Zeitlmann: Bedauerlicherweise sitze ich tatsächlich dem
Kollegen Roth zum ersten Mal gegenüber. Bewusst habe ich ihn
bislang nicht wahrgenommen, weil wir von unseren
AusschussTätigkeiten wenig Berührungspunkte haben.
Im heutigen Bundestag gilt das leider für viele. Ich muss
gestehen, dass ich viele Abgeordnete, mit denen ich zufällig
etwa im Lift zu Sitzungen fahre, nicht persönlich kenne. Bei
669 Abgeordneten dauert das einfach.
Also ist dies hier eine Premiere. Was nun
könnte zwei so unterschiedliche Abgeordnete wie Sie
verbinden?
Roth: Wir beide haben unseren Wahlkreis direkt gewonnen. Das ist
ein durchaus verbindendes Element. Denn direkt gewählte
Abgeordnete gehen ein Stück selbstbewusster durch ihre
Fraktion, vielleicht sogar durchs Gesamtparlament.
Zeitlmann: Da ist etwas dran. Ich respektiere über mir
in Grenzen nur meinen Parteivorsitzenden und sonst
nur meine Wahlmänner.
In Weihestunden wird gerne die
"Gemeinsamkeit der Demokraten" beschworen. Welche Bedeutung hat
diese Erkenntnis für Sie?
Zeitlmann: Ich finde, es gibt eine Reihe von Dingen, wo man sie
einfordern sollte, zum Beispiel bei der Darstellung des Parlaments
nach außen und seinem Selbstverständnis nach innen. Wie
derzeit Politik insgesamt in Frage gestellt und verleumdet wird,
sollte uns unabhängig von der jeweiligen Feldpostnummer
gemeinsam angehen. Das gilt im Übrigen auch dafür, wie
wir mit der DiätenFrage umgehen.
Roth: Natürlich sollte es einen gemeinsamen Rahmen geben.
Dennoch gehört für mich der Streit zum Wesenskern der
Demokratie. Wichtiger als ein künstlicher Konsens oder ein
harmonisches Einerlei wäre mir die Entwicklung einer
gepflegten Streitkultur. Denn beim Streiten werden ja
unterschiedliche Politikangebote, Projekte und Wege aufgezeigt. Ich
möchte gar nicht in allen Fragen mit der CSU einer Meinung
sein und Herr Zeitlmann sicherlich nicht mit mir.
Zeitlmann: Da haben Sie Recht.
Wo verlaufen für Sie die Grenzen des
Streites? Entlang der Fraktionslinien?
Roth: Keineswegs. Auch innerhalb der Fraktion streiten wir uns
häufig wie die Kesselflicker. Das ist auch in Ordnung so, denn
man sollte nicht einheitlicher und konformer auftreten, als man in
Wahrheit ist. Dies ist ja auch ein Angebot an die Bürger. Aber
in großen Fragen muss zum Schluss natürlich eine klare
Linie erkennbar sein. Dies gilt besonders für eine
Regierungspartei.
Wir streiten uns häufig wie die Kesselflicker
Zeitlmann: Ich wäre falsch verstanden, wenn ich nur auf
Gemeinsamkeit machen wollte. Schon berufsbedingt streite ich oft um
die beste Lösung. Streit, auch scharfer, gehört zur
Demokratie. Beim Thema Staatsangehörigkeit etwa haben wir ja
scharf in der Sache gefochten, bis hin zur Mobilisierung der
Massen. Also: Der Kampf um Mehrheiten ist erlaubt und notwendig,
aber es gibt eben auch ein Stück Verrohung, sprich weniger
Gemeinsamkeit nach außen.
Wo haben sich Veränderungen
ergeben?
Zeitlmann: Der Grundkonsens im Parlament, dass man Dinge nicht
einfach durchpaukt, dass man sich Zeit lässt zur angemessenen
Beratung, ist aufgekündigt. Die Mehrheit setzt sich heute
ruppiger durch als früher.
Roth: Ich gehöre dem Bundestag ja erst seit einem Jahr an,
aber ich habe eine ganz andere Wahrnehmung. Vielleicht hängt
das damit zusammen, dass es nach 16 Jahren Regierungsverantwortung
offenbar gar nicht so einfach ist, vom hohen Ross in die Opposition
herunterzukommen.
Zeitlmann: Im Gegenteil: Ich kann heute viel frecher
drauflosreden. In der Opposition kann man unbefangener seine
Meinung sagen als in der Regierung. Mein Thema ist: Ich finde, es
wird beim parlamentarischen Prozedere zu wenig Rücksicht
genommen auf die Opposition. Das erschwert die Konsensbildung.
Roth: Einspruch. Von älteren Kollegen höre ich
jedenfalls: Das war unter Ihrer Regierung nicht anders. Vielleicht
haben Sie nur deshalb Ihren Eindruck, weil die rotgrüne
Reformkoalition einen Berg von Veränderungen in relativ kurzer
Zeit angepackt hat.
Wie schwer ist es, der Meinung des
anderen zuzuhören, gar den Versuch zu machen, sie zu
verstehen? Lässt man sich im Plenum noch durch Gegenargumente
überzeugen?
Roth: War das Plenum jemals der Ort, wo man Kolleginnen und
Kollegen noch überzeugen konnte, nachdem doch Monate zuvor in
den Fraktionen und Ausschüssen um eine Entscheidung gerungen
wurde? Man sollte das Plenum nicht zu hoch hängen. Es ist eher
der Ort, an dem die unterschiedlichen Auffassungen möglichst
klug, interessant und zugespitzt präsentiert werden. Das
jedenfalls ist meine Erwartung an das Plenum. Und unter diesem
Aspekt finde ich viele Debatten furchtbar langweilig und
hölzern.
Die freie Rede beherrschen nur noch wenige
Zeitlmann: Ich halte das Plenum für inzwischen völlig
missraten. Das geht schon los beim Vortrag, der zumeist abgelesen
wird. Die freie Rede beherrschen nur noch wenige. Zudem
beschäftigt sich das Plenum mit viel zu viel Detailregelungen.
Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß und entwertet das
Parlament. Die Parlamentsspitze sollte endlich die Kraft finden,
Detailgesetze von den Ausschüssen beschließen zu
lassen.
Wie lange wirken Entscheidungen nach?
Hakt man das schön demokratisch als Mehrheitsvotum ab oder
bleiben Äußerlichkeiten oder gar Verletzungen
zurück?
Zeitlmann: Es gehört zum demokratischen Grundstrickmuster,
Beschlüsse zu ertragen, bisweilen sogar mitzutragen, die nicht
die eigene Auffassung widerspiegeln. Das habe ich in meinem
gesamten politischen Leben ob nun als Kommunal oder
Bundespolitiker so gehalten. Wer damit ein Problem hat und
jedes Mal innerlich damit hadert, dass man unterlegen ist, sollte
die Finger von der Politik lassen. Es muss möglich sein, sich
zu einem Sachverhalt streitig zu unterhalten, ohne sich
persönlich ans Leder zu gehen. Etwas anders sieht es bei
wirklichen Gewissensentscheidungen aus, zum Beispiel bei der Frage
der Abtreibung. Da kann man nicht einfach so zur Tagesordnung
übergehen. Aber von denen gibt es in der Legislaturperiode
meistens nur eine oder zwei.
Roth: Ich bin ein eher emotionaler Mensch und muss offenbar noch
lernen, meine Emotionen im Zaum zu halten und nicht alles
persönlich zu nehmen. Das ist ein durchaus mühsamer und
schwieriger Lernprozess. Aber es gibt nun einmal Entscheidungen,
die einen furchtbar wurmen. Dann kribbelt es einen, gerade wenn man
an dem Projekt selbst über lange Zeit mitgewirkt hat. Als
Beispiel nenne ich die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.
Dass die Union in meinem Heimatland Hessen mit der
Emotionalisierung dieses Themas eine Wahl gewonnen hat, hat mich
furchtbar geärgert und aufgeregt. Da muss man dann aufpassen,
sich nicht zu sehr in den Frust hineinziehen zu lassen.
Nicht zu sehr in den Frust hineinziehen lassen
Die Öffentlichkeit reagiert auf
PolitikerStreit bisweilen mit dem hässlichen Bild "Pack
schlägt sich, Pack verträgt sich"; soll heißen: dass
sich Abgeordnete erst im Parlament streiten, um abends friedlich in
der Kneipe zusammenzusitzen. Stimmt das mit der Wirklichkeit
überein?
Zeitlmann: Also, den Begriff "Pack" finde ich schon ziemlich
deplatziert. Politiker sind kein "Pack", auch wenn wir sicherlich
keine besseren Menschen sind als die Normalbürger und von der
moralischethischen Seite vielleicht auch nur Durchschnitt. Es
ist in der Politik wie im richtigen Leben oder in der Familie: Man
streitet sich, aber man muss auch die Kraft finden, Gemeinsames
herauszustellen, den Streit beiseite zu legen und zusammen auch mal
ein Bier zu trinken. Wer das nicht kann, der würde wahnsinnig
werden und wäre nach zehn Jahren Parlamentszugehörigkeit
mit jedem über Kreuz. So kann und darf es nicht sein.
Roth: Ich finde, in Berlin hat sich da manches relativiert, was
das gemeinsame Biertrinken am Abend anbelangt. Die Stadt lädt
aufgrund ihrer Größe und ihres vielfältigen Angebots
eher dazu ein, sich einmal einen Abend ohne Politik und ohne die
Kolleginnen und Kollegen, mit denen man schon den ganzen Tag
über zu tun hatte, zu bereiten. Ich jedenfalls bemühe
mich, dieses in Anspruch zu nehmen, um so ein wenig Distanz zu
haben. Sonst läuft man Gefahr, in einem zu abgeschlossenen und
abgeschotteten Zirkel zu leben. Sich nur vom Büro zum Plenum
und von dort wieder zurück zum Büro oder zur
Parlamentarischen Gesellschaft zu bewegen, wäre mir zu
wenig.
Die politische Arbeit im Bundestag steht
zumeist unter hohem Zeitdruck. Bleiben da überhaupt noch Lust
und Gelegenheit zum Gespräch über Fraktionsgrenzen
hinweg?
Zeitlmann: Ich finde schon. Sicher schnürt der Zeitdruck
einen in ein enges Korsett, aber es gibt ja auch noch die
sitzungsfreien Wochen, in denen man etwa mit dem politischen
Gegenüber im Wahlkreis nach Gemeinsamkeiten sucht. Und wenn in
Berlin keine Zeit ist, findet sich vielleicht mal eine
Auslandsreise, auf der man sich mit Kollegen austauschen kann.
Der Zeitdruck schnürt einen in ein enges Korsett
Roth: Machen wir uns nichts vor: Die Lust zum wirklichen
Gedankenaustausch ist schon personen und themenabhängig.
Unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit gibt's
Kolleginnen und Kollegen, die man nett und interessant findet und
mit denen man sich gerne abends trifft, aber es gibt wie im
Leben eben auch andere. Was ich bedaure, ist, dass es aus
Zeitgründen zu wenig Gelegenheiten für ein lockeres
Gespräch und einen guten Meinungsaustausch gibt. Aber warum
soll es uns Politikern besser gehen als vielen anderen
Berufsgruppen?
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