für die Verwaltung der Soldateneingaben als das Parlamentssekretariat für die Verwandlung von Schriftstücken in amtliche Drucksachen, der Petitionsausschuss benötigt spezielle Software, die jederzeit den Fortschritt der Bearbeitung anzeigt, und während der eine Abgeordnete ergänzende Archivangaben zu seinem Fachgebiet sucht, arbeitet der andere an einem Mail-Rundbrief, will ein dritter seine eigene Homepage mit Bildern einiger Aktivitäten illustrieren. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Wirklichkeit gewordenen E-Parlamentes. Damit diese Routine so unkompliziert und schnell wie möglich abgewickelt werden kann, hält das Schulungszentrum des Bundestages zahlreiche Kurse bereit. „Excel Basis“, „Word für Fortgeschrittene“, „PowerPoint“, „Publisher“, „Serienbriefe“, „Frontpage“ „Mozilla“, das klingt nach der Auslage eines Computer-Shops. Tatsächlich ist es der Überblick über die aktuellen Angebote in den zehn Schulungsräumen des Bundestages. Im vergangenen Jahr zählte die Verwaltung in 170 Kursangeboten über tausend Teilnehmer.
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Monitor
Plan für die Ausstattung der Wahlkreisbüros. |
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Fitmacher der Kommunikation
Diese lernen nicht nur, welche Erleichterungen möglich sind, wenn man in „Word“ nicht nur das Schreiben beherrscht, sie bekommen auch gezeigt, wie ihre eigene Arbeit so schnell wie möglich auch anderen zugute kommt. So stellen die Ausschusssekretariate ihre Beratungsunterlagen selbst ins Intranet. Content Management heißt das Zauberwort, wenn der Arbeitsaufwand verringert und der Nutzen erhöht wird: In diesem Fall können Mitarbeiter Inhalte ohne Programmieraufwand aktualisieren. Dabei werden selbst altgriechische Helden der traurigen Gestalt lautmalerisch zu Fitmachern der Kommunikation: Sysiphos rollt nicht mehr vergeblich Steine den Berg hinauf, SysiVuS ist heute im Bundestag vielmehr das „System zur integrierten Vorgangsverfolgung und -steuerung“ und erleichtert das Einstellen und Auffinden aller Unterlagen, die wichtig sind, um den Gang der parlamentarischen Beratungen verfolgen zu können. PARFORS ist auch kein besonders schneidiger Ritt, sondern der „Parlamentarische Formular-Server“. So einfach erschließen sich die elektronischen Zusammenhänge – besonders durch konzentrierte Fortbildung, die jeden Abgeordneten und Mitarbeiter des Parlamentsbetriebes dort abholt, wo er mit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten gerade angekommen ist. Und manchmal, so versichern die Mitarbeiter des Schulungszentrums, „bringen wir Interessenten auch binnen drei bis vier Tagen von null auf hundert“.
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Die Akzeptanz des Intranets könnte nicht klarer beschrieben werden, als durch Zugriffsstatistiken: Täglich gibt es im Jahresschnitt 30.000 Aufrufe der Intranetstartseite, und zwar sitzungsfreie und Feiertage und Wochenenden mit einbezogen. Je nach Nachrichtenlage werden manchmal über 500 gleichzeitige Zugriffe allein auf den Tickerdienst im Intranet – also die in Echtzeit einlaufenden und verfügbaren Meldungen der wichtigsten Nachrichtenagenturen – wahrgenommen. Hinzu kommen Übersichten der aktuellen Presseberichterstattung, Zugriffsmöglichkeiten auf die Angebote der Bundestagsbibliothek oder weitere Serviceleistungen wie die Dienste der Reisestelle. Alles von jedem Schreibtisch aus erreichbar.
Arbeit in Bits und Bytes
Der Europaausschuss hat seine Arbeit bereits vollständig von Papier auf Elektronik umgestellt – auch die Vorlagen aus Brüssel kommen nur noch in kleiner Stückzahl im Papierformat in Berlin an. Die eigentliche Arbeit geschieht in Bits und Bytes. Nach einem Ältestenratsbeschluss soll bis zur nächsten Wahlperiode der gesamte Gesetzgebungsprozess komplett elektronisch funktionieren – von der Einbringung der Gesetzentwürfe während des gesamten Beratungsprozesses hindurch bis zur Weiterleitung der Beschlüsse an die anderen beteiligten Verfassungsorgane. „Der Kern des Abgeordnetenmandates besteht aus ständiger Informationsverarbeitung“, sagt der für die Informationstechnik Verantwortliche Arnulf Lunze und fügt als daraus folgende Aufgabe für die Bundestagsverwaltung hinzu: „Deshalb wollen wir dem Abgeordneten alle Informationen, die er für seine parlamentarische Arbeit benötigt, möglichst komfortabel zur Verfügung stellen.“
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Internationale Konferenz
Weltweit ist die Kommunikation im Umbruch. Auch in den Parlamenten. Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (SPD), zugleich Vorsitzende der Ältestenratskommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und -medien (IuK-Kommission), erkundigt sich seit geraumer Zeit bei Besuchern und bei Gästen in Berlin stets nach dem Stand des elektronischen Parlamentsgeschehens in anderen Staaten. Ein herausragendes Forum bildete denn auch die sechste Europäische Konferenz der nationalen Parlamente über Informations- und Kommunikationstechnologien (EPRI), die gerade den Erfahrungsaustausch förderte. „Der bewusste Umgang mit den neuen Medien stellt keine Bedrohung dar, sondern bedeutet vielmehr große Chancen für alle Beteiligten“, betonte Susanne Kastner bei der Eröffnung der Konferenz in Berlin. In den Referaten und Diskussionen wurde schnell deutlich, dass die Parlamente Europas unterschiedlich weit gekommen sind. Die jungen Demokratien haben beispielsweise gute Erfahrungen mit elektronischen Abstimmungen gemacht und damit Nachdenken auch im Bundestag ausgelöst, ob das Knopfdrücken künftig das Handaufheben ersetzen könnte.
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Nicht nur für Susanne Kastner steht fest, dass der Bundestag in Sachen elektronische Abläufe an die Spitze der Bewegung gehört. Die Komplettumstellung bis 2006 gehört genauso dazu wie der Aufbau einer zentralen Termin- und Adressenverwaltung – alle Aspekte der parlamentarischen Kommunikation sollen in ein abgestimmtes System mit noch weiter vernetzten Abgeordnetenbüros eingebunden werden.
Gregor Mayntz