89. Sitzung
Berlin, Freitag, den 23. März 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Vizepräsidentin Petra Pau:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung
- Drucksache 16/4650 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Spahn, Annette Widmann-Mauz, Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Peter Friedrich, Elke Ferner, Dr. Carola Reimann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsam gegen AIDS - Verantwortung und Solidarität stärken
- Drucksachen 16/3615, 16/3616, 16/4111 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Friedrich
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Sascha Raabe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD,
der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Ute Koczy, Thilo Hoppe, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 - Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Missfallen an der südafrikanischen Aids-Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen knüpfen
- Drucksachen 16/3610, 16/3097, 16/4315 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Christel Riemann-Hanewinckel
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der Debatte möchte ich meine Kollegin Ulla Schmidt entschuldigen. Sie ist erkrankt und kann deshalb nicht teilnehmen. Ich werde also auch ihren Part hier mit vertreten.
Ich denke, wir alle wünschen ihr alles Gute.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, weltweit leben rund 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. Jährlich infizieren sich über 4 Millionen Menschen neu. Betroffen ist Afrika, vor allem südlich der Sahara, und UNICEF sagt, dass es in drei Jahren über 25 Millionen Aidswaise geben wird, weit mehr, als in Deutschland Kinder leben. Auch vor unserer Haustür, in den Staaten Osteuropas und Zentralasiens, steigen die Zahlen der Neuinfektionen. Leider haben sich auch in Deutschland im letzten Jahr wieder mehr Menschen angesteckt: rund 2 700.
Wir stehen alle in der Verantwortung, gegen Aids zu mobilisieren. Das ist die Botschaft unseres Aktionsplans. Die Staaten und Gesellschaften müssen und wollen den Trend gemeinsam stoppen und umkehren. Die internationale Gemeinschaft hat sich dies in ihren Millenniumszielen bis 2015 zur Aufgabe gemacht. Deutschland fühlt sich diesen Zielen verpflichtet und löst seinen Teil entschlossen ein, um die vereinbarten Millenniumsziele zu erreichen. Diese Verpflichtung müssen wir alle auch über die Jahre hinweg immer wieder erfüllen.
Eines ist klar: HIV/Aids ist ein internationales, ein politisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Problem. Wird es nicht auf allen Ebenen mit großer Entschlossenheit angegangen, bedroht diese Pandemie die Stabilität ganzer Regionen. Mit dem Aktionsplan zur Umsetzung der HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung stellen wir uns diesen Herausforderungen.
Unser Konzept ist in der ersten Stufe auf das Jahr 2010 ausgerichtet und nutzt die Möglichkeiten, über die geforderten Zielvorgaben hinauszugehen. Dabei setzen wir sowohl global als auch national auf die folgenden fünf Elemente, die zusammenwirken und zusammen angepackt werden müssen:
Der erste Punkt ist die umfassende Prävention und Aufklärung. Es liegt in der Verantwortung der jeweiligen Regierungen, den Menschen die Wahrheit zu sagen und offen darüber zu sprechen, wie sie sich schützen können und welche Prävention sie betreiben müssen.
Das ist insbesondere in Bezug auf das eine oder andere Land im südlichen Afrika geboten, wobei ich froh bin, dass die südafrikanische Regierung mittlerweile ihre Position geändert hat. Das ist auch unserem Einfluss und der internationalen Gemeinschaft zu verdanken.
Der zweite Punkt ist der universelle Zugang zu Diagnose und Therapie. Um infizierte Menschen zu unterstützen, fördern wir Entwicklungsländer beim Ausbau ihrer Gesundheitssysteme und bei der Bereitstellung von preisgünstigen Medikamenten. Zusammen mit den Vereinten Nationen fördern wir in den ärmsten afrikanischen Entwicklungsländern auch die Produktion und damit auch die Möglichkeit des kostengünstigen Einsatzes von Generika. Das ist wichtig, damit auch die armen Menschen Zugang zu diesen Medikamenten erhalten.
Der dritte Punkt ist der Respekt vor den Menschenrechten der von HIV/Aids Betroffenen. Wir müssen immer wieder und überall der Stigmatisierung und dem Abdrängen dieser Menschen an die Seitenränder der Gesellschaft entgegentreten.
Viertens: Kooperation auf internationaler Ebene - mit anderen Staaten, mit UNAIDS, aber auch mit den Nichtregierungsorganisationen. Ich möchte an dieser Stelle - ich glaube, auch in Ihrer aller Namen - den engagierten Nichtregierungsorganisationen danken, die Aufklärungsarbeit vor Ort leisten. Wir danken aber auch den Nichtregierungsorganisationen in unserem Land: der Deutschen AIDS-Stiftung und der Deutschen AIDS-Hilfe, die wunderbare Arbeit leisten und auch an dieser Stelle ein Dankeschön und Unterstützung verdienen.
Der fünfte Punkt ist die Verstärkung der Forschung und die Evaluierung und Sicherung der Qualität. Was die Forschung angeht, ist es sehr wichtig, dass zum Beispiel über Mikrobizide geforscht wird - auch wenn es Rückschläge gibt -, damit die Voraussetzungen geschaffen werden, dass sich Frauen selbst vor der HIV-Ansteckung schützen können, zumal in Entwicklungsländern, wo sie weniger Rechte haben und sich schlechter durchsetzen können. Mikrobizide sind wichtig. Deshalb sollten wir die internationalen Mittel auf ihre Erforschung konzentrieren. Wir jedenfalls unterstützen diese Forschung, weil wir sie für extrem wichtig halten.
Für die globalen Maßnahmen haben wir im Haushalt des Entwicklungsministeriums 2007 die Mittel auf 400 Millionen Euro erhöht. Prävention ist und bleibt das wichtigste Instrument. Das müssen wir immer wieder klarmachen. Auf der Bremer Konferenz ist deutlich geworden, dass die Prävention für jede neue Generation eine Aufgabe ist. Denn auch in unserem Land lassen die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein, wie wichtig es ist, sich zu schützen, nach.
Über die bisherigen Zielgruppen hinaus müssen wir aber verstärkt sozial benachteiligte Jugendliche in unserem Land und speziell Menschen aus Migrantenfamilien ansprechen. Wir werden Forschung für Medikamente, Impfstoffe und neue Präventionsansätze fördern.
In unserer Entwicklungszusammenarbeit arbeiten wir in all diesen Fragen mit rund 50 Entwicklungsländern zusammen. Bei allen Aktivitäten setzen wir uns besonders für den Schutz von Frauen und Mädchen ein. Denn weltweit ist die Infektionsrate von Frauen dramatisch gestiegen. Im südlichen Afrika machen sie 60 bis 70 Prozent aller Infizierten aus. Die Abhängigkeit von Männern macht es den Frauen unmöglich, sich vor HIV/Aids zu schützen. Frauen den Zugang zu Bildung und wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu bieten, ist Teil unserer HIV/Aids-Bekämpfungsstrategie. Frauen stark zu machen heißt, die Pandemie zu schwächen. Deshalb ist es wichtig, die Mittel verstärkt in diesem Bereich einzusetzen.
Ich habe vorhin die Konferenz in Bremen erwähnt, eine gemeinsame Konferenz des Gesundheitsministeriums, des Bildungsministeriums und meines Ministeriums. Wir haben dort unter dem Titel ?Verantwortung und Partnerschaft - gemeinsam gegen HIV/Aids“ große Fortschritte erreicht. Mit den Kolleginnen und Kollegen aus der EU und den osteuropäischen Nachbarstaaten haben wir gemeinsames Handeln vereinbart und politische Führerschaft als wesentliche Voraussetzung zur Überwindung der Epidemie benannt. Es ist die Entscheidung der Bundesregierung - ich bin dankbar, dass die Bundeskanzlerin das zu ihrem Thema gemacht hat -, dass die Aidsbekämpfung, zumal bei Frauen, sowohl auf dem EU-Gipfel als auch auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Mittelpunkt der Diskussionen sowie hoffentlich praktikabler Beschlüsse und finanzieller Konsequenzen stehen wird.
Die Bremer Abschlusserklärung markiert einen Meilenstein in der Aidsbekämpfung in Europa. Ein großer Erfolg dieser Konferenz ist die erklärte Bereitschaft der Pharmaunternehmen, in ärmeren Ländern zu besseren Bedingungen mit antiretroviralen Medikamenten zu helfen. Voraussetzung ist die Infrastruktur im Gesundheitswesen und sind sichere Vertriebswege.
Wir sind entschlossen, während unserer EU-Präsidentschaft einen Verhaltenskodex zu schaffen, der alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, niemanden aus dem Gesundheitssektor - keinen Arzt, keine Krankenschwester - in den Entwicklungsländern und insbesondere in den afrikanischen Staaten abzuwerben. Sie werden dort für den Kampf gegen HIV/Aids gebraucht.
Lassen Sie uns mit dem Aktionsplan im Rahmen unserer Präsidentschaften ein unübersehbares Zeichen für globale Humanität setzen! Wir wollen im Rahmen unserer Präsidentschaften insbesondere den globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria finanziell unterstützen. Dieser Fonds leistet hervorragende Arbeit. Er hat seit seinem Bestehen 2002 1,5 Millionen Menschenleben gerettet - und jeden Monat weitere 100 000 Menschen. Was gibt es Wichtigeres, als dazu beizutragen, dass Menschen nicht sterben müssen?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion.
Dr. Karl Addicks (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Aktionsplan, den die Bundesregierung vorgelegt hat, ist natürlich zu begrüßen. Aber die Opposition findet leider immer wieder ein Haar in der Suppe.
Ich musste auch nicht lange danach suchen. In der Aidsbekämpfung gilt: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Denn mit jedem Euro, den wir erst morgen einsetzen, erreichen wir nur die Hälfte von dem, was wir heute damit hätten erreichen können. Aids ist nun einmal eine sich explosionsartig ausbreitende Infektionskrankheit. Sie wartet nicht auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und G-8-Präsidentschaft, so schön es auch ist, dass zu diesem erfreulichen Ereignis neue Mittel bereitgestellt werden. Es wäre nach unserer Auffassung aber besser gewesen, wenn die Aufstockung der Mittel - so wie wir das in den Haushaltsberatungen gefordert hatten - früher gekommen wäre. Aids wartet leider nicht auf uns.
Grundsätzlich freuen wir uns über den vorliegenden Aktionsplan. Es gibt indessen weitere Punkte, in denen wir mit Ihnen nicht ganz konform gehen. Sie legen den Schwerpunkt auf die Prävention. Aber so richtig das ist: Wir dürfen die Behandlung nicht ganz links liegen lassen. Wenn weltweit rund 40 Millionen Menschen infiziert sind, davon 30 Millionen allein in Afrika, dann kommt auch in Afrika der Behandlung eine zunehmend größere Bedeutung zu.
Frau Ministerin, Sie sagen, ein Viertel der Infizierten in Afrika habe Zugang zu Behandlung, und sprechen in diesem Zusammenhang von 800 000 Menschen. Das sind nach meiner Rechnung 3 Prozent der Infizierten und nicht 25 Prozent der Infizierten. Ich will damit die Erfolge, die wir im Kampf gegen Aids haben, nicht kleinreden. Wir haben diese Erfolge, aber wir dürfen auch nicht in Euphorie verfallen. Wichtig ist: Eine ausreichende Behandlung senkt die Viruslast, und die Träger des Virus werden damit weniger infektiös. Ich weiß auch, dass man mit solchen Aussagen vorsichtig umgehen muss; denn wir wollen die Leute nicht dazu verleiten, etwa auf ihren persönlichen Schutz zu verzichten. Aber gerade in Ländern mit großer Promiskuität ist es besonders wichtig, mehr auf die Behandlung zu setzen. Behandlung und Prävention sind komplementäre Maßnahmen. Sie schließen einander nicht aus.
Ich möchte an dieser Stelle auf den Loyalitätskonflikt hinweisen, in dem sich viele kirchliche Mitarbeiter befinden, wenn sie sich nicht an die Anordnung aus Rom halten und gegen diese Anordnung Kondome verteilen. Diesen mutigen Mitarbeitern möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich danken und sagen: Machen Sie weiter so!
Ich wiederhole an dieser Stelle auch meinen Aufruf an Rom: Geben Sie endlich den Kondomen Ihren Segen! Kondome sind ein wichtiges Mittel in der Prävention. Wir leben im Jahre 2007. Es kann nicht sein, dass wegen dieser Anordnung Kondome nicht so benutzt werden, wie sie benutzt werden könnten. Das gilt übrigens für alle religiösen Autoritäten in dieser Welt. Wir müssen das mit deutlicher Stimme in diese Richtung sagen.
Ich komme nun zu unserem Südafrikaantrag. Frau Ministerin, Sie schreiben in Ihrem Aktionsplan - ich zitiere -:
Das Engagement der politischen Führung eines Kooperationslandes ist dabei ein Schlüsselkriterium für den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie.
Sie haben das hier gerade noch einmal gesagt. Da können wir Ihnen wirklich nur recht geben. Wir haben mit dem hier vorliegenden Antrag sehr frühzeitig und sehr deutlich die südafrikanische Regierung kritisiert, weil in Südafrika eben nicht mit den gebotenen Maßnahmen Aids bekämpft wird. Stattdessen setzte man dort auf Mineralstoffe und Vitamine. Wir hören aus Südafrika, dass immer noch nur 25 Prozent der 15- bis 24-Jährigen wissen, wie man sich gegen Aids schützt. Das ist für mich ein Versagen der Aufklärungs- und Präventionskampagne. Diese niedrige Aufklärungsrate kann überhaupt nicht verwundern, wenn selbst Minister glauben, dass man sich mit Duschen nach dem Sex gegen Aids schützen kann. Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Da sind Sie als Bundesregierung gefordert, in sehr deutlichen Worten, wie wir das in unserem Antrag gefordert haben, dieses Verhalten zu kritisieren. Eine Gelegenheit dazu ergibt sich jetzt unmittelbar. Wir hören, dass der gambische Präsident glaubt, durch Handauflegen Aids heilen zu können. Sie sollten in diese Richtung deutlich kritische Worte sagen.
Es wird offenbar in Zukunft in Südafrika vernünftige Politik betrieben werden. Damit wäre unser heutiger Antrag gegenstandslos. Mich würde es freuen, wenn dem wirklich so wäre; denn mir geht es nicht um unseren Antrag, sondern um die Menschen in Südafrika. Die haben das Recht, von einer kompetenten Regierung die Wahrheit über Aids zu erfahren.
Wenn die Bundesregierung dann noch den interfraktionellen Antrag, den wir heute verabschieden wollen, in ihren Aktionsplan integriert, dann sind wir im Kampf gegen Aids ein ganz gutes Stück weitergekommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jens Spahn das Wort.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Addicks, wenn wir bei diesem Thema nicht so viele Gemeinsamkeiten hätten, wäre man fast versucht, zu sagen: Es ist Ihr Problem, dass Sie fortwährend bei allen möglichen Dingen, die wir als Koalition tun, das Haar in der Suppe suchen. - Aber das wollen wir angesichts der großen Einigkeit, die wir bei diesem Thema zumindest im Grundsatz haben, lassen.
Ich jedenfalls bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Präsidentschaft dieses Thema an prominenter Stelle - mit einer Konferenz in Bremen und im Rahmen der Tagesordnung in Heiligendamm - behandelt und deutliche Zeichen setzt, dass nicht nur wir hier im Deutschen Bundestag uns mit diesem Thema beschäftigen, sondern auch die Staats- und Regierungschef sowohl der G 8 als auch der Europäischen Union.
Ich möchte jetzt vor allem auf die Situation hier in Deutschland und in Europa eingehen, während die Kollegin Pfeiffer gleich insbesondere Entwicklungshilfefragen in den Blickpunkt rücken wird. Die Frage der Prävention ist einer der wichtigen Punkte in dem Aktionsplan. Wir können konstatieren, dass Deutschland eines der erfolgreichsten Länder auf der Welt gewesen ist, was Prävention angeht. Der Grund dafür ist, dass wir sehr früh - die entsprechende Debatte in den 80er-Jahren war durchaus umstritten; ich selbst habe sie nur als Kind mitbekommen - öffentlich einen breiten Präventionsansatz verfolgt haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nimmt die Gesamtbevölkerung in den Blick, während sich die Deutsche AIDS-Hilfe und die Deutsche AIDS-Stiftung insbesondere um die Risikogruppen kümmern.
Trotz der erfolgreichen Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten müssen wir konstatieren, dass wir es auch in Deutschland mit neuen Phänomenen zu tun haben. Die Infektionszahlen sind zwar auf niedrigem Niveau; dennoch steigen sie dramatisch: Sie steigen von Jahr zu Jahr zum Teil um 20 bis 30 Prozent. Im Jahr 2006 gab es nach offiziellen Angaben etwa 2 500 Neuinfektionen.
Meine Generation - ich habe gerade schon auf mein Alter hingewiesen - konnte die Debatten der 80er-Jahre gar nicht bewusst wahrnehmen. Miterleben konnte sie dadurch auch nicht das große Sterben, das stattgefunden hat, weil es keine medizinische Behandlung gab. Die Präventionsarbeit wird daher versuchen müssen, fortwährend neu - wie es für Präventionsarbeit schlechthin typisch ist - anzusetzen, um neue Gruppen zu erreichen und der jungen Generation Risikoverhalten klarzumachen.
Für uns in Deutschland ist es eine neue Situation, dass die Zahl der infizierten Migrantinnen und Migranten steigt. Insbesondere die Frauen, die zu uns nach Deutschland gekommen sind, erfahren oftmals erst hier von ihrer Infektion. Diese Frauen kommen oftmals aus einem Kulturkreis, in dem das Thema ?Sexualität“ und insbesondere das Thema ?Infektionskrankheit“ tabuisiert werden. Unsere Präventionsarbeit muss auch diese Gruppen erreichen. Der Aktionsplan enthält einen Ansatz, der darauf abzielt, dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf unseren Auftrag hin zunehmend in Gebieten zum Einsatz kommen, in denen sie mit dem Thema ?HIV/Aids“ konfrontiert sind. Wir wollen entsprechende Präventionsansätze unterstützen.
Eine Selbstverpflichtung von Anbietern ?anonymer sexueller Kontakte“ - so heißt das offiziell -, ein in diesem Parlament durchaus strittiges Thema, sieht vor, Kondome, Informationen und Gleitgel auszulegen. Ein Problem ist, dass solche Vorgaben oftmals nicht umgesetzt werden. Im Zusammenhang mit dem Nichtraucherschutz debattieren wir darüber, ob es sinnvoll ist, dem Nichteinhalten von Selbstverpflichtungen gegebenenfalls gesetzliche Regelungen folgen zu lassen. Analog dazu wollen wir, die Große Koalition, schauen, inwieweit die angesprochene Selbstverpflichtung umgesetzt wird, insbesondere in den großen deutschen Städten, wo die Infektionszahlen stark steigen. Falls sie nicht umgesetzt wird, müssen wir über gesetzliche Regelungen nachdenken.
Das Gleiche gilt für die Ausrichter von Partys und die Betreiber von kostenpflichtigen Internetportalen, die gezielt sexuelle Kontakte zwischen HIV-Positiven und -Negativen ermöglichen. Auch da muss man schauen, was durch eigenes Engagement in den entsprechenden Bereichen möglich ist. Wenn dort aber nichts passiert, dann bin zumindest ich nicht bereit, dauerhaft zu akzeptieren, dass damit auch noch Geld verdient wird.
Dabei geht es nicht darum - ich sage das, bevor der Kollege Beck und der Kollege Parr in ihren Reden entsprechende Andeutungen machen -, Einzelne zu kriminalisieren; vielmehr geht es darum, die kommerziellen Anbieter zu erreichen.
Ein noch wichtigerer Punkt ist die Forschung; denn es geht darum, dieses Problem an der Wurzel zu packen. Auch auf diesem Gebiet haben wir in den letzten 20 Jahren eine ganze Menge erreicht. Ich wäre manchmal froh, wenn diejenigen, die die Pharmaindustrie sonst gerne einmal schelten, anerkennen würden, was man mit vernünftiger Forschung in marktwirtschaftlichen Bereichen alles erreichen kann. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Behandlung von HIV/Aids; im Rahmen der Forschung sind auch ganz viele ?Nebenprodukte“, was Vakzine, Diagnostik und vieles andere angeht, entwickelt worden. Nichtsdestotrotz ist bei HIV/Aids bis heute nur Linderung, nicht Heilung möglich.
Wir haben in Deutschland das Kompetenzzentrum HIV/Aids - darauf weist die Bundesregierung in ihrem Aktionsplan hin; darauf weisen auch die Ministerien in ihren Stellungnahmen hin -, das allerdings nur als Projekt gefördert wird. Dabei wird eine Kohorte, etwa 14 000 Patienten, über Jahre begleitet, und man schaut, welche Entwicklungen es dort gibt. Frau Bundesministerin Schavan, ich wäre sehr dankbar, wenn es angesichts der offensichtlichen Anerkennung im Aktionsplan für die erfolgreiche Arbeit dieses Kompetenzzentrums gelingen könnte, diese wichtige Forschungs- und Grundlagenarbeit auch im europäischen Rahmen fortzusetzen.
Zudem möchte ich noch kurz den Blick nach Osteuropa und auf das richten, was jenseits unserer östlichen Grenze passiert. Wir haben dort, wenn auch zum Teil auf niedrigem Niveau, aber doch in der Tendenz, Zahlen, wie wir sie aus den frühen Jahren im südlichen Afrika kennen. Wie sich das weiterentwickeln wird - das gilt im Übrigen auch für andere übertragbare Krankheiten, etwa Tuberkulose -, insbesondere in Russland, wenn wir unsere Freunde und Partner dort nicht unterstützen, etwa mit unseren Erfahrungen aus den 80er-Jahren, was Präventionsarbeit angeht, können wir mit Blick auf das südliche Afrika erahnen. Das ist für uns in der Europäischen Union nicht nur ein Stück weit Entwicklungshilfepolitik - die ist auch wichtig -, sondern ein Stück weit auch Innenpolitik, weil es direkt unsere Grenzen und die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union betrifft.
Mindestens genauso wichtig ist es - die Bundesministerin hat darauf hingewiesen -, mit unseren Freunden in der Europäischen Union das Thema tabufrei und offen anzusprechen. Ich kann mich an Diskussionen mit katholischen Bischöfen in Polen erinnern, in denen wir als Mitglieder des Bundestages, als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland deutlich machen konnten: Man kann dies tabufrei und offen diskutieren, man muss es sogar offen diskutieren; ansonsten kann man sowohl bei der Prävention wie auch bei den weiteren Maßnahmen die Probleme nicht bei der Wurzel packen.
Insofern bin ich froh darüber, dass wir heute hier diskutieren. Das setzt ein deutliches Zeichen. Ich finde es richtig, dass die Große Koalition mit dem Aktionsplan, aber auch mit unserem Antrag diese Schritte geht, und würde mich über Unterstützung durch die Opposition freuen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Trotz aller Erfolge, die wir vorweisen können: HIV/Aids ist nachgerade die größte humanitäre Herausforderung unserer Zeit. Sie ist es geblieben, obwohl wir in Westeuropa und in Nordamerika deutliche Erfolge erzielen konnten. Gerade in Afrika und in den asiatischen Staaten wächst die Zahl der Neuinfektionen. Wir müssen auf Afrika schauen. Es gibt insgesamt 40 Millionen Menschen, die mit HIV/Aids leben, und schon 25 Millionen Aidswaisen. Von daher wissen wir, dass die Auswirkungen in den Familien und in den Gesellschaften oft dramatischer sind als die von Kriegen; denn es werden ganze Generationen ausgelöscht. Die Gesellschaften verlieren Zukunftsperspektiven und wirtschaftliche Grundlagen zu ihrer Entwicklung.
Deshalb ist es in einem ganz umfassenden Sinne wichtig, dass wir als Politiker und Politikerinnen hier im Hause, ob in der Entwicklungs-, Gesundheits-, Außen- oder Wirtschaftspolitik, den Faktor HIV-Prävention und -Behandlung in den Fokus all unserer Politiken nehmen und uns klarmachen, wie zentral es ist, diesen Ländern zu helfen, aus dieser ganz großen Notlage herauszukommen.
Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan vorgelegt. Dazu kann ich nur sagen: Anerkennung, wem Anerkennung gebührt. Er hat eine sehr schöne Sprache. Er bringt deutlich zum Ausdruck, dass es gelungen ist, in Deutschland einen kulturintegrierten, antidiskriminierenden Zugang zur Arbeit mit HIV/Aids zu finden. Er nennt alle riskanten Verhaltensweisen und Lebensumstände, die dazu führen, dass sich HIV/Aids verbreitet. Er benennt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau als einen der wichtigsten Faktoren, nicht nur in Deutschland, sondern ganz besonders in Afrika, um die Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern. Er spricht über Safer-Sex-Methoden, darüber, dass sie angewandt werden müssen und dass auch die jungen schwulen Männer in Deutschland wieder Zugang zu der Notwendigkeit von Safer-Sex-Praktiken finden, weil durch die Tatsache, dass wir durch innovative Medikamente gute Behandlungserfolge haben, offenkundig das Bewusstsein dafür verloren gegangen ist, dass es sich noch immer um eine tödlich verlaufende Krankheit handelt. Bei Beschreibungen der Risiken dürfen wir nicht in Hysterie verfallen, aber wir müssen unserer eigenen Gesellschaft und insbesondere der Jugend gegenüber deutlich machen: HIV/Aids ist in der Realität keineswegs überwunden. Es ist eine immer noch bestehende Gefahr, die wir deutlich benennen müssen.
Dies gilt gerade im Zusammenhang mit der Zwangsprostitution. Hiervor sind wir in Deutschland nicht geschützt. Von ihr sind häufig osteuropäische Frauen betroffen, die darüber hinaus noch von Drogen abhängig gemacht wurden. Auch Sextourismus spielt eine ganz große Rolle. Es wird also weiterhin nötig sein, die gängigen und allzu wohlfeilen Tabus in Deutschland zu brechen und Beschwichtigungsversuchen wie, wir hätten mit der Entwicklung nichts zu tun oder seien aufgrund der medizinischen Erfolge auf der sicheren Seite, entgegenzuwirken.
Europa ist größer geworden. In Osteuropa gibt es viel weniger Möglichkeiten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Vor allen Dingen ist dort eine ganz andere Einstellung vorhanden: Denken wir nur an die HIV-infizierten Menschen, die dort in Haftanstalten sitzen. Auch aus der Rolle, die die Ukraine im Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit und Prostitution in den skandinavischen Ländern spielt, wird deutlich: Die Tore sind nicht zu. Die Situation ist nämlich wesentlich anders als vor 20 Jahren, als wir uns nur hier in Deutschland mit ihr zu beschäftigen hatten. Nun sind die Grenzen in zusammenwachsenden Europa durchlässiger geworden. Das gilt insbesondere für diese hochgefährliche Infektionskrankheit. Wir können uns also nicht ausruhen.
Ich möchte an dieser Stelle Frau Dr. Rita Süssmuth erwähnen, die zusammen mit den Selbsthilfeorganisationen, den Schwulenverbänden und mutigen Politikerinnen und Politikern in den Kommunen erreicht hat, in Deutschland ein Klima zu schaffen, das der Aufklärung den Vorrang gibt und geholfen hat, die Stigmatisierung zu überwinden. Tun wir nicht so, als seien wir schon immer so aufgeklärt gewesen. Es war in Deutschland auch schon einmal ganz anders. Die Lage würde ganz anders aussehen, wenn sich damals die bayerische Seite durchgesetzt hätte, die die Separierung und Isolierung von Infizierten verlangt hatte. Tun wir also nicht so, als seien wir schon immer Vorreiter des Humanitären in dieser Frage gewesen.
Ich möchte nun noch einmal den Fokus darauf richten - das halte ich für ganz wichtig -, was in diesem ansonsten sehr guten Bericht der Regierung fehlt. Auch in Deutschland nimmt die Zahl sogenannter illegalisierter Migrantinnen und Migranten zu. Etwa 17 Prozent von diesen kommen aus Hochprävalenzstaaten, also aus Staaten, in denen man mit einer hohen Zahl an HIV-Infektionen rechnen muss. Sie haben aufgrund ihres Status keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und sind nicht für Primär- und Sekundärprävention ansprechbar. Ihnen muss meines Erachtens die Bundesregierung deutlich sagen: Ihr alle bekommt einen freien, anonymen Zugang zur medizinischen Versorgung in Deutschland.
Dieses Angebot müssen wir machen, denn diese Menschen brauchen unsere Hilfe. Es nutzt letztlich auch der Gesamtgesellschaft, wenn wir diese nichtintegrierten Menschen in unser Gesundheitsversorgungsprogramm aufnehmen.
Ein Weiteres ist mir noch ganz wichtig. Ich weiß, dass man die Rolle der Pharmaindustrie bei Forschungsinnovationen nicht unterschätzen sollte. Sie hat da Großartiges geleistet. Aber ihre großartigen Forschungserfolge belegt sie zugleich mit Patenten gemäß einem Patentrecht, das nicht nur in Deutschland und Westeuropa die Behandlungskosten in die Höhe treibt. Wenn in Osteuropa 1 Prozent der HIV-Infizierten behandelt würde, wären schon 10 Prozent des Gesamtbudgets des Gesundheitswesens der betroffenen Länder aufgefressen. Das zeigt, wie schnell die Patentfrage bei diesen antiretroviralen Medikamenten zu einer sozialen Frage und zu einer Gerechtigkeitsfrage wird. Das wird sich noch viel dramatischer in asiatischen Staaten, wie zum Beispiel Indien oder Thailand, auswirken. Dort muss man heute mit ganz abstrusen Situationen leben: Das TRIPS-Abkommen verlangt nämlich, auch in diesen Staaten dem Patentrecht Geltung zu verschaffen. Selbst Entwicklungsländer müssen binnen der nächsten Dekade das TRIPS-Abkommen umsetzen. Das heißt, die Patente der Pharmaindustrie würden dann weltweit gelten. Das beschränkt den Zugang zu hochinnovativen Medikamenten und damit die Behandlungsmöglichkeiten. Das kann es nicht sein.
Deshalb liegt die Bundeskanzlerin - ich muss das zum Schluss sagen - völlig daneben, wenn sie als G-8-Ratspräsidentin den Schutz des geistigen Eigentums als vorrangiges Ziel beschreibt, weil sie nicht realisiert, dass das in eklatantem Widerspruch zu den Zielen steht, die in der Bremer Erklärung vereinbart worden sind. Wenn man weltweit den Kampf gegen HIV/Aids auch mit Medikamenten führen will, dann muss man das Patentrecht überwinden und sich den Ideen des Nobelpreisträgers Stigler anschließen: nicht Patente auf Innovationen, sondern Preisgelder. Denn dieses Wissen, dieses Know-how muss der ganzen Menschheit zur Verfügung stehen, damit niemand von einer bestmöglichen Behandlung ausgeschlossen wird.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin Birgitt Bender das Wort.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Motto der Weltaidstage in den Jahren 2005 und 2006 hieß: ?Gemeinsam gegen Aids: Wir übernehmen Verantwortung für uns selbst und für andere“. Anknüpfend an dieses Motto möchte ich heute hier festhalten, dass es bei dem Thema Prävention von HIV/Aids viele Gemeinsamkeiten im Parlament gibt. Der Vortrag von Frau Süssmuth auf der Bremer Konferenz hat - das wurde schon angesprochen - deutlich gemacht, wie wir am Anfang, vor mehr als zwei Jahrzehnten, in der Bundesrepublik über das Thema diskutiert haben. Vor diesem Hintergrund muss man ausdrücklich würdigen, dass wir gemeinsam zu den Grundüberzeugungen gekommen sind, dass es um Information, Aufklärung, Freiwilligkeit, Vertrauen in verantwortliches Handeln der Betroffenen, das Zusammenspiel von bundesweiten Kampagnen und zielgruppenspezifischen Angeboten sowie die aktive Beteiligung von Gruppen mit besonderen Risiken wie etwa Schwule, Bisexuelle oder Migranten und Migrantinnen geht. Es geht darum, zielgruppenorientiert über Schutzverhalten bei Sexualpraktiken, die nicht als allgemein üblich angesehen werden, aufzuklären.
Trotzdem hat - auch das wurde hier schon deutlich - das Thema Aids weder international noch national an Bedeutung verloren. Steigende Neuinfektionsraten auch in Deutschland machen den Handlungsbedarf deutlich. Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich, dass die Mittel für die Aidsprävention ab diesem Jahr deutlich erhöht werden. Ich füge hinzu: Daran sollten sich auch Länder und Kommunen ein Beispiel nehmen und die Prävention stärken, statt in diesem Bereich zu kürzen.
Aber - das kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Kollege Spahn - neben den Gemeinsamkeiten gibt es auch Trennendes. Dazu gehört Ihr Griff in die Mottenkiste der Repression mit Ihrem Vorschlag, man möge den Straftatbestand der fahrlässigen Gefährdung durch die Verbreitung einer sexuell übertragbaren Krankheit schaffen.
Natürlich gibt es in diesem Bereich einiges zu tun. Wir wissen, dass Menschen, die andere in Kenntnis ihrer Infektion infizieren, sich strafbar machen. Das ist also nicht das Problem. Wenn Sie es ernst damit meinen, dass es Ihnen letztlich um das Ziel geht, Infektionen zu vermeiden, dann schauen Sie einmal auf die Länder, die da bereits tätig geworden sind, nämlich die Schweiz und Österreich. In Deutschland wurden im Jahr 2005, in Zahlen ausgedrückt, 32 Neuinfektionen auf 1 Million Einwohner und Einwohnerinnen gemeldet. Wir sind uns darüber einig, dass jede dieser Infektionen eine zu viel ist. Aber in der Schweiz sind es nicht 32, sondern 95, und in Österreich sind es 55. Jetzt sagen Sie mir einmal, warum wir uns an diesen Ländern ein Beispiel nehmen sollten! Dafür gibt es keinen Grund.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn?
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Frau Kollegin Bender, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass ich gerade, wie auch bei der letzten Debatte, wieder sehr deutlich gesagt habe, dass es nicht darum geht, im Strafgesetzbuch den Einzelnen zu kriminalisieren, sondern um Repressionen gegen kommerzielle Anbieter, die damit Geld verdienen, dass sie Angebote machen, durch die Positive und Negative bewusst miteinander in sexuellen Kontakt gebracht werden? Sind Sie auch bereit, anzuerkennen, dass selbst die Aidshilfe in Österreich sagt: ?Das ist ein Mittel, das uns darin unterstützt, gegen solche Anbieter entsprechend vorgehen zu können“?
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich fordere Sie auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass Österreich in der Vermeidung von Neuinfektionen bisher leider weniger erfolgreich ist.
Das heißt, diese Vorgehensweise hat nicht wirklich geholfen. Es geht doch letztlich darum - denn es gehören mehrere dazu -, welche Menschen sich diesen Praktiken ohne Schutz aussetzen. Bisher haben wir auf die Selbstverantwortung der Betroffenen gesetzt. Das sollten wir auch weiter tun; sonst werden wir uns unglaubwürdig machen.
Der Aktionsplan enthält positive Elemente. Zum Beispiel ist es richtig, dass jetzt auch Migranten und Migrantinnen als Betroffenengruppe in den Aktionsplan aufgenommen werden. Aber er hat natürlich auch Leerstellen. Zum Beispiel drückt man sich darum herum, für drogenkonsumierende Menschen eine heroingestützte Behandlung vorzusehen. Eine solche ist in der Fachszene absolut unumstritten. Ich weiß, es ist schwierig, dies in der Union umzusetzen. Aber dazu kann ich nur sagen: Sie werden sich da bewegen müssen. Alles andere ist nicht verantwortlich.
Insofern hoffe ich, dass wir es doch noch schaffen, bei der Aidsprävention insgesamt wieder zu Gemeinsamkeit zu kommen und an ausstehenden Verbesserungen zu arbeiten.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die SPD-Fraktion.
Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier erst am 1. Dezember eine Debatte zu HIV/Aids geführt, haben viele Aspekte angesprochen und uns viel vorgenommen. Ich bin sehr froh, dass es nicht nur bei Worten geblieben ist, sondern dass die Bundesregierung inzwischen auch gehandelt hat. Wir haben gesehen, dass es sowohl in Deutschland als auch in der Welt mehr Geld für die Bekämpfung von HIV/Aids und neue Programme gibt.
Am 12. und 13. dieses Monats bin ich in Bremen gewesen und habe erleben dürfen, wie die europäischen Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister in einer von mir bisher nie gesehenen Zahl versammelt waren und dieses Thema durch ihre persönliche Präsenz und ihr persönliches Engagement zu ihrer gemeinsamen Sache in Europa gemacht haben. Das war beeindruckend.
Auch der Generalsekretär von UNAIDS, Peter Piot, hat dies anerkannt. Er hat ein wenig ironisch gesagt: Es ist schön, dass, nachdem die afrikanischen Staaten, die Afrikanische Union, die asiatischen Staaten und Amerika jeweils ein gemeinsames Konzept haben, auch die Staaten in Europa nicht nebeneinander arbeiten, sondern eine gemeinsame, koordinierte Vorgehensweise entwickeln und hierdurch Synergieeffekte beleben und nutzen wollen. - Das alles ist sehr positiv, und damit ist unter deutscher Ratspräsidentschaft begonnen worden. Dafür danke ich der Bundesregierung.
Besonders eindrucksvoll war, dass sehr viele Repräsentanten der Gesundheitssysteme aus Osteuropa anwesend waren, sie einbezogen wurden und hier einmal wieder ein Problem ganz offen angesprochen wurde. Das hat auch Rita Süssmuth in Bremen sehr schön dargestellt, als sie über die 80er-Jahre sprach. Damals wurde zugegeben: Ja, HIV/Aids ist ein Problem in unserem Land. Das war damals in Deutschland der erste und wichtigste Schritt. Genauso ist es in der Ukraine, in Russland, im Kaukasus und in Zentralasien. Überall dort, wo die Regierungen dieses Problem zu ihrer Sache machen, sind wir ein großes Stück weiter. Dort kann eine vernünftige Strategie umgesetzt werden, die nicht zu einem Nebeneinander, sondern dazu führt, dass man gemeinsam hinschaut, wo Aids bzw. HIV seinen Nährboden findet.
Ich habe gestern eine weitere Veranstaltung besucht. Diese Veranstaltung fand einige 100 Meter entfernt von hier in dem Gebäude statt, in dem Robert Koch vor genau 125 Jahren die Entdeckung des Tuberkuloseerregers bekannt gegeben hat. Die Tuberkulose ist eine der wichtigsten Todesursachen. Am HIV-Virus stirbt man nicht direkt. Er baut sich in das Erbgut ein; damit kann man leben. Viele Menschen leben damit und sind jahrzehntelang nie krank gewesen. Sie sterben an Infektionskrankheiten. Sie sterben an Hunger. Sie sterben immer dann, wenn sie dadurch geschwächt werden, dass weitere Faktoren hinzukommen.
Wenn wir die Aidstoten zählen, dann zählen wir gleichzeitig die Verhungerten, dann zählen wir gleichzeitig die an Tuberkulose Gestorbenen, und dann zählen wir gleichzeitig all die, die an vielen Infektionskrankheiten gestorben sind, gegen die wir nichts tun.
Es war beschämend, gestern zu hören, dass es seit 40 Jahren gegen die Armutskrankheit Tuberkulose keine neuen Medikamente gibt. Wo ist da die Pharmaindustrie? Wo ist da die Forschung? Wo ist das Engagement für diese Erkrankung, die jeden Tag circa 4 500 Tote fordert?
Wir haben immer noch diese lächerlich wenigen Medikamente, die zum Glück schon ein wenig helfen, gegen die es aber immer mehr Resistenzen gibt. Da gilt es, etwas zu tun. Von der Industrie wurde gesagt, es seien 27 neue Medikamente in der Pipeline. Das ist das, was man sagt, wenn man möchte, dass die Aktienkurse steigen. Das werden alles Medikamente sein, die patentgeschützt sind und die sich keiner leisten kann in den armen Ländern, dort, wo die Tuberkulose zuhause ist.
Wir haben eine große Verantwortung aufgrund der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Deshalb ist es wichtig, dass wir in Genf, wo jetzt der Konflikt zwischen öffentlichem Gesundheitssystem einerseits und geistigem Eigentum und den Rechten der Erfinder andererseits verhandelt wird, einen Weg finden. Es kann nicht sein, dass, weil die Aktienkurse steigen sollen, mit Patenten spekuliert und Wissen zurückgehalten wird, um ein Monopol aufrechtzuerhalten, Tausende von Menschen sterben. Das geht nicht.
Wir werden einen Weg finden müssen. Ich fordere, dass immer dann, wenn es um neue Impfstoffe oder Medikamente gegen gefährliche Seuchen wie Aids, Tuberkulose, Virusgrippe oder Malaria geht, ein offenes, kooperatives weltweites Netz alle Informationen, die die Forschung aufbereitet hat - ähnlich wie beim Human Genome Project -, zur Verfügung haben muss, damit ganz schnell möglichst viele mitdenken und helfen können und die Medikamente sofort ohne finanzielle Barrieren den Menschen zur Verfügung gestellt werden können.
Das geht nur, wenn die Forschung öffentlich gefördert wird. Da müssen wir uns sehr anstrengen. Das muss sofort ins Netz, das muss sofort genutzt werden können. Diese Forschung muss öffentlich gefördert und bezahlt werden, damit auch bei den Erkrankungen etwas geschieht, mit denen man kein Geld verdienen kann.
Ich wünsche mir von der Bundesregierung, dass sie uns in Genf und anderswo in diesem Sinne vertritt.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr für die FDP-Fraktion.
Detlef Parr (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zeigt, dass HIV/Aids in Deutschland vor dem Hintergrund der Neuinfektionen ein Thema bleiben muss. Überreaktionen sind aber fehl am Platze. Eine solche wäre die Verschärfung des Strafrechts zum Beispiel gegenüber kommerziellen Einrichtungen für sexuelle Begegnungen; die Barebacking-Partys wurden als Beispiel genannt.
Die Bundesregierung setzt zu Recht auf eine Beteiligung an der Präventionsarbeit anstelle von Sanktionen. Eine Intensivierung der Aufklärungsarbeit tut not. HIV/Aids bleibt eine lebensbedrohende Krankheit. Deshalb begrüßen wir die Absichtserklärung im Aktionsplan, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Robert-Koch-Institut personell und finanziell zu stärken. Wann und in welcher Höhe das geschieht, wäre spannend zu wissen. Viel Zeit dürfen wir dabei nicht verstreichen lassen.
Von der Aufstockung der Mittel auf 400 Millionen Euro im Jahr 2007, die lobenswert ist, müssen auch nationale Initiativen profitieren; denn viele kommunale und lokale Projekte zeigen hervorragende Ergebnisse. Was die biomedizinische und sozialwissenschaftliche Forschung angeht, begrüßen wir die Ankündigung des Kollegen Spahn, das Kompetenznetz aus der Projektförderung herauszunehmen und künftig institutionell zu fördern. Ich hoffe sehr, dass sich das positiv im Haushaltsplan niederschlägt. Allerdings spricht die geplante Absenkung der Fördermittel von 3 Millionen Euro auf 1 Million Euro ab Ende 2007 leider eher dagegen.
Einem Bereich widmen wir meines Erachtens zu wenig Aufmerksamkeit: den Gefährdungen in Haftanstalten. Da gibt es erhebliche Defizite, zum Beispiel bei der Substitutionsbehandlung. Oft führt eine Inhaftierung zum Abbruch, und die Häftlinge erhalten keine kontinuierliche Behandlung mehr. So weist diese Gruppe 48 Stunden nach der Entlassung zurück in die Szene die höchste Todesrate auf. Das ist eine alarmierende Zahl. Das ist fahrlässig, meine Damen und Herren. Da dürfen wir nicht länger tatenlos zusehen.
Schade ist auch, dass die kontrollierte Heroinvergabe an Schwerstabhängige nach den Ergebnissen der Modellversuche von der Bundesregierung nicht erwähnt wird. Wir wollen diesen kleinen Personenkreis nicht im Stich lassen
und haben deshalb einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Übernahme in die Regelversorgung eingebracht. Ich möchte an dieser Stelle die Kolleginnen und Kollegen von der SPD bitten, im Interesse dieser Menschen den fast gleichlautenden Antrag fallen zu lassen und dem Gruppenantrag beizutreten. Letzteres gilt natürlich auch für die Union.
Uns in Deutschland muss auch die wachsende HIV-Problematik in Grenzregionen durch Prostitution, Drogen- und Menschenhandel berühren. Das EU-Projekt ?Bordernet“ ist ein gutes Beispiel für grenzüberschreitende Präventionsdiagnostik und Therapiemaßnahmen. Die Bundesregierung tut gut daran, diese Erfahrungen aufzunehmen und weiterzuverbreiten.
Meine Damen und Herren, wir sind uns bei der Bekämpfung von HIV/Aids sowie anderer Infektionskrankheiten wie Hepatitis C, Tuberkulose und Malaria in vielem einig. Eine rechtliche Besserstellung HIV-/Aidskranker im Sozialgesetzbuch gegenüber anderen Schwerkranken sowie Sonderregelungen beim Aufenthaltsrecht, wie die Grünen sie fordern, lehnen wir Liberalen allerdings ab.
Jetzt geht es in die weitere Beratung des Aktionsplans. Gut, dass wir intensiv am Thema arbeiten. Wir müssen mehr tun, als am Weltaidstag Symbolpolitik zu betreiben.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die Unionsfraktion.
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aids hält die Welt im Würgegriff. Die Entwicklungsländer leiden ganz besonders darunter. Aids ist wie ein weltweites Puzzle. Ursache, Wirkung und Bekämpfung sind sehr facettenreich und müssen gesamt betrachtet werden. Man könnte meinen, nach fast einer Stunde Debatte sei schon alles gesagt. Ich erlaube mir als Entwicklungspolitikerin trotzdem, fünf Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit hervorzuheben, weil ich glaube, dass es wichtig ist, sie besonders zu betonen.
Der Aktionsplan nimmt auf all diese Aspekte Rücksicht. Ich glaube, es ist wichtig, dass der Aktionsplan so, wie er gestaltet ist, von allen beteiligten Ministerien zusammen gestaltet worden ist, Frau Wieczorek-Zeul: vom Entwicklungsministerium, vom Gesundheitsministerium und vom Forschungsministerium. Ich glaube, damit haben wir ein Zeichen gesetzt. Das ist gut so.
Lassen Sie mich als Erstes die Prävention nennen. Sie spielt eine ganz zentrale Rolle bei der Bekämpfung von Aids, und das gerade in den Entwicklungsländern; denn, liebe Freunde, Vorbeugen ist immer besser als Heilen.
Prävention bedeutet vor allem auch Aufklärung. Aber genau hier stoßen wir ganz schnell an Grenzen. Es fehlt gerade in den Entwicklungsländern an Infrastruktur, und es fehlt an Kommunikationsmitteln. Prävention bedeutet Verhalten ändern. Prävention bedeutet Traditionen aufbrechen. Prävention bedeutet auch Zugang zu Kondomen. Diese - das wissen wir - stehen nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Sechs Kondome pro Mann und Jahr in Afrika sind schlechthin zu wenig. Das Schlimmste an dem Ganzen für mich persönlich ist, dass die Nutzung des Kondomes allein der Mann bestimmt. Ich finde es wichtig, dass wir Verhütungsmethoden haben, die von Frauen selbstbestimmt genutzt werden können, wie zum Beispiel Femidome oder Mikrobizide.
Hinzu kommt, dass wir in diesem Bereich wirklich über Intimitäten sprechen, die weitestgehend tabuisiert sind. Deshalb brauchen wir in diesem Zusammenhang eine ausgeprägte Sensibilität bei der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Folgerichtig ist es normal, dass wir mit den Partnerländern direkt zusammenarbeiten und dass wir die Programme, die sie zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen erstellen, unterstützen. Nur so können wir einen den Kulturen angemessenen Kampf aufnehmen.
Wir können mit ihnen zieladäquat zusammenarbeiten, nämlich zielgenau Mädchen und Frauen ansprechen.
Frau Ministerin, Sie haben es hier eben noch einmal betont: Danke dafür, dass Sie weiterhin an der Mikrobizidforschung festhalten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir trotz der Rückschritte genau dies tun.
Lassen Sie mich als Zweites die Bildung nennen. Bildung ist erwiesenermaßen ein wirksamer sozialer Impfstoff gegen HIV/Aids. Bildung und Schulen legen den Grundstock für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Kinder und Jugendliche lernen, mit HIV/Aids umzugehen. Sie lernen aber auch, dass sie in einer ganz schwierigen Situation sind. Denn sie erleben jetzt, dass die mittlere Generation ihrer Gesellschaft ausstirbt. Ich denke an die 15 Millionen Aidswaisen, die jetzt in den Entwicklungsländern aufwachsen. Da befindet sich viel sozialer und wirtschaftlicher Sprengstoff, der kaum in den Griff zu bekommen ist.
Lassen Sie mich als drittes Thema die Frauen nennen. HIV/Aids hat ein weibliches Gesicht. Armut hat ein weibliches Gesicht. Gesellschaftliche Benachteiligung hat ein weibliches Gesicht. Frauen sind die Stütze der Gesellschaft, auch in den Entwicklungsländern. Und Frauen sind die Verliererinnen. Ich denke an Genitalverstümmelung, ich denke an Fistula, ich denke an Brustbügeln, ich denke an Gesichtsverätzungen von Frauen und ich denke an Zwangsabtreibungen. Man kann diese Liste noch lange fortsetzen.
Frauen haben einen niedrigen sozialen Status. Ihre ökonomische Abhängigkeit ist vor allen Dingen eine sexuelle Abhängigkeit. Frauenrechte sind Menschenrechte. Die Stärkung der Frauenrechte ist eng mit der Frage der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte zusammenzusehen. Frauen sollen selber entscheiden, von wem, wann und wie oft sie schwanger werden wollen. Auch hierzu gibt es Passagen im Aktionsplan.
Lassen Sie mich noch auf das Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit eingehen. Die Verknüpfung dieses Themas mit Maßnahmen zur HIV/Aids-Bekämpfung ist richtig. Es freut mich, dass gerade dieser Punkt im Aktionsplan genannt wird. Denn es stellt sich die Frage: Verhindert ein Kondom eine Schwangerschaft, oder schützt es vor Infektionen? Ich finde, das alles gehört zusammen. Deshalb muss das Thema reproduktive und sexuelle Gesundheit und Rechte mit der Bekämpfung von HIV/Aids und den entsprechenden Programmen direkt verbunden sein.
Noch ein Punkt, der mich sehr bewegt, weil ich glaube, dass wir noch gar nicht wissen, was da alles auf uns zukommt. Es geht um das Abwandern von Fachkräften; Frau Ministerin hat es schon erwähnt. Die Folgen dieser Migration werden absolut unterschätzt. Die besteingerichteten Krankenhäuser und Gesundheitsstationen vor Ort in den Entwicklungsländern nützen überhaupt nichts, wenn Krankenschwestern, Hebammen, Ärzte und Ärztinnen fehlen. In Manchester arbeiten zurzeit mehr malawische Ärzte als in ganz Malawi. Das muss man sich einmal vorstellen. Daher muss ein Zeichen gesetzt werden, und wir müssen entsprechend handeln. Frau Ministerin hat es angekündigt. Auf der Ebene der G 8 und der EU wird gehandelt. Ich glaube, das ist richtig und gut.
Das Problem ist nicht allein in Deutschland zu lösen. Natürlich müssen wir Ansätze bieten, aber es ist vor allen Dingen auf europäischer Ebene in den Griff zu bekommen. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass allein in Afrika 4 Millionen Fachkräfte künftig fehlen. Wir profitieren davon, dass diese Fachkräfte bei uns sind. Das ist nicht stimmig. Deshalb, glaube ich, ist es wichtig, dass wir über genau diesen Verhaltenskodex reden und wissen, was wir in diesem Zusammenhang tun.
Deutschland engagiert sich weltweit in rund 50 Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von HIV/Aids, aber auch Tuberkulose und Malaria. Für diese Aufgabe sind 400 Millionen Euro angesetzt; es gibt entsprechende Erhöhungen. Wir machen HIV/Aids zu einem zentralen Thema - das finde ich wichtig - bei der EU-Ratspräsidentschaft und beim G-8-Vorsitz. Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie in Bremen unmissverständlich die hohe Priorität von HIV/Aids zum Ausdruck gebracht hat. Es ist richtig, dass die Bekämpfung von HIV/Aids auf allerhöchster Ebene angesiedelt ist.
Der Aktionsplan ist für meine Begriffe auch ein Ausdruck unserer Solidarität mit den betroffenen Ländern und mit den betroffenen Menschen. Ich glaube, es ist notwendig und richtig - zumindest bei uns ist das so -, dass wir gemeinsam daran arbeiten.
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf etwas hinweisen: Im Zuge der G-8-Präsidentschaft veranstalten wir in Berlin am 30. und 31. Mai zusammen mit dem EPF, der DSW und unserem Parlamentarischen Beirat der DSW ein Parlamentariertreffen. Sie alle sind herzlich dazu eingeladen. Wir werden Gäste aus insgesamt 120 Ländern haben, und wir werden, wie ich denke, genauso viele Besucher haben. Das ist eine große Aufgabe für uns alle, die es zu bewältigen gilt. Es ist unser aller Aufgabe, uns dieses Themas anzunehmen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine zentrale Schwierigkeit der Aidspolitik ist, dass Politiker in diesem Politikfeld über Sexualpraktiken und über Realitäten von Drogengebrauch in einer Form sprechen müssen, die sich nicht für Sonntagsreden eignet. Das merkt man an der innenpolitischen Debatte. In Deutschland hat man das in den 80er-Jahren sehr deutlich gemerkt. Ich finde, man merkt es auch an der aktuellen Debatte über strafrechtliche Forderungen und an dem Umgang von Politikern in Entwicklungsländern mit dem Thema Aids. Die Politiker in diesen Ländern agieren zum Teil völlig irrational und zum Schaden ihres Landes und ihrer Bevölkerung.
Lassen Sie mich kurz etwas Weiteres zur Innenpolitik sagen. Ich finde, wir sollten die Debatte über das Strafrecht liegen lassen und uns überlegen, wie wir Umgebungen für Sexualkontakte schaffen können, wo Menschen Präventionsmaterialien zur Verfügung gestellt bekommen und wo sie vor allen Dingen realistische Analysen ihrer Gefährdungssituation erhalten. Da, wo heute mehr Infektionen als früher stattfinden, ist das der Fall, weil die Menschen glauben, dass sie sicher sind, obwohl sie sich in einer Situation befinden, in der sie sich mit HIV infizieren können. Darauf müssen wir sie hinweisen.
Hier dürfen wir keine Tabus aufbauen.
Daher darf Ihre Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, dem Gesundheitsministerium und der BZgA nicht vorschreiben, dass bestimmte sexuelle Aufklärungsmaterialien im Internet nicht frei verfügbar gemacht werden. Wenn wir bei der Prävention ein Blatt vor dem Mund nehmen und nicht über alle Praktiken so informieren, dass die Menschen wissen, wie sie sich in welcher Situation, bei der Leidenschaft, die ihnen nun einmal zu eigen ist, schützen können, dann haben wir den Kampf um die Reduzierung der Zahl der HIV-Infektionen in Deutschland schon verloren.
Es ist ganz zentral, dass wir merken, dass im Zeitalter der Internetkommunikation vieles im Internet stattfindet, was in den 80er-Jahren in Darkrooms und Lokalen stattgefunden hat. Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
Nun zum Thema Entwicklungspolitik. Die Erfolge der Entwicklungspolitik der europäischen Länder und der USA in der Dritten Welt werden vorwiegend durch zwei Faktoren gefährdet, nämlich einerseits durch ein unkontrolliertes Bevölkerungswachstum und andererseits durch die Aidskrise. Wenn wir dagegensteuern wollen, wenn wir den Sachverstand und die finanziellen Mittel, die wir in diesen Ländern investieren, wirklich gewinnbringend einsetzen wollen, müssen wir all unsere Entwicklungspolitiken mit der Aidsprävention vernetzen.
Aids ist in Afrika nicht wie in Europa vordringlich ein Problem von bestimmten Risikogruppen wie Drogengebrauchern oder Homosexuellen. In Afrika ist Aids aber auch ein Problem von schwulen Männern. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Defizit des interfraktionellen Antrags hinweisen. In mehr als der Hälfte der Länder Afrikas ist Homosexualität strafbar. Das hat zur Konsequenz, dass HIV-infizierte homosexuelle Männer keinen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung haben, weil sie dann nämlich angeben müssten, wer ihr Sexualpartner ist und damit unmittelbar ein Strafverfahren auslösen würden. Die Höchststrafen liegen zwischen 14 Jahren und, in den Ländern, in denen die Scharia gilt, der Todesstrafe. Das sind Aspekte, die wir in unseren entwicklungspolitischen Programmen berücksichtigen müssen.
Ich war in Montreal vor den Outgames auf einer Menschenrechtskonferenz, auf der viele schwarzafrikanische Homosexuellen- und Aidshilfeorganisationen waren. Die haben gesagt: In unserem Land gibt es wasserlösliche Gleitmittel und Kondome, die für den Analverkehr geeignet sind, überhaupt nicht zu kaufen; mal ganz abgesehen davon, dass sich ein gewöhnlicher Afrikaner diese zu Marktpreisen überhaupt nicht leisten kann.
Das sind Punkte, an denen unsere Entwicklungspolitik auch nicht länger wegschauen darf. Sie sind zwar nicht das Hauptproblem; aber für diese Gruppe von Menschen ist das schon ein Problem. Wir müssen deshalb mit den afrikanischen Staaten in einen Dialog darüber eintreten, dass ihre menschenrechtswidrige Verfolgung der Homosexualität auch ein gesundheitspolitisches Problem für ihre Länder darstellt.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Beck, das ist ein sehr wichtiges Thema; aber Sie müssen jetzt trotzdem zum Schluss kommen, bitte.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich möchte dafür werben, dass Sie mit uns zusammen zu einer anderen Strategie kommen.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Peter Friedrich für die SPD-Fraktion.
Peter Friedrich (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Bei der Bekämpfung von HIV/Aids auf der nationalen Ebene sind wir außerordentlich erfolgreich: Deutschland ist eines der Länder mit den niedrigsten Neuinfektionsraten.
Das liegt vor allem an der guten und intensiven Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden und Zivilgesellschaft. Die in Deutschland praktizierte Arbeitsteilung, dass die Informations- und Präventionskampagnen in der Hand der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegen, die Aufklärung der Angehörigen der Risikogruppen dagegen von den Selbsthilfegruppen bzw. ihren Spitzenverbänden verantwortet wird, hat sich als erfolgreicher Weg herausgestellt. Es war und ist richtig, den Gedanken der Selbsthilfe ins Zentrum unserer Bemühungen zu stellen. Unser Konzept der engen Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen bei Aufklärung und Prävention gilt inzwischen international als vorbildlich. Mein persönlicher Dank geht an dieser Stelle an die Bundesministerinnen Ulla Schmidt und Heidemarie Wieczorek-Zeul, deren dauerhaftem hohem persönlichen Einsatz es zu verdanken ist, dass dieses Thema so starke Beachtung findet. Mithin ist diese Debatte auch dafür ein Zeichen.
Die Bremer Konferenz hat verdeutlicht, dass es in diesem Themenbereich eine klare und starke politische Führerschaft braucht. Es ist ein Zeichen - wie mein Kollege Wodarg es schon ausgedrückt hat -, dass es gelungen ist, dieses Thema erstmals auf dieser Ebene so prominent zu behandeln. Ich bin sicher, auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm wird uns Ähnliches gelingen.
Mein Dank gilt in gleichem Maße den Selbsthilfegruppen und ihrem nationalen Dachverband, der Deutschen AIDS-Hilfe, die ebenfalls großen Anteil an diesen Präventionserfolgen hat.
Denn nur durch die Selbsthilfegruppen erreichen wir, was dort, wo nur auf staatliche Instrumente gesetzt wird, nicht erreicht wird: dass wir in unmittelbaren Kontakt zu den Bevölkerungsgruppen mit hohem Infektionsrisiko kommen. Nur durch diese Selbsthilfegruppen konnte bzw. kann es gelingen, die Risikogruppen aus der gesellschaftlichen Isolation zu holen, in der sie oftmals gefangen waren bzw. gefangen sind.
Doch auch wenn die Rate der Neuinfektionen in Deutschland sehr niedrig ist, kann es keine Entwarnung geben. Die Zahl der Neuinfektionen - das wurde schon angesprochen - steigt. Das ist wohl auch ein Ausdruck dessen, dass das Risikobewusstsein gesunken ist. Deshalb müssen wir immer wieder deutlich machen - ich bin froh, dass das hier im Hause von allen Seiten angesprochen worden ist -, dass Aids nach wie vor nicht heilbar ist. Es ist allenfalls möglich, die Auswirkungen der Krankheit zu lindern. Gegen dieses Missverständnis, das offensichtlich bei Teilen der Jüngeren vorherrscht, müssen wir angehen. Aids ist keine chronische Erkrankung, es ist eine tödliche Erkrankung.
Deswegen begrüße ich sehr, dass wir gerade die Mittel für Aufklärungsmaßnahmen deutlich erhöht haben und auch in der mittelfristigen Finanzplanung weitere Erhöhungen vorgesehen sind.
Eine erfolgreiche HIV/Aids-Präventionspolitik ist immer auch Gesellschaftspolitik: Es geht darum, das Verhalten des Einzelnen, aber auch die Verhältnisse der Gesellschaft insgesamt zu thematisieren. Gleichzeitig sind die Aufklärungskampagnen auf die Unterstützung nicht nur der Politik, sondern auch der gesamten Gesellschaft angewiesen. Wir haben gute, erfolgreiche Ansätze. Aber - damit möchte ich aufgreifen, was die Kollegin Bender angesprochen hat - es passt zu den Anstrengungen, die wir auf der nationalen Ebene und international machen, überhaupt nicht, wenn in den Ländern und in den Kommunen die Axt an das gelegt wird, was den Erfolg der deutschen Arbeit ausmacht. Wenn die schulische Aufklärung, wenn Fahrdienste, wenn Mietkostenzuschüsse in den Kommunen zusammengestrichen werden, dann wird damit die Basis unseres Erfolges unterminiert. Deswegen ist mein Appell an die Kommunen und an die Länder, bei diesen Mitteln nicht zu streichen. Denken Sie daran: Prävention ist immer günstiger als die Behandlung der Krankheit. Es wäre fatal, wenn man sich vor Ort aus der Verantwortung nehmen würde, weil der Bund die Mittel erhöht.
Der Aktionsplan, den wir heute debattieren, sieht auch den Ausbau der Substitutionsbehandlung vor. Dazu gehört für die SPD-Fraktion unzweifelhaft die heroingestützte Behandlung, auch wenn wir uns in der Koalition in dieser Frage derzeit nicht einig sind.
Mit unserem Modellprojekt erreichen wir Schwerstabhängige, die durch ihre Konsumgewohnheiten und Lebensbedingungen und durch den mangelnden Erfolg anderer Behandlungsmaßnahmen tagtäglich von der HIV-Infektion bedroht sind. Der Aspekt der HIV-Prävention ist ein weiterer Grund, der für die dauerhafte Anerkennung von Heroin als Medikament für eine klar abgegrenzte Gruppe von Schwerstabhängigen spricht.
Ich hoffe sehr, dass wir uns hier auf eine gemeinsame Lösung verständigen können.
An dieser Stelle würde es sich übrigens lohnen, auf die Kommunen zu hören.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt stelle ich fest: Wir sind auf einem guten Weg. Wir sind international eine treibende Kraft, was dieses Thema angeht. Ich halte den Aktionsplan für den richtigen Schritt. Wir sollten ihn in seiner Gänze würdigen und umsetzen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4650 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 16/4111. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4111 die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/3615 mit dem Titel ?Maßnahmen zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4111 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3616 mit dem Titel ?Gemeinsam gegen AIDS - Verantwortung und Solidarität stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/4315. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4315 die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3610 mit dem Titel ?Welt-AIDS-Tag 1. Dezember 2006 - Die besondere Verantwortung für Entwicklungsländer unterstreichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4315 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3097 mit dem Titel ?Missfallen an der südafrikanischen Aids-Politik betonen und weitere deutsche Entwicklungszusammenarbeit an Bedingungen knüpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen
- Drucksachen 16/4026, 16/4036 -
- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/4779 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Florian Pronold
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Gerhard Schick
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/4781 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Neue Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen in das Ausland verhindern - REITs in Deutschland nicht einführen
- Drucksachen 16/4046, 16/4779 -
Berichterstattung:
Abgeordnete. Leo Dautzenberg
Florian Pronold
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Gerhard Schick
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
REITs - Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen
- Drucksachen 16/1896, 16/3356 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Carl-Ludwig Thiele
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Guten Morgen, sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Koalition misst dem Finanzmarkt hinsichtlich Wachstum und Beschäftigung in Deutschland eine sehr große Bedeutung zu. Dies ist richtig und notwendig.
Die wenigsten Menschen wissen, dass in Deutschland in diesem Bereich inzwischen ungefähr 1,2 Millionen Menschen beschäftigt sind und dass der Finanzmarkt einen Anteil von mindestens 4 Prozent, Tendenz auf 5 Prozent steigend, an unserem Bruttosozialprodukt hat. Die Bedeutung dieses Marktes vielen Menschen zu erklären, ist nicht ganz leicht, weil der Finanzmarkt als etwas sehr Anonymes und etwas sehr Komplexes wahrgenommen wird. Das erschreckt manche Menschen regelrecht. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Markt ein entscheidender Faktor für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland ist.
Entsprechend der Bedeutung des Finanzmarktes wurde im Koalitionsvertrag im November 2005 etwas Neues auf den Weg gebracht. Dort wurde nämlich zum ersten Mal ein eigenes Kapitel zur Finanzmarktpolitik in Deutschland verankert. Unter anderem heißt es in diesem Kapitel, dass wir sogenannte Real Estate Investment Trusts einführen wollen ?unter der Bedingung, dass die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und positive Wirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedingungen zu erwarten sind“.
Nach einem Jahr ziemlich harter Arbeit - viele werden sich daran erinnern - bin ich sehr froh, dass ich heute die Verabschiedung des entsprechenden Gesetzentwurfs begleiten darf. Wenn auch der Bundesrat dem inzwischen geänderten Gesetzentwurf zustimmt - meiner Meinung nach gibt es daran wenig Zweifel -, wird Deutschland rückwirkend zum 1. Januar 2007 ein börsennotiertes Immobilienanlageprodukt erhalten. Dies ist wichtig.
Ich darf daran erinnern, dass damit die Bundesrepublik Deutschland als letztes Land der G-7-Gruppe, also als letztes Land der weltwirtschaftlich bedeutendsten Länder, den Einstieg in den internationalen REITs-Markt schafft und damit mit Blick auf die wichtige Schnittstelle zwischen Immobilienmarkt auf der einen Seite und Finanzmarkt auf der anderen Seite zu anderen Staaten wie den USA, Frankreich und Großbritannien aufschließt. Mehr ist es nicht. Wir erreichen den Standard, den diese Länder längst haben.
REITs haben sich als internationales Finanzmarktprodukt inzwischen in über 20 Ländern der Welt etabliert. Mit der rückwirkenden Einführung verhindern wir, dass Deutschland international den Anschluss verliert. Diejenigen, die diesem Finanzmarktprodukt skeptisch gegenüberstehen, müssen die Frage beantworten, ob denn Nichtstun eine bessere Alternative wäre.
Politische Verantwortung wahrzunehmen, heißt nicht, durch Nichtstun Fehler zu vermeiden. Denn man kann auch durch Unterlassungen Folgen auslösen, die sich zum Nachteil Deutschlands auswirken.
Meine Antwort auf entsprechende Einwände lautet: Wenn wir alles so belassen hätten, wie es ist, dann wären allein ausländische REITs auf dem deutschen Immobilienmarkt tätig. Deutschland würde zu einem reinen Distributionsstandort ?verkommen“
und würde die entsprechende Wertschöpfung, übrigens auch die Perspektive für hochqualifizierte Beschäftigung, verlieren. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich gebe zu, dass dies das erfolgreiche Ende eines längeren Beratungsprozesses ist
und dass diesem Prozess nicht ganz einfache politische Diskussionen vorangingen.
Dies in Abrede zu stellen, wäre eine Beleidigung Ihrer Urteilsfähigkeit und Ihrer Wahrnehmung.
Insbesondere die Einbeziehung von Wohnimmobilien ist auf unterschiedliche Auffassungen gestoßen. Die Märkte haben eine solche Einbeziehung der Wohnimmobilien erwartet und haben auch darauf gedrängt.
Auf der anderen Seite gab es nicht nur in meiner Partei, sondern auch darüber hinaus, wie ich finde, nachvollziehbare und ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Gewährleistung des Mieterschutzes und hinsichtlich einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die nicht aus Kapitalmarktinteressen unterwandert werden sollte. Wir haben diese Einwände ernst genommen.
Man musste - wie immer bei solchen Dingen - abwägen.
Ich glaube, dass wir mit der Herausnahme der inländischen Mietimmobilien zum 31. Dezember 2006 aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes einen vernünftigen Kompromiss gefunden haben. Denjenigen, die heute in den Wirtschaftsteilen der einschlägigen Zeitungen so tun, als sei dieses Finanzmarktprodukt nun völlig gegenstandslos geworden, kann ich nur entgegenhalten: Übertreiben Sie nicht!
Schon in den Anhörungen, die in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages durchgeführt wurden, wurde ziemlich deutlich - das ergibt sich auch aus einem Vergleich mit US-amerikanischen REITs -: In den Portfolios dieser REITs sind zu 85 Prozent, wenn nicht sogar zu 90 Prozent Gewerbeimmobilien enthalten und nur zu einem sehr geringen Prozentsatz Wohnimmobilien. Insofern glaube ich, dass dieses Finanzmarktprodukt in Deutschland von seiner Attraktivität durchaus nichts verliert, wenn wir diesen Wohnungsbestand zum 31. Dezember 2006 herausnehmen.
Der deutsche Immobilienmarkt ist auch weltweit einer der attraktivsten. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich diese Konstruktion des REIT, die Sie nach Lage der Dinge verabschieden werden, in Deutschland etablieren wird. Ich bin mit diesem gefundenen Kompromiss deshalb sehr zufrieden. Das Gesamtpaket ist attraktiv und wird, wie ich glaube, seine positiven Wirkungen entfalten.
Diese gefundene Ausgestaltung des deutschen REIT stellt insbesondere auch eine verlässliche Besteuerung beim inländischen und ausländischen Anleger sicher. Ich war dort auch Haushaltspolitiker, um eine solche Konstruktion zu finden, mit der wir die damit verbundene Steuerbasis nicht plötzlich erodieren. Das bedeutet, dass der Fiskus auch profitieren wird. Insbesondere wird er durch das Instrument der sogenannten Exit-Tax profitieren.
Das klingt zunächst paradox, weil eine solche Exit-Tax eine Steuervergünstigung dahin gehend darstellt, dass in dem Augenblick, in dem die entsprechenden Eigentümer solcher Gewerbeimmobilien diese an den Markt bringen, sie nur die Hälfte der Steuern zu bezahlen haben. Das klingt nach einer Steuervergünstigung. Der Punkt ist aber: Wenn wir das nicht einräumen würden, würden sie diese Immobilien erst gar nicht an den Markt bringen.
Darüber würden also gar keine stillen Reserven gehoben werden. Wenn keine stillen Reserven darüber gehoben werden, dann würden wir darüber auch keine Steuereinnahmen erzielen. Das ist der Mechanismus, weshalb ich glaube, dass das richtig ist.
- Ja, so ähnlich lautet mein Satz auch bezogen auf etwas anderes: Es ist besser, 25 Prozent auf X, statt 42 Prozent auf gar nix zu haben. Herr Dautzenberg, Sie hören mir erfreulicherweise zu. Das freut mich.
Wie ich glaube, haben die Koalitionsfraktionen etwas sehr Richtiges getan. Sie haben sich nämlich darauf geeinigt, dass von der Exit-Tax nur die Eigentümer solcher Grundstücke profitieren sollen, die seit fünf Jahren zum Anlagevermögen des Verkäufers gehören. Dies halte ich für richtig.
Ich will an dieser Stelle und abschließend auch noch einmal darauf hinweisen, dass dies nicht nur aus Sicht des Fiskus ein Vorteil ist. Es ist sehr schwer, den komplexen Zusammenhang zu vermitteln, dass zum Beispiel große deutsche Unternehmen - auch Industrieunternehmen - im Vergleich zu ihren Konkurrenten im europäischen Ausland einen zu großen Immobilienbestand in ihren Bilanzen haben.
Der große Immobilienbestand dieser deutschen Unternehmen - wenn Sie so wollen, ist das umgangssprachlich formuliert totes Kapital - verschlechtert ihre Bilanzen im Verhältnis zu den Bilanzen ihrer Konkurrenten im Ausland und verschlechtert auch ihre Refinanzierungsmöglichkeiten gegenüber ihren Konkurrenten in Großbritannien.
Das heißt: Es führt dazu, dass die Bilanzstruktur und damit auch die Refinanzierungsmöglichkeiten dieser deutschen Unternehmen auf den Kapitalmärkten verbessert werden, wenn man ihnen mit einem solchen Instrument die Möglichkeit gibt, etwas, was im Augenblick nur daliegt - tot, nackt, kalt -, fungibel zu machen, an einen Markt zu bringen - zum Beispiel an ein börsennotiertes Immobilienunternehmen zu verkaufen - und damit, wenn Sie so wollen, liquidieren zu können.
Dies ist von entscheidenden Bedeutung.
Ich bin mir sicher, dass sich der deutsche REIT in dieser konkreten Ausgestaltung im internationalen Wettbewerb behaupten kann. Ich glaube, dass auch der Arbeitsmarkt positive Effekte davon hat. Ich rede jetzt gar nicht mit Blick auf die Finanzdienstleister, die in Frankfurt oder weiß der Teufel wo davon betroffen sind, über den Arbeitsmarkt, sondern ich bin mir ziemlich sicher, dass über die Hebung und Mobilisierung dieser Immobilien eine ganze Reihe von Hausverwalterjobs wichtig genug sein werden und dass dies darüber hinaus der deutschen Bauwirtschaft und auch dem deutschen Handwerk Impulse geben wird;
denn in dem Augenblick, in dem diese Immobilien nutzbar gemacht werden - buchstäblich also mobilisiert werden -, wird es um eine Reihe von Leistungen gehen, durch die nicht dem Finanzdienstleistungssektor, sondern der gesamten Bandbreite der Unternehmen, die als Dienstleister oder Handwerker mit Immobilien zu tun haben, ein richtiger Schub gegeben wird.
Deshalb glaube ich: Für den Fall, dass Sie heute zu einem positiven Votum kommen, wird dies nicht nur für den Finanzplatz Deutschland, sondern auch darüber hinaus ein wichtiger Schritt nach vorne sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister Steinbrück, gerade Ihre Ausführungen zur Exit-Tax können wir als FDP inhaltlich voll unterstreichen. An dieser Stelle war aber schon spürbar, dass Union und FDP Ihren Grundgedanken folgten, es allerdings fast keinen - oder nur vereinzelten - Beifall von Ihren Genossen gab.
Ich glaube, das ist auch bei diesem Gesetz ein Teil des Problems; denn selten ist bei der Einführung eines neuen Finanzmarktproduktes so ideologisch gefochten worden wie bei der Einführung der REITs und insbesondere der Wohnimmobilien in REITs.
Insofern tobte innerhalb der SPD-Fraktion über Monate ein Streit zwischen Minister Steinbrück und den linken Genossen. Es ist schon bemerkenswert, wenn sich die Linken innerhalb der SPD mit einer Mehrheit gegenüber dem SPD-Finanzminister durchsetzen.
Wir erleben derzeit einen schleichenden Autoritätsverfall des Finanzministers.
Wir erleben die schleichende Aufkündigung des Sparkurses, und wir erleben den schleichenden Machtverlust des Finanzministers.
- Ich werde das noch ausführen. - Denn noch in der Koalitionsvereinbarung hatte der Finanzminister durchgesetzt - das wurde mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 auch beschlossen -, dass der Zuschuss in die gesetzliche Krankenversicherung im Jahr 2008 auf Null zurückgefahren wird. Ohne jegliche Deckungsvorschläge wurde dieser Zuschuss in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Euro erhöht; ab dem Jahr 2009 fließen zusätzliche Zuschüsse in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich in die gesetzliche Krankenversicherung, bis im Jahr 2016 der jährliche Zuschuss 14 Milliarden Euro betragen wird.
Dies ist kein Sparkurs, sondern die Kapitulation vor einem Sparkurs. Diese Kapitulation hat der Finanzminister mitzuverantworten.
In dem heutigen Haushaltsgipfel über die Vorbereitung des Haushalts 2008 werden wir die weitere schleichende Aufkündigung des Sparkurses erleben.
Wir erleben nämlich heute ein politisches Lehrstück. Steuermehreinnahmen sind gut für die öffentliche Hand, aber gefährlich für einen Finanzminister, der sparen möchte.
Parallel zu dieser Diskussion wird der Finanzminister mit seinem politischen Ziel, eine Unternehmensteuerreform in unserem Land durchzusetzen, von der eigenen Partei und den eigenen Parteifreunden bekämpft.
Genau dieselben Linken innerhalb der SPD, die gegen den Willen des Finanzministers die Einbeziehung der Wohnimmobilien in REITs verhindert haben, betreiben weiter die Demontage ihres eigenen Finanzministers.
Sehr geehrter Herr Minister, wenn Ihre eigene Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen Ihren politischen Kurs offen kritisiert, dann stellt sich nicht nur mir die Frage, wie weit Ihr Gestaltungswille durch die Linken innerhalb der SPD eingeschränkt wird. Wenn die eigene Partei und die Mehrheit Ihrer eigenen Fraktion nicht mehr hinter Ihrer Politik stehen, dann haben Sie keine Unterstützung mehr für Ihre Politik. Aus meiner Sicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann Sie sich selbst die Frage nach Ihrem Selbstwertgefühl als Finanzminister stellen müssen.
Ich möchte noch einmal auf die Weigerung, Wohnimmobilien in REITs einzubeziehen, eingehen. Die Argumente hierfür sind absolut vordergründig und reine Panikmache. Mieter sollen verunsichert werden. Mit dem Schüren von Ängsten hofft man, Wählerstimmen zu gewinnen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass gerade in den sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung über 200 000 Wohnungen in öffentlicher Hand von SPD-geführten Ministerien an Finanzinvestoren veräußert wurden. Jetzt wird mit dem Gesetzentwurf ein ideologischer Popanz losgetreten, der sachlich nicht gerechtfertigt ist.
Erstens gilt im deutschen Recht nach wie vor, dass Kauf nicht Miete bricht. Mieter bleiben also in ihren vertraglichen Rechten geschützt.
Zweitens wird im Entwurf des REITs-Gesetzes die Fremdfinanzierung auf 60 Prozent des Vermögens begrenzt. Durch diesen hohen Eigenkapitalanteil kann im REIT eher in den Bestand und in das Umfeld von Wohnimmobilien investiert werden. Hierdurch kann langfristig die Situation des Umfeldes und der Wohnungen verbessert werden. Ein REIT ist darauf angelegt, von vornherein eine nachhaltig hohe Ausschüttung zu erwirtschaften; denn 90 Prozent der Gewinne müssen ausgeschüttet werden. Deshalb besteht gerade beim REIT ein hohes Interesse daran, die Ertragsfähigkeit der Immobilie zu erhalten und sogar zu steigern. Dies geht nur mit zufriedenen Mietern. Deshalb dienen REITs dem Interesse der Mieter stärker als die Veräußerung an Finanzinvestoren.
Drittens - das wissen Sie alle - verfügen viele Kommunen weiter über hohe Wohnimmobilienbestände. Angesichts des Investitionsstaus in den Gesellschaften und der Situation der kommunalen Haushalte ist davon auszugehen, dass weiter über die Veräußerung dieser Immobilienbestände diskutiert wird. Mit dem Gesetzentwurf wird verhindert, dass sie in REITs veräußert werden können, aber es wird weiter der Weg offengehalten, dass sie an Finanzinvestoren veräußert werden können. Das ist absolut unschlüssig.
Viertens würden gerade REITs die Einflussmöglichkeiten der Kommunen erheblich erhöhen.
Der öffentliche Träger kann bisher meistens seine gesamten Wohnimmobilien nur zu rund 100 Prozent an einen Finanzinvestor verkaufen und verliert dadurch den kompletten Einfluss auf die Wohnimmobilien. Dies wäre bei REITs anders. Hier kann die Kommune weiter Miteigentümer sein. Deshalb möchte ich für die FDP klarstellen, dass die Ausklammerung von Wohnimmobilien ein schwerer Geburtsfehler dieses Gesetzes ist, der möglichst schnell korrigiert werden muss.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt ansprechen, den der Finanzminister schon erwähnt hat: die sogenannte Exit-Tax. Viele deutsche Unternehmen haben - darauf haben Sie zu Recht hingewiesen, Herr Finanzminister - zum großen Teil selbstgenutzte Immobilienvermögen in ihren Beständen. Hohe Werte sind darauf abgeschrieben worden. Die Veräußerung der Immobilienbestände würde zu einer hohen Steuerlast führen. Das ist der Grund, warum sie nicht veräußert werden. Parallel müssen wir aber feststellen: Da die Firmen mehr Eigenkapital brauchen, wäre es sinnvoll, wenn sie veräußern könnten. Deshalb hat schon die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2005 beschlossen, eine allgemeine Exit-Tax für betrieblich gebundenes Vermögen einzuführen. Zu einem entsprechenden Gesetz ist es damals allerdings nicht gekommen, weil der Jobgipfel an dem Tag, als über einen entsprechenden Gesetzentwurf diskutiert wurde, mühelos von der ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis getoppt wurde, der auch im vierten Wahlgang im Schleswig-Holsteinischen Landtag die Mehrheit ihrer sozialdemokratischen Freunde fehlte. Das bestimmte damals die Öffentlichkeit und nicht die Exit-Tax.
Wir, die FDP, halten eine Exit-Tax nach wie vor für richtig; denn wir haben im Hinblick auf den deutschen Standort und deutsche Arbeitsplätze ein Interesse daran, dass die Firmen ihre Eigenkapitalbasis erhöhen.
Herr Finanzminister, in diesem Zusammenhang darf ich noch auf einen Nebenaspekt hinweisen, auf den Sie vielleicht in den weiteren Beratungen zurückkommen werden. Angesichts der hohen Neuverschuldung der öffentlichen Hand brächte eine allgemeine Exit-Tax ausweislich der Berechnungen des schon seinerzeit SPD-geführten Finanzministeriums Steuermehreinnahmen in Höhe von 720 Millionen Euro pro Jahr. Hierauf wird aber verzichtet; das ist mir unbegreiflich. Stattdessen wird eine Krücke eingeführt. Wir wollen Anlagefreiheit. Der Anleger soll entscheiden, welches Produkt er in diesem Bereich bevorzugt. Steuerliche Privilegien sollen nicht nur gewährt werden, wenn man in REITs investiert. Das halten wir unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten für komplett verfehlt. Nach unserer Auffassung ist diese Regelung in rechtlicher und fiskalischer Hinsicht nicht haltbar.
Abschließend: Wir haben einen Änderungsantrag zur EK-02-Problematik der ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften vorgelegt. Wir bedauern, dass er in diesem Gesetzentwurf nicht berücksichtigt wurde. Wir werden weiterhin darauf dringen, dass man sich mit ihm befasst und dass er möglicherweise in einem zukünftigen Gesetz berücksichtigt wird; denn es ist im Interesse der Mieter, wenn dieses steuerliche Problem gelöst wird. Wenn es gelöst wird, erhält der Fiskus Steuereinnahmen, die er bei Beibehaltung der derzeitigen Regelung nicht erhielte.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die Unionsfraktion.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ?Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Der heute zur Verabschiedung anstehende Entwurf eines REIT-Gesetzes ist ein Paradebeispiel für diese These von Max Weber. Bereits vor gut zwei Jahren hat meine Fraktion in einem Antrag die Einführung von sogenannten Real Estate Investment Trusts, kurz REITs, oder Immobilienaktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen in Deutschland gefordert. Ich darf aus unserem damaligen Antrag kurz zitieren:
Deutschland benötigt zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes sowie zur Stärkung des deutschen Immobilienmarktes ein international wettbewerbsfähiges Kapitalanlageprodukt, das international anerkannt und vergleichbar ist.
Diese Einschätzung, die wir auch in den Koalitionsvertrag übernommen haben, teile ich heute, zwei Jahre später, noch voll und ganz.
Wir setzen mit dem REIT-Gesetz den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag um und schaffen endlich die Grundlage dafür, dass sich ein derartig international anerkanntes und wettbewerbsfähiges Produkt in Deutschland etablieren kann. Der Minister hat mit Recht darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, Produktionsstätte zu werden, nicht nur Verteilungsstätte und Platzierungsstätte.
Einige Kritiker aus der Finanz- und Immobilienbranche haben uns vorgeworfen, die Verabschiedung des REIT-Gesetzes lasse zu lange auf sich warten. Diesen Kritikern möchte ich in Erinnerung rufen: Es waren nicht nur politische Debatten, die Zeit gebraucht haben, auch die zum Teil komplizierten steuerrechtlichen und steuertechnischen Fragen der REITs mussten sorgfältig geklärt werden, damit Webfehler, wie sie in Frankreich entstanden sind, nicht auch hier entstehen.
Sie wissen, dass das Bundesministerium der Finanzen dazu - vom Vermögenstrustmodell bis zum jetzt gewählten Dividendenmodell mit Streubesitz - verschiedene Varianten intensiv geprüft und sich letztlich richtigerweise für die praktikabelste und EU-tauglichste Variante entschieden hat. Auch wenn der REIT-Markt international betrachtet tatsächlich bereits jahrelang etabliert ist, bin ich überzeugt davon, dass wir in Europa mit dem deutschen REIT-Gesetz noch rechtzeitig kommen. Auch die Engländer sind erst zum 1. Januar dieses Jahres mit ihrem Produkt auf den Markt gegangen.
Mit dem heute zur Verabschiedung stehenden REIT-Gesetz bieten wir dem deutschen Finanz- und Immobilienmarkt ein attraktives Produkt an. Das sage ich - und ich möchte hier eine Debatte vorwegnehmen, die sicherlich noch bevorsteht, zum Teil auch schon geführt worden ist -, obwohl die deutschen Bestandsimmobilien nicht in das REIT-Gesetz integriert wurden. Sie wissen, dass sich meine Fraktion bis zuletzt für die Integration der Wohnimmobilien stark gemacht hat.
Um in Max Webers Bild zu bleiben: Wir haben bei unserem Koalitionspartner leidenschaftlich gebohrt, aber letztendlich im Sinne des Gesamtprojekts eben auch mit Augenmaß.
Dieses Augenmaß hat sich gelohnt. Das zeigen die verschiedenen Verbesserungen am Gesetzentwurf, die wir in der Großen Koalition in dieser Woche gemeinsam auf den Weg bringen konnten. Es freut mich, dass auch die FDP nahezu allen diesen Änderungen beigetreten ist. Daher war es offensichtlich, dass Sie sich, Herr Thiele, nur auf einen Punkt bei Ihrer REIT-Kritik konzentriert haben und sonst Themen gewidmet haben, die an sich mit dem heute zur Debatte stehenden Gesetzentwurf nichts zu tun haben.
Die Verbesserungen am REIT-Gesetz lassen sich unter drei großen Überschriften subsumieren: erstens Abbau von unverhältnismäßigen Regulierungen und Beschränkungen des REIT; zweitens zielgenaue Ausrichtung der Exit-Tax auf den deutschen REIT; drittens Klarstellungen bei der Kontrolle und Sanktionierung des REIT.
Zunächst haben wir beim Unternehmensgegenstand unnötige Beschränkungen dahin gehend beseitigt, dass der REIT nicht mehr nur Eigentum an unbeweglichem Vermögen halten darf, sondern auch Beteiligungen an Immobilienpersonengesellschaften, Auslandsobjektgesellschaften, REIT-Dienstleistungsgesellschaften und an für die eigene Bewirtschaftung erforderlichen Gegenständen. Damit ermöglichen wir eine breite und diversifizierte Aufstellung des REIT sowie eine marktgerechte Strukturierung der Immobilienbestände.
Auch im Stadium des sogenannten Vor-REIT sind uns Erleichterungen gelungen. Wir räumen der Vor-REIT-Gesellschaft jetzt einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ein, bis sie sämtliche Strukturvoraussetzungen und Vermögens- und Ertragsrelationen des REIT erfüllen muss. Diese Übergangsfrist ist notwendig, damit der Vor-REIT sein Portfolio bereinigen kann, weil nämlich auch die Wohnimmobilien aus seinem Bestand zu veräußern sind und er Gewerbeimmobilien erwerben muss, um die Immobilienquote erfüllen zu können.
Lassen Sie mich zum zweiten Punkt kommen, der zielgenauen Ausrichtung der Exit-Tax auf den deutschen REIT. Die Exit-Tax, die als Konversionsinstrument steuerbegünstigt ist, ist als Instrument bereits aus dem Jobgipfel 2005 bekannt. Beim Jobgipfel hatte man sich darauf verständigt, die hälftige Besteuerung bei der Veräußerung betrieblicher Grundstücke und Gebäude unabhängig davon zu gewähren, an wen veräußert wird. Die damit verbundene Zielsetzung lautete: Mobilisierung von bisher volkswirtschaftlich nicht optimal genutztem Kapital. Diese Zielsetzung spielt auch heute beim REIT-Gesetz eine wichtige Rolle, aber sie ist nicht primär. Primär ist das volkswirtschaftliche Ziel, dem deutschen REIT einen Anschub zu geben, damit er sich als neues Kapitalmarktprodukt im internationalen und im europäischen Wettbewerb schnell und attraktiv aufstellen kann.
Diese Zielsetzung hat uns, die Große Koalition, dazu veranlasst, die Exit-Tax allein auf den REIT und den Vor-REIT zu konzentrieren und nicht, wie noch im Gesetzentwurf vorgesehen, auch die offenen Immobilienfonds in den Begünstigtenkreis einzubeziehen.
Bestärkt in dieser Entscheidung hat uns auch die Anhörung der Sachverständigen am 28. Februar. Hier wurde deutlich, dass neben volkswirtschaftlichen auch verfassungsrechtliche Argumente für die Konzentration auf den REIT sprechen. Zwar ist es richtig, dass der offene Immobilienfonds von seiner Fungibilität her mit dem REIT vergleichbar ist; ein wichtiger Unterschied besteht aber in der Streuung. Der REIT muss klare Streubesitzvorschriften einhalten, sodass gewährleistet ist, dass die einzelnen Beteiligungen nicht höher als 10 Prozent sind.
Neben dem Begünstigtenkreis der Exit-Tax haben wir uns in der Großen Koalition auch intensiv mit den Bedingungen beschäftigt, die gelten sollen, damit ein Veräußerer von Immobilien in den Genuss der Exit-Tax kommen kann. Hier haben wir wichtige Anpassungen an die Marktrealitäten vorgenommen. Im Gesetzentwurf war vorgesehen, dass die Mindesthaltedauer zehn Jahre beträgt. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Dauer auf fünf Jahre reduziert wird. Damit wird den tatsächlichen Gegebenheiten der gewerblichen Immobilie stärker Rechnung getragen. Der Haltezyklus bei gewerblichen Immobilien hat sich in den letzten Jahren - das zeigt die Praxis - in Richtung fünf Jahre bewegt. Diesen Marktrealitäten haben wir die Exit-Tax nun angepasst.
Die Vorbesitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht bei reinen Formwechseln von einer bereits bestehenden Immobilien AG in eine REIT AG. Wir haben uns für eine Frist von zwei Jahren entschieden, um gewisse Umgehungstatbestände bei der Konversion zu vermeiden. Die Verkürzung der Vorbesitzzeit ist auch deshalb richtig und wichtig, weil gerade junge Immobilien bzw. eine Durchmischung von jüngeren und älteren Immobilien den REIT stabiler und renditestärker machen. Die Vorbesitzzeit von fünf Jahren gilt allerdings nicht bei den bereits erwähnten Formwechseln. Hier haben wir uns für eine Frist von zwei Jahren entschieden.
Ein weiterer Punkt, bei dem wir Verbesserungen am Gesetzentwurf erreichen konnten, betrifft die Frage der Kontrolle und Sanktionierung des REIT-Status. Hier hat vor allem der Bundesrat um Klarstellungen gebeten. Diese Konkretisierungen haben wir in Abstimmung mit den Bundesländern erreicht. Das wird die Zustimmung des Bundesrates in der nächsten Woche wahrscheinlich erleichtern. Vielleicht sind die Arbeiten an diesem Gesetzentwurf damit vor Ende dieses Quartals abgeschlossen. Wir haben den Umfang der Prüfungs- und Feststellungspflichten der Abschlussprüfer jetzt so konkretisiert, dass sich die von der Finanzverwaltung zu überprüfenden Vorgaben nunmehr eindeutig aus dem besonderen Vermerk des Wirtschaftsprüfers ergeben.
Bevor ich zum Schluss meiner Rede komme, muss ich noch folgenden Punkt ansprechen - das gehört zur Vollständigkeit -: Wir konnten die Problematik der Doppelbesteuerung in diesem REIT-Gesetz nicht lösen. Die Große Koalition und der Ausschuss erteilen der Bundesregierung klar den Auftrag, diesbezüglich noch in diesem Jahr zu einem Abschluss zu kommen.
Lassen Sie mich abschließend auf Max Weber zurückkommen: Das REIT-Gesetz war tatsächlich ein ?hartes Brett“. Aber gerade mit Blick auf die intensiven Arbeiten der vergangenen beiden Wochen darf ich für die Koalitionsfraktionen und das Bundesfinanzministerium - es hat uns jederzeit unterstützt, zum Beispiel dadurch, dass es uns Formulierungshilfen gegeben hat - sagen: Wir haben gemeinsam mit großer Leidenschaft und gleichzeitig mit Augenmaß gearbeitet und damit ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. Nun ist es an den Marktteilnehmern, auf dieser Grundlage dem deutschen REIT zum Durchbruch zu verhelfen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fühlte mich an ein Volkslied erinnert: ?Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder, es spielet der Hirte auf seiner Schalmei.“
Es tönen die Lieder der Stärkung des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Deutschland, der notwendigen Wettbewerbsgleichheit, der Globalisierungszwänge. Finanz- und Kapitalinteressen kehren wieder, und der Hirte Bundesregierung in Begleitung der Koalitionsfraktionen, aber auch der FDP und der Grünen, die sich bemühen, mitzuspielen,
spielt willfährig auf der Schalmei der Gesetzgebung. Heraus kommt das Gesetz, das Sie uns vorgelegt haben: Gesetz zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen, kurz REITs.
Haben wir wirklich eine Lücke bei den Finanzierungsinstrumenten? Brauchen wir REITs? Die Bundesregierung sagt Ja. Herr Steinbrück hat es eben noch einmal betont: Alle anderen haben das, wir sind die Letzten, also brauchen wir es auch.
Für uns als Linke ist als Maßstab entscheidend: Ist es volkswirtschaftlich, ist es sozial notwendig, ja oder nein? Herr Dr. Hirschel vom DGB hat dazu in der Anhörung recht eindeutig gesagt:
Mittelfristig wird Ihr REITs-Gesetz zu Einnahmeverlusten führen. Es entsteht ein neues Steuerprivileg für den Finanzstandort Deutschland. Für den Wohnimmobilienmarkt kommt es zu Umstrukturierungen. - Die lehnen auch wir ab.
Ich zitiere Herrn Dr. Hirschel:
Wenn wir zu der Ansicht kommen, dass bestimmte gesetzliche Maßnahmen keinen ökonomischen Nutzen für dieses Land bringen und auch sozial nicht erwünscht sind, dann ist es aus meiner Sicht eine politische Kapitulationserklärung, wenn man mit Blick auf das Ausland nur das nachvollzieht, was dort ebenfalls ökonomisch und sozial nicht sinnvoll ist.
Diese Kapitulationserklärung unterschreiben Sie heute.
Es geht erstens um Steuergeschenke. Es geht um die Hebung stiller Reserven. Bitte erklären Sie das doch einmal einem Hausbesitzer! Da hat jemand sein Haus vielleicht sechs Jahre bewohnt, möchte es verkaufen, weil er woanders eine gute Arbeit gefunden hat und dort ein neues Haus kaufen möchte. Er unterliegt dem vollen Steuersatz.
Wenn ein Unternehmen das nach fünf Jahren macht, dann kommt es mit dem halben Steuersatz davon. Ich finde das Argument von Herrn Steinbrück, hier solle nur hälftig besteuert werden, um die stillen Reserven überhaupt zu heben, sehr fadenscheinig. Die Exit-Tax ist offensichtlich ein Fall von Subventionierung.
Zweitens geht es natürlich um Steuergeschenke für die Anteilseigner. Irgendwo haben auch Sie das Problem erkannt. Herr Dautzenberg, Sie haben eben auf die Kontrollmechanismen hingewiesen. Sie haben von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft aber gehört: Die Finanzämter können und wollen nicht zu einer Wirtschaftskontrollbehörde werden. Was Sie hier vorsehen, ist überhaupt nicht praktikabel.
Ein Problem ist schon, dass der Anteilseigner von sich aus seine Dividenden angeben muss. Wenn er das nicht tut, dann tut er das nicht. Wer das alles kontrollieren soll, ist völlig ungeklärt.
Was die Anteilseigner angeht, so wird es auf alle Fälle zu Steuereinnahmeverlusten kommen.
Drittens ist es eine direkte Einladung zum Aufbau von neuen Steuerumgehungen. In der Anhörung ist eindeutig gesagt worden: Wer will denn beurteilen, wenn es zu überteuerten Verkäufen kommt mit der Aussicht darauf, das weiter zu nutzen, indem man es zurückmietet? Sie laden hier zu Sale-and-lease-back-Geschäften ein,
die ebenfalls zu Steuermindereinnahmen führen werden. Mir ist neu, dass Sie mit dem Geld herumwerfen können, allerdings nicht neu, wenn es um Kapital- und Finanzinteressen geht. Neu wäre das nur, wenn es um die Interessen der arbeitenden Bevölkerung geht.
Weder in den Beratungen im Finanzausschuss noch in den Beratungen hier noch in der Anhörung konnten Sie nachweisen, dass es tatsächlich eine Notwendigkeit für REITs gibt. Nach meiner Überzeugung geht es zumindest im Bereich der Wohnimmobilien um etwas ganz anderes. Es geht tatsächlich um eine Umstrukturierung des Wohnimmobilienmarkts. Sie öffnen da eine Tür. Sie haben die ganze Zeit behauptet, das sei eine ideologische Diskussion, Herr Thiele; Wohnimmobilien müssten einbezogen werden.
Sie sind einbezogen. Wohnimmobilien können von REITs erworben werden, wenn es Neubauten sind. Sie sind einbezogen bei Mischobjekten. Ich nenne einmal eine Zahl. 2005 gab es 778 754 Wohnungen in Mischobjekten, in denen der Wohnanteil unter 50 Prozent lag. Das waren damals nur 2 Prozent des Wohnungsmarktes. Aber das ist ein Einfallstor, welches Sie hier aufmachen: für den Frühling der Kapital- und Finanzinteressen.
Sie haben noch nachgebessert. Sie haben die Bestandswohnimmobilien bei Auslandsobjektgesellschaften aufgenommen.
Sie öffnen die Tür also weit.
Welche Folgen wird das haben? Wir kommen zu einer Umorientierung in einem Wohnungsmarkt, der funktioniert und um den wir wahrscheinlich weltweit beneidet werden, in dem es bisher keine große soziale Abgrenzung gibt, in dem es noch keine Gettoisierung - hier arm, da reich - gibt. Insoweit haben wir noch funktionierende Städte. Aber der Druck, kurzfristig Rendite zu erzielen, wird natürlich dazu führen, dass es zu Mieterhöhungen kommt und dass die Instandhaltung vernachlässigt wird. Fehlende Sanierungen werden auf der Tagesordnung stehen.
In einer Situation, in der sich die Städte gerade in einem Umbruchprozess befinden - der demografische Wandel ist ja nicht zu leugnen - und wir ganz anders an die Entwicklung unserer Städte herangehen müssen, öffnen Sie auf diese Art und Weise die Türen für kurzfristige private Finanzinteressen. Das kann nicht sein. Herr Rips vom Mieterbund hat das wunderbar formuliert, als er sagte: Wir wünschen uns Wohnungsunternehmen, die sich als Farmer auf dem Wohnungsmarkt betätigen, nicht als Jäger und Sammler. Sie aber haben sich für die Jäger und Sammler entschieden.
Einwände, die in der Anhörung vonseiten der Wissenschaftler und der Vertreter der Verbände kamen, haben Sie einfach zur Seite gewischt. Sie waren Ihnen nichts wert. Zwar versuchte die SPD-Linke, ein klein wenig zu kämpfen, aber das Gegenteil trat ein: Die Exit-Tax wurde verändert, die Haltefrist von zehn auf fünf Jahre gesenkt, die ausländischen Bestandsimmobilien wurden einbezogen. Hier kann man also ein Einknicken auf ganzer Linie verzeichnen.
Zusammenfassend kann man sagen: Alle in der Großen Koalition wollen auf der Schalmei spielen, wenn es darum geht, Finanzanlegern neue Spielräume zu eröffnen und Konzernen steuerbegünstigt und subventioniert die Möglichkeit zur Umstrukturierung zu eröffnen, wie es ja jetzt auch die Allianz plant. Das machen Sie in einer Situation, in der, angefangen vom Bereich Rente über den Bereich Gesundheit bis hin zum Bereich Hartz IV, der Mehrheit der Bevölkerung ständig in die Tasche gegriffen wird.
Ich sage Ihnen: Der wirkliche Frühling kommt unabhängig davon, wie Sie sich hier verhalten. Die Politik hat es nicht nötig, auf der Schalmei das Lied der Einzelinteressen zu spielen. Deshalb fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, dieses Lied zu spielen! Schließen Sie sich dem Antrag der Linken an! Verzichten Sie auf die Einführung von REITs! Damit würden Sie den Frühling wirklich standesgemäß begrüßen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Erstes kurz auf die Frühlingslieder von Frau Höll eingehen.
Wir alle warten auf den Frühling, und auch ich singe sehr gerne; aber zum Frühling gehört auch der Frühjahrsputz. Wenn der auch Ihre Augen und Ohren betroffen hätte, dann hätten Sie vielleicht auch mitbekommen, dass die Grünen diesem Gesetz nicht zustimmen. In diesem Punkt hätten Sie vielleicht präziser sein sollen.
- Aber es kommt darauf an, wie man es tut.
- Darauf komme ich nachher noch einmal zurück.
Normalerweise diskutieren wir ja über Finanzmarktthemen sehr konsensorientiert.
Normalerweise geht es dabei auch um die Umsetzung europäischer Richtlinien. Die letzten diesbezüglichen Gesetze haben wir mit großem Konsens verabschieden können. Hier liegt nun - man muss schon fast sagen: ausnahmsweise - ein Gesetz vor, das originär von deutscher Seite eingebracht wurde und nicht eine europäische Richtlinie behandelt, bei der wir nur noch an ein paar Schrauben drehen können. Trotzdem geht es auch bei diesem Gesetz im Kern darum, sich internationalen Entwicklungen anzupassen. Insofern hat Herr Steinbrück völlig recht: Wir reagieren auf internationale Entwicklungen und schließen uns diesen an. Genau in derselben Weise wie bei europäischen Vorgaben stehen wir auch hier vor der Schwierigkeit, diese in unser Rechts- und Wirtschaftssystem einzubetten.
Unser zentraler Kritikpunkt lautet nun, dass dies mit dem vorliegenden REITs-Gesetzentwurf nicht gelingt. Wir sehen dabei in zwei Bereichen Probleme: beim Wohnungsmarkt und im Steuerrecht. Ich bin sehr sicher, dass uns das, was heute verabschiedet werden wird, in beiden Bereichen in den nächsten Jahren noch beschäftigen wird. Zum einen wird das Thema Wohnimmobilien von der Immobilienbranche noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ich bin sicher, dass es dazu in den nächsten Jahren entsprechende Anträge geben wird. Zum anderen bin ich sicher, dass uns auch das Thema Steuern aufgrund der verschiedenen Fragen, die jetzt noch offen sind und Korrekturen in den nächsten Jahressteuergesetzen verlangen werden, noch einmal intensiv beschäftigen wird. Das ist meine Prognose. Wir können uns ja in den nächsten Jahren einmal darüber unterhalten, ob sie so eintrifft.
Ich möchte zum ersten Punkt kommen, zum Wohnungsmarkt: Man muss sich einmal die Argumentation genau anschauen. Wenn es richtig ist, aus Gründen des Mieterschutzes inländische REITs daran zu hindern, Wohnimmobilien in Deutschland zu kaufen, dann muss es doch auch richtig sein, die Mieter vor ausländischen REITs und anderen Finanzinvestoren zu schützen.
Sonst wird doch das Ziel nicht erreicht.
Wir teilen die Anliegen des Mieterschutzes und die Auffassung, dass man bei der Stadtentwicklung genau hinschauen muss. Aber dafür brauchen wir Regelungen, eine Lösung für das generelle Problem; denn sonst steht man da wie ein Klempner, der sich mit Stolz und Akribie am tropfenden Wasserhahn versucht, aber den Rohrbruch völlig unbearbeitet lässt.
Notwendig ist, dass wir uns - ich erwarte, dass wir da in den nächsten Monaten weiterkommen - mit der zugrunde liegenden Problematik befassen, die darin besteht, dass die Kommunen häufig überschuldet sind und keine andere Alternative haben, als ihre Bestände zu verkaufen, und dass sie beim Verkauf häufig keine andere Alternative sehen, als die Bestände an einen Finanzinvestor en bloc zu verkaufen.
Ich komme zum zweiten Teil unserer Kritik; er betrifft das Steuerrecht. In dem Zusammenhang möchte ich einmal auf das Thema Ideologie eingehen, Herr Thiele; auch Herr Dautzenberg hat davon gesprochen. Ich finde, der Ideologievorwurf gilt nicht nur für die Leute, die den Mieterschutz über alles stellen, sondern mindestens ebenso für die Leute, die bei einer Finanzmarktförderung alle steuerlichen Fragen einfach unter den Tisch fallen lassen. Dass viele Leute aus der FDP mit Steuerprivilegien keine Probleme haben, wundert mich nicht. Aber unsachlich wird die Auseinandersetzung auch dann, wenn man dieses Thema missachtet, wie sehr lange geschehen.
- Ja, das erkläre ich sehr gerne. Ich finde es richtig, Finanzmarktförderung zu betreiben und den Finanzplatz Deutschland zu stärken. Die Frage ist aber, ob man den Anlegern deutsche Wohnungen auf dem Silbertablett präsentieren und den Kauf steuerlich privilegieren und begünstigen muss; denn hier findet eine steuerliche Privilegierung statt. Das ist Industriepolitik. Deswegen ist das - darauf haben einige Experten in der Anhörung hingewiesen - beihilferechtlich hochproblematisch. Das muss man einfach sehen.
- Die Fraktion der Grünen hat dem 2005 nicht zugestimmt; das wissen Sie genauso gut wie ich.
- Sie hatten vorhin Gelegenheit, zu reden. Die Fraktion der Grünen hat dem so nicht zugestimmt.
Außerdem hatten wir damals eine andere konjunkturelle Situation. Darüber hinaus ging es um eine allgemeine Regelung, nicht produktspezifisch auf das einzelne Finanzinstrument bezogen. Deswegen wäre das damals beihilferechtlich nicht problematisch gewesen, während es heute beihilferechtlich problematisch ist.
Ich möchte aber auch noch auf die anderen Fragen im Zusammenhang mit der laufenden Besteuerung eingehen. Kollege Pronold hat bei unserer letzten Debatte, wie ich finde, die richtige Frage gestellt, nämlich was denn passiert, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass es eine Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen REITs geben muss. Damit haben wir - ich zitiere - ?die letzte Möglichkeit für eine nationale Besteuerung von Grundstücken aufgegeben. Solange diese Problematik nicht gelöst ist …, will ich REITs nicht.“ Ich kann dem nichts hinzufügen; denn das ist richtig. Diese Frage ist bis heute nicht gelöst.
Das hat nichts damit zu tun, dass wir nichts tun wollen, sondern es geht darum, wie wir es tun und dass wir es steuerrechtlich sauber tun. Bei dem Thema Doppelbesteuerung und vorbelastete Dividenden ist nicht sauber gearbeitet worden. Wir haben da noch eine offene Flanke. So etwas sollte nicht passieren.
- Es wird in diesem Jahr geklärt. Aber ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten, wenn wir als rot-grüne Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hätten, bei dessen Verabschiedung eine zentrale steuerliche Frage noch nicht geklärt gewesen wäre.
Das ist handwerklich nicht sauber. Das geben Sie zu, aber damit ist es noch nicht gut.
Man könnte jetzt noch verschiedene steuerliche Probleme im Einzelnen ansprechen. Ich will aber nicht alles wiederholen, was in der Anhörung gesagt worden ist, sondern nur die klare Linie meiner Fraktion zusammenfassen: REITs ist ein anständiges, gutes und sinnvolles Kapitalmarktprodukt. Aber auch ein gutes Kapitalmarktprodukt rechtfertigt nicht neues Chaos im Steuerrecht und neue Steuerprivilegien.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Florin Pronold für die SPD-Fraktion.
Florian Pronold (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Thiele, Sie kritisieren ideologische Auseinandersetzungen. Dabei gilt der alte Spruch aus der Bibel, dass man zwar den Splitter im fremden Auge, aber nicht den Balken im eigenen sieht. Sie vor allem betreiben hier eine ideologische Auseinandersetzung. Mit einer gewissen Blindheit glauben Sie, alles den Kräften des Marktes ausliefern zu können, und widersprechen sich dann.
Auf der einen Seite fordert die FDP, dass es ja keine Steuermehreinnahmen gibt.
- Ihr Vorsitzender Westerwelle hat jüngst gefordert, Steuermehreinnahmen an die Bürger zurückzugeben. Jetzt kommen Sie und sagen: Mit der Exit-Tax kann man zusätzlich 700 Millionen Euro einnehmen.
Ich kenne genügend Debatten, in denen Sie am Anfang Ihrer Rede dagegen wettern, dass man steuerliche Mehreinnahmen erzielt, und nachher das Verschuldungsverbot fordern.
Sie schaffen es wirklich, sich innerhalb einer Rede zu drehen. Wenn man aus der FDP-Bundestagsfraktion Windräder machen könnte, dann wären, so schnell, wie Sie sich drehen können, alle Energieprobleme in Deutschland gelöst.
Dasselbe geschieht bei der Exit-Tax. Sie sagen, Sie stimmten unserem Finanzminister in allen Punkten zu, und nachher kritisieren Sie die Form der Ausgestaltung der Exit-Tax, wie sie der Finanzminister hier richtig begründet hat. Dann behaupten Sie, da bestehe zwischen uns beiden ein Widerspruch, auch wenn wir in der Frage der Exit-Tax genau die gleiche Linie vertreten.
Sie sollten mir einmal erklären, wie Sie das hinbekommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?
Florian Pronold (SPD):
Immer.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Sehr geehrter Herr Kollege Pronold, ich habe darauf hingewiesen, dass noch 2005 unter einem SPD-geführten Finanzministerium - die Staatssekretärin war sogar personenidentisch - vorgeschlagen wurde, eine allgemeine Exit-Tax einzuführen. In diesem Zusammenhang war im Finanztableau ein steuerliches Mehraufkommen von 720 Millionen Euro enthalten, von dem alleine 415 Millionen auf zusätzliche Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer zurückzuführen sind.
Ich habe erklärt, dass das ein Weg war, den wir damals für richtig hielten und heute für richtig halten. Er bringt die Immobilien in Bewegung und stärkt die Eigenkapitalbasis der Firmen. Nur, der Weg, der dann nach einer Mehrheitsentscheidung innerhalb der Koalition gefunden wurde, nämlich dies auf eine einzige Anlageform, auf REIT und Vor-REIT, zu begrenzen, ist unsystematisch. Das war der Punkt, den ich angesprochen habe. Das widerspricht an dieser Stelle sämtlichen Gleichheitsgrundsätzen.
Dabei kommt erschwerend hinzu, dass Sie zunächst auch die offenen Immobilienfonds privilegieren wollen. Da kann man fragen: Warum denn diese? Warum nicht die geschlossenen? Warum nicht andere? Sie haben eine Unmenge an Abgrenzungsproblemen. Ich frage Sie, wie Sie begründen können, dass dieser Weg die bestehenden Abgrenzungsprobleme löst. Er ist gegen die Freiheit der Kapitalanlageprodukte gerichtet; denn es können zukünftig nur diejenigen Unternehmen ihre Immobilien veräußern, die als Erwerber einen REIT vorfinden. Das ist gegen die Wahlfreiheit der Kapitalanleger und gegen die Interessen der Firmen gerichtet. Deshalb frage ich Sie, wie Sie die Begrenzung auf die Exit-Tax sachlich begründen können.
Florian Pronold (SPD):
Diese Antwort gebe ich Ihnen gerne. Erster Punkt. Beim Jobgipfel ging es darum, betrieblich nicht genutzte Grundstücke zu mobilisieren. Zweiter Punkt. In einer anderen konjunkturellen Lage wollten wir damals der Konjunktur einen zusätzlichen Anschub geben.
Jetzt haben wir uns in der Anhörung sehr ausführlich mit der Frage beschäftigt, wie man Immobilien für REITs oder für andere Produkte mobilisiert. Damit komme ich zur Frage der Gleichbehandlung, die Sie angesprochen haben. Dazu, dass wir Immobilien gleichbehandeln wollen, sagt das Bundesverfassungsgericht: Gleiches ist gleich und Ungleiches ist ungleich zu behandeln. Jetzt gibt es die eine Möglichkeit, das Gesetz auf alle Formen von Immobilienanlagen auszudehnen,
mit der Problematik, dass wir uns dann im Gesetz widersprechen würden. Denn für bestimmte andere Immobilienanlagen gelten dann die Restriktionen, die wir in diesem Gesetz vorsehen, nicht, weil wir Sale-and-lease-back-Konstruktionen entsprechend ausweiten würden.
Wir würden damit Steuermehreinnahmen, die Sie so munter verteilen wollten, von Anfang an verhindern.
Deswegen haben wir diese Frage in der Anhörung ausführlich debattiert. Die Mehrheit der Sachverständigen hat sehr wohl und zu Recht darauf hingewiesen, dass es mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, dass wir,
wenn wir ein neues Produkt einführen, das in Konkurrenz zu etablierten Produkten steht, speziell dieses neue Produkt fördern. Das stimmt mit dem Gleichheitssatz viel mehr überein, als wenn man willkürliche Abgrenzungen trifft.
Wir haben eine Abgrenzung getroffen. Aber es ist eine richtige, weil sie zielgenau dem dient, was wir mit dem Gesetz erreichen wollen, und nicht mit der Gießkanne über die Lande zieht, ohne zu wissen, wo Unkraut wuchert und wo die Blumen blühen.
Frau Höll, ich finde es doch schön, wie die PDS nun versucht, die Frage der Wohnungen in eine völlig andere Richtung zu ziehen, als es in dem Gesetz der Fall ist. Sie sprechen von über 700 000 Wohnungen in Mischobjekten. Ich kenne diese Zahl nicht; ich höre das zum ersten Mal. Wir haben uns sehr bemüht, bestimmte Dinge auch herauszufinden. Sie wissen, dass wir das in dem REITs-Gesetz objektbezogen gestaltet haben.
Das bedeutet, das muss in dem konkreten Objekt entsprechend so sein. Uns ging es darum, zu verhindern, dass man in ein Haus, das bisher nur Mietwohnungen hatte, unten einen Frisörladen einbaut und das Ganze so in einen REIT überführen kann.
Das haben wir mit einer Abgrenzung hinbekommen, die wir übrigens auch mit dem von Ihnen zitierten Deutschen Mieterbund abgestimmt haben. Der lobt uns übrigens - anders als Sie das darstellen - gerade für die gefundene Regelung zur Herausnahme der Bestandswohnimmobilien.
Herr Schick, dann kann man die spannende und richtige Frage ansprechen, wie es nun mit ausländischen und inländischen Wohnungen ist. Wir sagen: Ja, es können heute ausländische REITs in Deutschland Wohnungen kaufen. Das hat etwas mit der Freiheit der Märkte zu tun und damit, dass wir niemandem grundsätzlich verbieten können, hier irgendetwas zu kaufen. Sie unterliegen aber - das ist der Unterschied - hier der Besteuerung. Auch ein ausländischer REIT, der in Deutschland investiert, unterliegt hier der Besteuerung. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Zweitens wollten wir genau das, was wir hier feststellen, für ausländische Wohnimmobilien verhindern. Wir haben nämlich gesagt, dass, wenn das Heimatland aus genau denselben Gründen wie wir - nämlich Stadtentwicklung und Mieterschutz - sagt, dass solche Bestandswohnimmobilien nicht in REITs überführt werden dürfen, die das für den deutschen REIT genauso wenig regeln könnten wie wir für den ausländischen. Wir haben Vorsorge getroffen, dass, wenn es dort solche Regelungen gibt, die auch von deutschen REITs zu beachten sind. Das ist schon ein wichtiger und entscheidender Unterschied.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
Florian Pronold (SPD):
Gerne.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Herr Kollege Pronold, da Sie mich gefragt haben, woher ich die Zahl habe, bitte ich Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Zahl vom Gesamtverband der Deutschen Wohnungswirtschaft ist. Ich bitte Sie auch, zur Kenntnis zu nehmen, dass es natürlich klar ist, dass das Wohnungen in Hotels sind, also Gebäuden, die über 50 Prozent gewerblich genutzt werden. Es gibt also solche Gebäude, in denen auch Wohnungen sind. Das sind 775 000 Wohnungen.
Wenn wir uns hier über die Einschätzung von Sachverständigen austauschen, so sollten wir doch zur Kenntnis nehmen, dass der Mieterbund Sie zwar einerseits gelobt hat, dass er sich andererseits aber die Farmer auf dem Wohnungsmarkt wünscht und nicht die Jäger und Sammler. Ich zitiere noch einmal Herrn Rips:
Ich glaube ziemlich sicher, dass REITs-Unternehmen eher in die zweite Gruppe gehören.
Es geht also nicht um die Vereinnahmung von Sachverständigen, sondern um eine konkrete Bewertung dessen, was sie uns während der Anhörung ins Stammbuch geschrieben haben. Da war der Mieterbund trotz allem äußerst kritisch.
Florian Pronold (SPD):
Ich nehme das zur Kenntnis und würde auch gern antworten. Auf der einen Seite stellt sich noch einmal die Frage nach den Zahlen. Sind es 700 000 Objekte oder Wohnungen, die REIT-fähig sind? Das haben Sie mit Ihrer Antwort auf meine Frage überhaupt nicht beantwortet. Ich habe großen Zweifel daran, dass es so ist. Aber ich glaube, das werden wir in dieser Debatte nicht klären. Das machen wir bei Gelegenheit, weil es mich interessiert, wie das in diesem Zusammenhang tatsächlich ist. Denn wir haben uns bemüht, vernünftige Abgrenzungskriterien zu finden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir das hinbekommen haben.
In Bezug auf das, was Herr Rips zu den Jägern und Sammlern gesagt hat, würde ich ihm zustimmen. Deswegen haben wir auch versucht, bei den REITs bestimmte Grenzen einzuziehen. Auch das haben wir zum ersten Mal. Hier geht es um die Frage, mit welcher Fremdfinanzierung REITs unterwegs sein können. Gemessen an dem, womit Private-Equity-Gesellschaften und andere unterwegs sind - Herr Dautzenberg hat es angesprochen -, ist eine Eigenkapitalquote von 60 Prozent eine ganze Menge.
Noch zu Ihrer Frage, Herr Thiele: Dass das Mietrecht ein guter Schutz ist, stimmt derzeit. Sie wissen aber auch, dass zum Beispiel das Bundesland Baden-Württemberg - unter Beteiligung der FDP - eine Initiative in den Bundesrat eingebracht hat, mit der das Mietrecht verschlechtert würde. Es ist ein bisschen schwierig, hier so zu tun, als sei das Mietrecht das große Schutzschild, wenn man selber an anderer Stelle daran arbeitet, dieses Schutzschild kaputt zu hauen.
Das ist zumindest keine ehrliche Argumentation.
Sie sagen, der Einfluss der Kommunen würde mit dem REIT erhalten bleiben. Wir haben uns für eine Streubesitzklausel entschieden; das bedeutet, eine Kommune kann maximal 10 Prozent halten. Zu denken, mit 10 Prozent könne eine Kommune tatsächlich einen Einfluss darauf haben, wie von einem Unternehmen Stadtentwicklung betrieben wird, ist Illusion.
Ich freue mich, Herr Schick, dass die Grünen wieder auf den rechten Weg zurückgefunden haben und jetzt auch wieder für die Herausnahme der Wohnimmobilien sind. In den Debatten der Vergangenheit und auch in Freiburg klang das alles ein bisschen anders.
Ich will noch einmal auf die Frage der Exit-Tax eingehen. Es wurde schon angesprochen: Hier haben wir eine Begrenzung auf den REIT selber vorgenommen. Zweitens geht es hierbei um die Frage der Fristen. Auch dabei haben wir überlegt, was denn Ziel sein soll. Ziel der großen Koalition war es, die Leute nicht dazu zu ermutigen, im Hinblick auf mögliche Exit-Tax- und REIT-Entscheidungen schon spekulative Käufe zu tätigen. Deswegen haben wir uns auf einen Geltungsbereich von 5 Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes geeinigt. Das ist im Vergleich zu dem, was vorher galt - man hätte 3 Jahre Zeit gehabt, die Grundstücke in einen REIT einzubringen -, de facto eine Verkürzung der Frist von 7 Jahre auf 5 Jahre. Ich denke, das ist hinnehmbar; denn wir sind damit deutlich vor dem Zeitpunkt des Beginns der Diskussion und tragen somit Spekulationsabsichten keine Rechnung.
Wir haben - auch darauf haben Sie hingewiesen - auch eine Begrenzung eingezogen, wenn es einen kompletten Formwechsel einer Immobilien-AG in einen REIT gibt. Wir haben uns auch darum gekümmert, dass es nicht möglich ist, dass Konzernstrukturen über verschiedene Töchter per Sale-and-lease-back einen REIT halten. Das war einer der wichtigsten Punkte, die wir - vom Bundesrat angeregt - in der Anhörung aufgegriffen haben.
Herr Dautzenberg, ich darf mich für die gute Zusammenarbeit bedanken, möchte aber noch etwas in Bezug auf das Bohren dicker Bretter sagen: Man kann auch an der falschen Stelle bohren.
Wenn man an der falschen Stelle bohrt, dann sollte man aufhören. Deswegen ist es gut, dass Sie aufgehört haben, zu bohren, und dass wir uns einig sind, dass Wohnimmobilien ein anderes Gut sind, dass sie ein Rechtsgut sind, das sehr viel mit Sozialstaat zu tun hat, und dass wir eben nicht wollen, dass der Renditedruck zu Lasten von Mietern und Investitionen in die Substanz um sich greift. Wir wollen auch nicht, dass die Kommunen die Möglichkeiten, die sie in der Stadtentwicklung jetzt noch haben, preisgeben müssen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schick?
Florian Pronold (SPD):
Gerne, weil es meine Redezeit noch einmal verlängert.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, ich will nur die Frage zu der Debatte vom 29. Juni aufgreifen, wie das denn europarechtlich aussieht; ich hatte diese Frage schon einmal gestellt und habe noch keine Antwort erhalten. Damals haben Sie erhebliche Zweifel in dem Sinne geäußert, dass es, wenn wir einen German REIT einführen, praktisch zu einer völligen Nichtbesteuerung kommen kann. Sie sagten: Solange diese Problematik nicht gelöst ist, will ich den REIT nicht.
Florian Pronold (SPD):
Die Bundesregierung hat in dieser Frage mit der EU-Kommission gesprochen und hat sich kundig gemacht, wie das von der EU-Kommission rechtlich eingeschätzt wird. Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass die Unterschiede zwischen einem ausländischen und einem inländischen REIT gerade auch in der Frage des Besteuerungsregimes von solchem Gewicht sind, dass insofern eine Ungleichbehandlung möglich ist. Dies kann zur Folge haben, dass für einen ausländischen REIT hier Steuern erhoben werden im Vergleich zu einem inländischen REIT, für den keine Steuern erhoben werden.
Das ist wie alle europarechtlichen Fragen mit einem Restfragezeichen versehen. Wir werden ohne eine Entscheidung des EuGH nicht weiterkommen; wir kennen ja nun viele, von denen manche überraschend waren, manche nicht.
Restzweifel werden immer bleiben, solange es keine Gerichtsentscheidung gibt. Aber wir haben uns im Vorfeld bemüht, diese Zweifel so gering wie möglich zu halten. Ich denke, dass durch die Auskunft, die hier gegeben worden ist, und die Abstimmungen auf europäischer Ebene eine weitestgehende Sicherheit gegeben ist, die hoffentlich hält.
- Ja, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, heißt es. Das gilt auch für den EuGH.
Ich denke, wir bringen einen vernünftigen Kompromiss auf den Weg. Da zeigt das Struck’sche Gesetz seine Geltung. Außerdem zeigt sich, dass erst durch eine parlamentarische Beratung die entscheidenden Fragen gestellt werden. Das braucht Zeit. Ich erinnere daran, wie anfangs diskutiert worden ist, wie wenig Probleme es gab und wie Frankreich auf die Nase gefallen ist, weil dort eben nicht gründlich darüber diskutiert wurde. Daher ist es gut, dass wir uns ein bisschen mehr Zeit genommen haben, um jetzt ein vernünftiges und gutes Produkt auf den Markt zu bringen, das sowohl den sozialen Interessen der Mieterinnen und Mieter sowie der Städte Rechnung trägt als auch den Interessen des Finanzmarktes.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Fahrenschon, CDU/CSU-Fraktion.
Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, bei aller Wertschätzung für die Details müssen wir noch einmal einordnen, mit welchem Thema wir uns heute Vormittag befassen. Im Zentrum der Debatte stehen einerseits die Interessen einer wichtigen Impulsgebung für die Immobilienwirtschaft in Deutschland und andererseits die Fragen eines ausdifferenzierten, in vielen Produkten zum Angebot führenden modernen Finanzplatzes Deutschland.
Bezogen auf die Bedeutung der Immobilien für eine Volkswirtschaft und für die deutsche Volkswirtschaft im Speziellen muss man deutlich unterstreichen, wie wichtig dieser Sektor ist.
Über vier Fünftel des gesamten deutschen Nettoanlagevermögens entfallen auf Immobilien. Das sind 3 Billionen Euro; das ist eine imposante Zahl.
Immobilien weisen natürlich spezielle Charakteristika auf, die bei anderen Gütern nicht anzutreffen sind. Immobilien sind standort- und funktionsgebunden. Immobilien weisen eine lange Lebensdauer auf. Sie prägen die Umwelt und somit die damit verbundenen Lebensbedingungen nachhaltig. Die Nutzungsphase und die damit einhergehende Wertschöpfungskette von Immobilien dauern beachtliche 50 Jahre. Sie haben neben ihrer Primärfunktion Zusatzfunktionen: Ich nenne die Stichworte: Altersvorsorge, Sicherung von Krediten und - nicht zu vergessen - Denkmalschutz.
Gleichzeitig wachsen insbesondere neben den Anforderungen eines guten, starken und stabilen Immobiliensektors die Kapitalmärkte immer enger und schneller mit den Immobilienmärkten zusammen, und das weltweit. Immobilien sind mittlerweile eine eigene Anlageklasse, die gleichbedeutend neben den Aktien, neben den Renten und neben dem Bargeld steht. In diesem Sinne muss uns klar sein, dass die größte Volkswirtschaft in Europa, dass ein moderner, schlagkräftiger Finanzmarkt Instrumente braucht, um mit Immobilien handeln zu können, um in Immobilien wirtschaftlich tätig zu sein.
Das Ziel des Ihnen heute vorliegenden Gesetzentwurfs ist, die illiquide Immobilienanlage letztendlich schneller und einfacher handelbar und handhabbar zu machen. Vor diesem Hintergrund spielt der Finanzmarkt eine zentrale Rolle. Denn durch die Einführung von REITs erweitert sich endlich das Spektrum der Möglichkeiten, indirekt in Immobilien zu investieren.
In diesem Zusammenhang muss man schlicht und einfach festhalten, dass die REITs als Produkt international eingeführt sind. In den 60er-Jahren haben wir uns in Deutschland mit der Entwicklung von offenen und geschlossenen Immobilienfonds beschäftigt. Andere Finanzmärkte haben die aktiennotierte Immobiliengesellschaft gewählt. Wir müssen heute feststellen, dass in über 20 Ländern über das Instrument der REITs gehandelt wird und sich die Immobilienfonds trotz all ihrer Stärken international nicht so durchgesetzt haben.
Wer mit vordergründigen Argumenten die Einführung von REITs in Deutschland nicht zulässt, liebe Frau Höll, der muss sich darüber im Klaren sein, dass er den Finanzplatz Deutschland nachhaltig schädigt. Das ist in dieser Debatte unser Vorwurf an Sie.
Liebe Kollegin, wenn Sie für Ihre rückwärtsgewandte Argumentation dann noch den DGB ins Feld führen, dann wird der Hund in der Pfanne verrückt. Liebe Frau Höll, der DGB hat in der Anhörung zugeben müssen, dass er sich zwar ausführlich mit dem Thema REITs auseinandergesetzt hat, seine eigenen Bestände aber, weil es zum Beispiel keine aktiennotierte Immobiliengesellschaft gibt, vor kurzer Zeit an Private-Equity-Fonds, an Finanzinvestoren verkauft hat. Hier wird wirklich der Bock zum Gärtner gemacht.
Für den Anleger ist die Einführung von REITs im Übrigen mit einem entscheidenden Vorteil verbunden: Er kann seinen Anteil am REIT jederzeit an der Börse verkaufen, was bei einer Direktinvestition in eine Immobilie nicht möglich ist. Das heißt, wir schaffen über die aktiennotierte Immobiliengesellschaft eine ?mobile“ Möglichkeit, am Kapitalmarkt in die ?feste“ Immobilie zu investieren.
Einen zweiten Vorteil muss man ins Feld führen: Wir alle wissen, dass die Immobilienwirtschaft immer wieder mit dem Vorwurf der Intransparenz konfrontiert wird. An dieser Stelle hilft uns die Börse mit ihrer aktienrechtlichen Fundierung; denn die deutschen REITs müssen nach den IFRS, nach den internationalen Regeln für das Reporting, bilanzieren. Sie müssen eine Bilanz aufstellen, sie müssen eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung machen, sie müssen eine Kapitalflussrechnung und eine Segmentberichterstattung vorlegen. Darüber hinaus gibt es einen speziellen Rechnungslegungsstandard, den IAS 40, den wir zwingend vorschreiben. Er regelt die Bilanzierung von Immobilien, die als Finanzinvestition gehalten werden.
Frei übersetzt heißt das: Über das Instrument der REITs ist es in Zukunft nicht mehr möglich, dass ein Buchhaltungskünstler ein Einfamilienhaus zum Verkehrswert des Trump Towers bilanziert. Dass wir im Bereich der deutschen Immobilienwirtschaft Transparenz möglich machen, ist ein wesentlicher Fortschritt. Das muss an dieser Stelle gesagt werden.
Der Anleger weiß immer ganz genau, was in einem REIT wirklich steckt.
Der Kollege Schick kam mit dem Vorwurf ?Chaos in der Steuerpolitik“. In diesem Zusammenhang gibt es drei Punkte, über die wir uns unterhalten müssen:
Erstens. Bezogen auf die Steuerbefreiung unterliegen Sie, sehr geehrter Herr Kollege, einem Denkfehler; denn angesichts der Steuerbefreiung für die deutsche REIT AG und des Fehlens einer Steuerbefreiung für ausländische REITs dürfen Sie nicht allein die Ebene der Gesellschaft betrachten, sondern müssen endlich akzeptieren, dass wir an dieser Stelle die Besteuerung beim Anleger brauchen.
Die garantieren wir auf diesem Weg. Vor diesem Hintergrund ist der Vergleich der Gesellschaften nicht zweckdienlich, sogar falsch. Sie müssen auf die Anleger schauen. Da ist die Besteuerung gesichert.
Zweitens: Exit-Tax als mögliche Beihilfe für Inländer. In diesem Zusammenhang muss man zum einen noch einmal das Argument ins Feld führen, das schon der Bundesfinanzminister vorgebracht hat: Jeder Eigentümer eines entsprechenden Grundstücks kann bei Veräußerung die Vergünstigung der Exit-Tax in Anspruch nehmen. Da ist keinerlei Ungleichbehandlung festzustellen. Zum anderen ist die Einstellung des halben Veräußerungsgewinns in eine Rücklage, die wir in diesem Gesetz definieren, hinsichtlich des Umfangs und der Frist zur Wiederanlage letztendlich restriktiver als die bisher unbeanstandet gebliebene Regelung zu § 6 b Einkommensteuergesetz. Man kann hier also nicht von einer Beihilfe ausgehen; vor diesem Hintergrund gehen Ihre Vorwürfe da ins Leere.
Bezogen auf den offenen Punkt, die Vorbelastung, will ich deutlich machen, worin wir uns von der Vorgängerregierung unterscheiden: Wir gehen das Problem transparent an. Wir haben klipp und klar gesagt, dass wir hier noch nacharbeiten müssen, dass wir für den offenen Punkt noch Zeit brauchen. Das sagen wir auch gleich; wir beschließen nicht und bessern dann hinterher nach.
Wir werden für die Vorbelastung im Laufe des Jahres eine Regelung finden und damit die REITs auch steuerlich auf eine fundierte und absehbar belastbare Basis stellen.
Ich will in diesem Zusammenhang noch einen Gedankengang aufnehmen, der, lieber Herr Kollege Pronold, auch nicht außer Acht gelassen werden darf: Angesichts der Tatsache, dass wir nun einen deutschen REIT haben, dass es in Frankreich und in Großbritannien einen gibt und dass es absehbar auch in Italien und in anderen Ländern einen geben wird,
muss uns allen klar sein, wir sind hier nicht am Ende der Debatte,
sondern wir werden, insbesondere im europäischen Umfeld, natürlich weiter über das neue Finanzprodukt der börsennotierten Immobiliengesellschaft reden. Wir sind als Bundesrepublik Deutschland jetzt in der guten Lage, dass wir uns positiv in eine europäische Regulierung einbringen können. Vor diesem Hintergrund ist heute ein guter Tag für die Immobilienwirtschaft, ist heute ein guter Tag für den Finanzplatz Deutschland. Wir geben heute grünes Licht für neue Investitionen, für neue Konzepte, für neue Arbeitsplätze und für positives Wachstum.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Höll.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Kollege, ich will Ihnen gerne bescheinigen, dass der DGB auch meines Erachtens manchmal durchaus widersprüchlich handelt. Aber es ist noch nicht so - und wird sicher auch nicht so kommen -, dass die Linke und der DGB in ihrem Agieren völlige Abstimmung hätten. Ich kann Ihnen versichern, dass auch meine Unterschrift unter der Protestresolution gegen den Verkauf des Gewerkschaftshauses in Leipzig, eines sehr traditionsreichen Hauses, stand. Das ändert aber nichts daran, dass die Einschätzung des DGB-Vertreters in der Anhörung Hand und Fuß hatte, dass er recht hatte.
Zweitens möchte ich Ihnen sagen: Sie haben gelobt, heute sei ein guter Tag für die Immobilienwirtschaft in Deutschland. Wir als Linke lehnen die Einführung der REITs in Deutschland ab. Ich muss sagen, es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass in der Fachpresse weitgehend einmütig festgestellt wird - eigentlich sollte mich das beruhigen -, dass die deutschen REITs ein Flop seien und zur Verbesserung des Finanzstandortes Deutschland nicht viel beitragen werden,
weil deutsche Anleger weiterhin vor allem im Ausland investieren werden und ausländische Anleger in deutschen REITs. Da werden wir jeweils noch höhere Steuerausfälle bekommen. Die Einschätzung ihrer REITs durch die Finanzmärkte ist alles andere als positiv. Es gibt Risiken: Sie haben sich in der gesamten Debatte nicht geäußert, wie das mit Immobilienblasen wie der in den USA ist,
wo derzeit große Prozesse laufen, wo derzeit REITs von Private-Equity-Fonds aufgekauft werden, wodurch die Vorteile, die mit REITs verbunden sind - eine gewisse Transparenz an der Börse -, wieder verloren gehen. Sie haben sich auch nicht zu den Unstimmigkeiten mit den europäischen Richtlinien geäußert. In Ihrer Gesetzgebung sind so viele Fragen offen, dass man die Einführung der REITs, selbst wenn man wohlwollend wäre - was ich nicht bin -, ablehnen müsste.
Danke.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Irgendwie wird es üblich, dass die Redner, die schon geredet haben, immer noch der Redezeit bedürfen. Deswegen erteile ich auch noch dem Kollegen Thiele das Wort zu einer Kurzintervention.
Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Das ist mitunter die Form einer Debatte, die nicht nur in Talkshows geführt werden darf, sondern auch im Deutschen Bundestag, insbesondere über solche Themen.
Herr Kollege Fahrenschon, Sie haben zutreffenderweise darauf hingewiesen, dass der DGB seine Wohnungsbestände verkauft hat. Dass jedoch auch die PDS-geführte Stadtregierung in Dresden die Wohnungsbestände veräußert hat
und ebenso die Regierung in Berlin, zeigt: Wenn man eine politische Monstranz durchs Land tragen kann, dann hält man sie hoch - was momentan geschieht -, doch wenn es konkret wird, dann handeln Politiker in der Praxis ganz anders, als sie es in der Öffentlichkeit darstellen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollege Fahrenschon verzichtet. Dann kann jetzt Kollege Ernst Kranz die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt beenden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung deutscher Immobilien-Aktiengesellschaften mit börsennotierten Anteilen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4779, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/4026 und 16/4036 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Ablehnung von Linksfraktion und Grünen und bei Enthaltung der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4780. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Neue Steuervergünstigungen und Gewinnverlagerungen in das Ausland verhindern - REITs in Deutschland nicht einführen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4779, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4046 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Linksfraktion angenommen.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ?REITs - Real Estate Investment Trusts in Deutschland einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3356, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1896 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und einzelner Stimmen aus der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, kommen wir noch zu einer nachträglichen Ausschussüberweisung. Es ist gebeten worden, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3354 mit dem Titel ?Verbraucherfreundliche Kennzeichnung strahlungsarmer Mobilfunkgeräte“ nachträglich auch an den Ausschuss für Gesundheit zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 89. Sitzung - wird am
Montag, den 26. März 2006,
an dieser Stelle veröffentlicht.]