PLENARDEBATTE ÜBER DEN GIPFEL IN HELSINKI
EUKandidatenstatus für die Türkei löst kontroverse Reaktionen aus
(eu) Der Beschluss der Staats und Regierungschefs der Europäischen Union von Helsinki, der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zur EU zu verleihen, stand am 16. Dezember im Mittelpunkt einer Aussprache des Bundestages zu einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Während sich Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen hinter diesen Beschluss stellten, überwogen bei der parlamentarischen Opposition Kritik und Ablehnung.
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Die Atatürk-Brücke bei Istanbul, die den europäischen Teil der Türkei mit dem asiatischen verbindet. Der neue Status des Landes als Beitrittskandidat der Europäischen Union prägte am 16. Dezember die Debatte im Bundestag zur Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). |
Der Bundeskanzler hob in seiner Regierungserklärung hervor, der Gipfel von Helsinki habe Ergebnisse gebracht, "die man in der Rückschau sicher einmal als historisch bezeichnen wird". Zu unterstreichen sei, dass kein Bewerberland einen Freifahrtschein zur Mitgliedschaft in der EU erhalten werde. Dies gelte auch für die Türkei, vor der "ein langer, auch ein beschwerlicher Weg" liege, so Schröder. Einen Automatismus für eine spätere Mitgliedschaft des Landes in der EU werde es nicht geben.
Der Kanzler verdeutlichte aber ebenso, indem es in der finnischen Hauptstadt gelungen sei, der Türkei des Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen, sei klargestellt worden: "Die Türkei wird nicht diskriminiert." Gerade auch für die vielen in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft sei es entscheidend zu wissen, "ob das Land ihrer Väter auf eine demokratische Zukunft als Teil Europas" hoffen dürfe, erklärte Schröder. Er fügte hinzu, die EU sei kein "Klub des christlichen Abendlandes", sondern eine Wertegemeinschaft, die auf der Achtung des Rechts, der Demokratie, der Toleranz, der Humanität und der Solidarität gründe. Eine Türkei, die sich zu diesen Grundsätzen nicht nur bekenne, sondern sie auch real anwende, werde als EUMitglied willkommen sein.
Der CDU/CSUFraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble widersprach dem Kanzler. Es erfülle ihn mit Sorge, so der Oppositionsführer, möglicherweise durch Überdehnung der Europäischen Institutionen mehr zu zerstören als voranzukommen. Die Debatte über Grundlagen, Ziele, Inhalt und Grenzen Europas sei ernsthaft zu führen, sonst könnte Europa scheitern. "So darf Helsinki nicht historisch werden", erklärte Schäuble. Die Türkei gehöre zur einen Hälfte zu Europa, zur anderen nicht.
Zu prüfen ist dem CDUPolitiker zufolge deshalb, ob ein Europa, das die Türkei einschließe, wirklich das Europa sei, "das die Menschen meinen". Der Diskussion hierüber könne man sich nicht verweigern, auch wenn es unstrittig sei, dass die Türkei "so eng wie irgend möglich" an den Westen zu binden und die Entwicklung dort in diese Richtung zu beeinflussen sei.
Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) rief den Abgeordneten ins Gedächtnis, bereits 1963 sei zu Zeiten Bundeskanzler Ludwig Erhards (CDU) das Assoziationsabkommen mit der Türkei geschlossen, unter christdemokratischen Regierungen Anwerbungsbüros in Ankara und Istanbul eröffnet worden. Daraufhin seien nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen ins Land gekommen. Von dieser Verantwortung könne man sich nicht einfach verabschieden. Fischer warf der Union zudem "Heuchelei" vor, wenn sie den Beschluss von Helsinki kritisiere. Dieser unterscheide sich nämlich nicht allzu sehr von der Position, zu der die EU 1997 in Luxemburg mit Blick auf das Beitrittsgesuch Ankaras gelangt sei.
Für die F.D.P. erklärte Ulrich Irmer, wolle man dem in der finnischen Hauptstadt gefassten Beschluss eine positive Seite abgewinnen, so könne man feststellen, dass der Druck jetzt auf Ankara liege, die notwendigen Reformen endlich einzuleiten. Nach den "schönen Versprechungen" des türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit sei die Türkei jetzt zum Handeln aufgefordert. Dies würde auch diejenigen im Land selbst stärken, die einerseits die Übermacht des Militärs ablehnten und andererseits versuchten, gegen den Fundamentalismus zu kämpfen.
Wolfgang Gehrcke (PDS) stellte fest, der neue Status der Türkei sei wohl nicht zuletzt auch auf Druck der USA zustande gekommen. Er kritisierte zudem, um das Kurdenproblem habe die Bundesregierung nur herumgeredet. Ohne volle demokratische Rechte für diese Bevölkerungsgruppe werde es aber keine Demokratisierung der Türkei geben.