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Plenarassistenzdienst des Bundestages
Der Diener im Frack
Hermann Rost ist ein Saaldiener. Er ist viel mehr als das: Er ist die Inkarnation der Höflichkeit, ein Rundumdienstleister für Abgeordnete, ein stetig Lernender, einer, der weiß, was Glück ist.
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Guten Tag, Herr Kinkel", sagt Herr Rost. "Guten Tag", erwidert Klaus Kinkel und lässt die Stimme oben, als wolle er dem Gruß noch etwas nachschicken – einen Namen vielleicht.
Herr Kinkel muss Herrn Rost nicht kennen, auch wenn er seiner Dienste bedarf. Herr Rost kennt Herrn Kinkel auf jeden Fall. Das gehört zu seiner Arbeit. Er kennt Herrn Kinkel von der F.D.P., Herrn Dzewas von der SPD, Frau Ehlert von der PDS, die beiden Dr. Friedrichs von der CSU, und Hermann Rost weiß auch, dass der eine Friedrich aus Erlangen und der andere aus Hof stammt. Er vergisst nicht, dass es da noch einen Friedrich aus Bayreuth gibt von der F.D.P. und einen Friedrich aus Altenburg von der SPD. Das gehört zur Arbeit von Hermann Rost, 52 Jahre alt, aus Jessen in Sachsen/Anhalt stammend, jetzt in Berlin lebend und im Plenarassistenzdienst arbeitend. Der Einfachheit halber und weil es einprägsamer ist, nennen viele Menschen die Männer vom Plenarassistenzdienst Saaldiener. Ob die Frauen Saaldienerinnen genannt werden, ist nicht bekannt. Es klingt sehr ungewohnt.
Wenn Hermann Rost Dienst hat, betritt er das Reichstagsgebäude über den Osteingang. An wichtigen Tagen haben sich dann vor diesem Eingang schon die ersten Übertragungswagen postiert, manch verirrte Besuchergruppe steht bereits da, Dienstwagen kommen und fahren wieder, die draußen eingesetzten Wachmänner plaudern und haben dabei immer ein wachsames Auge auf Ankommende und Fortgehende, selbst bei schönem Wetter weht meist ein kräftiger Wind um das immer noch grobschlächtig wirkende Gebäude mit der fragilen gläsernen Kuppel.
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Hermann Rost geht an den Pförtnern vorbei, die ihn kennen, steigt die breite Treppe hoch und meldet sich am Tisch Regierungsbank bei seinem Vorgesetzten Achim Glomb, der keine graue Weste zum dunkelblauen Frack trägt wie Hermann Rost, sondern eine weiße – der Unterscheidung, nicht des Symbolgehalts wegen.
Hermann Rost nimmt am "Meldetisch Plenum" seinen Dienst auf, an dem Tisch, den fast alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages passieren, immer an Hermann Rost vorbei, der sie grüßt, der sie kennt, der für sie da sein wird, den ganzen Tag, egal, wie lange die Debatte im Plenarsaal dauert.
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Hermann Rost versorgt die Abgeordneten mit Nachrichten aus der Außenwelt, hier bei Wolfgang Dehnel von der CDU/CSU. |
Er kümmert sich um ihre kleinen und größeren Belange, trägt Botschaften hin und her, bringt Nachrichten aus der Außenwelt in den Saal unter der gläsernen Kuppel und Aufträge aus der Innenwelt in die Büros. Er ist die Verbindung zwischen hier und dort, "die Nahtstelle", nennt er es selbst und sagt mit einem ganz anrührenden Selbstbewusstsein: "An dieser Nahtstelle hier kommen alle vorbei, diesen Leuten müssen wir zuarbeiten, wir sind für die Rundumdienstleistung verantwortlich."
Und dann sagt Hermann Rost noch: "Ich bin stolz darauf, in diesem hohen Haus dienen zu dürfen." Das klingt im Angesicht des hohen Hauses, mit Blickachse zwischen gläserner Kuppel und kreisrundem Plenarsaal wie eine kleine Beschwörung, deren Ernsthaftigkeit durch nichts Abbruch getan wird. Nicht durch die Tatsache, dass so was heute kaum noch jemand so sagte, und nicht durch das Gefühl der Verwunderung, wenn es dann doch jemand sagt, während unten im Plenarsaal ein paar kleine Fetzen fliegen und oben in der gläsernen Kuppel Besucherinnen und Besucher in konzentrischen Kreisen die Volksvertreterinnen und Volksvertreter umrunden.
Hermann Rost ist stolz auf seine Arbeit, die er erst seit drei Jahren macht. Wenn er erzählt, wie es dazu gekommen ist, dass er heute Dienst im hohen Haus tut, schwingt ein kleiner Unterton der Ungläubigkeit mit. Es hatte vor gut drei Jahren nicht so ausgesehen, als wolle das Glück für einen wie ihn da sein. Ganz und gar nicht. Vor gut drei Jahren war er arbeitslos und stand, wie er es selbst nennt, "vor dem Nichts". Hermann Rost, damals 49 Jahre alt, gelernter Betonbauer, saß zu Hause. Er wusste Bescheid über unbewehrten Beton, Stahlbeton, Schalungskonstruktionen, Spannbeton, Fertigteilkanäle, Montagebau, Laststufen, Balkenzargen und Säulenzwingen. Er hatte in einem Kreisbaubetrieb in Jessen gearbeitet, der mit der DDR verschwand. Er hatte zwei Kinder, die damals schon fast alt genug für ein eigenes Leben waren. Aber nur fast. Er hatte eine Frau, die silberne Hochzeit war gerade gefeiert. Er hatte schon viel gelebt und erlebt und immer gearbeitet. Ohne Arbeit, das wusste Hermann Rost, ohne Arbeit ist das Leben nur halb und das Glück kein Ganzes.
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Hermann Rost bei der Arbeit. |
Er sah im Fernsehen die Übertragung einer Bundestagsdebatte und er sah die Männer im Frack und die Frauen im Frackkostüm, die wie gute Geister im Plenarsaal zugegen waren. Und er dachte: "Das kannst du doch auch, Hermann, das ist doch eine schöne Arbeit." Er bewarb sich und war sich gleichzeitig sicher, nie eine Antwort zu bekommen.
Hermann Rost war also ganz und gar nicht optimistisch, als ihn der Anruf aus der Personalverwaltung des Bundestages erreichte und er gefragt wurde, ob er noch interessiert sei. "Guter Mann", sagte Hermann Rost, "ich sitze auf der Straße und ich will arbeiten. Selbstverständlich bin ich interessiert."
Nach dem Vorstellungsgespräch musste er warten, zehn lange Tage, dann griff er zum Hörer. Lieber so als eine schriftliche Absage, dachte er und bekam die Zusage. Auf nach Bonn in eine völlig neue Welt, ein neues Leben beginnt, ein neuer Anfang ist gemacht, eine neue Chance gekommen. Die letzte vielleicht, dachte Hermann Rost und strengte sich an, wie er sich immer angestrengt hatte in seinem Leben.
Er begann beim Papierdienst – einsammeln, aufladen, abladen, verteilen. Er lernte, was man lernen muss, wenn man irgendwann bei den Plenarsitzungen Dienst machen will, und noch mehr. Er las Bücher über die Geschichte des Bundestages, begann, sich die Abgeordneten einzuprägen mithilfe dieses eigenen Nachschlagewerkes, das sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes zusammengestellt haben, um die vielen Namen den vielen Gesichtern richtig zuordnen zu können.
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Fast alle Abgeordneten kennt er mit Namen. |
Hermann Rost meldete sich nach der Umzugsentscheidung schnell für Berlin. Von da war es näher nach Hause, und da sollte es ja auch bald mit Sack und Pack hingehen in den umgebauten Reichstag.
In Berlin nahm er sich ein kleines Appartement in Mitte, mit Blick auf den "Garten des Kanzlers" – das einstige Staatsratsgebäude der DDR. Und wenn er nach links schaut, sieht er das Auswärtige Amt. Von da kann er jeden Tag zur Arbeit laufen in den Reichstag, den er inzwischen wie seine Westentasche kennt. Manchmal macht er sogar kleine Führungen. Abends liest er oft noch Bücher über die Geschichte des hohen Hauses oder er lernt noch mehr über die Geschäftsordnung. "Man muss immer weiter lernen", sagt Hermann Rost, der inzwischen auch Dienst tut, wenn der Verteidigungsausschuss tagt. Und da redet Hermann Rost zum zweiten Mal davon, wie geehrt er sich fühlt, dies alles tun zu können. Dienst beim Verteidigungsausschuss ist eine Vertrauenssache.
Das bestätigt auch sein Vorgesetzter: "Für Herrn Rost", sagt Achim Glomb, "ist Plenardienst das Größte. Er ist ein sehr interessierter und pflichtbewusster Mitarbeiter. Hat ja früher mal Betonteile gefertigt. Also wenn der Ihnen die Hand gibt, da merkt man das schon. Er ist ein guter Mann, der sich traut, auf die Abgeordneten zuzugehen."
Hermann Rost mag keine Unterschiede machen zwischen den Volksvertreterinnen und Volksvertretern. Er ist für alle da. Natürlich macht es ihn stolz, wenn ihn jemand mit Namen anspricht oder nach der Familie fragt. Selbstverständlich gibt es schwierige und weniger schwierige Abgeordnete. Aber da ist Hermann Rost diskret, damit wird er selbst fertig.
Es macht Spaß, den zweiundfünzigjährigen grauhaarigen Mann, dem man am Dialekt die Herkunft anhört, bei der Arbeit zu beobachten. Überraschend sind die Wechsel zwischen Warten und Bereitsein, Laufen und Erledigen, Klären und Tun. Warten heißt meist stehen, die Hände auf dem Rücken, Beine leicht gespreizt, Füße etwas geöffnet, unbewusst mit dem Körper nach vorn und hinten wippend. Das entspannt, man kann schauen, aufmerksam bleiben, es entgeht einem nichts. Und dann, ein Auftrag, Hermann Rost geht los. Er läuft schnell und bestätigt beim Laufen, dass es die sprichwörtlichen fliegenden Frackschöße gibt. Sein Oberkörper ist immer leicht nach vorn geneigt, als wolle der Kopf schneller da sein als die Füße tragen. Er nähert sich diskret dem Auftraggeber, beugt sich hinunter, hört zu, nimmt oder gibt, geht – nirgendwo aneckend und niemanden störend – wieder aus dem Plenarsaal. Auf geradem Weg, während oben in der Kuppel Besucher weiter Kreise um die Debattierenden unten im Saal drehen.
Bald zieht auch seine Frau nach Berlin. Dann ist sein Glück wieder vollständig. Er wird ihr abends erzählen, was er am Tage im hohen Haus gesehen und gehört hat. Er wird mit ihr durch Berlin gehen können – ohne weißes Frackhemd und weiße Fliege. Sie werden sich über die Kinder unterhalten und über ihren Wunsch nach Enkelkindern sprechen. Hermann Rost freut sich darauf, er ist ein Familienmensch. Und ein Arbeitsmensch. Und wenn er beides hat – die Familie bei sich und die Arbeit für sich -, ist er ein glücklicher Mensch.
"Guten Tag, Herr Roth", sagt Herr Rost zum Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, der mal schnell telefonieren will. "Guten Tag, Herr Rost", sagt Herr Roth. Und da ist Hermann Rost ein wenig stolz, dass der Herr Roth ihn kennt. Ihn, den Saaldiener. Kathrin Gerlof