24.06.1999
Ansprache zur Buchvorstellung "Die 6. Fraktion - Sieben Jahre
Bundestags-Kabarett Die Wasserwerker" am 24.6.1999
Es gilt das gesprochene Wort
"Heutzutage höre ich ausgerechnet dann, wenn eine besonders
geschickt, nach den parlamentarischen Regeln unangreifbare verbale
Perfidie gelungen ist, von dem Täter oder der Täterin den
zufriedenen Kommentar " Politik muß schließlich auch
Spaß machen".
Ich möchte mich natürlich, und meinem Amte entsprechend,
von dieser Art Spaß scharf abgrenzen.
Ich habe noch den Notruf westdeutscher Kabarettisten und Satiriker
vernommen, die angesichts des früheren Bundeskanzlers Dr. Kohl
und seines Kabinetts schreib- und sprachgehemmt aufstöhnten,
die Realsatire, die in Bonn geboten werde, sei leider nicht zu
überbieten. Seit einiger Zeit habe ich diesen Notruf nicht
mehr vernommen. Allerdings kann ich mich nicht entscheiden, was das
bedeutet. Vermutlich haben sich Qualität und Sachlichkeit der
Arbeit wie der Argumentation hier in Bonn insoweit verändert,
als sie von der Satire, die eine hohe Kunst ist, doch wieder
übertroffen werden kann. Möglich aber auch, daß der
Notruf unterblieben ist, weil Satiriker und Kabarettisten vor allzu
häufigen Wiederholungen zurückschrecken.
Ich habe auch eine weitere Verzweiflung aus jenen Kreisen des
Sprachwitzes mitbekommen, die sich daran entzündete, daß
ein Kanzler, mit dessen Stimme schon für Urlaubsreisen
geworben wurde, der aber darüber hinaus so sehr der
Angreifbarkeit als Kanzler der Einheit entrückt war, für
die Satire einfach ungeeignet erschien. Nun, diese Zeiten sind
vorbei. Selbst wenn man das offenbar innige Verhältnis unseres
hochverehrten Bundeskanzlers zur werbenden Wirtschaft ( "Wir haben
verstanden.") in Rechnung stellt, muß ich zu dem Schluß
kommen, daß die Zeit der Gewöhnung und der
Unangreifbarkeit vorüber ist. Goldene Zeiten für die
Satire.
Aber inmitten der Zeit der satirischen Not - Politisches Kabarett wurde von der "Comedy" und vom Zynismus bedroht - geschah etwas ungewöhnliches: einige Politikerinnen und Politiker stimmten nicht etwa resignierend in die Klage über die Nöte des Kabaretts ein, sondern zogen daraus Konsequenzen: Sie behaupteten das Gegenteil und nahmen zum Beweis die kabarettistische Kennzeichnung ihresgleichen selbst in die Hand. Das war 1992.
Wie damals in parlamentarischen Kreisen üblich, ging alles
irgendwie Freundliche und Nachdenkliche von Rita aus, jener
legendären Parlamentspräsidentin. Sie soll es gewesen
sein, die den Freizeitkabarettisten Manfred Richter, im Nebenberuf
Parlamentarier und Geschäftsführer der FDP, um einen
interfraktionellen Beitrag zur Parlamentskultur gebeten hat.
Einmalig sollte das werden und die Inbesitznahme des neu gebauten
Bonner Plenarsaals feierlich begleiten. Aber die List der Vernunft
bewirkt, daß das nur flüchtig Gemeinte dauerhaft wird -
oder nachhaltig, wie es heute heißt.
Wir finden das aktuell belegt: die - ich zitiere Hans Jochen Vogel:
"hier in Rede stehende" Truppe gibt es immer noch - und ich bin
gespannt, wieviele letzte Auftritte sie noch zu Stande bringen
werden.
Ich komme zum unvermeidlichen "fallen lassen von Namen" (engl. name dropping): Manfred Richter fand Peter Conradi, einen Parlamentarier aus Überzeugung, der mir auch dadurch aufgefallen war, daß er Würde und Ansehen des Parlamentariers auf eine fast altmodische Art verteidigte, ohne Rücksicht darauf, daß nicht ein jeder durch würdevolles Auftreten glänzte und das Ansehen gerade dem Verdruß zu weichen begann. Peter Conradi erwies sich nicht nur als genialer Bauherr Bundestag, sondern sein Gespür für die Würde des Amtes befähigte ihn - vermutlich - auch zum Aufspüren einschlägigen Mißlingens.
Neben Richter an die Spitze setzte sich Gerlinde Hämmerle, die sich vermutlich als Regierungspräsidentin später wohler fühlte als hier im Parlament, obwohl sie eine beliebte, gut gelaunte Geschäftsführerin der SPD-Fraktion war. Sie redete lieber von den konkreten Sorgen ihrer Wahlkreisbewohnerinnen als von programmatisch hochfliegenden Plänen. Ich erlaube mir deshalb die Vermutung, daß daraus ein kabarettistischer Blick auf das Parlament erwachsen ist.
Auch der Osten Deutschlands meldete sich freiwillig auf die Bühne in Gestalt der sachsen-anhaltinischen Theateramateurin Evelin Fischer. Ein Bundestagspräsident muss um fraktionspolitische Ausgewogenheit bemüht sein; die Wasserwerker bieten dazu Gelegenheit: Wolfgang Börnsen und Wilfried Bohlsen aus der CDU/CSU brachten nicht nur hanseatischen Humor sondern auch musikalische Fertigkeiten mit. In Ostdeutschland hätte man gesagt: brachten sie ein. Und die FDP glänzte mit einem weiteren Vertreter norddeutschen Eigensinns, mit einem beurlaubten Musikredakteur, der uns noch heute regelmäßig erfreut, wenn man wieder einmal nicht weiß, ob er das, was von ihm berichtet wird, wirklich Ernst gemeint haben mag: Jürgen Koppelin.
Um der genannten Ausgewogenheit willen, nenne ich jetzt die Namen von Eckart Kuhlwein und Ulrike Mehl nicht mehr, weil ich sonst noch einmal auf die SPD zu sprechen kommen müßte.
Wie bei allen vorwärts drängenden Unternehmungen stellten sich auch diesen Wagemutigen Hindernisse in den Weg. Sie sind mit den Namen von Wolfgang Bötsch - der doch selbst dann noch Humor hat, wenn er sich aufregt - und Jürgen Rüttgers verbunden, die mit ihrem Widerstand gegen Wasserwerker im Ersatzplenarsaal Wasserwerk für die Zeitungsschlagseite sorgten - ich zitiere: Lachen im Parlament verboten? - Nach einigen Verwicklungen, die in dem Buch nachzulesen sind, daß ich hier vorzustellen die Ehre habe, kommt es zu einer indirekten Antwort des amtierenden Bundestagspräsidenten Hellmuth Becker. Nach der Erörterung von für die Wasserwerker spezifischen Problemen leitet er zu anderen Bereichen der parlamentarischen Fragestunde über mit den Worten : " Nun kommen wir zum Ernst des Lebens." Die den Wasserwerkern entgegenstehenden christdemokratischen Hindernisse führten schließlich dazu, daß die Uraufführung des Wasserwerks im Fraktionssaal der CDU/CSU stattfand. Wie soll man besser charakterisieren, was man die uns nachgesagte "Kultur des Aushandelns nennt?!
Seither ist einiges Wasser den Rhein hinabgeflossen. Sofern es die Wasserwerker tangiert, von ihnen durchwatet, zu Reinigung der Atmosphäre genutzt worden ist, wird es seinen Niederschlag in dem Buch "Die 6. Fraktion" des Herausgebers Eckart Kuhlwein gefunden haben. Es ist zur Lektüre empfohlen und zwar nachdrücklich und anhaltend.
Eckart Kuhlwein hat den Versuch gemacht, mir Worte des Dankes an
den Bundestag, an die Verwaltung, an Helferinnen und Helfer in den
Mund zu legen. Ich unterlasse das und überlasse das den
Wasserwerkern. Statt dessen danke ich den Wasserwerkern dafür,
daß sie uns in 33 interfraktionellen Auftritten durch
Öffnen der Spottdrossel Erleichterung im manchmal doch
verbissenen parlamentarischen Alltag verschafft haben.
In meiner Eigenschaft als Berliner füge ich hinzu - kann sein,
daß wir solche Wasserwerker in Berlin nötiger haben
werden, als sie hier am Rhein schon waren. Kann sein, daß
sich als Objekt ihrer Spottlust auch die künftige Beziehung
zwischen dem Berliner Senat und dem Deutschen Bundestag anbietet.
Kann also sein, daß alles irgendwie weiter geht, obwohl wir
hier und jetzt die Schlußgala der Wasserwerker erleben
müssen."