Menschen im Bundestag
Wenn Geschichten sich zu Geschichte fügen
Volker Geginat hat lange als Vermittler gearbeitet. Und was hat er vermittelt? Wissen über den Deutschen Bundestag.
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Einmal, vor 36 Jahren, stand Volker Geginat im Reichstagsgebäude an einem Fenster, das den Blick in Richtung Osten freigab. Ziemlich weit weg war der Osten zur damaligen Zeit. Neben dem jungen Juristen Geginat stand dessen damaliger Vorgesetzte, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Dieser zeigte mit dem Finger gen Osten und sagte: "Und hier sehen Sie 8.000 Kilometer Sowjetunion."
Volker Geginat ist die Szene im Gedächtnis geblieben. Vielleicht weil sie so lakonisch beschreibt, wie die Dinge sich ändern und wie aus kleinen Erlebnissen Geschichten werden und wie sich manchmal Geschichten zu einem Stück Geschichte fügen. So sagte er es wahrscheinlich nicht. Es klänge ihm zu ... großartig. Andererseits ist Volker Geginat ein Geschichtenerzähler, der das Leben lieber in Kapitel einteilt, anstatt es zu portionieren und in Schubfächer zu packen.
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Volker Geginat (Mitte) mit Mitarbeitern Hartwig Bierhoff (links) und Hans-Peter Neumann an der Reichstagskuppel.
Ein Kapitel ist gerade zu Ende gegangen. Volker Geginat wird Pensionär. Er verlässt den Deutschen Bundestag, die Unterabteilung Parlamentarische Information, die er leitete. Öffentlichkeitsarbeit, Online-Dienste, Besucherdienst, Parlamentsfernsehen, Pressedokumentation, Sonderveranstaltungen liegen nicht mehr in seiner Verantwortung. Nach mehr als fünfzehn Jahren, in denen er sich um all diese Bereiche kümmerte. Er war sozusagen ein Schnittstellenkoordinator, von Beginn an, obwohl der Begriff "Schnittstelle" 1986 noch nicht so häufig im Munde geführt wurde wie heute.
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"Ich lebe in Köln, und habe, wenn auch in den vergangenen Jahren durch die Arbeit in Berlin etwas weniger, immer viel ehrenamtlich gearbeitet. Daran kann ich anknüpfen."
Damals arbeitete der Deutsche Bundestag in Bonn, und in Berlin bereitete man sich auf eine 750-Jahr-Feier vor. In beiden Teilen der Stadt und in ganz unterschiedlicher Diktion. Kaum jemand mochte glauben, dass Berlin nur noch wenige Jahre geteilt sein würde. In die Ausstellung "Fragen an die Deutsche Geschichte", die im Reichstag gezeigt wurde, kamen im Jahr 1987 alles in allem 600.000 Besucher. Und damals, erinnert sich Volker Geginat, wurde überlegt, die Bebauungssperre für die ganze freie Fläche westlich des Reichstagsgebäudes aufzuheben. Man legte auf diesem Areal den Grundstein für das Deutsche Historische Museum, und manch einer dachte, damit werde auch der Traum von der Wiedervereinigung begraben.
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Der Erzähler lässt an dieser Stelle eine kleine Pause, undramatisch, aber wirkungsvoll. Dann lächelt er und sagt: "Also der Hauptauftrag des Bereiches 'Parlamentarische Information' lässt sich so beschreiben: die Öffentlichkeit in einer nicht parteiischen Form über die Tätigkeit des Bundestages und seiner Organe zu unterrichten." Nun ist es ja so, dass die Öffentlichkeit an sich ganz gewiss keine homogene Zielgruppe darstellt. Es gibt Menschen, die wollen kommen und selbst in Augenschein nehmen, was ihre Parlamentarier so treiben. Dafür braucht man einen Besucherdienst.
Andere wiederum wollen ihre Informationen aus Broschüren, Faltblättern, Fachliteratur, Filmen und aus dem Internet bekommen. Sie möchten Ausstellungen besichtigen, Veranstaltungen besuchen und die Tage der offenen Tür nutzen. Für all diese Dinge sind die Referate Öffentlichkeitsarbeit, Onlinedienste und Parlamentsfernsehen, Historische Ausstellungen und Sonderprojekte zuständig.
Aber auch intern gibt es eine Öffentlichkeit, demzufolge ein Informationsbedürfnis, das bedient werden muss. In der Pressedokumentation werden täglich mehr als 140 Publikationen archiviert und zum größten Teil ausgewertet. Das heißt, an jedem Tag werden dem Archiv rund 1.500 Zeitungsausschnitte hinzugefügt. Für Abgeordnete und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundestages eine ganz wichtige Informationsquelle.
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Was all diese Referate verbindet, ist ein einfaches Postulat: Was heute gut und wirkungsvoll ist, kann morgen schon überholt und langweilig sein. Eine Öffentlichkeit, egal ob außen oder innen, immer wieder zu interessieren, verlangt auch, dass man über neue Formen nachdenkt und Inhalte auf moderne Art und Weise vermittelt.
"Als ich 1986 anfing, gab es den Bundestagsreport, und das schien uns eine Offenbarung zu sein", sagt Volker Geginat. "Jetzt", sagt er und zeigt auf Tabellen und Zahlen, "klicken in einem Monat mehr als 330.000 Menschen die Internetseiten des Bundestages an."
So betrachtet ist Öffentlichkeitsarbeit schwerer und einfacher zugleich geworden. Die Vielfalt der Möglichkeiten lässt auch viele spielerische Momente zu, alles wird interessanter, die Zeiträume von der Idee bis zur Verwirklichung der Idee werden kürzer. Aber, es ist nicht leichter geworden, die Öffentlichkeit immer wieder von Neuem zu interessieren und das Interesse zu halten, Formen und Inhalte so zu präsentieren, dass sie neugierig machen. Und manchmal sind es noch immer die einfach gedachten Dinge, die zum Erfolg führen.
Der Infobus zum Beispiel, der durch die Lande tourt. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten fuhr er hauptsächlich durch die neuen Bundesländer, inzwischen ist er in ganz Deutschland unterwegs. Wer nicht als Besucher in den Deutschen Bundestag kommen kann, erhält Besuch vom Deutschen Bundestag. Das ist eine gute Idee, die auch im Internetzeitalter nicht an Attraktivität verloren hat.
Diese Geschichte führt Volker Geginat zum Überschwang jener Tage im November 1989. Da hielt er sich in Berlin auf, und plötzlich war die Stadt offen. Es schien sich zu bewahrheiten, dass diese Stadt ihre immer schon besondere Bedeutung für ihn beibehalten würde: 1958/59, in der Zeit des Kalten Krieges, studierte er ein Semester an der Freien Universität. In dem Jahr, als Kennedy ermordet wurde, arbeitete er als Referendar in Berlin. 1989 dann, im November, rief er zu Hause an und sagte zu seiner Frau: "Du musst kommen, das hier erleben wir nur einmal."
All diese Ereignisse haben sein Verhältnis zur Stadt geprägt. Am 3. Oktober 1990, erzählt er, sei es zum ersten Mal geschehen, dass er zu einem Empfang gebeten wurde, der nachts um ein Uhr begann. Öffentlichkeitsarbeit für den Deutschen Bundestag zu machen, hatte plötzlich eine ganz andere, neue Dimension. 17 Millionen Menschen waren dazu gekommen, der Bundestag selbst hatte sich verändert durch die hinzugekommenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus den neuen Bundesländern.
Alles Geschichten, vieles Geschichte. Die jüngste und letzte Arbeitsgeschichte für Volker Geginat war die Eröffnung der "Tage der Ein- und Ausblicke" im Bundestag. Am 26. April um 15 Uhr nahm er daran teil und dies war zugleich sein letzter Arbeitstermin.
Und nun?
"Ich lebe in Köln und habe, wenn auch in den vergangenen Jahren durch die Arbeit in Berlin etwas weniger, immer viel ehrenamtlich gearbeitet. Daran werde ich anknüpfen. Es gibt ja", sagt Volker Geginat, "zwei Gefahren, wenn man aus dem Berufsleben ausscheidet: Entweder, man weiß nicht, was man mit sich anfangen soll. Das wird wohl nicht mein Problem sein. Oder aber, man zwängt sich sofort in ein ähnliches Korsett, wie in den Arbeitsjahren zuvor. Wenn das das Problem sein sollte, muss man sich vergegenwärtigen, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Ach, was heißt vergegenwärtigen. Lernen muss man das."
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier