Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 20. Dezember 2002
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, der deutsche Bundestag hat gestern über den historischen Erweiterungsgipfel von Kopenhagen debattiert und in diesem Zusammenhang auch über die notwendige Vertiefung der Europäischen Union durch eine Verfassung, an der wir arbeiten. Ich kann Ihnen berichten, dass alle Fraktionen des deutschen Bundestages - also alle im Parlament vertretenen Parteien - sich für den Doppelhut-Vorschlag der Dehaene-Arbeitsgruppe ausgesprochen haben. Wir sind also für einen Außenminister der Europäischen Union, der auch eine Grundlage für effektives Arbeiten braucht. Deshalb schlage ich vor, darüber nachzudenken, ob man nicht die Vertretungen der Kommission schrittweise zu Botschaften der Europäischen Union weiterentwickeln könnte.
Erfreulicherweise spricht sich die Arbeitsgruppe grundsätzlich für Mehrheitsentscheidungen im Rat aus. Hier will ich mein ceterum censeo wiederholen, das ich auch etwa zur künftigen Innen- und Justizpolitik vorgetragen habe: Die Entscheidung gegen Einstimmigkeit und für Mehrheit ist eine Entscheidung für Handlungsfähigkeit und gegen Bedeutungslosigkeit einer künftigen erweiterten Union.
Den Kolleginnen und Kollegen, die wie unser Freund Peter Hain hier Bedenken haben, mache ich den Vorschlag, einmal darüber zu diskutieren, ob man nicht in den Fällen, in denen sie Einstimmigkeit fordern, eine besonders hohe Hürde der Mehrheit vorsehen sollte, die bei etwa 70 % der vertretenen Länder und der vertretenen Menschen liegen könnte.
Eine Bemerkung zu der vorzüglichen Arbeit der Barnier-Arbeitsgruppe: Die Union muss die Möglichkeit erhalten, ihre demokratischen Institutionen und die Zivilbevölkerung zu schützen. Das gilt insbesondere für den Schutz gegen Terrorismus und die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen. Das ist der Grundgedanke der von Deutschland und Frankreich vorgeschlagenen Klausel zur Solidarität in gemeinsamer Sicherheit, die von der Arbeitsgruppe erfreulicherweise übernommen worden ist.
Am Ende - unter Ziffer 73 - geht der Schlussbericht auf das wichtige Thema der parlamentarischen Kontrolle ein. Er stellt zutreffend fest, dass in den meisten Mitgliedstaaten das nationale Parlament seine Zustimmung zum Einsatz von nationalen Truppen bei einer Operation erteilt. Ich kann hier sagen, dass diese Verfassungslage - wie sie z.B. in Deutschland besteht - sich in naher Zukunft nicht wird ändern können.
Aber ich möchte in dem Zusammenhang eine Frage stellen, die von der Arbeitsgruppe nur gestreift worden ist. Was wird eigentlich aus der WEU, also der Westeuropäischen Union, und ihrer parlamentarischen Versammlung, wenn im Zuge unseres Reformvorhabens und im Zuge der Ausarbeitung der neuen Verfassung und ihrer Implementierung die WEU und ihre parlamentarische Versammlung entfiele oder an Bedeutung verlöre? Dann muss doch die parlamentarische Kontrolle in neuer Form erhalten bleiben! Sollten wir nicht überlegen, ob diese Kontrolle dann vom Europäischen Parlament wahrgenommen werden sollte?